Wyk auf Föhr -> Hörnum auf Sylt Start: 6:45 Ende: 13:25 Distanz: 41,6 sm Gesamtdistanz: 232,5 sm
In der Nordsee regieren die Tiden den Segeltag. Eigentlich sind des weniger die Tiden, als die ab- und auflaufenden Strömungen. Je tiefer man in der Deutschen Bucht steckt, desto stärker die Gezeitenströme. Richtung Dänemark werden die Strömungen immer weniger dominant. Hier in Wyk hängen wir aber immer noch voll am Gezeitenstrom. Wir kommen weder von Föhr raus, noch nach Sylt rein, ohne den Strom einzuplanen. Die reinen Gezeitentabellen helfen da nicht wirklich weiter, man muss einen Revierführer haben, der einem sagt, wann der Strom wo und wie ab- oder aufläuft. Das hört sich etwas kompliziert an, ist es aber eigentlich gar nicht. Wenn man sich das einmal alles rausklamüsert hat, dann ist es einfach. Nur blöd, dass es den passenden Strom immer nur rund alle 12 Stunden gibt. Wenn man den einen verpasst, dann muss man 12 oder 24 Stunden warten.
Deswegen freuen wir uns heute wieder über die von Astrid errechnete Aufbruchszeit von 6:30. Dann läuft der Ebbstrom schon seit gut einer halben Stunde und nimmt uns flott mit raus in die Nordsee. Klar, Astrid berechnet nicht nur die Hoch- oder Niedrigwasserzeiten mit ein, sondern auch die Startzeiten der Crew. Ab dem Klingeln des Weckers braucht es ja immer noch so seine Zeit, bis die Crew sauber und ohne Aussetzer funktioniert.
Nachdem Luiz auf dem letzten Schlag von Helgoland nach Wyk zwölfstündige Dauernahtoderfahrungen durch Seekrankheit gesammelt hatte, haben Johanna und Luiz gestern beschlossen nicht weiterzuschlafen, sondern frühzeitig und aktiv ins seglerische Geschehen einzugreifen. Die Devise heißt: “Stärke deinen Magen durch proaktives Steuern!” So ergreift Luiz gleich hinter der Hafenausfahrt das Steuer und macht die Erfahrung 2 des Gezeitensegelns. Auch wenn man dann endlich die Zeiten der ab- und auflaufenden Strömungen berechnet hat, strömt das Ganze ja mitnichten genau in die Richtung, in die man fahren muss. Der Ebbstrom setzt also munter quer zum Fahrwasser und man schiggert sich so quer und schräg durch die Tonnenpärchen. Das alles mit beeindruckenden Geschwindigkeiten, denn hier schiebt der Ebbstrom schon mal mit mehr als 3 kn mit. Luiz zählt so begeistert die Rekordmarken der Fahrt über Grund mit, dass ihm gar keine Zeit mehr bleibt schlecht zu werden. Die Ausfahrt bis zur Ansteuerungstonne des Rütergats schaffen wir in knappen 2 3/4 Stunden. Insgesamt sind das immerhin 20 sm und Luiz loggt als Spitze 8,4 kn bei eher mäßigem Wind.
An dieser Stelle schlägt Erfahrung 3 des Gezeitensegelns zu. Die Einfahrt ins Vortrapptief nach Hörnum auf Sylt liegt “nur” 6 sm im Norden. Eigentlich super denkt der Ostseesegler, aber der Nordseesegler denkt: “Na ja, nicht unbedingt super!” Wir sind nämlich viel zu früh. Es ist erst 9:30 und ins Vortapptief können wir erst so gegen 12:30 einfahren, erst dann erwischen wir den einsetzenden Hochwasserstrom. Jetzt läuft auch dort noch der Ebbstrom. Also segeln wir bei wunderbarstem Wetter einfach so lange mit halbem Wind weiter geradeaus, bis wir wenden können, um dann pünktlich an der Ansteuerung des Vortrapptiefs auf das auflaufende Hochwasser zu treffen.
An diesem Punkt kommt Erfahrung 4 des Gezeitensegelns ins Spiel. Wer früh aufbricht, der wird auch früh müde. So übergibt der Schiffsjunge die Verantwortung an die Capitana, was auch recht schnell geht, weil sie diese ohnehin schon hat, und verabschiedet sich zum Schläfchen. Die Rache der Capitana folgt nach ca. 1 Stunde. Der Wind hat etwas zugelegt und ich schlafe seelig an die Backbordseite der Koje gekuschelt. Ohne Vorwarnung läßt die Capitana wenden und ich poltere unsanft auf die andere Seite. “Upps!” sagt die Astrid “Bist du wach geworden?”
Nach weiteren 2 Stdunden erreichen wir die Ansteuerung zum Vortrapptief zusammen mit dem auflaufenden Wasser. Es ist traumhaft. Das Fahrwasser führt uns recht dicht an den weißen Stränden von Amrum entlang. Der Wind weht kräftig aus West und der Strom nimmt beständig zu. Wir rauschen hinter einigen noch trockengefallenen Sänden durch das Fahrwasser. Zwischen den Sänden läßt die Tide das Wasser “kochen und brodeln”. Auf den Sänden genießen rund 50 Seehunde die letzte trockene Stunde in der Sonne. Richtung Hörnum nimmt der Strom stark zu und der GPS zeigt teilweise 9,8 kn über Grund. Kaum nimmt die Südspitze von Sylt die Welle weg, scheinen wir über das Wasser zu gleiten. Viel zu schnell sind wir vor dem Hafen von Hörnum und müssen die Segel bergen.
Wir haben Glück. Wieder sind wir fast die einzigen Segeltouristen und bekommen sogar einen exklusiven Liegeplatz längsseits am Schwimmsteg. Nur vier weitere Segler trudeln noch ein, die sich in kleinen Päckchen im Hafen verteilen. Johanna und Luiz sind glücklich. Endlich mal ein Nordseesegeltag, der keine Seekrankheit im Gepäck hatte und der wirklich einen supertollen Abschluss bildet.