In Haapsalu herrscht Saisonaufbruchsstimmung. Man hat fast das Gefühl, dass die Esten immer noch etwas ungläubig ihre Schiffe ins Wasser setzen und nur zögerlich ihren ganzen Segelkram auf die Stege schleppen. In Haapsalu gibt es 3 Marinas und in zweien davon steht ein mehr oder weniger vertrauenserweckender Autokran, der ab und an das ein oder andere Schiff ins Wasser setzt.
Das Wetter ist fantastisch und sie Sonne gibt wieder einmal alles. Was haben wir nur für ein unverschämtes Glück! Noch am Mittwochabend drehen wir eine kleine Sightseeing-Runde in Richtung Haapsalu-City und sind total überrascht von den vielen hübschen Holzhäusern. Weit kommen wir am Mittwoch nicht mehr, nur eine kleine Runde, aber morgen müssen wir ja sowieso mal wieder einen Supermarkt suchen und dann sehen wir uns Haapsalu gleich mal richtig an.
Die Hafengebühr ist zwar auch hier mit 30€ üppig, aber es ist alles inklusive. Sauna, Waschmaschine und die Duschen sowieso. Die Sauna lassen wir aus, wenn man den ganzen Tag in der Sonne gesessen hat, dann ist das Bedürfnis nach Sauna nicht mehr ganz so groß. Was hätten wir aber in den ersten 3 Wochen für einen Saunaabend gegeben! Aber nun ist ja Sommer. Doch die Waschmaschine muss ran. Nach rund 5 Wochen muss nun auch mal Waschtag sein.
Nachdem morgens dann auch die zweite Maschinenladung auf der PINCOYA im Wind vor sich hin trocknet, ziehen wir mit unserem Einkaufstrolli los. So wie Mutti früher zum Wochenmarkt, nur unser Marktroller hat keine karierte Stofftasche, sondern ist eine ausklappbare Plastikkiste mit Griff und Rollen. Marke „Aldi einfach“, aber sehr praktisch.
Je weiter wir nach Haapsalu reinkommen, desto netter wird es. Fast alle Holzhäuser sind hübsch renoviert und frisch gestrichen und einige erwecken den Eindruck, dass dort richtig Geld drinsteckt. Es wird auch neu gebaut und diese Neubauten sehen auch nicht gerade ärmlich aus. Von Haapsalu nach Tallinn sind es noch gute 100 km, so richtig kann das hier auch noch nicht der Speckgürtel von Tallinn sein. Aber Haapsalu geht es offensichtlich nicht schlecht und es riecht hier irgendwie verdächtigt nach Urlaubsort und Erholung, obwohl wir nur ganz wenige Leute sehen, die wie wir nach Touristen aussehen. Aber vielleicht kommt der Andrang ja noch, der Sommer hat ja nicht nur uns überrascht.
Auf dem Weg zum Supermarkt biegen wir zur Burg ab. Eigentlich ist es eine Burgruine, nur der Turm, ein windschiefer Schornstein und die kleine Kathedrale stehen noch. Na ja – und natürlich die Burgmauern und der Burgwall. Teile des Burginnenhofes sind gesperrt. Dort setzt man noch die Steinteile des XXL-Burg-Puzzles wieder zusammen. Eingestürzte und einsturzgefährdete Mauern werden vorsichtig abgetragen, die Steine sortiert, um sie dann nach alten Plänen wieder zusammenzusetzen.
In uns kommt ein richtiges Urlaubs-Touri-Gefühl auf und wir laufen kreuz und quer um und durch die Burg und nähern uns nur langsam unserem eigentlichen Supermarkt-Ziel. Aber irgendwann erreichen wir auch den Supermarkt, um uns dann vollbepackt wieder auf den Rückweg zu machen. Diesmal haben wir zielsicher zwei 6er-Packs Wasser gekauft. Zielsicher deswegen, weil wir lange nach dem Mineralwasser mit dem niedrigsten Natriumgehalt gesucht haben. Irgendwie scheinen alle Balten salziges Mineralwasser zu lieben. Der Natriumgehalt liegt teilweise bei 2000 mg/Liter. Das geht für unsere Geschmacksnerven gar nicht! Da kann man gerade mal noch Brot mit backen, aber so viel Brotbackmischungen haben wir gar nicht, um 6 x 1,5 Liter zu verbacken. Nun haben wir als Kompromiss 12 Flaschen mit einem Natriumgehalt von 600 mg/l. Das ist auch schon noch recht gewöhnungsbedürftig, aber wenn man etwas Traubensaft dazu mischt, bekommt man ein Getränk, das recht eigenwillig schmeckt, aber das noch trinkbar ist.
