In Hel scheitern wir mit ganzer Macht an unserer polnischen Sprachbarriere. Zuerst scheitern wir mehrmals kläglich an der Bewachungsdame der sanitären Anlagen des Yachthafens und dann an den vielleicht in Polen ja durchaus üblichen Gepflogenheiten in Sachen Hafengebühren.
Erst mit einem Zettel, auf dem die Worte stehen: „Ja zeglarz od niemienski statek!“, gelingt es mir am Sonntagmorgen, den Toilettenwachhund zu überwinden. Erst dachte ich schon, dass der Weg zur erlösenden Toilette früh um 8:00 noch frei ist, aber dann springt sie mir doch aus einer windgeschützten Ecke entgegen und ich kann sie nur mit meinem magischen Zettel besänftigen, so wie man mit einer Knoblauchzehe ja auch Vampire in die Flucht schlagen kann. So ist nun der Weg frei zu den Toiletten und ich kehre mit einem Sieg nach Punkten und im doppelten Sinne erleichtert auf die PINCOYA zurück.
Um 10:30 klopft es. Der Kollege des Hafenmeisters von gestern steht auf dem Steg und will die Hafengebühr. Siegessicher erzähle ich ihm, dass wir schon bezahlt haben. „Nie!“ Ok, immer noch siegessicher krame ich die Quittung von gestern hervor und erkläre, dass gestern Abend der Kollega schon Zlotty bekommen hat. „Nie, nie!“ Irgendwie kommen wir nicht weiter. Der Hafenmeister ist inzwischen auch etwas ungehalten und schnappt sich irgendeinen Touristen auf der Mole und fragt den, ob der Englisch oder Deutsch kann und ich muss die Klappe halten. „Momenta Kollega, nie nie nie!!!“ Offensichtlich darf man bei diesem Hafenmeister nicht zu viele Widerworte haben. Ok, der junge, englisch sprechende Pole erklärt mir, dass man hier immer für 24h bezahlt und wir schließlich gestern um 6:30 eingelaufen sind und deswegen nun für die nächsten 24h zahlen müssen. Und nun verstehe ich auch, warum der erste Hafenmeister gestern immer etwas von „two days“ sagte, da ich aber von den folgenden polnischen Erklärungen nichts weiter verstanden habe, habe ich immer nur gesagt: „Niet, only one Nacht!“ Ohne etwas Landessprache oder wenigstens etwas Englisch, ist es wirklich ziemlich schwierig. Mit dem Hafenmeister befreunde ich mich hinterher wieder und die nächsten 60 Zlotty wechseln ihren Besitzer. Ich sag „Dziekuje!“, er sagt „Danke!“ und Astrid sagt „Wat?“ ?
Hel -> Gdansk Start: 11:15 Ende: 15:15 Wind: NW 10 kn Distanz: 17,8 sm Gesamtdistanz: 350,5 sm
So können wir uns noch etwas Zeit lassen und brechen dann in aller Ruhe auf. Von und nach Gdansk und Gdynia ist einiges an Großschifffahrt unterwegs. Auch eine kleine Handvoll Freizeitskipper nutzen das phantastische Wetter schon mal, um ihre Boote auszuführen.
Aber obwohl die Sonne alles gibt, ist es auf dem Wasser gleich wieder saukalt. Vor der Einfahrt von Danzig verläßt uns der Wind und wir legen nach und nach einige Schichten unserer vollen Wintermontur wieder ab. Es ist zwar auch an Land nicht hochsommerlich warm, aber die Polen scheinen da andere Gene zu haben. Fast alle Männer laufen in kurzen Hosen herum und auch die Damen machen eher einen auf Hochsommer als auf erster zarter Frühlingstag.
Wir hören Kanal 14, so wie es im Hafenhandbuch steht, aber niemand interessiert sich für uns. Am Ende sind wir auch die Einzigen, die in den Arm der Mottlau nach Danzig einlaufen. Alle anderen, egal ob Großschifffahrt oder Privatboote, sind schon rechts und links in die anderen Häfen abgebogen.
Vor der Westerplatte dippen wir die Nationale. Hier hat der zweite Weltkrieg mit dem Angriff der Deutschen auf das Munitionslager der Polen begonnen. Das wuchtige Denkmal ist nicht zu übersehen. Das Danziger Hafengebiet ist riesig und von hier bis in die Altstadt sind es nochmal gut 5 Seemeilen.
