Hinter dem Horizont liegt Estland


HHafen / Ortmühle -> südlich Skillinge (Schweden) (A) Start: 12:45 (17.08) Ende: 16:30 (18.08) Wind: WNW 10 – 16 -> N-NNE später NNW 15 – 25 kn Distanz: 146,5 sm Gesamtdistanz: 146,5 sm

„von HHafen / Ortmühle -> nach Südschweden (aber das wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht) ?“

„von HHafen / Ortmühle -> nach Südschweden (aber das wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht) ?“

Schon um 9:00 kommt noch schnell Sören von Sörens Niroservice an Bord. Letztes Wochenende war schon Jan von Jansegel bei uns und wir haben unsere neue Kutterbeseglung besprochen. Dazu brauchen wir eben auch einen Bugspriet und den soll uns Sören zusammenschweißen. Den Geräteträger hatte er uns damals ja auch schon gemacht und nun kommt in der letzten Runde unserer Aus- und Umbauten die Kutterbeseglung mit zwei Vorstagen mit eben dem Bugspriet. Dann sind wir fertig. Gleich nach unserem Urlaub soll es mit den Umbauten losgehen, dann können wir im Oktober schon einen Probeschlag mit dem neuen Rigg machen. Sören weiß schon, dass wir immer alles eine Nummer dicker und stabiler haben wollen als andere. Also das dickwandige Rohr und alle Platten wenigstens 5 mm.
Jan näht uns nicht nur eine neue Genua und eine Starkwindfock, sondern auch ein neues Groß. Alles genau so, wie wir es wollen, aber auch mit einigen Tipps des Experten. Alles in allem ein großer Umbau und nicht ganz billig. Mehr dazu später, denn nun steht erst einmal unser Urlaub und Estland auf dem Programm.

„Dann geht's wirklich los, good bye HHafen.“

„Dann geht's wirklich los, good bye HHafen.“

Um kurz vor eins geht es dann endgültig los. Zum Frühstücken sind wir nicht mehr gekommen, aber der Kühlschrank ist voll und frische Sachen haben wir auch noch schnell eingekauft. Alles passt heute, wer hätte das noch vor einer Woche gedacht. Der Wind kommt richtig und die Sonne scheint. Gleich hinter dem Hafen setzen wir die Segel, die wir vielleicht (hoffentlich) bis Saaremaa nicht wieder runternehmen müssen.

„Bei bestem Wetter lassen wir die Fehmarnsundbrücke hinter uns. In 3,5 Wochen sind wir zurück.“

„Bei bestem Wetter lassen wir die Fehmarnsundbrücke hinter uns. In 3,5 Wochen sind wir zurück.“

Als es läuft und der Autopilot mit seiner Arbeit begonnen hat, machen wir uns erst einmal ein verspätetes Mittagsfrühstück und versuchen runterzukommen. Das ist auch bitter nötig, denn Segeln ist langsam, sehr langsam, und passt so gar nicht zu der schnellen Betriebsamkeit unserer Tage. In rund 28 Std wären wir mit einer Fähre via Helsinki in Tallinn und in 3 Std mit einem Flugzeug. Wir werden aber allein bis Saaremaa mindestens 100 Stunden brauchen und unser Erfolg hängt entscheidend vom Wetter ab. Wir wissen nur, dass wir es mal versuchen wollen, wir wissen nicht, ob es klappt und wie lange wir am Ende dann wirklich brauchen.

„Bei Staberhuk hört nicht nur Fehmarn auf, dort ist auch Deutschland zu Ende.“

„Bei Staberhuk hört nicht nur Fehmarn auf, dort ist auch Deutschland zu Ende.“

„Abendbrot östlich von Falster bei Gedser.“

„Abendbrot östlich von Falster bei Gedser.“

Der erste Tag geht ruhig zu Ende. Kurz nachdem wir die Südspitze von Falster passiert haben und Kurs auf Møns Klint nehmen, wechseln sich die Sonne und der Mond mit ihrer Wache ab. Wir haben Vollmond und so geht die Sonne auf der einen Seite unter, während der Mond dick und rund auf der anderen Seite aufgeht.

„Die Sonne geht im Westen, der Mond kommt im Osten.“

„Die Sonne geht im Westen, der Mond kommt im Osten.“

Seit 14:00 sind Astrid und ich auch in unserem Wachplan. Tagsüber, von 8:00 bis 20:00, wechseln wir alle 4 Std und nachts dann alle 3 Std. Durch die ungeraden Wechsel verschieben sich unsere Wachzeiten von einem Tag zum nächsten. Das empfinden wir als ganz angenehm. Heute, am ersten Tag, haben wir das System mal etwas angepasst, so dass ich um 14:00 mit einer 3 Stundenwache beginne und Astrid dann auch ab 17:00 nur 3 Std bis 20:00 hat. So kann Astrid in ihren Geburtstag reinsegeln und ich gucke um 24:00 nur mal schnell zu einem Geburtstagskuss aus der Koje.

