HHafen/Ortmühle -> Lichtturm -> Salzhaff -> HHafen/Ortmühle Start: Samstag 18:00 Ende: Montag 16:30 Wind: N – NE – E 10 – 20 kn Gesamtdistanz: 70,8 sm
Samstag:
Am späten Freitagnachmittag sammelt Astrid mich in Ahrensburg ein. Nach 2 Tagen Berlin und einem Tag Hamburg geht’s nun zur PINCOYA. Unser letztes PINCOYA-Wochenende ist auch schon wieder 3 Wochen her. So ist es wirklich mal wieder Zeit. Und weil die nächsten beiden Wochenenden auch schon wieder verplant sind, haben wir diesmal den Montag noch dazu genommen. Wir müssen unbedingt mal wieder etwas segeln und das Wetter soll ja auch ganz gut werden.
Aber Samstagvormittag gewöhnen wir erstmal unserem inkontinenten Kühlwasserkreislauf das Dröppeln ab. Der Schwanenhals von Volvo ist eine Fehlkonstruktion. Auch mit neuem Dichtsatz kann er nicht dicht halten. Deswegen haben wir uns schweren Herzens für den Schwanenhals von Vetus entschieden. Der Hauptgrund war, dass Vetus grundsätzlich ja sehr ordentliche Ersatzteile baut. Aber die fast 100 € für ein simples Plastikteil wirken schon sehr abschreckend, auch wenn Vetus dransteht.
Da aber das Vetus-Teil ausdrücklich auch für einen Kühlwasserkreislauf geeignet sein soll, fällt die Entscheidung am Ende doch für Vetus. Nichts wäre ärgerlicher, als wenn der Motor nächstes Jahr nicht richtig gekühlt würde und wir das zudem erst zu spät bemerkten. Immerhin wird das Vetus-Ventil als das wartungsärmste Hammerteil aller wartungsärmsten Ventile angepriesen. Da wird der Preis bestimmt im Ventil liegen. Also bestellen wir das Luxus-Plastikteil.
Als ich dann aber das Plastikteil von Vetus in den Händen halte und als Ventil exakt dieselbe Gummiflutsche vorfinde, die auch in jedem Billigschwanenhals für den gehaltvollen Toilettenabgang steckt, ärgere ich mich über meine Blödheit nochmal richtig. Trotz unseres ganzen Misstrauens wegen der bekannten Abzocke im Segelsport, sind wir doch wieder reingefallen. Immerhin dröppelt jetzt nichts mehr, aber das hätten wir auch für 20€ haben können. Man stelle sich nur mal einen Eigner vor, der demutsvoll eine Werft mit dieser 15-Minuten-Reparatur beauftragt. 500€ sind dafür doch ganz bestimmt drin, oder?
Danach passen wir noch die neue Selfmade-Ankerhalterung ein und unsere Genuaschienen bekommen auch noch 4 neue Selfmade-Endstücken aus Teak. Das mit den Endstücken war auch so eine Geschichte. Es ist ja nicht wirklich verwunderlich, dass die Plastikendstücke nach 22 Jahren UV-Licht ihren letzten Weichmacher ausgeschwitzt haben und nun so spröde sind wie ein französisches Baguette am Tag danach. Und es spricht auch für Lewmar, dass man diese Endstücke noch als Ersatzteil nachkaufen kann. Allerdings möchte Lewmar für EIN Plastikendstückchen den stolzen Preis von 20€ haben! Vielleicht ist das ja auch der eigentliche Grund dafür, dass es nach 22 Jahren immer noch diese Ersatzteile gibt. Wir wissen es nicht, aber 20€ sind einfach zu viel, denn zwei Schienen haben 4 Enden, was übrigens bei Würsten ganz ähnlich ist ?. Also bastele ich in einer durchaus fingergefährlichen Aktion 4 neue Endstücke aus den Teakresten des Bugspriets. Abgesehen davon, dass wir das Verbandzeug, das Astrid vorsorglich schon bereitgelegt hatte, gar nicht brauchen, weil die Fräse nur das Teakholz fräst und nicht auch gleich noch die Finger des Schiffsjungen, sehen die Teile auch viel besser aus als die Plastikdinger. In Summe haben wir also dieses Wochenende so viel gespart, dass wir uns nun doch auch über unseren neuen Hightec-deluxe-Vollplastik-Qualitätsschwanenhals mit Hammerventil von Vetus ein wenig freuen können.
