Die letzte Nacht war auch ohne Wind und Wetter unruhig. Ich habe mir den Magen verdorben. Astrid schläft den Schlaf der Gerechten, während ich ein ums andere Mal durch die Nacht zum Sanitärhäuschen stapfe und inständig hoffe, es noch einmal rechtzeitig zu schaffen. Als ich gegen 6:00 wieder in die Koje krieche, murmele ich nur noch zu Astrid herüber: „Heute fahren wir nicht!“ Mir ist elend und mein verkorkster Magen braucht nicht auch noch eine verkorkste Kattegatwelle.
Eigentlich wäre heute unser Tag gewesen, um etwas weiter nach Norden voranzukommen. So bleiben wir nun auf Anholt. Und weil der DWD und auch der Windfinder sich einig sind und für Mittwoch Starkwind ansagen, werden wir wohl nicht nur diesen Dienstag hierbleiben. Also legen wir die PINCOYA in einer kleinen Windpause von der Luv- auf die Lee-Seite des Schwimmstegs. Hier, wo sich sonst während der Sommersaison hunderte von Yachten tummeln, sind jetzt nur 11 Segler. Platz genug für alle, um sich ein sicheres Plätzchen längsseits an den Stegen zu suchen.
Während ich mich wieder in die Koje verdrücke, macht Astrid allein einen Spaziergang.
Gegen Mittag verdrücken sich langsam die letzten Wolken und die Sonne strahlt aus einem stahlblauen Himmel. Wunderbares Urlaubswetter! Auch in meinem Magen herrscht nach und nach wieder besseres Wetter. Der erste Tee und die ersten Salzstangen führen zwar noch zu leichten Nachbeben, aber dieses seekranke Koddergefühl ist weg.
Der Anholter Toiletten-Turm war übrigens bis 1997 die einzige sanitäre Anlage auf der gesamten Insel und damit sozusagen auch der gesellschaftliche Mittelpunkt des Insellebens. Seitdem die Insel 1995 an das zentrale Abwassernetz von Grenaa angeschlossen wurde, setzten sich allerdings nur sehr zögernd erste privat Toilettenhäuser durch. Der Kopenhagener Industrielle Lars Lundgren war der erste Inselbewohner, der sich schon im Herbst 1995, 3 Monate nach der offiziellen Kanalisationseröffnung durch die Kronprinzessin Olla-Ingen II, in seinem Wochenendhaus Mullewappen ein Wasserklo für rein private Verrichtungen installieren ließ. Die einheimische Urbevölkerung betrachtete dieses “neumodische Zeug” anfänglich mit großer Skepsis. wenn nicht sogar Verweigerung. Erst durch den Inselarzt Tore Johannson kam es 1998 während einer schweren Magen-und-Darm-Grippewelle auf der Insel zum Umschwung und einer allgemeinen Anerkennung der neuen Technologien durch die Anholter Bevölkerung. Anfänglich war die Grippewelle mit nichts in den Griff zu bekommen. Zu den Neuinfektionen kamen Reinfektionen, die bald dazu führten, dass die gesamte Inselbevölkerung betroffen war. Das dänische Tourist-Ministerium erklärte daraufhin den Ausnahmezustand im Kattegat und schloss die Fährverbindung von Anholt zum Festland. Ebenso wurde jeglicher Schiffsverkehr großräumig um Anholt herumgeleitet, was dem Nord-Ost-Kanal in diesem Jahr ein All-Zeit-Umsatzhoch bescherte. In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass diese Entscheidung des Tourist-Ministeriums am Ende dazu führte, dass Dänemark heute nicht an der europäischen Währungsunion teilnimmt und die Dänische Krone beibehielt. Der Grund hierfür liegt bei dem dänischen Finanzminister Ole Øre, der zum Ausbruch der Grippewelle seine geschiedene Frau Hanna Schmidt, eine Großnichte unseres Ex-Bundeskanzlers Helmut Schmidt, zu Haushaltsgesprächen privater Natur auf Anholt traf. Ob die Unterhaltsfragen abschließend geklärt werden konnten, ist nicht bekannt, allerdings ist sicher, dass der dänische Finanzminister wegen der Isolation Anholts nicht an der entscheidenden Sitzung des Europäischen Währungsrates teilnehmen konnte, auf der die Finanzminister die Stimme ihres Landes zur Teilnahme an der Währungsunion abgeben mussten. So blieb Dänemark außerhalb der Währungsunion. Zunächst herrschte großer Unmut darüber, dass der Finanzminister leichtfertig nach Anholt gereist war. Heute mehren sich jedoch schon die Stimmen dem dänischen Finanzminister ein europäisches Währungs-Diarrhö-Denkmal auf Anholt zu setzen, da die Währungsunion zunehmen kritisch gesehen wird.
