HHafen / Ortmühle -> Vitte auf Hiddensee Start: 13:30 27.06 Ende: 07:30 28.06. Wind: SSW -> NW 1 -> 22 kn Distanz: 87,6 sm Gesamtdistanz: 87,6 sm
Sonntagnachmittag verabschieden wir uns von Noah und seiner ganzen Taufgesellschaft, sausen nach Hause, stopfen die schon bereitstehenden Urlaubstaschen in Henry und donnern pünktlich zum Anpfiff Deutschland-Slowakei los. Diesmal geht unsere Rechnung auf, das EM-Spiel hat die Autobahnen leergefegt und wir brummen fast mutterseelenallein in Richtung Norden. Schon kurz vor neun sitzen wir pünktlich bei einen strahlenden Sonnenuntergang im Cockpit und unser Urlaub beginnt.
Die Wettervorhersage für den Trip nach Rügen ist günstig. Auch wenn es zwischendurch recht feucht werden soll, soll es in den nächsten 24h moderat irgendwie aus West wehen. Da es danach eher schwachwindig wird, beschließen wir die Nacht durchzufahren, um Hiddensee in einem Rutsch zu erreichen. Das sind etwas mehr als 80 sm, dafür kalkulieren wir 16 h plus ein. So bleibt uns am Montagvormittag noch genügend Zeit zum Frühstück und einer letzten Einkaufsrunde, denn vor 14:00 sollten wir sowieso nicht losfahren, weil wir nicht vor dem Sonnenaufgang in die Flachwassergebiete hinter Hiddensee einfahren wollen.
Während wir am Montagvormittag einkaufen und alles aufklaren, frischt der Wind auf. Am Ende behält der DWD recht und kurz, nachdem wir abgelegt haben, donnern wir bei 5 Beaufort Halbwind unter der Fehmarnsundbrücke durch. So reibungslos unser Urlaub bisher begonnen hat, so holperig geht es nun weiter. Schon beim Setzen der Segel hapert es. Das sollte eigentlich soooo professionell aussehen, denn die GoPro ist hinten an den Solarzellen angeklemmt und läuft im Zeitraffermodus mit. Erste Video-Versuche. Doch das zweite Reff ist noch mehr oder weniger drin und die Reffleinen weigern sich beharrlich, einfach mal so nachzugeben. Also filmen wir im Zeitraffer unser Reffleinengezerre. Das war so nicht geplant, aber nun wenigstens noch die Genua ordentlich setzen. Aber die Backbordwinsch hat keine Lust mehr, in die Genuaschot zu beißen, die Selbstholeteller haben sich auf “höchstem Niveau” verklemmt und denken überhaupt nicht mehr daran, die Schot zu bekneifen. Also Genua irgendwie so festgetüddelt, Kamera aus und Werkzeug raus. Im Nachhinein sehen wir aber, dass der Zeitraffermodus sein gütiges Mäntelchen über die ganze Szene gedeckt hat und unser ganzes Manöver doch noch halbwegs gekonnt aussehen läßt. 😉
Astrid steuert uns nun mit südwestlichen 5 Beaufort in Richtung Osten unter der Brücke durch, während ich bei dem zunehmenden Geschaukel versuche, alle Einzelteile der Winsch irgendwie an Bord zu behalten. Der Fehler ist schnell gefunden, aber ohne Ersatzteil auch nicht wirklich zu reparieren. Läuft eine Schot durch den Selbstholer, wird der obere Teller durch seinen Kunststoffdeckel nach unten gedrückt, wodurch die Schot bekniffen wird. Dieser Kunststoffedeckel ist aber gebrochen, was an und für sich nicht schlimm zu seien scheint, denn der Deckel der Steuerbordwinsch ist auch gebrochen, backbord hat sich aber nun der Kragen unter dem Sprengring in die restliche Mechanik einmassiert und der Winsch ihren Biss genommen. So rutscht die Schot nun einfach so durch und die 5 Beaufort tragen auch nicht das Geringste dazu bei, mir die Sache irgendwie einfacher zu machen. Mist!!! Erschwerend kommt noch dazu, dass die ganze Geschichte vollkommen selbstverschuldet ist, denn ich fahre die dicken Festmacher beim An- und Ablegen immer gerne über die Winschen, weil das so bequem ist. Die Festmacher sind aber zugegeben etwas zu dick für die Wischen, was den Teller schon früh geknackt hat und nun zu dieser Haltlosigkeit geführt hat. So ist es nun wieder wie in meinen ersten Segeltagen, als selbstholende Winschen noch nicht so verbreitet waren.
Hinter der Fehmarnsundbrücke gehen wir auf Kurs. Etwas weniger als 90°, so dass wir die Kadetrinne nördlich lassen. Erst vor dem Darß wollen wir dann etwas nach Norden gehen, um danach direkt die nördliche Einfahrt zwischen Hiddensee und Rügen anzuhalten. Die blöde Winsch ist schnell vergessen, denn nun geht es stundenlang geradeaus und an den Segeln ist ohnehin nichts mehr zu tun.
Der angekündigte Regen grüßt vom Westen herüber, aber wir sind mit teilweise 7,5 kn schnell und machen es ihm nicht so leicht uns einzuholen. Nur eine ansehnliche, achterliche Welle macht uns das Leben etwas schwer und läßt unsere Seebeine ab und zu etwas weich werden.
