Es hätte wirklich auch angenehmer sein können


Danzig -> Klaipeda Start: 15:55 (24.04.) Ende: 16:00 (25.04) Wind: WSW-SE-SSW 9 – 30 – 6 kn Distanz: 126,5 sm Gesamtdistanz: 477,0 sm

„von Danzig -> nach Klaipeda“

„von Danzig -> nach Klaipeda“

Nach dem Studium der Wettervorhersage entscheiden wir uns beim Frühstück, doch noch heute nach Litauen, also Klaipeda, aufzubrechen. Starten wir hier in der Altstadt von Danzig, hat die Strecke über den Daumen rund 130 sm. Damit haben wir in jedem Fall die nächste Nachtfahrt vor uns. Direkte Luftlinie wäre es etwas kürzer, aber wir müssen mit einem hübschen Bogen ja um die russische 12-Meilenzone herumfahren. Die Russen meinen das auch wirklich ernst mit ihrer 12-Meilenzone, nun ja, das ist ja auch ihr Hoheitsgebiet, also was soll’s? Um etwas Manövrierabstand zu haben, man weiß ja nie, was der Wind sich alles so einfallen läßt, setzen wir unseren Wegepunkt nochmal 5 sm weiter außerhalb. Da steht zwar auch „Russian EEZ“, aber das ist ja kein russisches Hoheitsgebiet, sondern nur die „exklusiv russische Wirtschaftszone“ in internationalen Gewässern. EEZ heißt „exclusiv economic zone“, so eine „Zone“ hat jeder Ostsee-Anrainer und so teilt sich die Ostsee nicht nur in Hoheits- und Internationales Gewässer auf, sondern eben auch in Wirtschaftszonen.

Mittags gehen wir noch einmal Essen, aber am Ende können wir nicht alle Zlotty wegessen und wegtrinken. Ein wirklich leckeres Essen bekommt man selbst in den exklusiven Restaurants direkt am Kran für 45 zl, also etwas mehr als 10 €. Deswegen sind wir nicht nur gestern Abend, sondern auch gleich heute Mittag noch einmal Essen gegangen.

„Es geht los.“

„Es geht los.“

So starten wir mit vollen Bauch genau um 15:55, 5 Minuten vor der nächsten Brückenöffnung. Eine Reisegruppe älterer, vielleicht auch deutscher Damen winkt uns von der Uferpromenade zu. Ich winke zurück und rufe „Huhu“! Sofort schallt uns ein mindestens fünfzig-stimmiges „Huhu-Huhu-Huuuhuuu“ entgegen. Es ist schon toll, was so ein kleines Huhu auslösen kann. Dann öffnet sich die Brücke und wir winken den Damen und Danzig noch einen letzten Abschiedsgruß.

Es ist etwas trübe und kalt und über Nacht soll es noch etwas mehr Wind geben, so bis 20 kn. Für die Nacht übermorgen ist mehr vorhergesagt, deswegen fahren wir auch jetzt. 20 kn reichen uns für eine Nachtfahrt.

