10. August
Doverodde -> Thisted Start: 9:35 Ende: 14:45 Distanz: 17,7 sm Gesamtdistanz: 456,4 sm
Bis in die Nacht stürmt es noch ganz ordentlich, aber Stunde um Stunde wird es deutlich weniger. Das Barometer steigt und steigt. Wir liegen gut und sicher. Gegen 22:00 verkrümeln wir uns in die Kojen. Um 1:30 ist irgendetwas anders. So langsam entwickelt man einen 7. Sinn dafür. Wenn es gleichmäßig stürmt und scheppert, ist alles ok. Ändert sich etwas, wachen wir auf. Draußen hat jemand den Wind abgestellt! Schon erstaunlich! Vor wenigen Stunden hat es noch wie irre geblasen und nun…. fast nichts mehr. Wenn man das Wetter so direkt mitbekommen kann, dann ist das schon toll. Astrid und ich lieben das. Lin sicher auch ;-), zumindest protestiert sie nicht, wenn wir sie wieder mal mit ganz neuen “See-Erfahrungen” konfrontieren. Oft ändert sich alles rasend schnell und wir sind mitten drin. Zuhause in Hannover bekommen wir das alles nicht so mit, aber unsere Segelerfahrungen versuchen wir immer möglichst lange in unseren Arbeitsalltag herüberzuretten. Diese Erfahrungen haben uns auch schon geprägt. Segeln, Wind und Wetter sind direkt und kompromisslos. Da kann nichts verschoben und ausgesessen werden. Entweder man handelt gleich und richtig oder es ist zu spät und falsch. Ein ganz einfaches Prinzip mit direktem Feedback.
Es dauert so seine Zeit, bis wir auch den zweiten Anker über das Heck eingeholt haben. Der Fortress-Aluanker hat sich erstaunlich doll in den Grund gebissen. Das haben wir ihm gar nicht zugetraut, obwohl einige Testberichte das auch schon beschrieben haben. Aber er sieht eben etwas schwachbrüstig aus und deswegen wird er vielleicht einfach unterschätzt. Der lehmige Ankergrund hier im Limfjord ist optimal für außergewöhnliche Ankeraktionen. Wenn sich der Anker erst einmal in den Grund eingegraben hat, dann holt ihn da so schnell nichts mehr raus. Das läßt uns ruhig schlafen.
Auf dem Weg Richtung Norden überlegen wir das “Wohin”. Die ganze nächste Woche soll es irgendwie “ungemütlich” bleiben. Der Sommer der letzten 2 Wochen, ist definitiv vorbei. Nun ist eher Herbst angesagt, leider auch mit den dazu passenden Herbststürmen. Wenn uns diese Serie von Sturmtiefs auf der Nordsee erwischt hätte, dann hätten wir uns richtig etwas einfallen lassen müssen. Bei 8 bis 9 Beaufort und bis zu 6 Metern Welle, wären wir ganz bestimmt nicht durch das Seegebiet Fischer zum Eingang des Limfjords gefahren. Aber wir hatten ja Glück und können uns nun durch den Limfjord verdrücken.
Bei der Wohin-Frage entscheiden wir uns für Thisted. Morgen soll der Ex-Hurricane Bertha hier vorbeischauen, da ist ein ordentlicher Hafen schon nicht schlecht.
