Der erwartete Wetterumschwung kommt pünktlich um 3:30 in der Nacht, 2 Stunden nachdem wir in Helsingør fest sind. Der dänische Wetterdienst ist schon spitze, nur etwas mehr Sonne und Wärme könnte er mal machen. Nun pfeift es schon wieder aus Südsüdwest und der Regen trommelt auf’s Deck. Wir drehen uns um und lassen das schlechte Wetter schlechtes Wetter sein. Der gesamte Dienstag geht sehr unspektakulär vorüber. Die einzigen beiden Höhepunkt sind die Dusche und die erstaunte Feststellung, dass die Nikon noch funktioniert. Wir machen einige Probephotos, probieren alles aus, sehen uns die Photos in Lightroom an und können nichts Ungewöhnliches feststellen. Die Nikon D700 ist echt eine Profikamera für den ganz harten Einsatz. Nur die Display-Schutzkappe hat es zerlegt, aber ok, das ist nicht schlimm. Allerdings hat es auch das Akku-Ladegerät der Nikon erwischt. Das hat seinen bisher unbemerkten Tiefflug durch’s Schiff nicht überlebt und den Dienst quittiert.
Insgesamt dreimal beschließen wir in die Stadt zu gehen, um einzukaufen und Geld zu holen, und dreimal endet der Stadtbummel im Cockpit. Jedes Mal treibt uns eine neue Regenfront zurück ins Schiff, bis dann ein nicht mehr enden wollender Dauerregen jeden neuen Versuch von vorn herein im Keim ertränkt. Der geplante Schlossbesuch fällt einem ungeplanten Mittagsschlaf zum Opfer, so bleibt uns abends nur noch eine riesige Portion Nudeln, um den Tag seemännisch abzurunden.
Helsingør ist ein merkwürdiger Hafen. Teilweise stehen die Dalben so dicht an dicht, dass man glauben könnte, dass es sich um einen dänischen Lattenzaun handelt. Für Folkeboote und schwedische Schärenkreuzer mit einer Breite von maximal 2,5m gibt es genügend Boxen. Schwierig wird es für Segelyachten heutiger Bauart. Schon eine 32er Hanse wird hier echte Probleme bekommen, überhaupt einen Platz mit der nötigen Breite zu finden. Der zweite Punkt sind die Sanitäranlagen. Nicht das die heruntergekommen sind, aber für einen Hafen mit 900 (!) Liegeplätzen sind 2 Sanitärgebäude mit jeweils 5 Klos und 2 Duschen schon nicht wirklich üppig. Ansonsten? Ja, ansonsten ist alles ok. Nur in der Hauptsaison sollte man sich als Eigner eines „normal konditionierten Schiffes“ vielleicht nicht allzu große Hoffnungen machen, hier auch einen passenden Liegeplatz zu finden und innerhalb der nächsten 3 Werktage auch auf’s Klo gehen zu können. Vom Duschen wollen wir mal gar nicht reden, denn bei 900 Liegeplätzen mit einer durchschnittlichen Besatzung von nur 2 Personen, kommt bei 4 Duschen und einer angenommenen Duschfrequenz von 6 Personen pro Stunde pro zehnstündigen Duschtag, jeder nur alle 7,5 Tage mit duschen dran. Das ist nicht eben viel und führt zwangsläufig zu einer Wikinger-ähnlichen Geruchsnote, die auch ärgste Feinde narkotisiert.
Zu den 3 bekannten Gründen in Helsingør zu bleiben, Scheißwetter, Einkaufen und Schloss besichtigen, gesellen sich am Mittwoch die anderen 57 Gründe. Ich habe Geburtstag und Astrid weckt mich mit original dänischem Geburtstagskuchen und einem original italienischem Morgengeburtstagsespressokaffee.