„Kurs Ostsee durch die Hafenanlagen und vorbei an der Zeitkugel.“

„Kurs Ostsee durch die Hafenanlagen und vorbei an der Zeitkugel.“

Auf dem Leuchtturm im Danziger Stadtteil Nowy Port, befindet sich eine Zeitkugel. Bei der Einfahrt hatten wir zwar die Hafenmeisterei und den Leuchtturm auch schon photographiert, hatten aber keine Ahnung, dass wir die einzige noch in Betrieb befindliche Zeitkugel der Ostsee photographieren. Ja, es gibt sogar weltweit nur noch einen zweiten Zeitball, der auch noch in Betrieb ist und der steht bzw. hängt in Greenwich. Früher gab es von diesen Zeitbällen oder -kugeln noch einen in Kiel und einen in Karlskrona in Schweden. Die Kugel von Karlskrona steht nun im Maritime Museum und auf der Rückfahrt im September sehen wir uns die dort vielleicht mal aus der Nähe an. Über die Zeitkugel synchronisierten die Kapitäne ihre Schiffsuhren. Ein richtig gehender Chronometer war damals unabdingbar für die Navigation. In der Regel wurde das Zeitsignal um 13:00 Greenwich-Time gegeben. Die Kugel wurde „5 vor“ hochgezogen und exakt um voll fallengelassen. Das war zwar in erster Linie ein Sichtsignal, soll aber auch bei der metallenen Kugel einen hübsche Dong gemacht haben. Denn immerhin wiegt die Danziger Zeitkugel 75 kg, da sollte ein ordentlicher Dong schon drin sein. Gehört und gesehen haben wir das leider nicht, denn wir waren nie zum richtigen Zeitpunkt dort.

„Kurz hinter Hel kommt die Nacht.“

„Kurz hinter Hel kommt die Nacht.“

Die Danziger Bucht erwartet uns mit einem moderaten Westwind und wir bereiten uns für die Nacht vor. Mit einem gekonnten Sching-Schang-Schong-Sieg sichert sich Astrid die erste Nachtruhe und ich gewinne die erste Wache von 20 bis 23:00. Hinter Hel kommt langsam die Nacht. Es ist Halbmond und sternenklar. Das macht die Nacht kalt, aber auch nicht ganz so stockfinster, wie unter einer Wolkendecke. Ab Hel frischt es etwas auf, so können wir die letzten Verkehrstrennungsgebiete schnell hinter uns lassen. Die ein- und ausfahrende Großschifffahrt hält den Schiffsjungen aber noch ordentlich auf Trapp, während die Capitana schon mal etwas schlummert. Bzw. versucht zu schlummern, denn inzwischen fahren wir mit halben Wind schon deutlich über 7 kn, der Wind liegt bei 20 kn und die erstaunlich hohen Welle laufen genau quer ein, so dass wir uns immer wieder ordentlich auf die Seite legen. Das zweite Reff in der Genua hilft nur bedingt und der Wind dreht etwas auf SW. Also vor dem Wind mit schräg von hinten einlaufender See. Als wir dann den letzten Rest der Abdeckung von Hel hinter uns lassen, merkt man deutlich, was es bedeutet, wenn ein Wind aus West einige hundert Seemeilen Gelegenheit hat, Wellen zusammenzuschieben. Die Burschen sind erstaunlich hoch. Solche Burschen haben wir bisher nur in der Nordsee vor Norwegen gesehen, aber noch nie in der Ostsee.

In der letzten Dämmerung wecke ich Astrid, die ohnehin noch nicht richtig geschlafen hat. Schnell spulen wir unser eingespieltes Reffprogramm ab. Genua weg, Backstagen nach hinten, erstes Reff ins Groß, mal gucken, ach nee, gleich mal das Zweite auch, der Wind liegt in Böen inzwischen bei knapp unter 30 kn. Zurück auf Kurs. Der Wind kommt aus 160 Grad, die Fock steht nicht mehr. Schon gar nicht bei dieser Schaukelei. Also Fock wieder weg. Autopilot auf Windsteuerung, Groß im zweiten Reff auf, Bullenstander fest. Uns ist nicht gut, … uns ist wirklich nicht mehr gut. Wir gehen etwas dichter an die russische 12-Meilenzone. Wenn wir Halbwind fahren, laufen die Wellen genau quer ein und werfen uns alle paar Minuten voll auf die Seite, da ist es gut, wenn man auch im Cockpit eingepickt ist. Astrid tut, was in dieser Situation getan werden muss und mir geht es auch nur etwas besser. Dadurch, dass wir noch etwas abfallen, laufen die Wellen nun achterlicher ein. Es wirft uns nicht mehr voll auf die Seite, ist aber eben auch nicht gerade ein magenfreundlicher Kurs. Immer wieder brechen die hohen Wellen ins Heck hinein, wir haben zwar keinen Einsteiger, aber bedrohlich hört sich das schon an, wenn sich so eine Welle hinter einem bricht. Man hört nur, dass es gleich rumpelt, sieht aber seinen Gegener nicht.