Kaum sind wir im Yachthafen von Thisted “Bertha-fest”, fährt ein Däne in die Boxengasse und sagt, dass das nun eigentlich sein Platz sei, aber wir ruhig da liegen bleiben können. Inzwischen kennen wir die Dänen, die sind sehr gastfreundlich und hilfsbereit. Sein Angebot hier liegen bleiben zu können ist ohne Frage auch ernst und ehrlich gemeint. Aber natürlich ist jeder Eigner froh, wenn er auf seinem eigenen Platz liegen kann, besonders wenn Bertha vorbeischauen möchte. Wir quatschen etwas und machen dann natürlich seinen Platz frei. Aber wohin? Bertha soll von SE über uns kommen und sich dann aus SSW austoben. Für diese Windrichtung liegt der Yachthafen wirklich absolut ungünstig. Der Hafenmeister des Yachtclubs will uns nicht längsseits am äußeren Schlengel liegen haben. Das es dort bei den angekündigten Windrichtungen und Windstärken ungemütlich wird, können wir dann abends auch selbst sehen. So lotst er uns in den hinteren, östlichen Industriehafen. Im eigentlichen Yachthafen soll nichts mehr frei sein. Auch dort hat der Segelclub Thisted noch zwei Stege. Dort ist aber auch die finsterste Industrieecke von Thisted. Hmm….grummel…., aber wir liegen hier sehr geschützt. Toll finde ich das alles nicht und schmolle vor mich hin, während Astrid und Lin eine Hafenerkundungsrunde drehen.
Abends beginnt dann Bertha ihr Werk. Hinter der großen Industriehalle liegen wir geschützt, so dass wir den beginnenden Sturm nur durch den Schwell im Hafen und durch die Regenmassen mitbekommen, die sich über uns ausschütten. So verbringen wir hier eigentlich eine ruhige Nacht, mit nur kleinen Unterbrechungen.
in dieser Müllecke sind wir gelandet
11. August
Thisted -> Hovsør Havn Start: 8:50 Ende: 10:45 Distanz: 7,8 sm Gesamtdistanz: 474,1 sm
Schlimmer als in dieser Industrieecke des Hafen von Thisted geht es wirklich kaum. Dagegen ist Helgoland pures Gold! Ich habe das gestern schon geahnt. Astrid ist immer viel positiver gesinnt und sucht an jedem Ding immer noch ein Fünkchen Positives. Aber hier gibt es nichts zu finden. Noch nicht einmal ein virtuelles Fünkchen Positivität. Wir liegen direkt vor einer Industrieschmiede und irgendeinem riesigen Industriebetrieb, dessen LKW-Zufahrt 2 Meter am Schiff vorbei führt. Gestern war Sonntag, heute ist Montag und entsprechend hat das Arbeitsleben begonnen. Eisensägen und eine Flex kreischen. Gabelstapler rollen fast durch’ Cockpit. Es ist eine absolute Scheiße und zum Verzweifeln. Ich hätte gleich gestern Nachmittag, als der Wind noch halbwegs moderat war, intervenieren sollen. Gleich als wir aus dem Seglenclub vertrieben wurden und mit fadenscheinigen Argumenten in diese Scheißecke gelotst wurden. Aber zu spät. In der Nacht ist die Warmfront mit ordentlich Wind über uns rüber gegangen und jetzt kommt noch die Kaltfront. Die hat ja immer noch etwas mehr Wind dabei. Die ganze Zeit grübele ich schon über der Karte, finde aber keine Lösung. Der Wind könnte machbar sein. Aber inzwischen steht der genau auf unserer Hafenecke und wir schwimmen in dem gesamten, zusammengetriebenen Hafenmüll, da wirft man ungern den Motor an. Jetzt noch einen Tampen in die Schraube, dass wäre der SuperGAU. Und wenn wir hier raus sind, dann wohin? Scheiße, ich könnte schreien, aber dieses Mal ist es ganz sicher kein Zalando-Segelglücksschrei, sondern nur Ärger und Wut.
Der Wetterbericht verkündet nicht gerade Auslaufwetter. Immer noch ist die Kaltfront nicht durch. Wenn die durch geht, dann steht der Wind noch mehr auf unserer Industriehafenmüllecke. Runde 8 sm im Osten ist eine Bucht, die für die kommende Windrichtung passen könnte, wenn Bertha dann wirklich auf SSW dreht. Noch bläst Bertha aus Süd. Seit 7:00 sitze ich über den Karten und Wetterberichten und schleiche mich zur Mole, um den direkten Wind zu checken. Sollen wir auslaufen? Das Wetter ist nicht ohne. Die Verantwortung quält mich. Gegen 8:00 kriechen Lin und Astrid aus den Kojen. Ich erzähle Astrid von meinem Plan. Wir checken unsere Pläne immer gegenseitig und unabhängig. Das hat uns schon das eine oder andere Mal sehr geholfen, vielleicht sogar gerettet. Astrid’s Urteil ist kurz und knapp. “Ja, ist gut!” Astrid und Lin sind heute auch eher ernüchtert, alles Positive von gestern wird heute gnadenlos durch die Schmiede niedergehämmert.
