von Kongsdal -> über Høllet -> zurück nach Kongsdal Start: 30.05.2015 19:25 Ende: 31.05.2015 Distanz: 10,0 sm Gesamtdistanz: 233,9 sm
Morgens werden wir vom Ankeralarm geweckt. Mit dem Winddreher haben wir uns auch aus unserem Ankeralarmkreis gedreht. Wir stellen den Alarm immer auf den fast kleinsten Wert, 0,02 sm, also ca. 36 m. So bleiben wir beim Schwojen in unserem Alarmkreis, aber ein größerer Winddreher dreht uns raus und es gibt Alarm.
Mit dem Winddreher beginnt erneut die Hackekacke. Die Nacht war ruhig, aber nun, es ist inzwischen 16:00, ist eine zweite Sicherheitsleine zur Boje ausgebracht und der Anker liegt zur Sicherheit, schon mal mit 10m Kette, vor uns auf dem Grund. Der Wind kommt für unseren Liegeplatz an der Mooring echt blöd, aber im Fjord gibt es für Westsüdwest keine richtigen Ankeralternativen. Das mit dem auf Grund liegenden Anker ist eine bloße Sicherheitshoffnung, wenn etwas an der Boje bricht, dann verlängert der Anker hoffentlich unseren Reaktionsspielraum. Immerhin hat es heute schon wieder mit bis zu 38 kn geblasen, das sind flotte 8 Beaufort. Der Schnitt liegt seit 6 Stunden bei satten 6 Beaufort. Dieses ewige Pfeifen geht einem nun langsam doch auf den Senkel, gerade weil wir uns unseren Urlaub doch etwas anders vorgestellt haben. Wir können nur heilfroh sein, dass ich mir letzten Dienstag die Magen- und Darmgrippe eingefangen habe und wir nicht weiter nach Norden fahren konnten. Würden wir jetzt in den nördlichen Schären von Göteborg oder gar in Norwegen stecken, könnten wir wohl schon mal ein Ticket für die Fähre zurück ab Oslo oder Göteborg buchen.
Als Astrid noch einmal das Wetter checkt und verkündet, dass es nun ruhiger wird und dass der Däne sagt, dass nun nur noch Böen mit max 16 m/s kommen, fegt eine dieser ruhigen Böen über uns hinweg und lässt es auf Deck heftig poltern. Astrid und ich springen synchron auf und stoßen uns ebenso synchron den Kopf an der Salondecke. Scheiße, was war das? Im Augenwinkel sehe ich unseren Ankerball am Salonfenster entlangtrullern. Offensichtlich ist er nicht mehr da, wo er eigentlich seinen Dienst tun soll und hängt nun schlapp in der Reeling. Bevor er sich auch noch in den kalten Mariager Fjord stürzen kann, um sich sein trostloses Ankerballleben zu nehmen, springt Astrid in die abflauende Bö und packt ihn an den Resten seiner Aufhängung. Ein erster Blick zeigt den Grund der Fahnenflucht, die Aufhängung hat sich durchgescheuert und ihren Dienst quittiert. Eigentlich hing der Ankerball am Topnanten. Der Topnant*, nun erst einmal befreit von dem blöden Ankerball, verabschiedet sich sogleich über die Saling nach hinten und wedelt nun mit seinem Patentschäkel vor dem Windrad herum, das gerade auf Hochtouren und in bester Schredderlaune in den abflauenden Böen alles gibt. Upps, wäre der Topnant etwas länger, dann hätte es echt Kleinholz gegeben.
*Für Nichtsegler: Der Topnant ist die Strippe, die ungefähr auf 2/3 Höhe aus dem Mast kommt und die eigentlich zum Heben des Spibaums verwendet wird. Allerdings lässt sich diese Strippe auch wunderbar als Ankerballhochzieher verwenden, um nicht nur deutsche Wasserschutzpolizisten zu begeistern. An dem Ende dieser Strippe ist ein Metallding und wenn das samt Strippe in das rasende Windrad kommt, dann passiert in etwa dasselbe, als wenn man einen Teelöffel in einen laufenden Mixer wirft.
Nachdem der Ankerball gerettet und der Topnant wieder über die Saling bugsiert wurde, widmet sich Astrid wieder dem Wetter. Auch mehrfaches Abrufen der verschiedenen Vorhersageseiten macht es nicht besser. Eigentlich sollte der Wind schon deutlich abgeschwächt aus Süd kommen, aber er bläst weiter munter aus West und hat noch ein paar dicke schwarze Wolken dabei. Bei dem strammen West liegen wir hier an unserer Boje aber nicht wirklich gut. Es geht zwar, aber glücklich macht es uns nicht. Wenn etwas bricht, haben wir ca. 100 m bis zum „Rums“. Das ist nicht viel. Würde der Wind gen Süd drehen, was er ja eigentlich schon längst gemacht haben sollte, hätten wir den ganzen Fjord bis zum „Rums“ und das sind deutlich mehr als 100 m. Und weil Capitanas eben so wie Capitanas sind, wird so lange nach Alternativen gesucht, bis etwas gefunden ist. Fjord-einwärts in gut 5 sm, also runden 10 km, liegt eine kleine Bucht, in der sich schon vor Urzeiten die Wikinger versteckt haben sollen, wenn das Wetter auch den Wikingern nicht mehr gefallen hat. Und weil die Wikinger wesentlich härter waren, als wir beide zusammen, muss diese Bucht das Komfortmaximum bei dänischen Sch….wetter sein. Zu verlieren haben wir nichts, keiner außer uns legt sich bei diesem Wetter freiwillig an eine Mooring und fährt nicht in einen Hafen. Wenn die Wikingerbucht doch nichts ist, dann fahren wir einfach zurück und knüpfen uns wieder an unser alte Boje. Also los!
