Am Mittwochvormittag fahren wir mit der U-Bahn erst einmal zur Tschesme-Kirche. Die liegt etwas außerhalb und gehört nicht zu den klassischen Touristenzielen. Aber die russisch-orthodoxe Kirche hat uns spontan gefallen, weil sie anders ist als die anderen.
Sie wurde 1777 zu Ehren der russischen Seeleute errichtet, die 1770 aus einer Seeschlacht gegen die Türken bei Tschesme siegreich heimgekehrt waren. Außerdem wollen wir mal etwas außerhalb der üblichen Touristenströme durch Sankt Petersburg laufen und sogar das Wetter spielt heute vormittag auch noch mit.
In die Tschesme-Kirche dürfen wir auch rein, obwohl dort gerade ein Gottesdienst läuft. Das russisch-orthodoxe Kirchenleben und die Gottesdienste sind schon anders. Wir hören etwas zu. Es sind auch viele jüngere Menschen in der Kirche und alle Frauen tragen in der Kirche ein Kopftuch. Draußen sieht man kaum eine Frau mit Kopftuch, aber kurz vor der Kirche wird ein Kopftuch hervorgezaubert und umgelegt. Es geht auch kein Gäubiger an einer Kirche vorbei, ohne kurz stehen zu bleiben und sich zu bekreuzigen. Und wirklich viele Menschen gehen einfach mal kurz in die Kirche, um zu beten und eine Kerze anzuzünden. Man geht offensichtlich nicht nur zum Gottesdienst in die Kirche, sondern eben auch mal einfach so. Egal ob Polizist, Bauarbeiter, Büroangestellte oder einfach auf dem Weg zum Einkaufen.
Zurück in der Innenstadt wollen wir eigentlich nur einen Kaffee trinken, landen aber in einem usbekisch – georgischen Restaurant. Die Speisekarte sieht interessant aus und so beschließen wir bei unserem Kaffee, heute Abend hier essen zu gehen.
Nach und nach wird das Wetter allerdings auch schlechter, über dem Winterpalast ziehen dicke schwarze Wolken heran. Schnell machen wir noch einige „Tageslicht-Panoramen“ vor der Eremitage. Aber gut eineinhalb Stunden vor unserem Eremitage-Besuch müssen wir vor den heftigen Schauerböen unter die Torbögen des Generalstabs fliehen. Innerhalb von Minuten ist der riesige Platz wie leergefegt, selbst die aufdringlich-nervigen Rubeleinheimser im Bugs Bunni-, Dino- oder Bibo-Kostüm suchen das Weite und auch keiner der Bootstour-Animateure ist mehr zu sehen. Das Wetter ist wirklich hundsmiserabel.
Der Treffpunkt für unsere Eremitage-Tour ist die Alexandersäule. Eigentlich kein schlechter Treffpunkt, aber bei diesem Wetter … na ja. Kurz vor dem Termin stapfen wir gegen den Regen zur Säule. Eine Bö schnappt sich unseren Schirm und läßt ihn seine Gräten in ungewohnte Richtungen strecken. Das war’s, so richtig hilfreich ist er nun auch nicht mehr. Vor der Säule steht eine Dame, ein Guide und zudem ein deutschsprachiger Guide, aber sie wartet leider auf andere Deutsche. Nachdem sich noch einige weitere Guides für die verschiedensten Sprachen eingefunden haben, und wir alle etwas nass sind, klingelt das Telefon der deutschsprachigen Dame und sie fragt uns, ob wir „Grube“ heißen. Ihre Chefin hätte ihr leider den falschen Namen mitgegeben, sie sei Maria und nun doch unser Guide.
So werden wir in den nächsten 3 Stunde von Maria durch den Winterpalast, die Eremitage und alle weiteren Gebäude geführt. Der gesamte Gebäudekomplex ist riesig und mal ganz abgesehen davon, dass wir mit Maria ganz ohne Warten in die Eremitage kommen, allein wären wir von all dem Sehenswerten und von all den Zusammenhängen komplett erschlagen worden. Wir sind froh, dass wir doch diese Tour gebucht haben und Maria uns die wichtigsten Dinge in 3 Stunden zeigt und erzählt.
