Das Blogschreiben ist in den letzten zwei Tagen und besonders in der letzten Nacht, als wir von Ruhnu nach Jurmala segelten, etwas kurz zu gekommen, denn ich habe mal das gemacht, was ich eigentlich schon lange machen wollte. Ich habe eine Kurzgeschichte geschrieben. Nicht für Erwachsene, sondern eher eine für Kinder, vielleicht eine Gutenachtgeschichte.
Nachdem wir auf Ruhnu angekommen waren und ein kurzes Vormittagsschläfchen auf die letzte Nacht gemacht hatten, sind wir losgezogen, um Ruhnu zu entdecken. Und Ruhnu ist Natur pur, besonders zu dieser Jahreszeit, denn wir sind die einzigen, die hier überhaupt herumstreifen. Nachdem wir auf der Ostseite der Insel ein gutes Stück am Strand entlang gegangen sind, biegen wir über die leichten Dünen in den Wald ab. Der Wald von Ruhnu ist sagenhaft und eben so sagenhaft, dass meine erste Kurzgeschichte „Der Zauberwald von Ruhnu“ heißt. Wie das nun mit der Kurzgeschichte weitergeht oder ob vielleicht noch andere dazukommen, weiß ich noch nicht, aber es hat Spaß gemacht, endlich mal das zu tun, was mir schon so lange im Kopf herumspukte. Und Ruhnu war dafür wohl so etwas wie der ideale Ort, denn Zauberwaldgeschichten können ganz in der Nähe eines Zauberwaldes wohl ganz gut geschrieben werden. Und wir merken auch, dass wir nun seit einem Monat unterwegs sind und sich unser Leben und unser Rhythmus und wir uns selbst verändert haben. In jedem Fall werden wir mal schauen, wie unseren Enkeln die Geschichte gefällt und vielleicht bringen wir den Lütten ja noch mehr Geschichten mit. Denn unsere Blogs interessieren ja nur die Großen und diese Geschichten sind dann vielleicht die Kinderblogs, die wir von unserer Reise mitbringen. Mal sehen…
Ruhnu wird übrigens nicht Ruuunuu gesprochen, sondern Rugnu. Also eher mit einem „Gustav“ und nicht mit einem „Heinrich“, wie man es als deutscher Leser vermuten könnte. Auf lettisch klingt das nochmal ganz anders, aber das überfordert unser Sprachvermögen bei weitem.
Und wenn ein Este „Prost“ sagt, dann klingt das einwenig nach „terrific sex“, heißt aber „Terviseks“, wobei vielleicht das eine das andere nicht unbedingt ausschließt. Da wir die ersten richtigen Gäste auf Ruhnu sind, – die eine lettische Segelyacht zählt da nicht so, denn Lettland liegt ja direkt gegenüber -, bekommen wir von dem Hafenmeister ein Begrüßungsbier, bevor wir die Hafengebühr bezahlen. Also erst einmal „Terviseks“ auf die Gäste und ein Terviseks auf seinen Hafen, denn der Hafenmeister ist stolz auf seinen Hafen, in dem er nun schon fast 30 Jahre arbeitet. Im letzten Winter, erzählt er, hätte er sich alle anderen estnischen Häfen mal angesehen und, was soll er sagen, sein Hafen ist schon ein besonderer Hafen. Und da hat er recht, sein Hafen ist wirklich besonders, genauso wie die ganze Insel selbst.
Als die Fähre dann auch wieder abgefahren ist und niemand mehr im Hafen ist und wir ganz allein in der Abendsonne sitzen, ist es so ruhig im Hafen, dass selbst die Möwen ihren Schnabel halten, sich ihr Geschrei verkneifen und sich auch nicht mehr um ihre Beute prügeln. Es ist einfach nur herrlich friedlich.
Wenn man auf die Karte schaut, dann würde man eher erwarten, dass Ruhnu zu Lettland gehört und nicht zu Estland. Die Letten sind auch nicht besonders glücklich darüber, das Ruhnu nun zu Estland gehört und nicht zu Lettland. Denn dann hätten die Letten nämlich wenigsten eine Insel und so haben sie gar keine, was ja für einen Küstenstaat mit einigen hundert Kilometer Küste auch irgendwie blöd ist.