Nach etwas Nachbarschaftsquatscherei am Samstagnachmittag – das muss ja auch mal sein – machen wir uns noch am späten Samstagabend auf den Weg. Gleich morgen früh, bevor der Wind ganz auf Ost dreht, wollen wir rüber ins Salzhaff nördlich von Poel. Aber heute müssen wir schon mal raus. Besonders ich. Nach 2 Tagen Berlin und einem Tag Hamburg muss etwas Ankerruhe her. Also fahren wir rüber zum Lichtturm und lassen wieder einmal den Anker hinter Flüggesand fallen.
vorm Lichtturm
54° 26′ 22,5″ N, 11° 02′ 35,0″ E
Sonntag:
Sonntag früh sputen wir uns ? und brechen schon in aller Herrgottsfrühe so gegen 11:00 ? auf, denn irgendwann ab Mittag soll der Wind ja von Nordost auf Ost drehen. Als wir aufbrechen, ist aber noch viel mehr Nord als Ost in dem Nordost. Total knirschig und hart am Wind quängeln wir uns unter Segeln durch die Fehmarnsundbrücke. Mit den alten Segel hätte das so nicht gepasst. Obwohl man als Segler ja eigentlich weiß, dass neue Segel besser ziehen als alte Lappen, sind wir wieder völlig platt, wie groß der Unterschied ist.
Hinter der östlichen Ansteuerung der Fehmarnsundbrücke lassen wir’s laufen. Autopilot rein und Kurs etwas nördlicher als notwendig. Frei nach dem alten Seglermotto „Sammele Raum in der Zeit, so hast du Platz am Wind“ ?. Allerdings zahlt sich unsere Sammelleidenschaft nicht so richtig aus, denn dem Wind gefällt es im Nordosten viel besser als im Osten und er macht keinerlei Anstalten sich an die Vorhersage zu halten.
Fast über die ganze Lübecker Bucht liefern wir uns ein kleines Rennen mit einer alten, aber großen Halberg Rassy. Lange, ganz lange können wir uns nicht voneinander lösen, aber ganz allmählich machen wir dann doch den ein oder anderen Meter gut. Da Fahrtensegler von Natur aus tiefenentspannt sind und eigentlich gar nichts mit irgendwelchen Regatten am Hut haben, sondern den Autopiloten einschalten, ihr Ziel anvisieren und die Segel so hinzuppeln, dass alles ohne Falten und Flattern steht und es am Ende auch noch schön fährt, ohne dass sie flach auf dem Wasser liegen und sich wie ein Äffchen durch’s Schiff hangeln müssen, sondern lieber mal in Ruhe einen Schluck Tee trinken, um das Segelgeschehen entspannt zu betrachten, machen wir das heute auf unserem Weg ins Salzhaff mal genau so.
Auf der Halberg Rassy nebenan segelt offensichtlich ein ganz ähnliches Fahrtenseglergemüt. Hinter der östlichen Ansteuerung sehen wir nur mal kurz einen Kopf über der Sprayhood und dann ist es ja auch mal gut mit der ganzen Segelaufregung. Da auch von der Peter Pan und der Nils Holgerson der TT-Line weit und breit nichts zu sehen ist und uns auch das AIS an diesem Herbstsonntag kaum ein anderes Schiff anzeigt, gehen wir schnell zum gemütlichen Teil der Überfahrt über. Ab und zu läßt sich sogar mal die Sonne sehen und der beständige Nordnordost schiebt uns flott der Einfahrt zum Salzhaff entgegen. Als wir die Einfahrt dann direkt ansteuern, fällt die Halberg Rassy noch etwas weiter nach Süden ab, die wollen wohl eher nach Wismar.
Die Einfahrt zum Salzhaff ist wie immer etwas tricky. Es gibt nur eine schmale Einfahrtsrinne direkt unter der Landzunge. Die muss man gut treffen, der Rest ist zu flach. Im Dunkeln geht das gar nicht. Im Hellen kann man die Sände steuerbords gut sehen und backbord kommt man so dicht unter Land, dass man unwillkürlich wie paralysiert auf’s Echolot starrt. Aber genau dort, wo man eigentlich die Untiefen erwartet, weil man meint die Landzunge mit der Hand greifen zu können, kommen keine. Dort ist alles so um die 4 bis 5 Meter tief. Nur schon weiter draußen fällt das Echolot einmal kurz auf 3,0 m.