„Das sind die Momente, wenn die Seele mal richtig abhängen kann, während das Herz vor Freude hüpft.“

„Das sind die Momente, wenn die Seele mal richtig abhängen kann, während das Herz vor Freude hüpft.“

Um kurz vor 2 weckt mich Astrid zu meiner Wache mit den Worten: „Ich glaube, wir sollten mal reffen, das dahinten sieht nicht gut aus. Wie eine Böenwalze.“ Als ich etwas schlaftrunken um die Sprayhood schaue, sehe ich eine dicke schwarze Wolkenwand mit einer weißen Unterkante. Noch ist alles ruhig und wir fahren gemütlich nach Norden, aber Reffen ist bestimmt keine schlechte Idee. Vor Mön, also genau dort, wo sich gerade Olaf in Klintholm umdreht und an Kerstin kuschelt, weil es in der Takelage der Raija zu rappeln beginnt und der Regen auf das Deck prasselt, erwischt uns die Front und damit auch der Winddreher. Etwas früh, wir hätten das lieber etwas später gehabt, um schon mehr in der Abdeckung von Südschweden zu sein. Nach 5 Flautengedenkminuten dreht der Wind schlagartig auf NE und reißt mit bis zu 24 kn an unseren armen Segeln herum. Und weil das alles so viel Spass macht, beginnt es auch gleich noch zu schütten. Glückliche Astrid! Die zwei Stunden laues Geburtstagssommernachtsegeln haben Astrid sehr gefallen und dass sie sich nun in die warme Koje legen darf, ist auch nicht wirklich schlimm.

„Der Windpark, die Hälfte der Windräder stehen schon.“

„Der Windpark, die Hälfte der Windräder stehen schon.“

Währenddessen stampfe ich gegen Wind, Welle und Regen grob in Richtung Osten. Die Travemünde-Trelleborg-Fähren weichen uns brav aus, die Kapitäne haben wohl Mitleid, als sie uns als einzigen Segler mitten in der Nacht bei diesem Mistwetter hier draußen sehen. Natürlich liegt der riesige EnBW-Windpark am Kriegers Flak, also fast genau in der Mitte zwischen Rügen und Schweden, exakt auf unserem Kurs. Der kann auch nicht so einfach ausweichen, also sei ihm verziehen. Einige Male sieht es so aus, als ob wir ihn nördlich nehmen können, doch dann müssen wir doch südlich vorbei.

„Sonnenaufgang nach einer ruppigen Nacht.“

„Sonnenaufgang nach einer ruppigen Nacht.“

Ganz ganz langsam dreht der Wind dann aber doch auf Nord, so dass wir uns ebenso langsam an die Durchfahrt nördlich von Bornholm heranpirschen können. Diese Ecke der Ostsee ist wohl die verkehrsreichste. Alle Frachter, Fähren und Kreuzfahrer quängeln sich hier durch und fahren entweder von West nach Osten und nach Norden oder umgekehrt. Entspanntes Segeln ist anderes. Immer wieder färbt sich der eine oder andere Dicke auf Kollisionskurs rot, aber nur einmal müssen wir tatsächlich eine Wende reinfahren, da können wir aber auch schon die tellergroß aufgerissenen Augen des ersten Navigationsoffiziers an der Scheibe der Brücke kleben sehen. „Ok!“ sagt Astrid: „Dann lass ihn ziehen.“

