Nach einem langen und ruhigen Segeltag ließen wir gestern, am Montag, den Anker gegen 23:30 etwas westlich von Odden Fährhafen fallen. Das ist die nord-westlichste Ecke von Sjælland, also auf der Südseite der Sjællandodde. Also genau da -> 55° 57.984 N, 11° 19,994 E
Es war inzwischen stockfinster, aber der Wind war eingeschlafen und ein Vollmond ließ das Meer glitzern wie eine Wunderkerze. Einen weiteren Ankerkollegen erkannten wir schemenhaft etwas weiter Richtung Fährhafen. Es war so ruhig, das die Ohren selbst irgendein Geräusch produzieren, damit es ihnen nicht langweilig wird und sie sich vergewissern, dass sie noch funktionieren.
Unser Anker wollte auf dem steinigen Grund nicht richtig halten, deswegen brachten wir noch weitere 10 m Kette aus, so ein schön angerichteter Haufen Kette mit Anker sollte bei diesen Bedingungen reichen. Nach einem Glas Rotwein krochen wir um Mitternacht in die Koje.
Und dies ist der Logbucheintrag der nächsten Stunden…
Gegen ein Uhr in der Nacht werden wir beide durch Schabgeräusche der Ankerkette geweckt. Im Rigg ist Wind zu hören. Astrid steht auf, prüft die Position und schaut sich um. Alles soweit gut, schnell wieder in die warme Koje. Zu dem Schaben der Kette gesellen sich schwappende Wellen am Bug und Windfried, unser Windrad, verkündet fröhlich durch seine Laufgeräusche, dass er fleißig Strom produziert. Nicht sehr aufdringlich, denn je mehr Wind, desto friedlicher die Produktion. Das Heck beginnt in den ablaufenden Wellen zu schlagen. Jedes dumpf schlagende Dong einer Welle schickt ein Zittern durch’s Schiff. Die Ankerkette schabt nicht mehr, nun hat sie sich wohl im Winddruck gestreckt. Mir geht durch den Kopf, dass wir hier verschwinden sollten, sobald es hell wird. Das sind noch runde drei Stunden. Vor zwei Jahren lagen wir schon einmal vor Anholt völlig blöde auf Legerwall. Da hatte ich die Situation nicht richtig eingeschätzt, weil in der Mittelkoje der ruhigste Platz ist und man gar nicht richtig merkt, wie ruppig es schon ist.
Also raus aus der warmen Koje und oben mal nachsehen.
Südostwind? Wo zum Teufel kommt der jetzt her. Genau auflandig. Das ist gegen die Verabredung! Und dann noch mit gemeinen 4 – 5 Beaufort. Unser Ankerkollege, der etwas mehr im Westen und näher am Fährhafen liegt, ist auch noch da, aber es tut sich nichts bei ihm.
Vorhin hat sich unser Anker nicht richtig eingegraben und rutscht nun. Nicht viel, aber etwas.
Astrid fragt aus der Koje: “Und?” Es ist wie beim Reffen, wenn man das erste Mal dran denkt, dann soll man es tun. Also antworte ich: “Wir sollten weg.” Der Rest läuft innerhalb von 15 Minuten wie am Schnürchen. Fluchtpunkt suchen, Kurs wählen, Wegepunkte eingeben, Nachtfahrtvorbereitungen, Notleuchten, Scheinwerfer, Schwimmwesten, Schiff vorbereiten, Gummiboot kurzstag nehmen, Anker auf und weg. Wir sind eingespielt und vorbereitet und alles geht ohne große Absprachen wie von selbst. Kurz besprechen wir den Kurs und das Ziel, nicht dass noch einer etwas übersieht. Vier Augen sehen mehr. Wir gehen in die Mitte der Bucht und von dort nach Osten gegenan.
Es ist stockfinster und der Wind hat weiter zugenommen. Um 2:00 laufen wir gegen den Wind in südöstlicher Richtung in die Mitte der Bucht hinein, nur der Mond läßt ab und zu die kleinen weißen Schaumkronen silbrig glitzern.
Als wir uns umdrehen, sehen wir, dass unser Ankerkollege auch den Anker gelichtet hat, er läuft allerdings nach Westen ab, raus ins offene Fahrwasser. Grundsätzlich auch keine falsche Idee, da gibt es wenigstens nichts außer der Großschiffahrt, die einem in die Quere kommen kann. Hier in der Sejerø-Bucht stehen bestimmt Fischernetze und Reusen, die stehen mitten im Größen Belt nicht einfach mal so rum. Das hat auch so seinen Vorteil. Radar haben wir noch nicht, also sind wir etwas blind in der Nacht, deswegen glotzen wir uns die Augen aus dem Kopf und hoffen, dass unsere Strategie aufgeht, dass die Netz in Ufernähe stehen.
Es steht ordentlich Strom gegenan, der zur Mitte der Bucht auch stärker wird. Hier zieht’s ganz schön durch. Inzwischen ist es halb drei und wir sehen einen dritten Segler dicht unter Land in flotter Fahrt zu uns parallel fahren. Der hat wohl dasselbe vor wie wir. Ab nach hinten in die Ecke der Bucht. Man ist ja doch froh, wenn man nicht ganz allein ist und wenn man wen sieht, der dasselbe tut, dann interpretiert man das gerne als Bestätigung, dass man richtig liegt. Nach einer Weile bleibt er allerdings zurück und wir sehen nur aus der Ferne, dass er mit Scheinwerfer bewaffnet an gleicher Stelle liegen bleibt und sich dreht. Unser UKW läuft, aber ein Hilferuf geht nicht ein, obwohl wir sicher sind, dass er in eines der Netze in Uferrnähe gefahren ist, auf die wir später auch noch treffen werden. Wer weiß? Helfen könnten wir sowieso erst mit Sonnenaufgang, sonst fahren wir noch selbst in ein Netz.
Nach runden zwei Stunden Nachtfahrt beginnt es zu dämmern. Kurz bevor wir dicht unter Land einen neuen Ankerplatz finden müssen. Passt doch, etwas Glück muss man auch mal haben. Zwischen diversen Fischerfähnchen fahren wir bis ca. 600m ans Ufer. Der Anker fällt um 4:20 auf 4 m Tiefe und beißt sich in den Boden, als hätte er etwas gut zu machen. Schnell noch die Ankerwache programmiert und die Beleuchtung eingeschaltet. Der Wind bläst unverändert, aber hier ablandig und unter der Küste stehen nur kleine Kräuselwellen. Alles bestens, wir liegen wie in Abrahams Schoss.
Gegen neun erwachen wir bei strahlendem Sonnenschein vor einer wunderbaren Strandküste. Das Wasser hat tatsächlich 20° und wir machen ein Morgenschwimmerchen, trocknen uns in der Sonne und lassen die letzte Nacht Revue passieren.
Liebe Grüße
Astrid & Martin
Anker vor Høve Strand; 55° 51.672 N, 11° 29.664 E