Marstal:
Wir haben uns damit angefunden, dass wir wenigstens heute noch in Marstal bleiben. Spätestens morgen müssen wir rüber nach Heiligenhafen, sonst sind wir Donnerstag nicht in Hannover bei der Arbeit. Der deutsche Wetterdienst sagt für die nächsten Tage stumpf 6 bis 7 aus SW mit Schauer- und Gewitterböen voraus. Erst Freitag sollen es liebliche 5 Beaufort werden.
Im Fenster des Havnkontors läuft der Wetterfilm des dänischen Wetterdienstes. Astrid und ich schauen uns immer wieder die Wiederholungen für die kommenden zwei Tage an. Der Wetterfilm läuft ziemlich schnell durch, aber …. war da nicht ein kleiner Zeitraum mit nur “grünem” Wind heute Nachmittag? Schnell zurück zum Schiff und selbst nachgesehen. Am PC können wir die Wetterbilder Schritt für Schritt manuell durchgehen. “Grüner” Wind heißt 8 bis 12 m/s, das sind runde 16 bis 24 kn, also zärtliche 5 bis 6 Beaufort. Allemal besser als 6 – 7!
Der Entschluss ist schnell gefasst, 14:30 Start der Vorbereitungen, denn alles muss richtig sturmklar gemacht werden. Der Wind wird hoffentlich nicht das Problem werden, aber es werden ganz ordentlich dicke Wellen auf uns warten. 15:30 Start mit dem Ablegemanöver, denn so einfach kommen wir hier nicht raus, es stehen zur Zeit 7 Beaufort schräg achterlich auf dem Heck. Aber das soll ja alles VIEL weniger werden. Und bis dahin machen wir einen Spaziergang und suchen uns eine Pølser-Bude.
Der Strand von Marstal ist eigentlich ganz hübsch. Hier könnte man auch mal einige Zeit einfach so faul in der Sonne liegen.
Heute pfeifen aber kräftige Böen über den Strand und draußen steht eine grimmige Welle. Wir beobachten nacheinander zwei Segler, die Richtung Bagenkop auslaufen. Beide versuchen, mit Motor irgendwie gegenan zu kommen. Beide geben nach rund einer Seemeile auf und drehen um. Das läßt unseren Mut auch etwas sinken. Aber nachher soll das ja alles VIEL besser werden.
Nach der langen Strandrunde drehen wir noch eine Runde durch die Stadt. Erinnerungen an das Buch “Wir Ertrunkenen” kommen hoch. Man müßte es noch einmal hier in Marstal lesen und dann nach Spuren suchen. Marstal ist ein hübsches Städtchen. Für uns war es bisher immer nur Durchgangshafen, das ist vielleicht etwas ungerecht, denn ganz Vieles ist wirklich sehr liebevoll gemacht und renoviert. Wir sollten hier wirklich mal einige Tage verbringen. Etwas Baden und etwas Sightseeing.
Die einzige Pølser-Bude, die wir finden, hat geschlossen, deswegen gibt’s am Hafen erst einmal ein Softice.
Brav ziehen die Schauer um uns herum und als wir zum zweiten Mal an der Pølser-Bude vorbei kommen, hat die auch geöffnet und Lin bekommt ENDLICH ihren French Hotdog, aber mit Ketchup!
Marstal -> Heiligenhafen / Ortmühle Start: 15:45 Ende: 21:30 Distanz: 36,5 sm Gesamtdistanz: 774,9 sm
Nach dem Spaziergang bleibt uns noch etwas Zeit, dann geht es los. Alles wird sturmklar gemacht. Den Geräteträger spannen wir noch einmal extra diagonal ab und das Gummiboot wird noch 20 cm höher gezogen. Alles was unter Deck irgendwie rumfliegen kann, wird gesichert, verstaut oder in irgendwelche Ecken gestopft. Und trotzdem ist es immer wieder erstaunlich, wieviel dann hinterher doch auf dem Boden liegt. Tee wird gekocht und Knäckebrot bereit gelegt. Diese Kombination hat sich bestens für gestresste Mägen bewährt! Die Strecktaue bringen wir auch noch aus und die Lifeleinen werden griffbereit an die Steuersäule gehängt.
Nun noch einen dritten und vierten Blick, ob wir etwas vergessen haben. Ein dicker Schauer gibt uns noch etwas Zeit zum Nachdenken unter Deck. Ähhh … übrigens … wo ist eigentlich die Wetterbesserung? Temporarily decreasing Winds from southwest!
Dann geht’s los. Der Ableger klappt so, wie wir uns das gedacht haben, obwohl es uns der Wind nicht leicht macht. In der Abdeckung hinter dem Trockendock der Marstal Werft setzen wir noch im Hafen das Groß. Dann geht es raus. Die Fock rollen wir noch im ruhigen Fahrwasser auch gleich vorm Hafen aus. Soweit wir es gesehen haben, sind wir das dritte Schiff, was Richtung Bagenkop ausläuft und das einzige, das es unter Segeln versucht.