Dann sind wie drin, aber die Entspannung kommt noch nicht gleich zurück. Es ist hier zwar weitläufig gut 3,5 m tief, aber die Salzhaff-Fischer haben das Salzhaff in eine Art Fischerfähnchen-Igel verwandelt. Da bekommt das Wort »Seeigel« eine ganz neue Bedeutung ?! Ganz offensichtlich hat hier jeder einzelne Fisch sein eigenes exklusives Netz bekommen. Und weil die Fischer für diese Menge von Fähnchen nicht genug Stangen hatten, haben sie wohl die langen Stangen einfach halbiert und die ältesten Stofffetzen als Fähnchen daran festgebunden, die sie noch in ihrer Garage gefunden haben. Das gesamte Salzhaff ist gespickt mit 30 bis 40cm langen Stängchen, an denen etwas grau verblichenes flattert, was früher wohl mal ein echtes Fähnchen war.
Ganz langsam suchen wir uns einen Weg durch das Stachelkleid des Fischerfähnchen-Igels. Ein ums andere Mal stoppen wir auf und schauen ratlos nach einem Ausweg, bis endlich unser Anker vor dem nordöstlichen Ufer fällt.
im Salzhaff
54° 2′ 52,7“ N, 11° 34′ 17,8″ E
Montag:
Die Nacht zu Montag ist stockfinster. Eigentlich ist es ja nicht wirklich verwunderlich, dass es zu dieser Jahreszeit nachts dunkel ist. Hier ist es aber nicht nur dunkel. Kein Mond, keine Sterne und kein Lichtturm, der seinen Leuchtkegel rhythmisch über das Wasser gleiten lässt. Es ist einfach nur tiefschwarze, stockdunkle Nacht. Von den Häusern und dem Campingplatz am Ufer schimmern nur einige kleine Lichtlein zaghaft zu uns herüber und auch Wismar leuchtet nur sehr schüchtern über den Horizont. Als ob diese schwarze Nacht dem Licht Angst macht. Wie ein schwarzes Loch scheint sie das Licht einfach so herunterzuschlingen, ohne auch nur einmal ein dunkel grummelndes Bäuerchen zu machen. Wir sind vollkommen allein und eingehüllt in das dunkle Schwarzschwarz dieser stockfinsteren Nacht. Es ist erstaunlich, wie groß der Unterschied zu anderen Nächten ist. Bei einer klaren Vollmondnacht kann man fast lesen, hier sieht man seine Hand vor Augen nicht mehr. Um uns herum hört man das quakende Gequatsche der Wildgänse, die irgendwo dort draußen auf dem Wasser treiben und wohl ganz froh sind, dass sie ihren Nachbarn wenigstens noch hören. Von den vielen Schwänen hört man gar nichts, denen hat es wohl die Sprache verschlagen.
Wenn man so gar nichts sieht, dann ist das schon etwas beklemmend. Mitten in der Nacht schaue ich mir dieses schwarze Nichts eine ganze Weile an. Es ist schön, die Welt auch mal so anders zu sehen. Dann krabbele ich wieder zurück in die Koje zu Astrid.
Der Morgen empfängt uns zeitig mit einem Wolken-Sonne-Mix. Der Ost ist immer noch ein Nordost und weht leicht bis lustlos vor sich hin. Die Wolkenlücken werden größer und wir freuen uns auf eine ruhige Überfahrt. Hoffentlich schläft der Wind nicht ganz ein. Als Astrid Sonnencreme auflegt, umgibt die PINCOYA gleich der zarte Hauch einer Sommerurlaubsaura. Die macht uns das Aufbrechen noch etwas schwerer.
Aus dem Salzhaff fahren wir wieder einfach genau auf demselben Track heraus, auf dem wir gestern auch gekommen sind und den wir, fuchsig wie wir sind, aufgezeichnet haben. So müssen wir uns keinen neuen Weg durch das Stachelkleid des Fischerfähnchen-Igels suchen. Es ist T-Shirt-Wetter. Nur vor Groß fahren wir langsam der Lübecker Bucht entgegen. Das kann heute etwas dauern, wir machen gerade mal schlappe 3 kn, aber na ja, dann kommen wir halt im Dunkeln in HHafen an, haben aber einen entspannten Segeltag und können noch etwas von der Sonnencreme 2017 aufbrauchen.