Die Berufsschiffahrt ist das eine, die Verkehrstrennungsgebiete sind das andere. Der Wind macht es uns nicht einfach die KVR (Kollisionsverhütungsregeln) einzuhalten. Eigentlich sind das die internationalen Bestimmungen, um Seeunglücke zu vermeiden. Eigentlich nicht anderes als Vorfahrtsregeln zur See. Alle haben dem zugestimmt, nur der Wind wohl nicht. So quetschen und knautschen wir uns irgendwie an den Verkehrstrennungsgebieten entlang und versuchen die gröbsten Verstöße mit einem freundlichen Lächeln abzumildern. Zunehmend fällt uns allerdings dieses Lächeln immer schwerer, denn mit jedem Grad, dass wir langsam weiter nach Norden eindrehen, kommen die Wellen auch noch etwas genauer von vorn. Und die Wellen können sich sehen lassen! Da sind echt üble Burschen dabei und ein ums andere Mal kracht die PINCOYA so heftig in eine Welle, dass wir das Wasser über das Deckshaus und einmal sogar bis zur Sprayhood schaufeln. Die Ankerhalterung ist zwar provisorisch repariert, passt aber nur semi-optimal zu unserem Vulcan-Anker. So massiert der Anker mit jeder richtig großen Welle unsere Buglaterne in den Bugkorb ein. Eigentlich müssten wir etwas dagegen tun, aber unter diesen Bedingungen ist es einfach zu gefährlich, nach vorn zu gehen. Also geht das Einmassieren weiter, obwohl wir einen schon deutlich östlicheren Kurs wählen, um die Wellen etwas seitlicher zu nehmen. Da sind dann aber wieder die Verkehrstrennungsgebiete. So geht es Stunde um Stunde.

„Dänemark geht, Schweden kommt.“

„Dänemark geht, Schweden kommt.“

Richtig gut ist uns seit einigen Stunden auch nicht mehr. Schlafen hilft etwas, aber eben auch nur etwas. Das ständige Krachen der Wellen und das andauernde Herumgeschubse, ohne dass es auch nur für eine Sekunde mal einen Fixpunkt gibt, dass zermürbt und zerrt an den Nerven. Es ist ja eben kein normales Schaukeln, die PINCOYA wird ständig hin und her geworfen und die Wellen laufen in erstaunlichen Größen kreuz und quer irgendwie aus Richtung Norden ein. Glaubt man einen guten Kurs zur Welle gefunden zu haben, dann läßt die nächste Wellen diesen Aberglauben im Handumdrehen sterben. Wir bewegen uns nur noch wie die Klammeräffchen unter Deck und auch im Cockpit. Mir hüpfen die vielen Geschichten von Segelkameraden durch den Kopf, denen anscheinend solche Bedingung nichts ausmachen und die dabei erst richtig aufleben. Vielleicht sind wir keine echten Segler oder für so etwas nicht hart genug oder einfach nur ehrlich, uns setzt so ein Wetter und so ein Kurs zu. Und das nicht zu knapp. Man wird irgendwie willenlos und kann sich zu fast nichts mehr aufrappeln. Nicht das wir richtig seekrank sind, die Seekrankheit steckt eher im Kopf. Deswegen gibt es auch fast keine Photos von diesen Stunden. Langsam beginne ich auch an unserem Urlaubsplan „Estland“ zu zweifeln. Schweden ist ja auch toll, warum ausgerechnet Estland? Und am Ende frage ich mich sogar, ob unsere Umstiegspläne ab 2018 überhaupt vernünftig sind und ob wir das nicht lieber sein lassen sollten, weil wir es schlicht nicht können und aushalten, denn schon die blöde Ostsee gibt uns ja den Rest. Was soll das erst draußen in der großen Segelwelt werden?

Um 15:20 beschließen Astrid und ich das einzig Richtige. Wir brauchen Ruhe! Es bläst inzwischen irgendwie aus NNW und soll auf NW drehen. Also ab vor die Küste von Schweden, etwas nördlich von Sandhammaren. Dort wollen wir den Anker werfen und… ja was und? Und uns erst einmal wieder sammeln. Allein der Beschluss lässt wieder etwas Leben in uns fahren. Und als wir auf dem anderen Bug fahren, an Wind und Welle hat sich ja nichts geändert, ist es plötzlich angenehm ruhig im Schiff. Nicht das es nicht immer noch ordentlich zur Sache geht, aber dieses brutale Hin- und Herumschubse ist vorbei und die PINCOYA fährt, ohne harte Schläge zu bekommen, einfach so auf Schweden zu. Es ist immer wieder erstaunlich, was so ein Kurswechsel ausmacht. Aber leider ist dieser Kurs eben alles, nur nicht ein Kurs in Richtung Estland. Aber egal, nun erst einmal Ruhe.

„Das ist uns nun auch egal, wir machen erst einmal Pause.“

„Das ist uns nun auch egal, wir machen erst einmal Pause.“

Um 16:30 fällt der Anker vor der Südost-Küste Schwedens. Es ist dort heute nicht optimal zum Ankern, wir rollen stark in der Dünung. Aber auch das ist erstmal egal, wir wollen ja nur mal etwas Ruhe haben, um dann wieder einen ordentlichen Gedanken zu fassen.

vor Schweden, südlich Skillinge vor Anker
55° 24” 50,8′ N, 14° 13” 47,2′ E


2016.08_1_Estland_18.08.kml