Nach meinem Geburtstagsfrühstück machen wir uns nun endlich zu dem Stadtbummel und dem Schlossbesuch auf. Das Wetter prickelt zwar noch nicht wirklich sommerlich, aber es zeigt sich von einer besseren Seite als gestern. Photographieren können wir noch, wir haben ja 2 Akkus für die Nikon und der eine ist noch voll. Also gehen wir in den ersten Photoladen, den wir in Helsingør finden. Bevor ich überhaupt meine ganz Geschichte erzählen kann, sagt der Photomann: „Oh, no problem, I can charge it for you. Be back in 1,5 hours, it will be ready!“ Wir drücken dem Photomann den Akku in die Hand, bedanken uns sehr und gehen angenehm überrascht zurück auf den Markplatz. Wie einfach kann das Leben sein, wenn man so freundlich miteinander umgeht. Wir sind wieder einmal sehr angetan von der Hilfsbereitschaft der Menschen hier. Aber was nun folgen soll, stellt alles in den Schatten, was wir je an Positivem und Freundlichem erlebt haben. Und im Nachhinein haben wir uns ganz ehrlich gefragt, in welchem Land einem das auch noch so passieren könnte.
Erst einmal drehen wir aber unsere Helsingør-Sightseeing-Runde und laufen kreuz und quer durch die Stadt. 1,5 Stunden Charging-Time wollen ja untergebracht werden und so groß ist Helsingør nun auch wieder nicht, wenn man das Schloss rausnimmt. Nach 1,5 Stunden, alles ist erkundet und photographiert, beschließen wir, dem Akku noch etwas Restladezeit zu gönnen, in ein Café zu gehen, uns eine original Göteborger Zimtschnecke reinzuzwirbeln und mit einem Latte Macchiato herunterzuspülen. Ich hatte da vorhin schon so eine Bäckerei mit diesen Zimtschnecken gesehen. Dort roch es in der ganzen Strasse fürchterlich verführerisch nach süßem Kuchen und frischem Brot. Das hat uns sehr an die Bäckerei mit den weltgrößten Zimtschnecken aus Göteborg erinnert. Also rein in die Bäckerei. In der Bäckerei ist ordentlich was los und sogleich fragt auch eine Dame hinter dem Tresen, was wir möchten. Wir bestellen zwei Caffé Latte und entscheiden uns dann doch spontan für zwei von diesen kalorienarmen Schokodingern, die dort in der Auslage nur auf uns gewartet haben. Die Zimtschnecken sind schnell vergessen, denn hier liegen so viele leckere Teilchen rum, dass wir uns nicht recht entscheiden können. Die Dame entschuldigt sich, dass es etwas länger dauert und dass wir die Schokodinger leider nicht haben können, weil erst ab 12:00 geöffnet ist. In unserer dänisch-englischen Sprachgewandtheit verstehen wir allerdings nur, dass ab 12:00 geschlossen ist und wissen nicht recht, was das alles zu bedeuten hat. Aber die Dame sagt, wir sollten dort schon mal an dem Tisch Platz nehmen, alles wäre ok und der Latte ist sowieso „for free“ und kommt gleich. Astrid und ich sind etwas verunsichert, aber wir nehmen Platz und schwupps steht auch schon eine Konfektschale mit extrem leckeren Küchlein bei uns auf dem Tisch. Astrid flüstert: „Das ist bestimmt eine Privatveranstaltung! Die sind fast fertig. Ist wohl um 12:00 vorbei.“ Wir fragen die nette Dame, ob das hier vielleicht eine Privatveranstaltung ist und ob wir stören? Ja, aber nein, nein, alles ist absolut ok und wir sollen mal einfach hier sitzen bleiben und der Latte kommt gleich, Entschuldigung, dass es heute etwas länger dauert. Die Tatsache, dass in dem einen Schaufenster offensichtlich Geschenke liegen, die keine Deko sind, bekräftigt unsere Annahme, dass es sich um eine Privatveranstaltung handelt. Hmm, was machen wir jetzt? Da kommt auch schon der erste Caffé Latte. Die Küchlein sind nicht