Sommer geht anders


Heiligenhafen / Ortmühle -> Marstal Start: 11:45 Ende: 18:00 Wind: WSW -> SW 12 – 22 kn Distanz: 36,6 sm Gesamtdistanz: 36,6 sm

„von Heiligenhafen -> nach Marstal“

„von Heiligenhafen -> nach Marstal“

Samstag 12.08.
Am Samstag früh holt uns der Regen wieder ein, den wir erst gestern kurz hinter Hamburg abschütteln konnten. Ohne Unterlass prasselt es auf’s Deck. Was hatten wir für ein Glück in Norwegen. Von allen Segelwettern ist wohl Dauerregen das Schlimmste.
Freitagabend haben wir noch mit Wibke, Martin und Christian auf der Siri zusammengesessen und beschlossen, heute als „aufgelöste Flottille“ nach Marstal zu fahren, um uns am Samstagabend dort im Hafenbistro auf ein dänisches Bier zu treffen. „Aufgelöst“ deswegen, weil jeder einfach so in Richtung Marstal fährt, wie es ihm passt, und nur das Feierabendbier im Hafenbistro gefixt ist.
Um 9:00, uns hat gerade der Regen geweckt, aber der Espresso wartet noch auf die Entscheidung, wer ihn nun zubereitet, löst sich Christian aus der aufgelösten Flottille, denn seine beiden Mitseglerinnen können nicht über Nacht bleiben. D.h. Marstal geht nicht.
Wibke und Martin starten mit ihrer Siri gegen 10:30. Da sind Astrid und ich schon guter Hoffnung, es auch bis 12:00 zu schaffen. Wir sind echt die Trödelfritzen vorm Herrn, aber man muss auch sagen, wir lieben vertrödelte Morgen und genießen die Gemütlichkeit mit Kaffee, Internet und Lesen in unserer Mittelkoje.

Wibke und Martin haben heute Morgen schon zum zweiten Mal den Pumpenanschluss an ihrem Frischwassertank repariert, nachdem sich in der Nacht schon wieder 120 Liter Frischwasser bereitwillig zum Spülen der Bilge in den tiefsten Punkt der Siri aufgemacht hatten. Irgendwie scheint hier ein systemisches Frischwasserpipirisiko zu herrschen, aber auf der Bavaria ist die Bilgenpumpe ja wenigstens so angebracht, dass man den größten Teil der 120 Liter Frischwassers per Hand schöpfen muss ?. Das macht munter und bestimmt nur deswegen sind die beiden dann auch heute schon so früh vor uns unterwegs.

Als wir frühstücken, schaut ein verschüchterter Sonnenstrahl zaghaft zu uns herüber, der Regen hat sich verzogen. Also los. Es ist schon kurz vor 12:00. Der Plan ist, heute mit einem leichten Südwest nach Marstal zu segeln und morgen mit einem noch leichteren Nordwest wieder zurück. Unsere dicke Erna ist ja nicht die Schnellste, da werden wir wohl nur ganz knapp pünktlich zum Feierabendbier ankommen.

Ein leichter Westsüdwest heißt, dass wir natürlich nicht die Backstagen anschlagen und die Fock natürlich auch nicht einsatzbereit ist. Brauchen wir ja auch gar nicht, denn wir setzen gleich noch im Fahrwasser vor Heiligenhafen das Groß und die Genua voll. An der östlichen Untiefe, von hieraus können wir direkt Kurs Marstal nehmen, drehen wir dann in die Genua schonmal das erste Reff rein und schon kurz danach bekommt auch das Groß sein erstes Reff zurück, das wir erst kurz vorher beim Setzen herausgefummelt haben. Ok, soll ja weiter auf Südwest drehen und abnehmen. Ist halt noch nicht soweit. So sind wir wenigstens ordentlich schnell. Wir machen immer so knapp über 7 kn, es läuft gut, auch wenn es etwas schaukelig ist. Die Siri wird bei diesen Bedingungen leichtfüßig dahinfliegen, die werden wir noch nicht einmal mehr am Horizont sehen, denn mehr als eine Stunde Vorsprung bedeuten heute fast 10 Meilen.

Auf Höhe von Flüggesand quält sich ein Segler unter Motor durch die Wellen. Der hätte es wirklich unter Segeln viel angenehmer, aber weiß der Geier, was den reitet. Während wir so dahinrauschen, schauen wir immer mal wieder zu dem armen Kerl herüber. Schriftzug am Heck, Rollsegel mit dunklem Schothorn und blaue Sprayhood. Durch’s Fernglas kann ich den Schriftzug nicht lesen, aber eine taubengraue Mütze sitzt im Cockpit. Passt irgendwie alles auf die Siri und auf Wibke, die hatte beim Auslaufen so eine Mütze auf. Am Handy antwortet keiner, also Funke. Martin antwortet. Wir haben tatsächlich die Siri querab. Der Frischwassertank hat wieder 120 Liter inkontinentes Frischwasserpipi in die nicht so tiefe Bilge der Bavaria gemacht. Sie fahren unter Motor Kringel und lenzen. Martin sagt nichts dazu, aber Begeisterung hört sich anders an und wirklich angenehm kann die Lenzerei bei diesem Geschaukel auch nicht sein. Da die beiden alleine klarkommen, bleiben wir auf Kurs Marstal. Unsere aufgelöste Flottille scheint nun völlig zu zerrinnen. Obwohl Martin noch über Funk sagt, dass sie gleich nachkommen, können wir das nicht so recht glauben. Wenigstens wir hätten jetzt umgedreht.