Wenige hundert Meter hinter der Ausfahrt aus dem Salzhaff wird’s schaukelig. Hmm… uns ist nicht ganz klar, woher hier nun all diese Wellen kommen. Als erstes fliegt mein Takelzeug auf den Cockpitboden und als ich mich umsehe, tragen erstaunlich viele Wellen kleine weiße Schaumkronen. Ich muss mich festhalten, das ist irgendwie wohl doch nicht das richtige Wetter für Takelarbeiten. Wenige Augenblick später liegen wir auch schon ordentlich auf der Backe. Schnell verstaut Astrid unter Deck alle lose herumliegenden Sachen. Ich mache oben mal etwas Ordnung und hole die Backstagen raus, die natürlich nicht angeschlagen sind. Zur Ansteuerung nach Fehmarn müssen wir noch etwas höher ran. Unsere Blicke treffen sich und beide sagen dasselbe: „Ja genau, Genua reffen, aber wo zum Teufel kommt denn jetzt dieser Scheiß her?“
Auch die Sonne schämt sich, da werden wir wohl noch ausreichend Sonnencreme mit in die nächste Saison nehmen können. Nach dem 2ten Reff in der Genua kommt auch gleich das 1te Reff im Groß. Inzwischen pusten uns muntere 20 kn aus Nordnordost nach Nordnordwest. Wir haben immer noch zu viel Segel oben. Und natürlich hat der Schiffsjunge wieder nur eine Jeans und ein T-Shirt unter der Schwimmweste an, als er schnell noch die natürlich nicht angeschlagenen Backstagen anschlägt. Aber diesmal hat er Glück, denn keine Welle kommt vorbei und duscht ihn. Kaum sind die Backstagen dran, drehen wir die Genua weg und setzen die Fock. So geht es, so passen die Segel zum Wind.
Wir schauen uns um? Überall tanzen lustige kleine Schaumkronen auf den Wellen und der Wind schiebt mit seinen 20 kn eine ordentliche Windsee aus Nordost in die Lübecker Bucht. Wie kann das sein, im Salzhaff war so wenig Wind, dass wir schon fürchteten, nach HHafen motoren zu müssen und nun rauschen wir mit fast 8 kn voll und bei durch die immer höher werdenden Wellen. Segeln ist schon eine merkwürdige Sache, aber gut, jetzt passt es, das wird ein schneller, aber ruppiger Ritt zurück.
Der Wind pendelt sich so zwischen 5 und 6 Beaufort ein. Das erste Reff im Groß und die Starkwindfock passen auf diesem Kurs gut dazu. Etwas unangenehm sind die Wellen. Die laufen mit dem Nordost genau quer zu uns ein und erreichen mitunter recht erstaunliche Höhen. Als uns eine Welle richtig auf die Seite legt und nicht mehr viel fehlt, dass wir die Seereeling durchs Wasser ziehen, holen wir die Lifebelts raus und picken uns im Cockpit ein. Der Autopilot macht seinen Dienst bestens, die letzten Einstellungen haben es gebracht! Während der Autopilot so schön autopilotiert, kann man eingepickt im Cockpit auch mal etwas vor sich hin dösen und ist trotzdem auf der sicheren Seite.
Wenn sich die Wellen ungünstig brechen, schafft es der ein oder andere Spritzer schon bis ins Cockpit. Im Großen und Ganzen flügen wir aber recht ausgewogen durch die Wellen. Doch dann passiert’s. Im Augenwinkel sehe ich, wie sich Astrid wortlos hinter der Sprayhood wegduckt. Unwillkürlich drehe ich mich nach Luv und empfange die Welle offenherzig wie einen alten Freund. Die Welle, deren Schaumkrone ich nun so herzlich begrüße, ist genau auf Höhe des Cockpits gegen die Bordwand gebrochen und hat dabei nicht nur ihre Schaumkrone, sondern auch einen beachtlichen Teil ihre Kopfes verloren. Was den Kopf nebst Schaumkrone ebenso schnell emporschnellen läßt, wie Astrid unter der Sprayhood verschwindet.
Während ich mich noch frage, warum es eigentlich immer mich trifft und warum nicht auch mal Astrid und wieso wir ein Triefnassverhältnis von 1:10 zu meinen Ungunsten haben, obwohl wir ja beide eigentlich gleichberechtigt an Bord sind, obwohl ich ja Schiffsjunge bin und Astrid Capitana ist, womit ja theoretisch immerhin eine fifty-fifty-Chance verbunden sein könnte, wenn das Schicksal auch nur etwas von Mathematik verstehen würde, höre ich Astrid sagen: „Äh…sorry… die war irgendwie einfach zu schnell.“
Mit einigen kurzen Rülpsern verschwindet der Wellenkopf mitsamt seiner derangierten Schaumkrone in den Cockpitgullis. Na ja – wenigstens die Teile der Welle verschwinden, die sich nicht in meinem Sachen festgesaugt haben. Wieder einmal stapfe ich tropfnass unter Deck, um mich trocken zu legen.
Schon gegen 16:30 machen wir in unserer Heimatbox fest. Das war ein schneller, ruppiger und für ein Crewmitglied auch recht feuchter Ritt zurück.
zurück in Heiligenhafen / Ortmühle in unserer (Noch-)Heimatbox
54° 22′ 20,4″ N, 11° 00′ 15,7″ E