Der grundsätzliche Aufbau der alten und neuen Winde ist sehr ähnlich, aber die Lage von Kettenauslass zu Antriebsachse ist schon etwas unterschiedlich. D.h., die beiden vorhandenen Deckdurchbrüche passen nicht so ganz. Außerdem benötigt die Maxwell größere Deckdurchbrüche als die alte Lewmar, weil die Antriebsachse der Maxwell in einem geschlossenen Rohr liegt. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis wir eine Idee hatten, wie wir mit unserer Werkzeugausstattung zwei so große Löcher in den Sockel der Windenhalterung bohren können. Am Ende haben wir zwei passende Lochsägen gekauft und uns dazu Führungsschablonen gebaut. Die sollen dann auf den Sockel geschraubt werden, um die bestehenden Löcher aufzubohren, ohne das wir eine Zentrierung brauchen, weil wir ja nur aufbohren und nicht neu bohren wollen. So unser Plan.
Es dauert eine ganze Zeit, bis wir eine passende Position für die neue Winde gefunden haben, sodass die alten Löcher innerhalb der neuen liegen, der Kettenlauf zur Ankerhalterung passt und die ganze Winde möglichst maximal auf dem Sockel sitzt. Egal wie Astrid und ich die Einbauschablone auch drehen und wenden, es geht kein Weg daran vorbei, die neue Winde steht auf der rechten Seite über den alten Sockel hinaus. D.h. wir müssen den Sockel doch noch etwas “ummodellieren”. Handwerklich und technisch ist das kein großes Problem, aber es ist viel Fummelei und es sind wieder 2 bis 3 Laminier- und Klebeschritte mehr. Das alles dauert, denn das Epoxy muss immer über Nacht aushärten. Schneller geht das bei den Temperaturen auch mit dem flinken Härter nicht. Über den Daumen haben wir so noch runde 10 Aushärte- und Trocknungsintervalle, d.h. wir werden bis zum Krantermin nicht mehr fertig werden. Den Rest müssen wir dann machen, wenn wir schon wieder im Wasser sind. Liegen wir aber erst einmal wieder draußen, dann brauchen wir für jeden Arbeitsschritt auch immer wieder trockenes Wetter. Bei unserem Wetterglück ist das ja auch so eine Sache. Mal sehen, wie das wird.
Das Aufbohren der Löcher geht so reibungslos, dass wir verdutzt nach dem “dicken Ende” suchen. Alles passt, die Schablone umschließt die Bohrungen geradezu zärtlich und umschmeichelt ihre rundlichen Außenlinien. Schnell bohren wir noch die vier Schraublöcher und dann rutscht die Maxwell testweise das erste Mal auf ihre Position. Perfekt! Kann das sein?
Ich zwänge mich unter zen-buddhistischen Ausatemübungen schlangenmenschartig vollständig in den Ankerkasten und leite punktgenau die elegante Drehung in die Endposition ein, als mich der Schnürsenkel meines rechten Schuhs in der Nase kitzelt. Ok, vielleicht hätte ich heute beim Frühstück das dritte Brötchen doch weglassen sollen. Unter Umständen könnte das leichte Völlegefühl mit diesem Brötchen und den letzten zwei Tassen Kaffee in Zusammenhang stehen. Für meinen Körper sind diese Positionen inzwischen doch durchaus etwas ungewohnt geworden. Das letzte Mal, als ich mich in einer ähnlichen Situation befunden haben muss – ehrlich gesagt erinnere ich mich nicht mehr so ganz genau daran – muss vor fast genau 57 Jahren gewesen sein, als meine Mutter mit mir in den Kreissaal ging. Urplötzlich erinnere ich mich an meine Waldorfschulzeit und beginne unbewusst mit den eurythmischen Ausatemübungen des “langen Iiiiihs”. Lange war mir der Sinn dieses Unterrichts verborgen geblieben, aber nun öffnen sich mir die Augen! In einem Ankerkasten steckend kann man mit dieser Steinerschen Tanz-deinen-Namen-Übung im Handumdrehen brötchenbedingtes Völlegefühl beseitigen. So befreit winde ich den rechten Fuss unter der linken Achsel hervor und drehe mich leicht nach rechts in die Endstellung des sogenannten Pflugschar-Lotus.