„True wind“ bis 30 kn, Welle – ja ich weiß, alle Seglerangaben zu Wellenhöhen soll man ja bekannterweise durch 2 teilen – also Welle, sagen wir mal möglichst ehrlich, 3,0 Meter ?. Gefühlt natürlich mehr ?. In der Nacht brechen 2 oder 3 Wellen richtig in uns hinein. Das kracht unglaublich, haut uns auf die Seite und die Wellenkrone guckt über dem Sülbord mal nach dem Rechten bei uns. Dann denkt man unwillkürlich „Holla“, mehr davon brauchen wir jetzt aber wirklich nicht. Unser neuer Autopilot, der uns nun nach Windfahne auf Kurs hält ist absolut obergenial. Tapfer hält er Stunde um Stunde den Windwinkel, ohne dass ihn auch die höchste Welle nur annähernd aus dem Tritt bringen kann. Ein Segen, das kann man nicht oft genug sagen. Die Technik funktioniert, aber wieder einmal ist die Crew das schwächste Glied in der Kette ?.

Eine Lufttemperatur von 3° fühlt sich bei 25 kn Wind an wie – 5°. Es ist wirklich total sauarschkalt, ohne die neue Dieselheizung und den Autopiloten würde es gar nicht gehen. Aber unter Deck schaffen wir es auch nur kurz zum Aufwärmen, unsere Seebeine sind einfach noch nicht genug gewachsen.
So scheppern wir mit 6 bis 6,5 kn durch die Nacht und durch die Wellen. Mal kurz unter Deck und zu oft draußen. Angenehm ist wirklich anders und an Schlaf ist nicht zu denken. Wenn das hier bei 6 bis 7 Beaufort schon so zur Sache geht, dann möchten wir bei mehr in dieser Ecke der Ostsee ganz bestimmt nicht sein. Der Wind ist nicht das Problem, die Wellen sind das Problem.

Erst mit der Dämmerung, also nach gefühlten unendlichen 8 Stunden nimmt der Wind etwas ab. Es sind immer noch stehende 5 Beaufort, die einige 6er Böen dabei haben. Mit dem etwas abnehmenden Wind hören aber Wellen auf, sich zu brechen. Und wir fahren insgesamt ruhiger, aber weiter unruhig vor uns hin. Und wir bekommen nun auch abwechselnd mal 30 Minuten oder eine Stunde Schlaf. Boah, das war bis hierher schonmal eine Nummer, aber immer noch liegen gut 45 Seemeilen bis zur Ansteuerung von Klaipeda vor uns. Nachdem der Abzweig nach Kaliningrad hinter uns liegt und wir uns wieder von der russischen 12-Zone entfernen, sind wir vollkommen allein. Noch nicht einmal eines der russischen Kontrollboote ist mehr auf AIS noch zu sehen.