Aus dem leichten Westsüdwest ist inzwischen ein großer Südwest geworden, der nicht müde wird, Windwellen zusammenzuschieben. Eigentlich ist es längst Zeit, das zweite Reff der Genua zu überspringen und die Fock zu nehmen. Aber die Backstagen liegen in der Backskiste, wo sie jetzt eigentlich gar nicht sein sollten, obwohl der Name das schon irgendwie nahe legt. Also Backstagen raus und drangefummelt. Das geht auch ganz gut, weil ich dabei etwa mittschiffs auf der hohen Kante sitze. Aber die Fock ist noch gegen Auftüddeln im Hafen mit einem Bändsel gesichert und damit der Rutscher auf der Selbstwendeschiene nicht nervt, haben wir den auch gefesselt und geknebelt. Aber wenigstens die Schot ist dran. Irgendwie blöd, denn dort, wo ich nun hin muss, um alles loszutüddeln, schauen nun recht regelmäßig einige größere Wellen vorbei. Egal, ein echter Seebär hat so etwas im Griff, man muss nur den richtigen Moment abwarten, bekanntlich bilden Windwellen ja immer Siebener-Sets und wir Waldorfschüler konnten schon in der Vierten bis Sieben zählen.

„Schüchterne Anzeichen der Besserung.“

„Schüchterne Anzeichen der Besserung.“

Also kurz mitgezählt und ab nach vorn. In Windeseile löse ich das Bändsel an der Rollfock, während eine vollkommen regelwidrige Welle sich gegen den Bug erbricht und ihre Gischt auf Höhe meiner ausgestreckten Hände hochschleudert. Bis die Erdanziehungskraft den Schwall Ostseewasser wieder in den Griff bekommt, vergehen einige Sekunden und leider bin ich genau zu diesem Zeitpunkt irgendwie voll im Weg. Langsam sickert die Ostsee in den Kragen meiner Steppweste, teilt sich unter der Weste an meinen Schultern und versucht durch’s Hosenbein zu entkommen. Und weil nicht die ganze Ostsee durch den Kragen in die Weste passt, läuft der Rest außen ab, um sich auf höhe meiner Schuhe wieder zu vereinen. Selbstverständlich tragen coole Seebären bei leichtem Südwest Jeans, T-Shirt und Steppweste, Segelklamotten werden ohnehin überbewertet.

Immerhin habe ich das Bändsel ab und mache mich gerade laut fluchend daran, den Schlitten auf der Selbstwendeschiene zu entfesseln, als die kleine Schwester der regelwidrigen großen Welle versucht, von unten unter meine Weste zu kommen. Begierig saugen die letzten trockenen Stellen meiner Klamotten auch diesen Schwapp Ostseewasser auf. Wie ein begossener Pudel tappe ich zurück ins Cockpit und wir setzen die Fock. Unter mir bildet sich eine Pfütze, ich muss mich trocken legen. Es dauert eine Weile, bis ich mich bei dem Geschaukel umgezogen habe. Als ich wieder hochkomme, bin ich angeschlagen. Die frische Luft kann die kodderige Seekrankheit nicht mehr vertreiben. Im Gegenteil, Wind und Welle nehmen noch zu. Noch mindestens vier Stunden liegen vor uns. Mit Seekrankheit im Kopf und im Bauch ist das eine unvorstellbare Ewigkeit. Dann beginnt es erst zu regnen und dann zu schütten. Immer wieder verschwindet die Welt um uns herum im Regen. Gott sei Dank ist Astrid fit und all unsere Technik funktioniert hervorragend. Es ist ja kein wirklich schlimmes Wetter, es ist nur echtes Scheißwetter und der Schiffsjunge fühlt sich gerade nicht so. Man braucht ja nur 5 Minuten Ruhe, dann kriegt man sich wieder ein. Aber diese Ruhe gibt’s heute erst hinter der Mole von Marstal. Zwischen Bagenkop und Marstal ist es dann besonders fies. Die Wellen überlaufen sich und bauen sich in der Bucht zu richtigen kleinen steilen Fieslingen auf. Außerdem laufen sie genau quer ein. Maximal blöd. Eins ums andere Mal rutschen wir so eine Welle quer herunter und werden dadurch richtig auf die Seite gelegt.

„Der Regen geht.“

„Der Regen geht.“

Hinter der Mole von Marstal bleibt uns nur der Wind treu, die Wellen sind schlagartig weg und fast ebenso schlagartig kehren meine Lebensgeister zurück, die ich für immer verloren wähnte.
Kurz hinter Marstal fahren wir einfach geradeaus weiter aus dem Fahrwasser heraus und werfen dort den Anker. Der beißt sich auch sofort in dem lehmigen Boden fest und schon herrscht absolute Ruhe. Nur der Wind pfeift noch etwas um uns herum, aber das ist jetzt egal. Astrid macht sich einen Kakao und ich lege mich erst einmal für ein Stündchen hin.

