Helgoland… ja Helgoland. Vielleicht waren auch nur meine Erwartungen zu hoch. So viele tolle Geschichten hatte ich schon von Helgoland gehört und nun stehe ich hier und denke: “Na ja…”.
Auch nach unserem Inselrundgang ist mir nicht ganz klar, woher all diese tollen Geschichten kommen. An so vielen Plätzen in Schweden, Norwegen und auch Dänemark haben wir wirklich atemberaubende Naturschönheit gesehen. Hier gibt es rote bröckelnde Felsen und nicht gerade geruchsneutrale Vogelkolonien. Und auch wenn hier wirklich alles nach dem Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, das ist nun 69 Jahre her. Als wir durchs Unter-, Mittel- und Oberland gehen, beschleicht mich das Gefühl, dass ich so etwas schon kurz nach der Wende in der DDR gesehen habe. Zugegeben etwas bunter und nicht so Trabi-grau ist es hier, aber doch schon irgendwie erschreckend ähnlich. Nett hergerichtet ist hier nur ganz wenig, das allermeiste ist eher schrabbelig. Alkohol, Parfum und Zigaretten sind wegen der Zollfreiheit der Renner bei allen Inseltouristen. Allerdings trägt zur Zeit auch die Energiewende zur Ungemütlichkeit bei, denn eine beträchtliche Truppe von Offshore-Windpark-Ingenieuren ist hier mit ihrer Flotte stationiert.
Als tiedenunabhängiger Nothafen oder auch als Absprunghafen ist Helgoland ok und aus einem anderen Grund wird uns Helgoland auch ganz bestimmt nicht wiedersehen.
Im Hafen herrscht das normale Helgoländer Päckchenchaos. Viele Segler benehmen sich sehr unbekümmert und haben offensichtlich nur wenig Kenntnisse vom Päckchenliegen. Der Hafenmeister greift zwar beim gröbsten Unfug ein, aber alles Unwissen kann er auch nicht ausgleichen. Je voller der Hafen, desto unbeschreiblicher das Verhalten. Wir haben das große Glück, im Päckchen neben zwei total netten Hamburger Pärchen festzumachen. Die vier sind zusammen mit ihren beiden Segelyachten unterwegs und wir erwischen die Herren gleich beim Bierbunkern mit ihrem völlig überladenen Dingi. Auf Anhieb stimmt die Chemie und wir haben gemeinsam viel Spass, besonders als der holländische Flottillenschwarm einläuft, der Samstag schon Cuxhaven überfallen hatte.
Am Ende unseres Inselrundganges lassen wir den Blick über das Meer schweifen und erstarren. Nicht weniger als 27 Schiffe sind mit Ziel Helgoland auszumachen. Nur wenige versprengt irgendwo auf dem Wasser, die Masse ist als Schwarm unterwegs. Wir können nun gut nachvollziehen, wie sich friedliche Inselbewohner beim Anblick der nahenden Wikingerflotte gefühlt haben müssen. Gerade noch rechtzeitig erreichen wir die PINCOYA.
In der Einfahrt ballt es sich. Die ersten der Flottille der Holländer erreichen den Vorhafen. Mit Vollgas versucht ein Schwede noch in der Einfahrt ein Ausreißmanöver, um sich einen der wenigen Päckchenplätze mit einer Platznummer kleiner 10 zu sichern. Doch eine Sekunde Unaufmerksamkeit rächt sich bitter. Schamlos zieht ein Deutscher über die linke Flanke an dem Schweden vorbei und sichert sich noch einen guten Platz im Westteil. Die Holländer gewinnen durch Masse. Inzwischen ist kein Durchkommen mehr, sie stehen im Ostbecken wie ein Mann und besetzen alle strategischen Positionen vor den Päckchen. Weit abgeschlagen fügt sich ein Belgier in sein unabwendbaren Schicksal. Der Schwede kapituliert vor einer Salve unorthodoxer Hafenmanöver der Holländer. Ein deutsches Motorboot beeindruckt noch kurz durch das beachtliche Gebrüll unzähliger Pferdestärken, muss sich dann aber doch geschlagen geben. Erschüttert betrachtet ein Däne die Schlacht aus der Dachluke seiner LM24. Die ganze Szenerie wird von 20 brüllenden Funkgeräten untermalt, über die sich das Trommelfeuer neuer taktischer Anweisung des Flottillenmeisters über den ganzen Hafen ergießt. Der Hafenmeister beobachtet das Geschehen zurückgezogen aus seinem Büro und die Kollegen der DGzRS hoffen inständig, dass sie dort nicht zum Retten rein müssen. Dann schon lieber einen normalen Nordsee-Orkan!
Die Holländer können ihre britischen Wurzeln nicht verleugnen. Legt sich erst einmal einer an ein Päckchen, wächst dieses im Handumdrehen um weiter 3 bis 4 Schiffe. Man bindet sich offensichtlich genauso gerne an das längste Päckchen an, wie der Brite zielsicher die längste Schlange im Supermarkt findet. Obwohl dem in unserem Päckchen an dritter Stelle liegenden Schweden inzwischen die Verzweiflungstränen in den Augen stehen, wächst unser Päckchen schlagartig von 9 auf 13. Nur das bedenkliche Schwanken unseres Päckchens verhindert Neuanleger. Bewegte Ziele sind ja bekanntlich schwere Ziele. Kurz bevor sich unser Päckchen in das hinter uns liegende Päckchen bohrt, starten Astrid und einer der Hamburger den Motor und stabilisieren die Lage. Nun greift der Hafenmeister ein. Er erklärt geduldig die Funktion der gelben Mooringtonnen und den Nutzen von Landleinen. Innen murmelt der Schwede komisches Zeug vor sich hin.
Nachdem alle Holländer ordentlich mit Vor-, Achterleinen, Springs und auch Landleinen fest sind, verbreitet sich die schlimme Kunde von Schiff zu Schiff. Der Schwede (Nummer 3) will morgen um 5:00 raus und Schwede 2 (Nummer 4) macht gleich mit. Die beiden Hamburgern (Nummer 5 + 6) wollen um 7:00 raus. Wir (Nummer 7) haben die Nase voll von Helgoland und schließen uns einfach den Hamburgern an. Die Holländer halten uns für echt lustige Spassvögel und widmen sich dem Abendbrot.
Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Um 5:00 wird den Holländern erstens klar, das dort innen im Päckchen keine Spassvögel liegen und zweitens, dass sich ein Päckchen für ein oder zwei Schiffe aufklappen läßt, aber nicht wenn 5 von 13 innen gehen. Gegen 10 nach 5 schwirren für etwa eine Stunde 11 Schiffe durch den Hafen, von denen sich 6 in neuer Ordnung zu einem neuen Päckchen zusammenfinden.