Aus dieser Position kann ich allerdings die korrekte Passung der Maxwell-Ankerwinde nicht prüfen. Ich kann die Unterseite der Winde beim besten Willen nicht scharf stellen, wahrscheinlich liegt das an meiner Altersweitsichtigkeit, denn ich bin echt nah am Ort des Geschehens dran.
So versuche ich den buddhistischen Torsionswirbel anzusetzen. Obwohl der Name dieser Übung eher nach frischer Spontanität klingt, handelt es sich hierbei um eine schabend schiebende Drehung, die den Körper langsam jenseits der Schmerzgrenze in heute noch von Orthopäden für unmöglich gehaltene Positionen bringt. Ziel des Torsionswirbels ist die sogenannte Rocna-Wippe, von der ich mir mehr Abstand zur Winde verspreche.
Langsam durchströmt meinen Körper die Ruhe dieser schwerelosen Balance, die so typisch ist für das Ankerkasten-Yoga. Nur der stechende Schmerz im rechten Knie und der Krampf im Oberschenkel drängen die Tiefenentspannung noch etwas beiseite und lassen meinen Kopf am Versuch scheitern, die Quertraverse der Ankerhalterung von unten zu durchbrechen. Meditativ brechen ruhige und wohlklingende Worte aus mir hervor: ” Wer hat sich nur solch einen …PIEP… in diesem …PIEP…ankerkasten ausgedacht? So eine unsagbare Ober…PIEP…! Elender verdammter …PIEP…! Ich kann die …PIEP…Winde von unten nicht richtig sehen. Das ist doch …PIEP… … PIEP… …PIIIIIIIIIIIIIEP…“.
Den aufkommenden Krampf im rechten Fuss versuche ich dadurch zu bekämpfen. dass ich den Fuss nun außerhalb des Ankerkastens lustig wippen lasse. Meine Position im Ankerkasten ist inzwischen absolut stabil und mit den hoch gelegten Beinen einer Schocklage nicht unähnlich. Allerdings sollte man unter keinen Umständen diese Position nach einem Streit mit seiner Frau einnehmen, da eine gewisse Wehrlosigkeit nicht ganz von der Hand zu weisen ist.
Endlich kann ich mir nun die neue Ankerwinde von unten ansehen. Eigentlich gar nicht so schlecht. Da die Maxwell-Winde keine parallelen Montageflächen benötig, brösele ich die letzten angegammelten Reste der alten Konstruktion ab. Gleich noch etwas schleifen und auffüllen mit Epoxy-Spachtel, dann sollte es das für’s erste gewesen sein. Im Sommer laminiere ich dann noch eine neue Matte drüber und lackiere den Ankerkasten neu. Jetzt aber erst einmal wieder raus. Aber wie?
Mit Astrids Hilfe, sie zerrt jeweils an den gerade herausstehenden Armen und Beinen, gelingt mir nach einiger Zeit die Fortress-Rolle in die Freiheit.
Da ich außerhalb des Ankerkastens noch einige Minuten in einer embryonalartigen Stellung verharre, rührt Astrid schon mal den Epoxy-Spachtel an. Nur langsam erreiche ich wieder meine normale Körpergröße, als die Capitana auch schon freudig in die Hände klatscht und ruft: „Nun mal schnell wieder zurück in den Ankerkasten, der Spachtel hat nur eine Topfzeit von 15 Minuten und du brauchst ja immer so lange.“
Inzwischen habe ich schon etwas Übung und gleite geschmeidig und anmutig zurück in meine Yoga-Position zum Spachteln. Nur kurz verkeilt sich mein linkes Bein hinter dem rechten Schulterblatt, bis sich dann die kalte Ankerkette unter das hochgerutschte Sweatshirt schiebt und eine wohlige Kühle verbreitet. Hoch über mir steht Astrid und ich habe den Eindruck, etwas von echter Bewunderung in Ihrem Blick zu erhaschen. Meine eleganten Ankerkastenmanöver finden eigentlich nur in einem Anlegemanöver der AIDA „Melodie of the Extremes“ in Heiligenhafen ihre Entsprechung, wenn die AIDA ihre zarten 80.000 BRT mit einem fröhlichen „Tut-Tut-meine-Schraube-geht-seitwärts“ an die Kaimauer vor den Fischbuden schmiegt.
Insgesamt müssen wir zwei Lagen Spachtel auftragen, aber den Ankerkasten hatte ich schon nach meinem ersten Besuch richtig lieb gewonnen.