Manchmal geht’s eben nicht anders.


Kuressaare -> Slite (Gotland – Schweden) Start: 19:00 (EEST) 27.08. Ende: 1:30 (MEST) 29.08. Wind: W 15-22 kn; umlfd 0-5 kn; E 12-20 kn Distanz: 152,7 sm Gesamtdistanz: 669,1 sm

„von Kuressaare -> nach Slite (Gotland)“

„von Kuressaare -> nach Slite (Gotland)“

Wenn die Urlaubstage begrenzt sind, drängelt sich immer kurz, nachdem man angekommen ist, auch schon wieder ein erster Gedanke an den Rückweg im Kopf ganz nach vorn. Grob haben wir natürlich schon bei der Entscheidung, doch nach Estland zu fahren, ein Auge auf das Rückwegwetter geworfen. Die spannende Frage war, wie stark das Hoch im Süden bleibt und wie das Gerangel zwischen diesem Hoch und den Tiefs im Norden ausgeht. Insgesamt blieben wir in Kuressaare jedoch mehr im Hochdruck und das hat uns am Ende ja auch die Sonne und den strahlend blauen Himmel beschert. Allerdings war es die ganze Zeit auch ziemlich windig, vielleicht sogar stürmisch, denn die Knautschzone der beiden lag von uns aus gesehen gar nicht so weit weg im Norden.

„Abschied im Abendlicht und diesmal fliehen zuerst 793 Blesshühner und ….“

„Abschied im Abendlicht und diesmal fliehen zuerst 793 Blesshühner und ….“

So beobachten wir das Wetter und studieren jede neue Modellrechnung. Das fette Sturmtief über England ist leider etwas schneller, als wir uns das gewünscht haben. Eigentlich hatten wir Sonntagmittag als Starttermin angepeilt, um die Nacht auf der offenen See zu machen und für die etwas schwierigeren Navigationsstrecken dann Tageslicht zu haben. Aber daraus wird wohl nichts, denn der Bursche ist schnell und wird in der Nacht zum Montag auch noch gleich unseren schönen Hochdruck komplett hinwegfegen. Nach allen Modellen bleibt uns also nur der Sonntag für die Überfahrt. Erst „umlaufend nichts“, also motoren und dann etwas Ost, der aber innerhalb von wenigen Stunden zu einem Starkwind aus Südwest werden soll. Der Kern des Tief dürfte uns dann genau überlaufen. Und danach??? Na ja, tagelang volle Lotte aus West, machmal richtig stürmisch, manchmal weniger, aber nie so, dass man irgendwie auf halbwegs angenehme Art und Weise wieder zurück nach Gotland kommt.

„… dann wieder die 1335 Kormorane noch kurz bevor die Sonne untergeht.“

„… dann wieder die 1335 Kormorane noch kurz bevor die Sonne untergeht.“

Also Samstagabend los. Wir stehen zwar nicht auf einen halben Sonntag motoren, aber auf häßliches Gegenanbolzen stehen wir noch weniger. Mit dem letzten Tageslicht wollen wir aus den Fahrwassern von Kuressaare raus sein. Der ganze nördliche Teil des Rigaischen Meerbusens ist zwar auch nicht wirklich tief, aber das geht schon auch bei Nacht. Über uns im Norden, im Finnischen Meerbusen, macht aber immer noch das alte Sturmtief Alarm. Tallinn Radio gibt stündlich eine „Securité“-Meldung raus mit: „winds west 13 to 18 m/s, gusts 20 to 23 m/s, waves 2 to 4 meters“. Das ist wirklich alles andere als moderat und wir sind froh, dass wir nicht dort sind. Leider nimmt der Wind aus den Ausläufern dieses Tiefs nicht so schnell ab wie erhofft.
Also sausen auch wir noch mit einem halbstarken Sechser aus West in die Nacht und nach Süden in den Rigaischen Meerbusen. Insgesamt sind wir viel zu schnell und so drehen wir die Genua auf das 2te Reff ein, denn wir wollen erst gegen 7:00 am Westausgang der Irbenstrasse sein, der Durchfahrt zwischen Lettland und dem südlichen Zipfel von Saaremaa. Dann ist dort hoffentlich auch der starke Westwind erstmal fertig mit seiner Arbeit, die Ostsee durchzurühren, und die alten Wellen machen uns das Leben nicht mehr ganz so schwer.