Schon 300m vor unserem Ankerplatz ist der Wind plötzlich wie ausgeknippst. Nur der Windmesser oben im Masttop erzählt uns noch etwas von viel Wind. Wir kommen in die Abdeckung uns merken sofort, warum die Wickinger sich hier verdrückt haben.
im Mariager Fjord vor Høllet
56° 39′ 54,2“ N, 9° 57′ 18,1“ E
Unter den üppigen Salzwiesen der Bucht von Høllet liegt der berühmte Mariager Granit. Im 14. und 15. Jahrhundert wurde dieser Granit beidseitig des Fjords abgebaut, was dem hinteren Teil des Fjordes auch seine heutige Form und Breite gab. Der Granit war berühmt und alle Baumeister dieser Zeit rissen sich darum, ihn als Baumaterial zu bekommen. Allerdings war das Material sehr rar und teuer. Nur Erik von Pommern, der aufgrund des von ihm eingeführten Sundzolls im Øresund zu märchenhaften Reichtum gekommen war, konnte sich genug Mariager Granit leisten, um seine Privatgemächer im Schloss Kronborg in Helsingør, von denen seine Frau Mathilda von Pommern nichts ahnte, vollständig aus Mariager Granit errichten zu lassen. Aber auch am Mariager Granit nagt der Zahn der Zeit und insbesondere die Touristenströme der letzten zwei Jahrhunderte hatten in Eriks Kemenate spuren des Verschleiß’s hinterlassen. So beschloss das dänische Touristministerium 1983 die originalgetreue Restaurierung der Räumlichkeiten. Hierzu wurde jedoch auch das Originalmaterial benötigt.
So fanden Archäologen anlässlich der Voruntersuchungen zu einem begrenzten Abbau des berühmten Mariager Granits im Herbst 1983 die regelmäßigen Formstrukturen in dem Granit, der im Tagebau abgebaut werden sollte. Der Probeabbau wurde aufgrund des Fundes selbstverständlich sofort gestoppt und dann schlussendlich sogar verworfen.
Lange Zeit diskutierte man in internationalen Fachkreisen über das Zustandekommen dieser regelmäßigen, konkaven Formstrukturen mit der signifikanten mittleren Rillenvertiefung. Wie konnte ein Gletscher solche Formen hinterlassen? Waren es die Einschnitte am Rand eines Urstromtals? Keiner der Lösungsansätze hatte lange Bestand und so galten die „Wellen von Høllet“ bis 2007 als ungelöstes Wunder der Natur. Im Sommer 2007 machte der norwegische Heimatforscher Ingen Ungdal mit seiner zweiten Frau Christa-Mette Urlaub am Mariager Fjord. Einer seiner langen Spaziergänge führte den norwegischen Heimatforscher auch zu der Ausgrabungsstätte von Hollet. Die Formen im Granit sprachen zu ihm, aber zunächst nur verhalten. Erst am Folgetag begann er seinen kühnen Plan in die Tat umzusetzen. Zusammen mit seinem Freund Oskar Oskarson, dem Direktor des Osloer Heimatmuseums, ließt er eine 1:1 Kopie des Rumpfes eines norwegischen Wikingerbootes anfertigen und nach Mariager schaffen. Vorsichtig wurde diese Rumpfschale mit dem eigens aus Esbjerg herbeigeschafften Hebekran Bullen 3 in eine der Granitwellen gesetzt und schloss fast nahtlos ab.
Damit war das Rätsel um die „Wellen von Høllet” gelöst. Die Wikinger hatten sich wegen des dänischen Scheißwetters so oft in diese Bucht verdrücken müssen, dass das Hochziehen ihrer Schiffe im Granit diese Spuren hinterlassen hatte. Dies wiederum rief nun das dänische Meteorologische Institut auf den Plan, dass seit 2007 im Auftrag des Touristministeriums in zahlreichen Studien diese Theorie, bisher erfolglos, zu widerlegen versucht. Astrid und ich können die Wickinger nur allzu gut verstehen.
Nach unserem Spaziergang dreht der Wind langsam auf südliche Richtungen und wir verlegen uns zurück in die Bucht von Kongsdal. Aber diesmal gehen wir etwas mehr westlich vor Anker.
im Mariager Fjord vor Kongsdal
56° 41′ 6″ N, 10° 4′ 42″ E