Aber… eigentlich gehörte Ruhnu politisch schon fast immer zu Schweden. Wobei man sich nun wiederum auch fragen kann, wieso Schweden, denn Schweden liegt ja auch nicht gerade vor der Tür. Und als sich mit dem Ende des Zarenreichs in dieser Ecke der Welt alles neu ordnete, da hatte der schwedische König plötzlich keine Lust mehr, auch noch König von Ruhnu zu sein. Was für Könige ja eigentlich eher ungewöhnlich ist, denn normalerweise sind die ja immer darauf aus, ihr Königreich zu erweitern. Aber vielleicht war ihm auch wegen der Lage Ruhnus etwas unbehaglich. Und vielleicht war das am Ende auch eine glückliche Entscheidung, denn man kann sich ja durchaus schon die Frage stellen, wie es um die schwedische Neutralität im zweiten Weltkrieg bestellt gewesen wäre, wenn ein schwedisches Ruhnu erst von der Sowjetunion genauso vereinnahmt worden wäre, wie Finnland und die Baltischen Staaten, um dann durch Hilter-Deutschland besetzt zu werden.
Also sollten sich die Einwohner von Ruhnu entscheiden, ob sie nun zu Lettland oder zu Estland gehören wollten. Eigentlich fühlten sich die Einwohner von Ruhnu aber wie Schweden und weder wie Esten, noch wie Letten. Aber in Estland gab es eine lebendige schwedische Minderheit, deswegen entschieden sich die Einwohner von Ruhnu für Estland und die Letten blieben weiterhin ohne eine einzige Insel.
Mutterseelenallein gehen wir am Strand entlang und haben das Gefühl, die ersten Fußstapfen dieses Jahres in den Sand zu drücken. Nach gut zwei Kilometern biegen wir auf die Insel und in den Wald ab. Zwischen Wald und Meer liegen sanfte Dünen, die zwischen den vereinzelt herumstehenden Bäumen komplett mit einer Flechtenart überwachsen sind. Was das genau ist, wissen wir nicht und auch nicht, ob die nur nach einem Winter so zundertrocken sind. Wenn man darüber läuft, zerbröseln sie völlig. Vielleicht ist das von der Natur ja so vorgesehen und bald wachsen neue frische Flechten. Aber das wissen wir nicht, deswegen gehen wir lieber nur auf den schmalen Pfaden oder auf Sandflächen. Die Natur ist so unberührt, da wollen wir jetzt nicht auch noch etwas durch Unwissenheit zerstören.
Dann geht es in den Wald. Den Zauberwald. Und die Ruhe und Gelassenheit, die der Wald ausstrahlt, nimmt einen selbst auch gleich ein.
Irgendwo hier muss auch dieser alte Leuchtturm stehen, den angeblich die Firma von Herr Eiffel baute, bevor sich sich an den Eiffelturm wagte. Sozusagen als Prototyp, wobei man schon sehr viel Fantasie haben muss, um den Leuchtturm als Vorläufer des Eiffelturms zweifelsfrei zu identifizieren. Allerdings verfehlen wir den Turm um gut 500 m, was wir allerdings erst am nächsten Tag herausfinden, nachdem wir nochmal genau in der Karte nach dem Leuchtturmstandort geschaut haben.
Eigentlich ist er gar nicht so schwer zu finden, aber wer wie wir einfach auf den schmalsten Trampelpfaden durch diesen wunderbaren Wald läuft, kann auch nur 150m an ihm vorbeilaufen, ohne ihn zu sehen. Der Wald steht wirklich dicht und er ist eigentlich ein Urwald, weil die Menschen einfach mal ihre Finger davon gelassen haben.
Statt auf den Leuchtturm treffen wir aber am ersten Tag auf Ruhnu-City mit den beiden Kirchen. Der alten Holzkirche und der neuen Kirche. Ruhnu-City ist eher beschaulich, hat noch nicht einmal ein Ortsschild und ist wohl nur deswegen Ruhnu-City, weil sich hier alle paar hundert Meter ein Haus an das nächste drängt. Man kann seinen Nachbarn noch sehen, also muss das das entscheidende Merkmal der Hauptstadt Ruhnus sein.
Am nächsten Tag schlendern wir noch einmal durch diesen grandiosen Wald und sehen den Leuchtturm doch noch im letzten Augenblick durch die Baumwipfel schauen. Sonst wären wir wahrscheinlich wieder daran vorbeigelaufen. Leider ist er aber montags geschlossen, das kommt davon, wenn man den Flyer der Insel nicht richtig liest. Aber was soll’s? Der Weg ist das Ziel und der Rückweg kann ja auch ein Ziel sein.
Auf Ruhnu würden wir es noch einige Zeit länger aushalten. Das ist genau das, was wir eigentlich suchen. Aber vor uns liegt noch so viel Natur und so viel Abgeschiedenheit, dass wir uns dann doch entschließen, nach zwei Tagen weiterzuziehen. Denn in 4 Wochen müssen wir auch schon in den Saimaa-Kanal einfahren, wenn wir rechtzeitig unseren Zug nach St. Petersburg bekommen wollen.
auf Ruhnu
57° 46′ 53,8,4“ N, 23° 16′ 11,9″ E