Noch vor der Ansteuerung nach Marstal schenkt unsere Capitana uns schon mal kräftig eine Welle ins Cockpit ein. Upperla, die Wellen sind hier wirklich nicht von schlechten Eltern. Aber alles wird ja gleich viel besser, wenn der Wind abnimmt.
Erstaunlich souverän läuft die PINCOYA durch die Wellen. Die ganz dicken Dinger lassen sich meistens gut aussteuern. Aber einige brechen sich so unvorhersehbar, dass wir im Cockpit ab und zu ordentlich geduscht werden. Es ist ja normal, dass das Vorsegel immer einiges abbekommt, aber das die See aus dem Großsegel abläuft, kommt nicht so oft vor. In der Bucht zwischen Marstal und Bagenkop steht eine recht große Welle, die aber einigermaßen geordnet ist. Wir sind absolut begeistert, wie toll und sicher unsere dicke Dame sich hier fahren läßt. Wir sind immerhin so um die 60° am Wind, die Wellen haben in der Spitze wohl 2,5 m und es gehen Böen von 30 Beaufort über das Wasser.
Außer das die Sonne scheint, ist von der Wetterbesserung und den abnehmenden Winden allerdings nicht viel zu merken. Aber egal, wir fahren super, so können wir Heiligenhafen in jedem Fall schaffen.
Erst gegen 18:00 nimmt der Wind etwas ab und wir kommen zeitweise unter 20 kn. Mit dem Wind nimmt auch sofort die Welle ab. Es ist erstaunlich, wie schnell das zusammenspielt. Nun kann der Autopilot den Rest machen. Im Cockpit ist es auch trockener geworden, aber es ist lausig kalt! Echtes Oktoberwetter! Inzwischen habe selbst ich zwei Jacken übereinander an und denke über Handschuhe nach. So ein elendes Sch…wetter. Es ist einfach nur gemein, uns so den Sommerurlaub zu vermiesen. Ich könnte schreien, aber der Zalando-Wutschrei kommt vor Kälte nicht mehr raus. Unser Badeentchen sagt…. Lufttemperatur 13°. Wenigstens plus, ist ja auch schon was. Könnte schlimmer kommen.
Nach einige Stunden wilder Schaukelei wird die Crew auch etwas ruhiger. Lin fügt sich ihrem Schicksal und hält nur noch durch. Es ist so schade, sie hat wirklich fast nur Müllwetter abbekommen. 10 sm vor Heiligehafen machen wir die Heizung an. Wir sind alle bis auf die Knochen durchgefroren. Sobald die Wellen es zulassen, schicken wir Lin unter Deck zum Auftauen.
Um 21:30 liegen wir in unserer Box und haben alle erst einmal genug. Aber wir haben es geschafft!
So hart wie dieses Jahr sind wir die PINCOYA noch nicht gesegelt und sie hat gezeigt, dass sie noch mehr kann. Und wir haben gelernt, sobald es ein passendes Ankerplätzchen gibt, werden wir bei Starkwind immer lieber ankern. Allein der An- und Ableger in Marstal hat gereicht, uns das wieder zu zeigen.
Und dies war die Mannschaft:
20 Häfen oder Ankerbuchten sind wir angelaufen:
Heiligenhafen / Ortmühle – Flemhuder See (NOK) – Cuxhaven – Helgoland – Wyk auf Föhr – Hörnum auf Sylt – Esbjerg – Hvide Sande – Thyborøn – Venø – Doverodde – Thisted – Hovsør Havn – Løgstør – Mou – Bønnerup – Draget im Ebeltoft Vig – Kerteminde – Nyborg – Marstal – Heiligenhafen / Ortmühle
In unseren 2 Wochen Sommerurlaub und den gleich anschließenden 2 Wochen Winterurlaub sind wir an 20 Segeltagen 774,9 sm gefahren. Das sind immerhin 38,7 sm pro Segeltag und unser Logbuch sagt, dass wir im Schnitt mit 5,0 kn unterwegs waren, wobei das die An- und Ablegezeiten und Wartezeiten im und vorm Kielkanal mit einrechnet. Von den 774,9 sm sind wir 580,3 sm gesegelt und von den 164,6 sm unter Motor entfallen runde 53 sm allein schon auf den Kielkanal. Den einzigen Flautentag hatten wir auf der Etappe von Esbjerg nach Hvide Sande.
Alles in allem war das schon ein recht sportlicher Urlaub, der nicht nur wegen des schlechten Wetters der letzten zwei Wochen wenig Müßiggang erlaubte. Vielleicht machen wir nächstes Jahr wirklich mal nur einen Badeurlaub in der dänischen Südsee und lassen den Wind das nächste Ziel bestimmen. Vielleicht…. wer weiß dass aber schon so genau. Wahrscheinlich fängt schon nächste Woche wieder das Fernweh an zu zwicken.