Freitagnachmittag auf der A7 in Richtung Norden. So richtig viel hat sich seit dem Sommer eigentlich nicht geändert. Nur das Wetter ist herbstlich geworden und eine neue Generation von Baustellen hat die roten Abschnitte auf dem Navi etwas verschoben. Hamburg ist wie immer vollständig rot, auch hier auf den Autobahnen hat das Rot die absolute Mehrheit. In der Mittagspause habe ich wieder einmal den erfolglosen Versuch unternommen, eine sinnvolle Umgehung für Hamburg zu finden. Aber es gibt keine, daran hat sich auch nichts geändert.
Gegen 16:00 fädeln wir uns ein und schwimmen mit der Freitagskarawane in Richtung Norden. Wir sind etwas kaputt und geschafft und schweigen uns Kilometer um Kilometer vorwärts in Richtung PINCOYA. Reden ist gerade sowieso überflüssig, weil wir beide denselben Gedanken im Kopf haben. »Einfach mal nichts! Ein ganzes Wochenende mit „süßem Nichts“, nur etwas „Einfach-nur-so“ ist erlaubt, aber auf keinen Fall mehr.«
Astrid fährt. Aus Langeweile rufe ich Marinetraffic auf und schaue nach unserer PINCOYA. Marinetraffic meldet, dass von ihr vor 54 Tagen, 20 Stunden und 23 Minuten das letzte Mal ein AIS-Signal kam. Seitdem ist Ruhe. Das ist „Verdammt lang her“, aber im Autoradio dudelt irgendetwas anderes. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir in der Saison schon einmal so lange nicht oben waren. Seit dem 16.08., unserem letzten Sommerurlaubstag, waren wir nicht mehr auf der PINCOYA. Für die PINCOYA war es eine ruhige Zeit, für uns weniger. Hinter uns liegen 54 Tage, 20 Sunden und 23 Minuten Renovierung und Umzug. Etwas mehr als die Hälfte der Umzugskartons ist noch voll, aber nun ist es auch erst einmal gut. Wir müssen mal wieder raus und wir müssen auch mal wieder nach unserer PINCOYA sehen. Etwas unruhig sind wir inzwischen schon, denn 8 Wochen lassen wir unser Schiff höchstens mal im Winterlager allein.
Aber alle Sorgen sind unbegründet. In der Dämmerung liegt die PINCOYA vor uns in ihrer Box, als ob wir erst letztes Wochenende das letzte Mal hier waren. Wir checken schnell die Bilge, werfen die Heizung an, machen uns etwas Abendbrot und fallen nach einem kleinen Absacker sofort in die Koje. Und gleich morgen gehen wir raus und segeln mal wieder etwas herum.
Endlich mal wieder segeln. Die Vorfreude treibt uns am Samstag so an, dass wir echt schnell fertig sind und die Leinen früh loswerfen können. Seit Tagen weht es recht ordentlich aus Ost, da werden wir nur mit Motor unter der Fehmarnsundbrücke durchkommen. Beim Frühstück haben wir beschlossen, dass wir das Angenehme mit dem Sinnvollen verbinden und mal in Burg bei Weilandt vorbeischauen, um uns in Erinnerung zu rufen. Ich habe uns zwar für den 07.11. zum Kranen angemeldet und gesagt, dass wir mit unserem stehenden Windrad in die Halle 1 mit dem größten Tor müssen, aber eine kleine Erinnerung an uns kann sicher nicht schaden. Also auf nach Burg.
Als wir aber aus unserer Box fahren, fühlt sich die PINCOYA etwas »antriebslos« an. Rückwärts geht es schon mal nur recht träge und dann komme ich kaum um den Steg herum. Vorne fuchtelt Astrid wie wild in Richtung Hafenausfahrt und versucht mir klarzumachen, dass ich vielleicht mal „umme Ecke“ fahren soll, weil geradeaus ja der Außensteg mit einer ganzen Reihe von Schiffen kommt. Aber wie? Da tut sich eben nicht viel! Ohne richtigen Vortrieb hat das Ruder keine rechte Lust, uns „umme Ecke“ zu fahren. So eiern wir mehr recht als schlecht durch den Hafen und dann raus ins Fahrwasser.