Das aus dem Feierabendbier dann tatsächlich nichts mehr wird, ist nicht so schlimm, denn mein Tatendrang hält sich an diesem Abend in Grenzen. Außerdem schüttet es immer mal wieder und wir müssten von unserem Ankerplatz ja mit dem Gummiboot zum Hafenbistro fahren.


Marstal (A) -> Heiligenhafen / Ortmühle Start: 10:15 Ende: 16:45 Wind: WNW 18 – 10 kn Distanz: 36,3 sm Gesamtdistanz: 72,9 sm

„zurück von Marstal -> nach Heiligehafen / Ortmühle“

„zurück von Marstal -> nach Heiligehafen / Ortmühle“

Sonntag 13.08.
Da zurück nicht nur 36 sm vor uns liegen, sondern auch noch gut 300 Autobahnkilometer, können wir heute nur etwas trödeln. Der Sonntagmorgen ist aber wie ein kleiner Intensivurlaub. Der ganze Alltag ist unglaublich weit weg und um uns herum ist nur dicke, satte Urlaubserholung. Wie schön wäre es, jetzt einfach hier zu bleiben und erst morgen wieder zurückzufahren. Deswegen nehmen wir uns ganz fest vor, das nächste Segelwochenende zu verlängern. Unsere Halbtagsregelung läuft ja, aber das Arbeitspensum konnten wir noch nicht wirklich auf 6 Stunden herunterdrücken. So sammeln sich mehr Überstunden an, als eigentlich geplant waren. Ein gutes Polster, um das nächste Segelwochenende um einen Tag zu verlängern.

„Dänischer Altherren-Sonntag...“

„Dänischer Altherren-Sonntag…“

An diesem Sonntag herrscht zwar kein Hochsommer in Dänemark, aber das Wetter ist schon mal wesentlich freundlicher als gestern. Der Wind hat tatsächlich auf Nordost gedreht, ist aber noch nicht wirklich schwächer geworden. So rauschen wir anfangs wieder mit deutlich mehr als 7 Knoten zurück nach Heiligenhafen. Es ist schon der Hammer, was neue Segel für einen Geschwindigkeitsgewinn bringen. Natürlich haben wir jetzt in Summe auch etwas mehr Segelfläche als vorher. Das Groß steht wieder über der gesamten Baumlänge und ist durch die Mast- und Segelverkürzung des Vorbesitzers nicht mehr so verstümmelt, und die Genua haben wir auch etwas größer schneiden lassen, damit das mit den Segeldruckpunkten wieder so halbwegs hinkommt. So haben wir jetzt ein gutes Plus von rund 7 bis 8 qm, die aber allein auch nicht für den dramatischen Geschwindigkeitsgewinn verantwortlich sein können.

„Marstal in einem herben Sonntags-Sommer-Naturtrüb.“

„Marstal in einem herben Sonntags-Sommer-Naturtrüb.“

Der ein oder andere hat uns schon gefragt, wie wir die Umbauten so geplant haben, dass die PINCOYA heute tatsächlich immer noch fährt und augenscheinlich sogar besser fährt als vorher. So richtige Yachtdesigner-Berechnungen haben wir dazu natürlich nicht angestellt. Wir haben nur versucht, einige grundsätzliche Trimmgedanken zu beherzigen und etwas an den Segeldruckpunkt gedacht. So war der Bugspriet mit dem Kutterrigg nicht nur segeltechnisch für uns ein Muss, sondern auch das notwendige Gegengewicht für den Geräteträger am Heck. Bugspriet plus zweites Vorstag plus zweites Segel mussten in etwa das Gewicht des Geräteträgers mit all seinem Aufbaugedöns haben, damit wir wieder gerade im Wasser liegen. Die noch geplanten, weiteren 40m Ankerkette werden dann den Schlußtrimm ausmachen. Die zweite Überlegung war, wenn das Groß wieder größer wird, muss auch die Genua größer werden, um den Segeldruckpunkt dort zu belassen, wo er bisher war und wo er auch augenscheinlich gar nicht so falsch war. Das Groß nutzt nun wieder den ganzen Baum und die Genua holt ihr Plus aus der Verlängerung durch den Bugspriet. Auch das hat ganz gut geklappt. Insgesamt haben wir nun wieder, trotz des verkürzten Mastes die ursprüngliche Segelfläche.

So fahren wir am Sonntag flott in Richtung Heiligenhafen, genießen die sonnigen Wolkenlücken, haben Glück, dass die Schauer um uns herumziehen und lassen den lieben Gott ´nen guten Mann sein. Ein tolles Segelwochenende. Und die kleine Wohlfühldepression des Schiffsjungen vom Samstag ist so auch schon fast ganz schnell vergessen.

in Heiligenhafen / Ortmühle in unserer Heimatbox
54° 22′ 20,4″ N, 11° 00′ 15,7″ E