„Als wir in der Irbenstrasse sind geht die Sonne auf. Auch wenn es schaukelt sind dies Momente, die unglaublich viel Ruhe ausstrahlen.“

„Als wir in der Irbenstrasse sind geht die Sonne auf. Auch wenn es schaukelt sind dies Momente, die unglaublich viel Ruhe ausstrahlen.“

Es ist schwer zu sagen, ob nun die Sonnenuntergänge oder die Sonnenaufgänge schöner oder romantischer sind. Obwohl das reine Ab- und Auftauchen ja meiner Meinung nach rein optisch-physikalisch doch recht gleich sein dürfte, ist die Stimmung eines Sonnenunterganges ganz anders als die eines Sonnenaufganges. Vielleicht passiert das alles aber auch nur im unseren Köpfen und ist am Ende der Unterschied zwischen dem Ende eines ereignisreichen Tages und der Geburt eines neuen Tages mit alle seinen neuen Hoffnungen und Erwartungen.

„Hier draußen gibt es verdammt viel Horizont und nur wenige Fischer.“

„Hier draußen gibt es verdammt viel Horizont und nur wenige Fischer.“

Unsere Rechnung geht dieses Mal auf. Der alte Schwell ist zwar noch erstaunlich hoch, fällt aber zusehends in eine üppige Schwabbelssee zusammen.
Obwohl unsere Nachtfahrt ab Kuressaare insgesamt doch recht flott und unruhig ist, schlafen Astrid und ich zum ersten Mal in unseren Freiwachen tief und entspannt die fast vollen 3 Stunden durch. Vielleicht werden aus uns ja doch noch echte Seebären.

Ab der Irbenstrasse geht es dann unter Segeln nur noch sehr langsam oder unter Motor etwas flotter voran. Gegen Mittag bekommen wir Besuch.

„Unser kleiner Anhalter.“

„Unser kleiner Anhalter.“

Ein kleiner Grünfink muss mal verschnaufen, ihn hat der Wind der letzten Tage wohl etwas weit von seiner Heimat auf’s offene Wasser verblasen. Astrid macht ihm gleich ein Schälchen mit Apfel und Wasser, aber er findet mehr Geschmack an einigen trägen Fliegen, die er sich zum Mittag unter unserer Sprayhood fängt. Die große Scheu verliert er schnell und setzt sich auf unsere Hosenbeine oder Arme. Am Ende sitzt er auch mal auf Astrids Kopf oder meiner Schulter. Wir sind doch recht erstaunt über so viel Zutraulichkeit, viel schlechte Erfahrung mit Menschen scheint er wohl noch nicht gemacht zu haben. Ab und zu scheint es uns so, als ob er weiterzieht, aber nach kurzer Zeit ist er immer wieder zurück. Vielleicht sagt ihm sein Instinkt, dass die Reise per Anhalter über die Ostsee wohl doch gesünder ist, als es auf eigene Faust zu versuchen. Dann kommt er sogar in den Decksalon, hüpft munter unter Deck in jede Ecke und sucht auch dort nach den Fliegen, die es trotz Fliegengitter zu uns ins Schiff geschafft haben. Sehr praktisch so ein Grünfink, wir sollten mal über einen Schiffsgrünfinken nachdenken, genug zu fressen gibt es bei uns ja immer ?.