nur lecker, sondern außerordentlich extrem lecker. Ich nehme gleich noch mal eins. Irgendwie saust hier auch ständig einer mit einer Kamera herum und photographiert alles und jeden aus allen Perspektiven. Ein Mann mit Block und Stift spricht mit einem älteren Herren und macht sich eifrig Notizen. Dann kommt ein jüngerer Mann mit trendiger Frisur hinzu. Er trägt eine weiße Chefkonditorkluft und auch seine Worte werden notiert. Nun noch ein Photo mit dem Chefkonditor und einem großen Blech Kuchen vor dem Eingang. Die Sonne ist gerade da. Bevor der zweite Caffé Latte kommt, hat der Chefkonditormann das Kuchenblech weggestellt und kommt zu uns an den Tisch, gibt uns beiden die Hand und fragt, wie es uns gefällt. Wir stottern etwas herum, geben zu verstehen, dass wir recht wenig Dänisch können und sagen: „Fantastic, great, marvelous!“
Nun fällt es auch uns langsam wie Schuppen von den Augen. Wir sind die absolut ersten Gäste mitten in der Eröffnungsparty der Bäckerei „Fru Bjerg“, die ja eigentlich noch gar nicht recht eröffnet ist. Mitten zwischen den geladenen Gästen, den Freunden des Hauses und der Helsingøer Lokalpresse. Alle sind total freundlich, die anderen Gäste begrüßen uns und verabschieden sich auch bei uns. Der zweite Caffé Latte kommt und es gibt Nachschub von diesen Küchlein. Wahnsinnig lecker! Wir fragen die Dame, die offensichtlich wohl auch noch die Gattin des neueröffnenden Konditors ist, ob unser Verdacht stimmt? Ja, sagt sie, genauso ist es, aber alles ist ok, wir sind herzlich willkommen, alles ist ok. Und sie strahlt uns mit der größten Selbstverständlichkeit an und lächelt uns einladend zu.
Dann sitzen wir plötzlich neben dem Innenarchitekten und dem Besitzer eines Restaurant gleich nebenan am Marktplatz. Wir sollten doch auch mal in seinem Bistro vorbeikommen, alles sei im Café Chaplin ganz anders als in anderen Cafés. Wir plaudern mit dem Innenarchitekten über seine verschiedenen Projekte in Dänemark und sein altes schwedisches Segelschiff und alle finden es ganz wunderbar und selbstverständlich, dass zwei Segeltouristen aus Deutschland bei der Einweihungsfeier der neuen Bäckerei dabei sind.
Nach fast einer Stunde Einweihungsfeier verabschieden wir uns vom Chefkonditor, seiner Frau und dem Innungsmeister der Konditoren von Nord-Seeland, bedanken uns 1000mal und wünschen ihm alles Gute für seine neue Konditorei. Der Innenarchitekt musste schon los, ein nächstes Projekt wartet.
Etwas sprachlos machen wir uns nun auf den Weg zum Schloss, bis uns der Akku wieder einfällt. Also schnell zurück, den vollen Akku holen. Oh prima sagt der Photomann, 100% geladen, wir können natürlich jederzeit wiederkommen, um den Akku erneut zu laden.
Bei so viel Gastfreundschaft muss uns jetzt im Schloss nur noch der König höchstpersönlich zu einer kleinen Spritztour auf seiner königlichen Yacht einladen. Nur das könnte die Gastfreundschaft der Dänen noch etwas toppen.
Im Schloss haben wir Glück. All die Busladungen aus aller Herren Länder, die wir auf dem Weg in die Stadt schon gesehen haben, sind mit ihren Besichtigungen durch. Es ist später Mittag und wir haben das Schloss fast für uns allein.
Nach einer ausgiebigen inneren und äußeren Schlossrunde gehen wir nochmals in die Stadt um einzukaufen. Um gegen 17:00 sind wir zurück auf der PINCOYA und unsere Füße platt wie eine Flunder. Vor dem Schloss, teilweise in den alten, trocken gelegten Hafenbecken, stehen das Kunst- und Handelsmuseum.
Geburtstag in Helsingør
56° 02′ 38,6″ N, 12° 37′ 1,8″ E