Die Zeit sitzt uns im Nacken


Anfang Februar dachten wir, dass wir hart sind, während uns andere schon für vollkommen bekloppt hielten. Da war es schon kalt, aber dieses Wochenende stellt mit seinen -10° nachts- und -5 tagsüber wirklich alles in den Schatten, was wir bisher an Bastelblödsinn veranstaltet haben. Natürlich herrscht nun auch in der Halle knackiger Dauerfrost und alles, was wir Anfang Februar zum Winterbasteln geschrieben haben, ist reiner Kinderkram zu dem, was uns dieses Wochenende hier erwartet.

 

„Arschkalt, aber toll sieht’s schon aus.“

„Arschkalt, aber toll sieht’s schon aus.“

Wir müssen wirklich bekloppt sein! Und wir sind natürlich auch die einzigen Bekloppten.
Warum tun wir uns das eigentlich an? Dies ist eine schlaue Frage, obwohl sie ja ehrlich gesagt schon ziemlich direkt auf der Hand liegt. Nicht nur einmal stellen sogar wir uns diese Frage selbst, aber immer wieder kommt dieselbe Antwort. – Die Zeit. – Die Zeit sitzt uns verdammt doll im Nacken. Zuviel ist bis jetzt schief gegangen oder wurde wegen neuer Probleme nicht fertig und nun sind unsere Restbastelmöglichkeiten auf dieses und ein nächstes Wochenende geschrumpft. Ein allerletztes Bastelwochenende wäre dann noch in Reserve da, aber Reserve ist eben Reserve und die planen wir nur in der allergrößten Not ein, wenn es denn gar nicht mehr anders geht.

 

„Für unseren Krantermin in 3 Wochen hätte wir es schon noch gerne etwas anders.“

„Für unseren Krantermin in 3 Wochen hätte wir es schon noch gerne etwas anders.“

Die dicksten Brocken sind aktuell die Elektronik und der Autopilot. Beides ist noch nicht fertig. Und zu beiden haben wir nun zwar Ersatzteile und Lösungsideen, aber es steht eben in den Sternen, ob wir damit nun endlich Erfolg haben. Und selbst, wenn an diesem Wochenende alles auf Anhieb funktioniert, dann muss ja auch noch alles wieder zusammengebaut werden. Das ist auch nochmal viel Arbeit. Und dann sind da auch noch die normalen Winterarbeiten, Polieren, Antifouling usw, mit denen haben wir noch nicht einmal wirklich begonnen.

 

„Nach 12 Stunden in der Halle geht es auch mit dem Teekochen nicht mehr so flüssig.?“

„Nach 12 Stunden in der Halle geht es auch mit dem Teekochen nicht mehr so flüssig.?“

So beginnen wir mit dem neuen, als Ersatz gelieferten Windgeber und sofort zeigt sich wieder derselbe Fehler. Keine Veränderung! Ist der Windgeber im NMEA-Netz, geht nichts mehr, nehmen wir ihn raus, ist alles ok. Was für eine bodenlose, abgrundtiefe, unbeschreibliche Sch…, ich könnte …. nein …, nein lieber nicht. – Codewort Codewort Codewort … »Bastelbesinnung«!
Nun sind wir mit unserem Latein wirklich am Ende. Eine Mischung aus Wut, Frust und Verzweiflung steigt in mir auf. Bleibt nur noch das Mastkabel. Aber wo kriegen wir jetzt ein neues Mastkabel her. Freitag 12:15 und Fehmarn sind keine guten Voraussetzungen zur Lösung solcher Probleme. Nicht hier und nicht in einer Region, in der bisher nur Famila und Edeka bemerkt haben, dass sich seit den Siebzigern in Deutschland etwas bei den Ladenöffnungszeiten verändert hat. Die Yachtelektroniker in dieser Gegend gehen entweder gar nicht erst ans Telefon, sind überfragt oder wissen wenigstens, dass es Mastkabel gibt, aber auch, dass sie das erst bei B&G bestellen müssen. Letzte Rettung ist Busse in Kiel. Der Typ am Telefon verschwindet auch direkt in seinem Lager und kommt mit der guten „Hab-eins-hier!-Botschaft“ zurück. Also Kiel! 1:15 hin, 1:15 zurück und zwischendrin einen neuen Decksdurchlass aussuchen. Inzwischen habe ich nämlich den Deckstecker in Verdacht, obwohl der mit anderen Geräten oder einem Endwiderstand auf der Außenseite funktioniert. Aber…. man weiß ja nie.
Gegen 15:00 bin ich zurück. Neues Kabel dran, Windsensor dran, …., immer noch derselbe Fehler. Ich muss mich setzen. Ich könnte schreien, aber es ist viel zu kalt, und ehrlich gesagt geben meine Nerven jetzt auch noch nicht einmal mehr Wutschreie her.