Das Ablegemanöver ist etwas umfangreicher, weil wir in dem Hafendreck den Motor möglichst gar nicht benutzen wollen. Gegen 9:15 sind wir mit Leinen- und Windunterstützung frei und drehen im großen Hafenbedecken einige Runden, um die Segel zu setzen. Unter erstem Reff und halb gereffter Genua gehen wir raus auf unseren Halbwindkurs. Aus der Ostssee kennen wir ja Starkwind und Sturm, aber Berha ist irgendwie anders. Normalerweise spürt man eine Böe, wie sie sich langsam aufbaut. Bertha aber schickt die Böen wie Keulenschläge. Man sieht, wie sich das Wasser dunkel kräuselt und dann kommt ein Hammerschlag mit 10 bis 15 Knoten mehr. Das dauert nicht lange, maximal 3 bis 5 Minuten, oft auch kürzer, und danach geht es einfach so mit moderaten 20 kn weiter. Immer wieder -buff-, einen auf die Mütze und dann so tun, als ob nix gewesen war. Diese überfallartigen Starkwindböen begleiten uns den ganzen Tag, auch als wir schon lange vor Anker liegen.
Die Fahrt zur Ankerbucht geht flott voran. Mit halben oder raumen Wind machen wir teilweise fast 8 kn. Kurz bevor wir die Ankerbucht erreichen wird es hinter uns dunkel. In absolut rekordverdächtiger Zeit springe ich (!) in meine Segelklamotten (sonst ist Astrid als Capitana für Regenfronten zuständig) und wir werfen den Autopiloten gerade noch rechtzeitig raus. Im selben Augenblick ist die Regenfront auch schon über uns. Für 15 Minuten ist “kleine Welt”. Der Regen peitscht quer über das Wasser, die Sicht ist wie Nebel und am Rigg zerren wütende Sturmböen. Dann ist genauso schnell alles wieder vorbei und von hinten grinst uns die Sonne an, um alles wieder zu trocknen. Wir fahren in unsere Ankerbucht bei moderaten 25 kn Wind und Sonnenschein. Mit dem Fernglas peilen wir die Lage. Die Windrichtung stimmt, hier können wir bleiben. Allerdings nicht an der Mooring der Dansk Sejlunion, die liegt uns zu ungünstig im eher offenen Bereich der Bucht. Die Bucht Hovsør Havn trägt ihren Namen übrigens aufgrund ihrer früheren Bedeutung als Naturhafen. Das kann schon mal gar nicht schlecht sein. Wir suchen uns ein geschütztes Plätzchen in der Abdeckung eines Kiefernwäldchens. Auf 2,20 m fällt der Anker und wir gehen achteraus auf ungefähr 3 m Wassertiefe vor rund 30 m Kette. Mit etwas mehr Routine bringen wir auch gleich den zweiten Anker aus. Alles läuft nun schnell und routiniert ab, bevor uns die nächste zornige Regenfront erwischt.
Den ganzen Tag zerren richtig böse Bertha-Böen an uns herum, aber wir liegen bestens! Beide Anker liegen diesmal genau im richtigen Winkel und da können wir wahrscheinlich noch viel mehr ab, als die “schwächelnde” Bertha (hä hä hä) noch bieten kann. Sehr zufrieden beobachten wir, wie links und rechts von uns schwere Sturmböen durchgehen und wir hinter dem eigentlich kleinen Wäldchen doch erstaunlich geschützt liegen.
Das wird eine (fast) ruhige Nacht und morgen geht’s weiter.