Also der Yachthafen von Riga ist wirklich und ehrlich und ungelogen eine Katastrophe. So schön die Altstadt auch ist, hier fällt uns der Abschied nicht schwer und wir werden diesem Hafen nicht eine Sekunde nachtrauern. Obwohl er in der Sonne eigentlich ganz gut aussieht.
Ich ertappe mich schon heute – nach der ersten Nacht (!), als ich diesen Blog beginne, um mir schon mal den Frust von der Seele zu schreiben – dabei, zu überlegen, ob wir nicht schon heute wieder aufbrechen sollten.
Der Hafen liegt direkt an einer Hauptstrasse, wenn nicht DER Hauptstrasse Rigas überhaupt. Und hier wälzt sich von 6:00 früh bis ca. 24:00 Stoßstange an Stoßstange wohl das gesamte Verkehrsaufkommen Rigas durch. Es gibt wohl nicht ein einziges Auto im Großraum Rigas, das hier nicht wenigstens einmal am Tag durchfährt. Es scheint wirklich keinen anderen Weg durch Riga zu geben. Weder für PKW und schlimmer, noch für LKW.
Dazu kommt, dass wohl auch die Letten ein etwas gestörtes Verhältnis zu den Gaspedalen ihrer Autos haben. Einen einfaches Gasgeben ist den wenigsten möglich. Dazwischen mischen sich Motorradfahrer, die dafür sorgen, dass man zwischenzeitlich von dem übrigen Strassenlärm nichts mehr hört, weil sie mit frenetisch kreischenden Motoren versuchen, zwei Ampelphasen bei grün zu erwischen. Denn die Strassenverwaltung hat für die Touristen hier mehrere Ampeln hingestellt, weil sonst die AIDAs nicht mehr kommen würden, denn ohne Ampel bildet diese Strasse eine Art eisernen Vorhang der besonderen Art vor der Altstadt.
Und diejenigen, die sich noch an „Die Strassen von San Francisco“ oder „Kojak“ erinnern, fühlen sich hier wie in einer Dauer-TV-Serie. Es gibt nicht eine Minute, in der nicht irgendeine Polizei- oder Krankenwagensirene der fiesesten amerikanischen Art das Ganze jaulend untermalt. Die rigaischen Einsatzkräfte scheinen zudem im Dauereinsatz zu sein und da auf dieser Hauptstrasse immer mehrere ihrer Einsatzwagen gleichzeitig feststecken und in den verschiedensten Tonlagen vor sich hin jaulen, müssen die rigaischen Einsatzkräfte sicherlich über doppelt so viele Einsatzwagen verfügen, wie die in anderen Städte vergleichbarer Größe.
Der Hammer sind aber die drei Dieselloks und die Verschiebegleise zwischen der Strasse und dem Hafen. Ein Güterzug nach dem anderen wird von den schweren Dieselloks quer vor den ganzen Hafen, also zwischen Hafen und Hauptstrasse und Stadt gezogen, um dann nach einem grellen Pfiff wieder zurückgeschoben zu werden. Da die Dieselloks keine Kindermotoren haben, sondern echte Dieselmotoren für Große, untermalt ihr Wummern in einer ganz besonderen Art das 7×24-rush-hour-feeling.
Diese Geräuschkulisse gibt es natürlich nicht umsonst! Wir müssen stolze 30 € dafür zahlen und die sind schon mit Frühjahrsrabatt. Aber die nette Hafenmeisterin sagt uns: „You are really really lucky, the night clubs over there are still not open, so you can sleep at least in the night an bit! When the night clubs are open, it’s a real 24h nightmare!“
Uff, ja, und das von der Hafenmeisterin ?. Sie empfiehlt uns den Yachthafen auf der anderen Seite, es sei zwar etwas weiter in die Stadt, aber der sei wesentlich moderner und alles neu und vor allem sei es dort viel viel ruhiger.
Während wir so im Cockpit sitzen, ich diesen Blog schreibe und wir unseren Morgenkaffee schlürfen, sagt Astrid unvermittelt: „Bis nach Kihnu sind es 77 Seemeilen!“ Wenn da man nicht gerade dieselben Gedanken in ihrem Kopf herumgeschlichen sind wie durch meinen ?.
Und Gott sei Dank sind wir im Augenblick fast die einzigen, denn abends kam nur noch ein weiterer Gast an, auch ein deutscher Segler. Die sanitären Anlagen sind wirklich absolut in Ordnung, obwohl das Personal und insbesondere die Empfangsdame des Restaurants noch nicht so recht verinnerlicht haben, dass der gesamte Hafen hinten im Restaurant kurz vor der Küche duscht und manchmal auch das macht, was man auch mal machen muss. Jedes mal fragt sie, obwohl wir bewaffnet mit Handtuch und Kultursack in Badelatschen vor ihr stehen, erst auf Lettisch und dann, nach einem gepflegten internationalen „Hä?“ auf English: „Do you have a reservation?“ Und wir antworten: „Do we need a reservation for the showers as well?“ Das hat schon etwas von „Dinner for one“, hasn’t it? Und wie die 2 Toiletten und 3 Duschen für bis zu 80 Schiffe in der Hauptsaison reichen sollen, das bleibt das ewiges Geheimnis der Hafenmeisterin. Aber gleich gegenüber gibt es ja einen neuen Yachthafen ohne das 7×24-rush-hour-feeling und ohne 24h-night-club-nightmare!
Und nach 2 Tagen Riga bleibt einem wirklich nichts anderes übrig, als zu konstatieren, das Riga ein massives Verkehrsproblem hat. Man hat zwar wenigstens etwas den Individualverkehr aus der Altstadt ausgesperrt, aber der Rest ist wirklich eine Maximalkatastrophe, die wirklich abschreckend ist. Es ist fast egal, wo man geht und steht, fast ohne Unterbrechung schieben sich Autos durch die Strassen. Und jedes auch noch so kleinste Plätzchen ist zugeparkt. Und es wird so geparkt, dass die anderen wilden Parker gar nicht mehr rauskommen. Hauptsache, man steht irgendwie und dann, nix wie weg. Auf einem Parkplatz standen 4 (!) Eingeparkte, die eigentlich weg wollten, aber nicht konnten, weil einfach mittendrin andere Autos quer davor parkten. Dies aber an 3 unabhängigen Stellen. Selbst auf Parkplätzen geht offensichtlich nichts mehr. Vielleicht ist das das Los einer Hauptstadt, aber Riga ist keine Millionenmetropole und es ist schon wirklich erstaunlich, dass soooo viel Verkehr herrscht. Das macht Riga definitiv nicht attraktiver und wenn sich die Letten ihr Riga als besonderes Touristenziel erhalten möchten, dann muss man sich bald etwas einfallen lassen.
Und deshalb habe ich auch zwei Blogs geschrieben, einen über dieses Riga und einen über das schöne, das alte Riga.
in Riga
56° 57′ 36,2″ N, 24° 05′ 47,1″ E