Almabtrieb oder Long-Horn-Hypnose

Manche Tage sind so voller Geschichten, dass ich zwei Blogs schreiben muss. Am Nachmittag hatte ich mit Lin schon die stattlichen Longhorns auf der Weide gesehen und wir hatten uns nicht über den Zaum getraut. Immerhin haben Longhorns ja so longe Horns, dass die glatt hinten wieder rauskommen, wenn sie am Rippchen vorbeipieksen. Und weil ich nun ja weiß, welche Schmerzen schon ein einzelnes Rippchen machen kann, möchte ich gar nicht wissen, wie doll so ein Longhorn-Durchstich schmerzt. Also sind Lin und ich nicht auf die Weide gegangen, sondern in die knöcheltiefe Bucht nebenan gefahren.

„Astrid hinter dem Longhorn-sicheren Tor und das Rindvieh ist zunächst nur ganz weit hinten.“

„Astrid hinter dem Longhorn-sicheren Tor und das Rindvieh ist zunächst nur ganz weit hinten.“

Zurück auf der PINCOYA entdecken wir allerdings ein Tor im Zaun. Ein echtes Touristentor, so wie man es eben kennt, wenn ein Wanderweg über Weideland führt. Und so ein Tor bedeutet ja, dass man dort als Tourist gefahrlos durchgehen kann, nur eben das Viehzeug nicht durchgehen soll. Hinter diesem Tor ruft der Berg! Auf Avernakø war ja auch einer, aber was ist der auf Avernakø gegen diesen hier, der 11m höher ist und zudem in der Sonne liegt. Nun können wir endlich dieses eine Bild von der PINCOYA machen, wenn wir nur auf den Berg kommen und wenn da nicht diese stattlichen und zotteligen Longhorns wären.

Also alle drei rein ins Gummiboot und übergesetzt. Dann wagen wir einen ersten Blick vom Tor auf die Weide. Links nix, rechts einige. Aber weit weg, eben nicht wirklich nah oder gar zu direkt gleich hier. Also schleichen sich Lin und ich durch’s Tor, während Astrid das Tor wieder leise schließt und es bewacht, nicht dass es plötzlich wegkommt. Außerdem könnte Astrid das Tor im richtigen Moment auch aufstoßen, um Lin und mir den entscheidenden Fluchtweg im entscheidenen Moment freizumachen.

„Hunderte wütender Hufe lassen den Boden erzittern!“

„Hunderte wütender Hufe lassen den Boden erzittern!“

Offensichtlich hat aber ein Longhorn Wache gestanden. So wie das Erdmännchen auch machen, nur pfeifen können die Longhorns eben nicht und in Erdlöcher verschwinden die auch nicht. Wahrscheinlich wegen der Hörner, würde ja auch nicht passen. Vielleicht verschwinden sie auch deswegen nicht, weil sie uns nicht als Gefahr sehen, sondern als Opfer betrachten. Aber egal. Auf jeden Fall beginnt die Erde zu erzittern und in mir flackert die verwegene Entschlossenheit eines Sensationsreporters auf. Ich reiße die Nikon hoch und Lin ergreift die Flucht.

Aus dem einem wachhabenden Longhorn werden nun urplötzlich unzählige wütende Rindviecher, die durch ihre großen treuen Augen und die fransigen Stirnhaare nur vortäuschen wollen, friedlich zu sein. Darauf fallen aber Astrid und Lin nicht herein und halten das Tor zu. Ich denke nur ans Photographieren und Astrid sieht schon, wie die Herde mich mit ihren Hufen in den Boden einmassiert. Die ganze Herd galoppiert in einer wüsten Attacke über den Berg, den wir eigentlich erklimmen wollten, und verschwindet dann in der Tiefebene nebenan.
Der große Angriff schein vorüber, aber versteckt sich hinter dem Berg die zweite Angriffswelle? Longhorns ist ja alles zuzutrauen.

„Die Gefahr schein gebannt.“

„Die Gefahr schein gebannt.“

Als echter Mann und Held seiner beiden Damen erkunde ich sofort das feindliche Terrain. Doch die Gefahr scheint vorüber. Das weitläufige Areal ist aber vermint! Überall liegen stattliche Longhorn-Tretminen herum. Jetzt nur nicht da auch noch reintreten, das geht nie wieder ab.