Wir beginnen im Winterpalast, den wir über die große Paradetreppe betreten. Die Pracht und der Prunk erschlagen einen förmlich und wir laufen mit einem ungläubigen Staunen durch die Säle.
Der pralle Luxus, der hier mit dem Füllhorn des absoluten Überflusses ausgeschüttet wurde, verschlägt einem wirklich die Sprache. Gut – Monarchien mit ihren gekrönten Häuptern waren ja von jeher speziell und eben besonders, aber hier übersteigt die luxuriöse Pracht wirklich unsere Vorstellungskraft. Wie mag so ein Leben als Zar gewesen sein? Dieser unvorstellbare Überfluss, in dem die Zaren und auch Zarinnen lebten, war am Ende auf die Leibeigenschaft von Hunderttausenden gebaut.
Die Ausbeutung, die Leibeigenschaft und das bittere Leben der normalen Menschen ist die Kehrseite dieser prachtvollen Medaille. So etwas kann auf Dauer nicht gut gehen, aber diese Erkenntnis zählt ja selbst heute noch nicht zum Allgemeingut, obwohl der gesunde Menschenverstand diese Erkenntnis ja eigentlich auf dem Silbertablett serviert.
Nach der Tour wollen wir noch einmal etwas auf eigene Faust durch den Winterpalast gehen, um noch einige Photos zu machen. Trotz Plan verlaufen wir uns mehrmals und müssen immer wieder fragen, wo wir den nun gerade sind. Irgendwann hat Astrid das System verstanden und ich muss nur noch meiner neuen Reiseleitung hinterherlaufen. So können wir noch tolle Photos von den unglaublich prunktvollen Sälen im Winterpalast machen. Und von den Kronleuchtern, die haben es mir besonders angetan ?.
Nur eines fällt wirklich negativ auf und soll uns auch noch morgen gehörig nerven. In der Eremitage und auch in allen anderen Sehenswürdigkeiten Sankt Petersburgs drängen sich Touristen aus aller Herren Länder. Und alle gehen rücksichtsvoll, nett und zuvorkommend miteinander um. Wenn einer ein Photo macht, wartet man außerhalb des Bildes und wenn jemand ein Bild betrachtet oder nur so da steht, wird er nicht weggedrängt. Und immer mal wieder wechselt man einige nette englische Worte. Nur die Chinesen fallen wirklich in jeder Beziehung aus der Rolle. Sie sind rücksichtslos, unverschämt, laut und drängeln und rempeln sich immer fett in den Vordergrund, egal was andere gerade machen. Es gibt wohl nicht ein einziges Photo bei den Chinesen, was nicht ein Selfi ist, und um das zu machen, ist alles, aber auch wirklich alles drumherum egal. Und leider sind die Chinesen in der absoluten Überzahl. Sie fallen sprichwörtlich wie Heuschrecken in Hundertschaften ein und so wird durch ihre absolut aufdringliche und wirklich unangenehme Art allen anderen Touristen sehr viel von dem Schönen, dass es hier zu sehen gibt, schlicht verdorben. Im Winterpalast und in der Eremitage suchen wir nach kurzer Zeit nur noch Räume auf, die chinesenfrei sind oder warten ab, bis der Schwarm der chinesischen Selfi-Irren wieder abgezogen ist. Das hört sich schlimm an und das ist es auch! Nach kurzer Zeit ertappen wir uns dabei, dass wir schon eine regelrechte Aversion gegen Chinesen entwickelt haben. Schlimm, aber leider wahr.
Nach dem Besuch der Eremitage gehen wir erst einmal wieder zurück ins Hotel und ruhen uns etwas aus. Unsere Füße brauchen mal die Horizontale, sonst gibt’s heute Abend nichts zu essen und auch keine Nacht-Panoramen.