 

„Tolle Winterperspektiven, aber auch beim Photographieren fallen einem die Finger nach 5 Minuten ab.“

„Tolle Winterperspektiven, aber auch beim Photographieren fallen einem die Finger nach 5 Minuten ab.“

So langsam werde ich nervös und sehe unseren Abfahrtstermin schwinden. Astrid sagt, dass wir ja auch ne Woche später fahren können. Ja, können wir, aber wir müssen auch diesen blöden Fehler finden, da hilft nichts, auch nicht eine Woche mehr. Und ich habe keine Idee mehr, überhaupt keine Idee! Was machen wir bloß falsch? Und irgendetwas muss falsch sein, denn sonst würde es ja gehen. Aber was? Ohne Windgeber geht so eine Tour, die wir dieses Jahr vorhaben, gar nicht. Und dann ist da auch noch meine Bastelehre. Hört sich blöd an, aber ich kann das nicht einfach so hinnehmen. Nicht so eine Schmach von so einem blöden Windgeber!
Wir telefonieren mit Herrn Enßlin, dort haben wir alles gekauft und er hat uns auch sofort den alten, vermeintlich defekten Windgeber ausgetauscht. Unsere Fehlersituation ist: – Alles ist solange gut, bis der Windgeber, der ja selbst auch Endwiderstand ist, an dem einen Ende des NMEA-Netzwerks ins Netz kommt. Dann bricht das ganze Netz zusammen und es gibt nur noch Tx- und Rx-Errors. – Dass der zweite Windgeber nun auch defekt ist, ist mehr als unwahrscheinlich. Herr Enßlin meint, dass NMEA-Netzwerke schon etwas mimosenhaft sein können und wir vielleicht mal alles neu zusammenstecken sollten. »Neu zusammenstecken?« Ich werde wahnsinnig. Jetzt das ganze Zeugs wieder auseinander fummeln? Alles? Niemals! …, aber … was bleibt uns anderes über, das ist unsere allerletzte Chance. Draußen -10°, in der Halle -5° und im Schiff mit Heizlüfter um die Null. Keine guten Rahmenbedingungen für Fummelarbeiten und angeschlagene Gemütszustände.

Also beginnen wir in der Navigation und basteln uns ein Mini-NMEA-Netzwerk mit nur einer Anzeige, der Stromversorgung und 2 Endwiderständen. Das geht schon mal auf Anhieb, aber in diesem Netzwerk wird ja auch nicht so richtig viel kommuniziert, denn die Anzeige ist ja allein und hat niemanden zum Quatschen. Dann stecken wir auf der einen Seite den Windsensor statt des Endwiderstandes dran und …. es geht!!! Hammer, es geht!! Wir sehen zwar keinen Wind, aber wir sehen, dass wir Wind sehen könnten, wenn denn einer pustet. Also pusten wir. Und wenn wir pusten, sehen wir auch Wind. Oberhammer!