Auf halber Strecke verschnaufen wir erst einmal in einem Strassencafé. Das Leben könnte härter sein ?, aber 12 1,5 Literflaschen Wasser sind eben auch in einem modernen Markttrolli kein Pappenstiel. Haapsalu ist wirklich ruhig und beschaulich. Die ersten Sommergefühle entspannen die Menschen. Man kann förmlich fühlen, wie jeder diese Stimmung genießt, die Seele baumeln läßt und einfach nur so in den Tag hinein dieses Sommergefühl in sich aufnimmt. In der Hochsaison ist hier sicher mehr los, aber jetzt, hier und heute ist das genau so, wir wie es gerne mögen. Da bestellen wir doch gleich nochmal ein zweites Bier und bleiben einfach mitten in dieser Stimmung sitzen und lassen uns davon gefangen nehmen.
Und apropos Bier, die Litauer, die Letten und auch die Esten brauen wirklich leckeres Bier. Und dafür nehmen sie ganz sicher nicht dieses salzige Mineralwasser, was man mit etwas Kohlensäure in jedem Supermarkt an ahnungslose Touristen verkauft. Es muss also ordentliches Mineralwasser geben! Vielleicht mögen die Balten aber tatsächlich doch dieses salzige Mineralwasser? Oder trinken alle hier nur deswegen so gerne Bier, weil es nur salziges Mineralwasser gibt? Wir werden mal sehen, ob wir diese entscheidende Frage nicht doch noch klären können.
Als wir zur PINCOYA zurückkommen, merken wir, dass es ziemlich aufgefrischt hat. In der Stadt hat man das gar nicht so gemerkt. Irgendwie fehlen ein Bügel mit einem T-Shirt und ein paar Socken. Der Rest der Wäsche flattert heftig. Nun ja, da haben sich die Socken und das T-Shirt wohl zusammen mit dem Bügel ins Hafenbecken gestürzt. Im Westen zeigen sich einige Wolken, die wir aber einfach mal ignorieren. Vielleicht hilft das ja.
Eigentlich sollte es nur weiter im Westen ordentlich stürmisch werden und hier sollte uns unser Russlandhoch gegen das Tief aus dem Westen verteidigen. Aber die Verteidigungslinien unseres Hochs scheinen etwas zu schwächeln. Der nun kräftige Nordnordwest zerrt ziemlich ungünstig an der Heck-Mooring, an der die PINCOYA hängt. Kurzentschlossen lassen wir uns mit etwas Motorhilfe nach achtern einfach an den Stege durchsacken, sodass wir nun längsseits liegen. Damit hat das Geklatsche der Wellen am Heck ein Ende, die Mooring kann sich erholen und wir liegen mehr oder weniger mit dem Bug im Wind. Im Laufe der Nacht nimmt der Wind noch zu und bringt auch ordentlich Regen mit, der auch den ganzen Freitagvormittag noch anhält. Da solch ein Wetter nur unter Deck gemütlich ist, hängen wir gleich noch einen Haapsalu-Tag dran. Eigentlich wollten wir am Freitag nur noch einige 360er Panoramen in der Burg aufnehmen und dann aufbrechen. Das mit dem Aufbrechen streichen wir nun aber ganz und als am Nachmittag die Sonne wieder durchkommt, brechen wir noch einmal zu einer Phototour auf.
Gott sein Dank muss man sagen, denn diesmal gehen wir von der Burg in Richtung Wasser und finden dort das wirkliche Haapsalu, den alten Kurort. Das wußten wir vorher gar nicht und sind deswegen ziemlich überrascht über das alte, hölzerne Kurhaus, den Pavillon, die Parks und all das wunderschöne Ambiente drumherum.
Und wir finden sogar heraus, dass Tchaikovsky während seiner Zeit am Moskauer Musikkonservatorium auch gerne nach Haapsalu kam. Und weil Tchaikovsky von Haapsalu auch ganz angetan war, hat er gleich „The Memories from Haapsalu“ komponiert, einen Zyklus von Pianostücken. Da werden wir mal schauen, ob wir die nicht irgendwo zum Download auftreiben. In jedem Fall hatte Tchaikovsky aber absolut recht mit seiner Begeisterung für Haapsalu. Auch uns gefällt Haapsalu wirklich sehr, hier kann man es schon gut aushalten und dass man als Komponist dann auch noch gleich darauf kommt, etwas für Haapsalu zu komponieren, ist mehr als verständlich.
in Haapsalu
58° 57′ 33,7“ N, 23° 31’ 35,4″ E