„Seenebel - oder friesisch -Kleine Welt-, nur die Engländer lieben das, aber die haben ja auch nichts anderes ?“

„Seenebel – oder friesisch -Kleine Welt-, nur die Engländer lieben das, aber die haben ja auch nichts anderes ?“

Erst als gegen Mittag statt des erlösenden Osts auch noch Seenebel aufzieht, verläßt uns der Grünfink. Vielleicht wollte er ja auch nur wieder mal einen kleinen Ausflug machen und hat im Nebel nicht zurückgefunden. Etwas traurig sind wir schon und drücken ihm die Daumen für seine Reise. Der Seenebel ist blöd, aber da es für uns eh keine Alternative gibt, fahren wir einfach mitten durch und lauschen, ob um uns herum einer trötet. Klar, ein Radar wäre jetzt schon gut, aber so fernab der Küste gibt einem das AIS auch schon einige Sicherheit. Auch hier ist das Motto sehen und gesehen werden.

„Gefühlt sollte dahinten irgendwann Schweden kommen…..“

„Gefühlt sollte dahinten irgendwann Schweden kommen…..“

Der Seenebel wird dann vom Regen abgelöst und der flotte Ost hält sich immer noch versteckt. Na super! Das ist ja heute eine tolle Segelleistung, man gut, dass wir gestern noch mal 40 Liter Diesel nachgekippt haben. So brummen wir wieder Stunde um Stunde weiter. Erst Flaute mit Sonne, dann Flaute mit Nebel und dann noch Flaute mit Regen. So langsam hängt uns die Flaute zu Hals raus. Und um die Sache abzurunden, läßt uns das Wetter immer mal wieder am Segeln schnuppern. Mit schöner Regelmäßigkeit keimt ein junger Hoffnungsschimmer auf und wir setzen die Segel, um sie dann nach einiger Zeit mißmutig wieder einzurollen und einzusehen, dass es doch nicht geht. Seit dem Ausgang der Irbenstrasse stehen in unserem Logbuch sage und schreibe 9 Einträge mit Segel hoch und 9 mit Motor an. Ein echter Quell der Freude ist das nicht.

„AIDAs im Schietwetter.“

„AIDAs im Schietwetter.“

Gegen 18:00 kreuzt die AIDAMAR und kurz darauf die AIDAAURA unseren Weg und bestimmt 100 Kameras nehmen die armen Teufel auf, die bei Flaute und Regen hier draußen versuchen zu segeln. Und nur eine Kamera versucht dagegenzuhalten ?.

„Unser ETMAL ist gar nicht so schlecht, die letzte Nacht ging es schnell voran.“

„Unser ETMAL ist gar nicht so schlecht, die letzte Nacht ging es schnell voran.“

Gegen 19:00 kommt endlich der ersehnte Wind. Fast schlagartig weht es mit gut 18 kn aus Ost. Endlich geht’s unter Segeln voran. Vor uns liegen noch etwas mehr als 30 sm bis Slite und da der Ost im Handumdrehen auch eine tolle westlaufende Welle aufbaut, wird aus den 30 sm eine unglaubliche 6-stündige Achterbahnfahrt, während der wir uns gegenseitig immer wieder mustern, ob es vielleicht schon erste Grünverfärbungen im Gesicht gibt. Aber alles ist gut, vor einer Woche wären wir beide sicher schon nach einer Stunde mit einem gurkengrünen Gesicht ins Cockpit gestürzt, um das zu machen, was eben kleine Seebären manchmal machen müssen.

„Und dann kommt schon wieder die nächste Nacht mit unglaublichen Wolkengebilden.“

„Und dann kommt schon wieder die nächste Nacht mit unglaublichen Wolkengebilden.“

Slite ist ein Industriestandort mit einer alles überragenden Zementfabrik und einem kleinen Gasthafen daneben. Das ist nicht schön und sicher kein Plätzchen, wo man Urlaub machen möchte, aber die Einfahrt ist groß und beleuchtet, das ist in der Nacht für einen Landfall wichtiger als ein romantisches Panorama. Um 1:30 sind wir dann in Slite fest und stellen fest, dass noch niemals ein Dosenbier besser geschmeckt hat, als genau dieses jetzt hier in Slite. Solche Segeltage sind wirklich nicht der Knaller, aber manchmal geht es eben nicht anders.

in Slite
57° 42” 23,2’ N, 18° 48” 34,3’ E


2016.08_1_Estland_28.08.kml