Dann sehe ich, dass sich dass offensichtlich wachhabende Longhorn, eine alte erfahrende Longhorn-Kuh mit besonders scharfen Hörnern, nicht so einfach geschlagen gibt. Sie hat Halt gemacht und sich umgedreht. Lin ist schon etwas zu vorwitzig aus der weiterhin von Astrid bewachten, schützenden Deckung gekommen. Nun steht sie Auge in Auge mit dem Oberrindvieh. Ein ungleiches Paar, ein ungleicher Kampf mit ungleichen Waffen. Davine gegen Goliathine! Lin versucht eine erste Kontaktaufnahme, winkt mit ihrem rechten Arm zaghaft und sagt: “Hallo Kuh! Wir kommen in friedlicher Absicht — Du!” Doch kein einziges der insgesamt 900kg Longhorn zeigt eine Regung.

„Longhorn-Hypnose.“

„Longhorn-Hypnose.“

Da ein vernünftiges Gespräch offensichtlich nicht möglich ist, beginnt Lin die wachhabende Oberkuh zu hypnotisieren. Eine unendlich lange Zeit starren sich die beiden in die Augen.
Astrid zeigt sich hingegen weiterhin gesprächsbereit und verständnisvoll. Mit viel Empathie versichert sie der Oberkuh ihre Bedenken durchaus zu verstehen, aber dass ein echtes gegenseitiges Verständnis eben auch auf Gegenseitigkeit beruht und einseitige Drohgebärden hier sicherlich nicht weiterhelfen, um zu einem guten Miteinander zu finden.

„Während Lin das Longhorn hypnotisiert, bin ich schon mal auf den Berg geklettert.“

„Während Lin das Longhorn hypnotisiert, bin ich schon mal auf den Berg geklettert.“

Nach unendlich langer Zeit beugt das Ober-Longhorn seinen massigen Kopf und dreht sich langsam um und trottet zum Rest der Herde. Allerdings wissen wir nicht, ob nun Astrids Gesprächtherapie oder Lins Hypnose schlussendlich gewirkt hat. Auf jeden Fall hat einer der beiden oder haben die beiden gemeinsam mit konzentrierter Frauen-Power die Longshorns in die Flucht geschlagen. Allerdings traut Astrid dem Frieden nur langsam und folgt Lin nur zögerlich auf meinen Feldherrenhügel.

„In Lins Gesicht steht der Sieg geschrieben, während ich mich derweil bewaffnet habe.“

„In Lins Gesicht steht der Sieg geschrieben, während ich mich derweil bewaffnet habe.“

Im nahen Wäldchen suche ich mir erst einmal einen passenden Knüppel, um meine Damen auch standesgemäß bis zum letzten Blutstropfen verteidigen zu können. Wer weiß, ob das mit der Frauen-Power auch ein zweites Mal hinhaut.

„Der Ausblick von oben und dann verlassen wir den Longhorn-Hügel.“

„Der Ausblick von oben und dann verlassen wir den Longhorn-Hügel.“

Der Ausblick von oben ist überwältigend und war auf jeden Fall dieses Abenteuer wert.

Am nächsten Morgen hören wir noch von einer weiteren Longhorn-in-die-Flucht-schlage-Taktik. Ein offensichtlich männlicher Tourist brüllt wie ein Irrer wirres Zeug, vielleicht um seine Liebste vor den Bestien mit den treuen Augen zu erretten.

„Der Abend klingt mit einer weiteren erfolglosen Angelsession aus.“

„Der Abend klingt mit einer weiteren erfolglosen Angelsession aus.“

Spät abends gehen Astrid und ich dann noch Fische angeln, aber wieder will keiner dieser blöden Fische in unsere leckeren Haken beißen. Ich hatte extra eine Flasche Wodka gekauft, um die Fischlein auf angenehme Art ins Jenseits zu befördern, aber wie es aussieht, brauche ich den Wodka nun bald selbst, um meinen Angelfrust zu ersäufen.

hier wurden die Long Horns zurückgeschlagen
55° 10′ 25,16“ N, 9° 59′ 48,48“ E