Während der dänische Finanzminister also in dem Toiletten-Turm oder davor in der Warteschlage, genaues ist hierzu nicht überliefert, die Sitzung des europäischen Währungsrates verpasste, kam dem Inselarzt Tore Johannson der Verdacht, dass die nicht enden wollende Magen-und-Darm-Infektion mit dem Toilettenturm in Zusammenhang stehen könnte. Kraft seines Amtes und mit Unterstützung des Bürgermeisters von Anholt City, Hagen Scheffson, wurde die Privattoilette von Lars Lundgren beschlagnahmt und der öffentlichen Bedürftigkeit zur Verfügung gestellt. Parallel zu dieser Maßnahme, befahl der Bürgermeister auch die Beschlagnahmung aller Vodka Absolut Vorräte des Kopenhagener Industriellen, die der ohnehin illegal aus Schweden auf Anholt eingeführt hatte. Mit diesem Vodka wurden daraufhin beide Toiletten zweimal täglich desinfiziert. Die Wirkung war verblüffend. Kaum 3 Wochen später konnte die Fährverbindung zum Festland wieder aufgenommen werden. Mit dem ersten Schiff verließ Lars Lundgren die Insel und kehrte nie wieder hierher zurück. Die anfängliche Skepsis der Inselbevölkerung war damit verschwunden und seit 2003 verfügt jedes Haus auf der Insel über ein privates Toilettenhäuschen. Im Angedenken an frühere Zeiten hat sich 2015 ein Heimatverein der Sanierung des alten Toiletten-Turms angenommen und auch schon einen Antrag auf die Anerkennung als Weltkulturerbe gestellt. Unser Bild zeigt den Turm während Renovierungsarbeiten, die vorstehenden Toiletten werden vom Kopenhagener Historie-Museum kostenfrei originalgetreu restauriert und sollen ab 2016 den Kern einer Ausstellung inseltypischer Handwerks- und Lebensformen bilden.
Zurück zu unseren Problemen….
Obwohl man ja doch immer denkt,.. „Hätte man nicht doch fahren können, wenn man sich etwas zusammengerissen hätte?“ … ist die Zwangspause nüchtern betrachtet gar nicht verkehrt. Wir sind ja schließlich „auf Urlaub“ hier und das strahlende Sonnenwetter tut alles, um uns auch einen tollen Urlaubstag zu bescheren. So sitzen wir mittags im Windschatten im Cockpit und lassen uns von den Sonnenstrahlen wärmen. Der Wind ist immer noch lausig kalt und heftig und wir werden jede Wärme für die nächste Nachtfahrt brauchen. Nachmittags machen wir dann das, was alle Touristen machen, wir schlendern lange durch die Dünen und am Strand entlang.
Pünktlich um 20:00 legt der Wind noch einmal ordentlich zu. Wir haben wohl eine klassische Troglage. Sonne und Wind geben gemeinsam alles. Wenn es schon so windig sein muss, so ist ein Trog wirklich die bessere Alternative. Viel besser als so ein klassisches norddeutsches Tief mit Wind, Wolken und Regen.
Immer noch auf Anholt
56° 42′ 53,6“ N, 11° 30′ 46,6“ E