 

„ES GEHT!!!!!!“

„ES GEHT!!!!!!“

Aber wo steckt nun der wirkliche Fehler. Gerät für Gerät nehmen wir ins Netzwerk. Gott sei Dank geht das ja an den NMEA-Verteilern recht einfach. Auftrennen und Endwiderstand rein. So wandern die Endwiderstände nach und nach in Richtung der bisherigen Enden des Backbones. Alles funktioniert, bis wir zu einer Tritonanzeige kommen. Und schwupps ist der alte Fehler wieder da. Anzeige raus, alles gut, Anzeige rein, Fehler. – Da brat mir doch einen nen Storch. – Neues Kabel zur Anzeige, Anzeige rein, immer noch alles gut. Rest angeschlossen, immer noch alles gut. Hammer, das Kabels der Tritonanzeige im Cockpit ist der Übeltäter. Im Cockpit! Nix mit Mast und Windgeber! An den Tritonanzeigen im Cockpit mussten wir rechtwinklige Stecker neu einbauen, weil es sonst nicht gepasst hätte. Und in einem dieser Stecker finden wir dann auch tatsächlich den Fehler.
Den kann man nur mit einer Lupe sehen und auch nur, wenn man den rechtwinkligen Kabelverlauf ohne Steckergehäuse nachvollzieht. Genau dann piksen 2 oder 3 kleine Drähtchen der Abschirmung gegen den mittleren Pol des NMEA-Steckers, also CAN-L, eine der Datenleitungen. Ohne das lange Kabel zum Windgeber ging das wohl alles gerade noch gut, der Windgeber und vor allem das lange Mastkabel, haben dann die gesamte Netzwerkkommunikation aus der Kurve fliegen lassen.

Super erleichtert fahren wir Freitagabend vollkommen tiefgefroren ins Hotel. Irgendwie geht nun bei uns gar nichts mehr, noch nicht einmal die Sauna.

 

„Abendstimmung on the rocks.“

„Abendstimmung on the rocks.“

Der Samstag vergeht damit, den Windgeber schlussendlich im Masttop zu montieren, alle Kabel ordentlich zu verlegen und alles wieder richtig zusammenzubauen.
Dann kommt der Autopilot und die Endmontage des Gelenkkopfes am Ruderquadranten an die Reihe. Dort ist wirklich nicht viel Platz und die entscheidenden Details kann man sowieso nur mit einem Rasierspiegel einsehen. Oben kommt man noch mit beiden Händen dran, weiter unten muss alles mit einer Hand und der Akrobatik von fünf Fingern gehen. Bei normalen Temperaturen ist das schon kein Spaß, aber bei -3° in der Backkiste ist das ziemlich dicht an der Höchststrafe. Unzählige Mal fallen Muttern, Schrauben und Unterlegscheiben aus meinen klammen Fingern nach ganz unten und müssen erst mühsam mit einem Greifer wieder herausgefischt werden. Aber am Samstagabend ist auch diese Baustelle erledigt und der Hydraulikzylinder sitzt richtig am Ruderquadranten und kann nun auch nicht mehr klackern.
Astrid hat derweil den Rumpf fast fertig poliert. Wir gönnen uns um 17:00 einen frühen Feierabend, setzen uns ausgiebig in die Sauna und belohnen uns mit einem riesigen Berg heißer Nudeln und einer guten Flasche Rotwein.

 

„Wenn es nicht so kalt gewesen wäre, hätten wir noch länger geguckt.“

„Wenn es nicht so kalt gewesen wäre, hätten wir noch länger geguckt.“

Am Sonntag kommt dann noch die Steuerleitung für das Relais der Tröte. Gott sei Dank liegen auf dem Weg von Schaltpanel in der Navigation nach hinten zur Steuersäule und bis in die Backskiste schon überall Sorgleinen, so dass ich das Kabel recht schnell über die verstecken und verschlungenen Wege ziehen kann. Und nun kann auch die Tröte wunderbar tröten. Ganz zum Schluß bekommt noch unsere Bibliothek zwei Unterteilungen und Schlingerleisten. Dann sind wir fertig für dieses Wochenende und haben endlich einmal das Gefühl, unserem Bastelziel etwas näher gekommen zu sein.

 

„Unsere Bibliothek. Da sollte nichts mehr rausfallen.“

„Unsere Bibliothek. Da sollte nichts mehr rausfallen.“

Und hier unser neuer Tuuuuuuut! … man achte auf den Hall in der Halle!