Was war das denn? Im Fahrwasser gebe ich Gas, aber …. es passiert nicht wirklich viel. Am Heck gurgelt es ganz ordentlich, aber mit gut 2300 Umdrehungen kommen wir nur auf schlappe 3,5 Knoten. Wir gucken uns etwas ratlos an. Wenn ich Gas gebe, dreht der Motor einfach so hoch, fast widerstandslos, aber wir nehmen kaum Fahrt auf. Das Bild einer ganzen Großfamilie von Seepocken drängt sich mir auf. Die sind in unseren Faltpropeller eingezogen und haben sich dort hemmungslos vermehrt. Und nun blockiert die ganze Bande hämisch grinsend das Auffalten des Propellers. Denen werde ich es zeigen! Also quirlen wir uns langsam bis zum Deviationsdalben vor. Dort ist es etwas freier und ich kann dort mit einigen Vorwärts- und Rückwärtsschüben den Pocken zeigen, was ein echter Pockenknackgang ist. Aber so beherzt ich auch einige Pockenknackpirouetten drehe, es ändert sich nichts an unserem vortriebslosen Dasein. Die einzigen, die hier zerknischt sind, sind wir, und so drehen wir um und quirlen uns zurück in unsere Box.
Was ist da los? Irgendwie muss ich nach der Schraube sehen. Da stimmt was nicht! Unser Gummiboot ist schon tief in der Backskiste verpackt und im Hafen finde ich nichts, was wir uns ausleihen können. – Das Wasser ist definitiv zu kalt für einen Tauchgang und der Neopren steht immer noch auf der Einkaufsliste. Dort hilft er nun auch nicht wirklich. – Die Unterwasserkamera ist natürlich auch zuhause, wieso sollte die nun auch gerade jetzt hier sein, wo sie gebraucht wird.
Ich steige auf die Badeplattform und halte die Hand ins Wasser. Ok, es ist wirklich zu kalt. Ich bin nicht zimperlich, aber in meinem Stammbaum kommt definitiv kein Eskimo vor. Was tun? Ich brauche den maximalen Einblick bei minimalem Wasserkontakt. Also lege ich mich „oben ohne“ auf die Badeplattform, setze die Taucherbrille auf und krabbele kopfüber so weit ins Wasser, dass ich die Schraube sehen kann, aber ab den Schultern immer noch alles schön trocken bleibt. Der Faltpropeller ist ordentlich aufgefaltet, aber tausende von Seepocken grinsen mich blöde an und wissen genau, dass sie außerhalb meiner Reichweite sind. 2 – 3 verzweifelte Bootshakenstöße enden 15 cm vor den Seepocken im Nichts. Tropfend und prustend krabbele ich wieder zurück. Scheißpocken, die können was erleben, wenn ich auch nur eine von denen erwische, mache ich sie fertig!
Es gibt nur eine Lösung. Die Jungs von der Werft müssen uns hochheben. Inzwischen ist es 14:00 und die Kranmannschaft sieht schon etwas nach Feierabend aus. Man gut, dass wir hier unsere Heimatbox haben. Das Achterstag muss weg, und um 15:30 hängen wir am Kran und sehen nun die ganze Bescherung. Die Pocken sitzen dicht an dicht und die ganze liebevolle Antifouling-Beschichtung des Propellers vom letzten Winter hat absolut gar nichts gebracht. Eher im Gegenteil, das Antifouling ist komplett weg und die nackte Schraube war schutzlos der hemmungslosen Vermehrungwut der Pocken ausgesetzt. Einmal in Reichweite sind nach 10 Minuten alle Pocken abgekratzt und wir können wieder zurück ins Wasser.
Inzwischen ist es nach 16:00 und wir sind reichlich frustriert von unserem »ruhigen Samstag«. Das hatten wir uns anders vorgestellt. Spontan und ziemlich genervt fahren wir zum Ankern wieder raus hinter den Deviationsdalben. Wenigsten ankern wollen wir, auch wenn unser schöner Segeltag den blöden Seepocken zum Opfer gefallen ist.
Der »süße, ruhige Samstag« soll nun kommen! Mit Macht und bitte schön mal ein bisschen plötzlich! Aber wenn man etwas erzwingen will, dann geht’s natürlich erst recht in die Hose. Es bläst immer noch ein recht kräftiger Wind aus Ost, der auch die ganze Nacht nicht nachlassen möchte. Und wenn es im Fahrwasser von Heiligenhafen aus Ost bläst, dann weht der Wind ganz elegant parallel zur Küste und mit einer Abdeckung ist es dann nicht so weit her. Also schuckeln uns die Wellen die ganze Nacht mehr oder weniger unsanft hin und her und es gluckert, schwappt und platscht die ganze Zeit an den Rumpf. Adieu Entspannung, tschüss Tiefschlaf und bye-bye süßes Lebeschön. Meine Mitte ist definitiv nicht mehr dort, wo man eine Mitte eigentlich vermutet. Genervt fahren wir am Sonntag zurück in unsere Box.
vor Heiligenhafen am Deviationsdalben
54° 22′ 13,4″ N, 11° 01′ 18,4“ E