„Approaching Klaipeda, zum ersten Mal hissen wir die Litauische Gastlandflagge.“

„Approaching Klaipeda, zum ersten Mal hissen wir die Litauische Gastlandflagge.“

Gegen Mittag nimmt der Wind schnell ab und pendelt sich bei 10 kn ein. 10 kn Wind sind auf einem Vorwindkurs nicht eben viel und bei einem ordentlichen Restschwell definitiv zu wenig. Außerdem haben wir inzwischen doch auch schon etwas die Nase voll und wären wirklich nicht sehr böse, wenn wir dann doch endlich mal ankommen. Also nehmen wir um 12:00 die inzwischen schon wieder voll ausgerefften Segel weg und werfen 15 sm vor Klaipeda den Motor an. Es wird zunehmend diesig und ein leichter Nieselregen setzt ein. Unspektakulär erreichen wir die Einfahrt nach Klaipeda. Im Hafenhandbuch steht, dass ein Einlaufen bei stürmischen, westlichen Winden unmöglich ist. Vor der Einfahrt steht immer noch eine ordentliche Restwelle, die uns zusammen mit der Strömung und der hier aus dem Haff auslaufenden Memel noch recht beachtlich hin und her wirft. Das man hier bei auflandigen 6 bis 7 Beaufort gar nicht mehr heile reinkommt, wollen wir gerne glauben. Die Hafeneinfahrt selbst ist wohl auch aus gutem Grund nicht gerade üppig. An diesem Teil der Ostseeküste muss man eine wirklich gute Wetterplanung haben, sonst kann man nur draußen bleiben oder es geht schnell mal voll in die Hose. Alternativhäfen gibt es kaum bis gar nicht.

„Es schüttet…. teilweise wie aus Eimern.“

„Es schüttet…. teilweise wie aus Eimern.“

„Die Hafeneinfahrt ist nicht groß und trotz der eigentlich ruhigen Bedingungen, werden wir noch ordentlich durchgeschaukelt.“

„Die Hafeneinfahrt ist nicht groß und trotz der eigentlich ruhigen Bedingungen, werden wir noch ordentlich durchgeschaukelt.“

Kurz vor der Hafeneinfahrt beginnt es zu schütten. Schnell klappen wir unser Rainimi herunter und ziehen das Fensterchen zwischen Sprayhood und Rainimi ein. Das Rainimi und das Zwischenfensterchen sind die beste Erfindung nach der Bratkartoffel! Definitiv!!!
Im Hafen ruft uns die Lithuania Coast Guard auf 16. Woher, wieviele Personen und welche Nationalität? „Ok, thank you, but give us a call when you are leaving!“ Das war’s.

„Hafenarbeit! Zusammen mit dem Hafenmeister drehe ich die Brücke auf. Wir sind auch hier die einzigen und auch ersten Gäste. Der Hafenmeister war schon etwas überrascht, dass da wer aus Deutschland kommt.“

„Hafenarbeit! Zusammen mit dem Hafenmeister drehe ich die Brücke auf. Wir sind auch hier die einzigen und auch ersten Gäste. Der Hafenmeister war schon etwas überrascht, dass da wer aus Deutschland kommt.“

Im strömenden Regen erreichen wir den Yachthafen. Die kleine Brücke ist geschlossen, aber der Hafenmeister hat uns gesehen und kommt zu uns. Die alte handgetriebene Drehbrücke würde er uns öffnen, wenn ich mithelfe. Also los, zusammen drehen wir die Brücke im strömenden Regen auf und wir können einfahren. Idyllisch kann man den Hafen bis auf einige Quadratmeter an der Einfahrt nicht gerade nennen. Man liegt vis-à-vis an alten Werfteinrichtungen oder auf der anderen Seite an der Hauptstrasse. Von einer Burg ist im Alten Burghafen nicht mehr zu sehen, als ein grasbewachsener Erdwall. Vielleicht hat dort ja mal eine Burg gestanden.

Die Hafengebühr ist mit 22 € sehr üppig und orientiert sich definitiv nicht an der Ausstattung und dem Zustand der Hafenanlagen und Facilities. Eine solche Hafengebühr trägt wohl eher dem Umstand Rechnung, dass kaum einer, der hier unterwegs ist, an diesem Hafen vorbeikommt.

„In Klaipeda und nach einem ersten Erholungsschlaf kommt tatsächlich auch etwas Sonne heraus.“

„In Klaipeda und nach einem ersten Erholungsschlaf kommt tatsächlich auch etwas Sonne heraus.“

in Klaipeda
55° 42′ 21,4″ N, 21° 07′ 34,8″ E