Der Tag beginnt entspannt. Es gibt kaum Gegenverkehr, der Grund ist eine Teilsperrung für die bergfahrenden Schiffe. Wir fühlen uns gut und überholen sogar ein Binnenschiff. Die Sache mit dem Gegenverkehr ist einfach: entgegenkommendes Schiff beobachten, wenn die Tafel gesetzt ist, dann “schwups” eine kleine Kurskorrektur, damit wir auf der richtigen Seite den Bergfahrer passieren. So einfach, so gut. Es beginnt Spaß zu machen, und wir genießen den teilweise wirklich idyllischen Rhein mit seinen Burgen hoch oben und den Städtchen am Ufer. Wir entspannen uns und haben das Gefühl, alles im Griff zu haben.
Welch ein Trugschluss!
Am Nachmittag macht sich die Aufhebung der Sperrung bemerkbar. Die Anzahl der entgegenkommenden Schiffe wird deutlich größer und die Überholmanöver der Bergfahrer untereinander machen das Passieren allmählich zu einer nervenaufreibenden Angelegenheit. Und dann wird’s ganz schnell und unerwartet eng: zwei Frachter kommen hinter einer Kurve mit hoher Geschwindigkeit hervor. Wir sausen ihnen stromabwärts entgegen, aber überholen gerade selbst einen Talfahrer. Der eine Bergfahrer hat die blaue Tafel gesetzt, der Überholer aber nicht! Was nun?!? Wie und wo vorbei? Davon steht nichts im Rhein-Handbuch. Wir haben nicht viel Zeit! Sollen wir zusammen mit unseren Talfahrer, den wir selbst gerade einmal halb überholt haben, zwischen den beiden wahnsinnigen Bergfahrern durch? Passen überhaupt 3 Binnenschiffe mit uns zusammen nebeneinander auf den Rhein? Sind die denn alle irre? Sch…! Was sollen wir denn nun machen? Gleich wird’s knallen und das war’s. – Gut, wir hatten bis hierhin ein tolles Leben, zwar etwas kurz, aber wenn es das nun gewesen sein soll, na gut, es kommt ja bekanntlich, wie es kommt und dann ist es auch noch so, wie es ist. Aber eigentlich ist der Rhein heute definitiv zu kalt zum Sterben. Gibt’s vielleicht doch noch irgendeinen Ausweg? Am linken Ufer sieht es nach etwas mehr Platz aus, als in der Mitte und rechts. Aber dort sind die Buhnen! Martin, der gerade noch vom Innensteuerstand gesteuert hat, springt laut fluchend nach draußen und reißt das Ruder herum. Wir schiessen quer vor beiden Bergfahrer auf das linke Ufer zu. Hoffentlich schaffen wir es noch vor den Frachtern! Mir gehen die letzten beiden Tage durch den Kopf. Das war’s also mit unserem schönen neuen Schiff. Wir werden mit voller Wucht auf eine der Buhnen knallen und absaufen.
Martin schafft es doch noch irgendwie, das Schiff in einem Bogen zu drehen und wir quängeln uns ganz dicht am linken Ufer durch den Schlamassel. Es knallt nicht, es knirscht nicht und – wir schwimmen noch. Keine Grundberührung, keine Kollision – die Frachter sind durch. Der talfahrende Kollege, den wir gerade halb überholt hatten, hat sich irgendwie in der Mitte durchgemogelt. Wir schauen den Bergfahrern ungläubig hinterher und reihen uns wieder ordentlich auf der Seite der Talfahrer ein. Heute wird nicht mehr überholt und wir sehen zu, immer einen großen dicken Vordermann vor uns zu haben, der alles frei macht.
Den Rest des Tages passen wir wie die Luchse auf, jedes Schiff und jeder Schubverband wird argwöhnisch und frühzeitig beäugt, bis die Passage für uns klar und eindeutig ist. Geht doch! Wir beruhigen uns wieder und finden sogar Spaß am Riesenslalom auf dem Rhein. Was ist das nur für ein Spektakel und Treiben auf diesem Fluß!
Im Medienhafen Düsseldorf (3) geht schliesslich dieser ereignisreiche Tag zu Ende. Die Welt ist wieder in Ordnung und der Rhein tatsächlich schon bald Geschichte. Morgen werden wir ihn verlassen und nach 278 km in den Rhein-Herne-Kanal abzweigen. Denn dann geht’s weiter nach Osten, wo die nächsten Herausforderungen schon auf uns warten: 15 Schleusen und ganz viel Kanal sind es noch bis Lübeck …