Aber schon nach wenigen Seemeilen wird das einsetzende Urlaubsgefühl von einem bisher nie gehörten Piepen unterbrochen. Nachdem alle Handys als Alarmquelle ausgeschieden sind, der Furuno es auch nicht ist und auch die iPads sich in Unschuld sonnen, geht Astrid auf Lauschtour, denn die Quelle des Piepens liegt ganz offensichtlich an ungewöhnlicher Stelle. Als Astrid ihren Kopf zu den Ladegeräten des Windrads und der Solarzellen stecken will, kommt ihr Ohr am Display des Shunts vorbei. Upps! Der piept und sein Display zeigt blinkend, dass die Spannung unserer Bordbatterien auf 10,5 V gefallen ist. Hä? Was soll das denn nun? Batteriekapazität haben wir ja nun wirklich genug, um tagelang autark zu segeln. Egal, aber es piept. Wir reduzieren die Verbraucher auf das Minimum. Kühlschrank aus, Wandler aus, nur die nötigste Navigation und der Autopilot bleiben an. Das schafft etwas Abhilfe. Gott sei Dank weht es von achtern immerhin noch mit 15 bis 19 kn und das Windrad gibt alles, während wir mit 6 bis 7 Knoten nach Osten rauschen. Die achterliche Welle ist ordentlich und gibt Astrid und mir schon nach kurzer Fehlersuche fast den Rest. Obwohl mir inzwischen echt elend ist, messe ich noch an den Batterien und untersuche die tief unten verborgenen Sicherungspanel und die Verkabelungen zu den Batterien. Alles ist völlig ok und wir finden keinen Fehler oder etwas Ungewöhnliches. Im Übrigen ist uns die ungewöhnliche Entladung der Batterien bis heute ein Rätsel. In Vitte haben wir mit Landstrom alles wieder vollgeladen und bis heute, drei Tage danach, ist immer noch alles wie immer. Das wissen wir zu diesem Zeitpunkt aber alles noch nicht und überlegen, ob wir die Nacht durchsegeln sollen oder nicht. Da wir dank des Windrades eine gewisse Stabilität unseres Stromhaushalts erreicht haben, beschließen wir weiterzufahren, denn der Wind soll wenigstens noch bis zur Front und dem Regen kräftig bleiben. Wenn es schief geht, dann müssen wir halt wie früher segeln und alles wird per Hand gemacht, das ist zwar nicht so bequem, geht aber immer. Also ab in die Nacht!
Die Nacht bleibt insgesamt ruhig und unsere Energiesituation stabilisiert sich auf niedrigem Niveau. Ab 20:00 wechseln Astrid und ich im 3 Stundenrhythmus. Kurz nach Mitternacht erreicht uns der Regen, und der Wind, der mit der Dämmerung etwas abgenommen hatte, frischt wieder stark auf. Nächtliche achterliche Wellen sind definitiv noch etwas häßlicher als die tagsüber. Weil der Wind inzwischen genau von hinten kommt und die Genua nur noch Radau macht, rollen wir sie ein und gehen unter Groß weiter. Zu schnell dürfen wir ja auch nicht sein, sonst ist es an der Ansteuerung Hiddensee noch nicht wieder hell. Immer wieder rollen von hinten beachtliche Wellen an, deren Schaumkronen man erst im letzten Moment sehen kann. Dann hört man auch schon das Rauschen und die PINCOYA geigt durch die nächtliche See, bis nach wenige Augenblicken das ganze Spiel von vorn beginnt. Mit kurzen Unterbrechungen schüttet es wie aus Kübeln. Unser Decksalon ist ein Segen, auch wenn so ein nächtlicher Eiertanz im trockenen Decksalon noch etwas höhere Anforderungen an den Magen stellt als tagsüber. Die Nacht mit dem Regen ist stockfinster und immer wieder verschluckt der Regen die Leuchtfeuer vom Darß querab und von Hiddensee voraus. Um 0:30 kommt Lin aus ihrer Koje und leistet mir etwas Gesellschaft. Wir hatten ihr immer von dem magischen Glimmen der Mittsommernächte im Norden erzählt, aber davon ist heute wirklich absolut nichts zu sehen. So rauschen wir durch das schwarze Wasser einer schwarzen Nacht. Diese stockfinstere Nacht übergebe ich um 2:00 an Astrid und verdrücke mich in die warme Koje. Gegen 3:00 schlagen die Segel. Der Wind ist weg, aber die Welle ist uns treu geblieben. Da wir keine Fahrt mehr machen und nur noch rollen, wirft Astrid den Motor an.
Aber schon mit der Dämmerung kommt der Wind zurück und wir fahren mit dem ersten Licht wieder unter Segeln in die Fahrwasser von Hiddensee ein. So geht unser erster Segeltag gemächlich zu Ende.
Kurz vor 7:00 machen wir in Vitte fest und verkriechen uns noch einmal schnell für ein kleines Schläfchen in unseren Kojen. Und nur Astrid ahnt, was dieser Tag noch bringen wird.
in Vitte auf Hiddensee
54° 34′ 17.8″ N, 13° 6′ 39.5″ E