Gegen 21:00 sitzen wir dann in dem usbektisch – georgischen Restaurant und futtern uns durch einige ungewohnte Vorspeisen. Alle Vorspeisen und auch die Hauptgerichte sind wirklich lecker, aber auch nicht so orientalisch, wie wir vermutet hatten.
Als um 23:00 langsam die Straßenbeleuchtung angeht, brechen wir auf und wir machen einige tolle Nachtaufnahmen und hoffentlich auch ebenso tolle Nacht-Panoramen. Mal sehen, ich brauche ja immer etwas, um die wahre Flut von Panoramen zusammenzusetzen.
Als wir auf dem Rückweg an die Newa-Brücken kommen, fällt uns auf, dass beide Ufer voll mit Menschen sind. Auch Familien mit Kinder sind darunter und auch diverse Busse spucken immer mehr Touris aus.
Offensichtlich warten die alle auf etwas und auch die Coffee-to-go-Autos haben sich in den letzten Stunden in kleine Bars verwandelt, die alles anbieten, nur keinen Coffee mehr.
So stellen auch wir uns ans Ufer vor der Eremitage und warten auf … vielleicht ein Feuerwerk. Auch auf der Newa selbst finden sich immer mehr Boote ein, alle Stadtrundfahrboote scheinen inzwischen auch losgemacht zu haben und fahren zusammen mit einigen privaten Motorbooten zwischen den Brücken hin und her. Überall auf den Booten ist Party. Der Ballungspunkt scheint vor der Eremitage zu sein. Also ganz bestimmt wohl ein Feuerwerk, denn auch Polizeiboote mit Blaulicht mischen sich langsam dazwischen und sperren Bereiche zur kleinen Newa ab.
Irgendwann erinnern wir uns, dass diese Brücken ja auch geöffnet werden können, damit der Frachtverkehr wenigsten nachts durch Sankt Petersburg fahren kann. Also gehen wir lieber auf die andere Seite, auf der auch unser Hotel liegt, von hier können wir das Feuerwerk ja auch sehen.
Inzwischen ist es weit nach 1:00 und es werden immer mehr Menschen und immer mehr Bussen bringen immer mehr Touris. Man steht schon in Doppelreihen auf der Uferpromenade. Das muss ein Wahnsinnsfeuerwerk werden. Ich baue das Stativ auf und mache schon mal eine Grundeinstellung für Feuerwerkphotos. Vielleicht ein Test für die WM-Eröffnung… wer weiß?
Gegen 1:20 erklingt dann plötzlich klassische Musik aus den Lautsprechern an den Straßenlaternen, es geht los, das Warten hat sich gelohnt und wir erwarten die ersten Eröffnungsraketen. Inzwischen ist es auch schon schön dunkel, das wird bestimmt der Hammer!
Aber keine einzige Rakete läßt sich sehen! Nur … ganz langsam öffnet sich die Brücke vor dem Winterpalast. Die klassische Musik spielt, die Brücke öffnet sich und alle staunen. Als die Brückenflügel vollständig geöffnet sind, verstummt die Musik und die Menschenmassen verlaufen sich so schnell, dass man meinen könnte, sie wären alle von den Gullis verschluckt worden. Wow!
Nachdem die Brücke an der Eremitage den Anfang gemacht hat, öffnen sich auch die anderen Brücken. Allerdings bekommen die nicht mehr so viel Aufmerksamkeit.
Mutterseelenallein gehen wir zurück zu unserem Hotel. Wir haben wirklich keine Idee, wohin in so kurzer Zeit all die anderen Menschen verschwinden konnten. Um kurz nach 2:00 fallen wir ins Bett. Der Chip in unserer Kamera hat in dieser Nacht bestimmt Übergewicht bekommen, auch wenn wir kein Feuerwerk zu sehen bekommen haben.
in Sankt Petersburg
59° 56′ 37,7″ N, 30° 17′ 16,7″ E