Von der Tatsache, das man hier auf der Mottlau fährt, ist nichts zu merken. Rechts und links drängen sich die Hafenanlagen. Teilweise sind sie noch in Betrieb, aber viele verfallen auch einfach so vor sich hin, weil sie nicht mehr genutzt werden. Die große Zeit der Stadthäfen ist auch in Danzig vorbei und je näher wir der Innenstadt kommen, desto mehr neue Hafencity Wohnanlagen säumen auch hier die Ufer. Die echte Großschifffahrt ist in den heute außenliegenden Teil des Danziger Hafen oder nach Gdynia ausgewichen.
Kurz nach dem Passieren der Westerplatte kommen wir an der ehemaligen Danziger Lenin Werft vorbei. Obwohl diese Werft schon lange nicht mehr so groß ist, wie sie früher einmal war, ist sie immer noch gigantisch.
Hier begannen 1980 mit der Gründung der Solidarnosc die dramatischen Veränderungen, die zum Zerfall der Sowjetunion und am Ende zur Wiedervereinigung Deutschlands führen sollten. Danzig ist schon eine einzigartige Stadt. Mit der Westerplatte und der ehemaligen Lenin Werft liegen sich hier zwei historische Orte wie geschichtliche Antipode direkt gegenüber. Zweimal war Danzig der Geburtsort von Ereignissen, die Europa und die Welt vollkommen umgekrempelt haben.
Die Tragweite wird uns erst so richtig klar, als wir mitten durch diese Ereignisse fahren. Da die Streiks auf der Lenin Werft und die Gründung der Solidarnosc ja Ereignisse unserer Generation sind und nicht die Geschichte einer früheren Generation, über die man etwas liest oder in der Schule lernt, fasst uns die direkte Vorbeifahrt an diesem Ort der Geschichte schon mehr an. Die Bilder des Streiks und von Lech Walesa, Tadeusz Mazowiecki und dem dunkel bebrillten Jaruzelski, der wie die kalte Hand der kommunistischen Diktatur noch einmal mit den Kriegsrecht die Macht ergreift, sind noch in unseren Köpfen. Das macht an dieser Stelle doch einen großen Unterschied, denn es ist sozusagen unsere Geschichte, an der wir hier jetzt vorbeifahren.
Wenn man als Segler in fremde Häfen einläuft, ist man sich ja doch immer etwas unsicher über die Gepflogenheiten und notwendigen Regularien, die von einem erwartet werden. Das hat nur bedingt etwas mit dem alten Ostblock zu tun, in England soll man sich ja auch immer über Funk im Hafen anmelden. Also lauschen wir auf Kanal 14, was die anderen so machen, da es aber keine anderen gibt, ist das natürlich etwas sinnfrei, aber man hat das gute Gefühl, etwas getan zu haben. Irgendwann kommt uns ein Kontrollboot der Hafenmeisterei entgegen. Wir winken uns freundlich zu, das Kontrollboot wendet und begleitet uns gut eine Seemeile stadteinwärts. Keine Kontrolle, kein Funken, kein gar nichts. Auch gut. Dann drehen sie wieder ab.
Auf dem Weg zum Yachthafen in der Altstadt gibt es eine Fußgängerbrücke und wir haben weder im Internet noch in irgendeinem Hafenhandbuch oder Revierführer irgendetwas darüber gefunden. In der Karte ist sie eingezeichnet, aber wenn keiner etwas darüber schreibt, dann ist vielleicht die Karte auch falsch oder die Brücke löst sich sofort bei dem ersten Erscheinen eines Schiffes einfach in Luft auf. Als wir in den Flusslauf zur Altstadt einbiegen, versperrt uns tatsächlich diese Fußgängerbrücke den Weg, macht aber keinerlei Anstalten, sich in Luft aufzulösen. Unsere Karten sind also aktuell, dann sind vielleicht unsere Hafenhandbücher doch etwas alt, denn die Bücke sieht auch ziemlich modern aus.
Und es gibt auch einen Brückenwärter, der auf Kanal 15 hört und uns erklärt, dass die Brücke in 10 Minute, also um 15 Uhr öffnet. Und später finden wir heraus, dass die Brücke immer zur vollen Stunde für 30 Minuten öffnet. Außer zwischen 24:00 und 7:00. Warum diese Info nirgends zu finden ist, verstehen wir nicht.
Im Danziger Yachthafen sind alle Gastliegeplätze frei, auch hier sind wir die ersten Gäste. So können wir uns einen der schönsten Plätze aussuchen, die dieser Yachthafen hat, direkt vis-à-vis des historischen Krans. Die Hafengebühr ist eher ein Witz, 12 zl pro Tag und alles ist inklusive, egal wie lang das Schiff ist. Also rund 4 € pro Tag, es ist noch Wintersaison und erst ab Mai wird’s teurer.
in Danzig
54° 21′ 0,6″ N, 18° 39′ 34,3″ E