Montag 02.07.
Klamilanlahti (A) -> Svartholm Start: 13:00 Ende: 22:15 Wind: NE – ENE 20 – 10 kn Distanz: 45,6 sm Gesamtdistanz: 1811,5 sm
Die EU hat uns wieder und so ganz böse sind wir darum nicht. Russland auf Individualreise war schon eine Erfahrung. Keine schlimme, aber für einen freiheitsgewohnten EU-Bürger doch schon eine recht andere. Der Transit und unsere Russlandreise haben uns an einer anderen, uns Gott sei Dank nicht gewohnten Welt schnuppern lassen. Natürlich kann man auch in Russland leben und sich durchmogeln. Für viele Millionen Menschen ist das Alltag. Aber wollen wir das wirklich so? Und kann man das allen Ernstes wollen, wenn man mit den großen Freiheiten und in der Rechtsstaatlichkeit. die ja den meisten EU-Staaten noch inne wohnt, groß geworden ist? Ich glaube, wir können unser Gut, dass wir in Deutschland und ganz besonders auch mit und in der EU erreicht haben, gar nicht hoch genug einschätzen. Und all den rechten und linken Maulhelden sei mal empfohlen zu reisen, zu vergleichen, zu reflektieren und nachzudenken und nicht nur von zuhause aus nationalen oder längst überholten, linksidiologischen Bullshit rumzubölken.
Es ist schon ein anderes Gefühl, sich in einem Rechtsstaat zu bewegen, als in einem Staat, der nach anderen Regeln und eben oft auch nach Regeln tickt, die nicht schwarz auf weiß in einem Gesetz oder in Musterurteilen von unabhängigen Gerichten stehen, die ausnahmslos für jeden gelten und die immer eingefordert, eingeklagt und sogar angezweifelt werden können. Klar sind wir schon flexibel genug, um auch in einer solchen Welt klar zu kommen, aber wollen wir das?
Wir bloggen ja nun wirklich viel und das Meiste schreibe ich und noch nie habe ich auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht, ob mir das eine oder andere Statement irgendwie zum Nachteil gereichen könnte. In meinen Russlandblogs habe ich zum ersten Mal meine Worte auf genau diesem Hintergrund abgewogen. Das hat mich persönlich geärgert, weil ich für mich selbst immer die Prämisse hatte, gerade zu gehen. Unwillkürlich habe ich an die Blogger gedacht, die sogar auch in Europa staatlichen Repressalien ausgeliefert sind und teilweise sogar inhaftiert, gefoltert und ermordet werden. Das ist natürlich eine ganz andere Dimension, aber der erste Schritt beginnt mit dem Verlust der Meinungsfreiheit, wenn eine Rechtsstaatlichkeit nicht mehr gegeben ist. Und in meinem eigenen Kopf habe ich gemerkt, wie es beginnt. Es beginnt mit Selbstzensur aus Unsicherheit. Einer Unsicherheit, die unwillkürlich auflebt, wenn es an einer Rechtsstaatlichkeit mangelt.
Das ist neben all den anderen Eindrücken aus Russland auch ein Eindruck, der in uns zurückbleibt und der auch unser Gesamtbild prägt. Europa wäre es wirklich zu wünschen, wenn es dem Westen und Russland gleichermaßen gelänge, wieder konstruktiv miteinander zu sprechen und neben aller Andersartigkeit einige Schritte in eine gemeinsame Richtung zu gehen, ohne von dem anderen als Eingangsbedingung Änderungen zu verlangen. Es ist eine Tatsache, dass es nicht überall nur lupenreine Demokratien gibt, aber Sprachlosigkeit, Konfrontation und Sanktionen haben bisher auch noch nie eine Situation entschärft.
Auch morgens ist noch etwas von dem kräftiger Nordost übrig. Aber eine abnehmende Tendenz ist deutlich zu spüren. Die Zeit drängt etwas, es liegen immer noch gut 100 Seemeilen bis Helsinki vor uns. Am Donnerstag müssen wir ankommen, denn dann wartet Ina dort auf uns. 100 sm in 4 Tagen ist nicht viel, wenn der Wind stimmt und man es laufen lassen kann. Aber 100 Seemeilen in den Schären Finnlands sind schon eine echte Navigationsaufgabe, die zudem meine Chancen auf ein Mittagsschläfchen ohne viel Aufhebens auf nullkommanull drückt. Und ehrlich gesagt stecken uns die letzte Woche und der Transit schon etwas in den Knochen. Eigentlich müssten wir zeitig aufbrechen, um noch möglichst viel von dem abnehmenden Nordost mitzunehmen. Dazu haben wir aber keine Lust und da es lange hell bleibt, beschließen wir, es schleifen zu lassen.
Gegen Mittag drängelt aber die angekündigte Regenfront schon ziemlich deutlich von Nordost zu uns herüber. Es wird noch etwas dauern, aber das beschleunigt uns dann doch etwas. Schließlich gibt es ja kaum etwas Blöderes, als in einem finnischen Schärenregen mit dem Fernglas die nächsten Untiefentonnen zu suchen. Und die Regenfront sieht nicht nur unfreundlich aus, sie scheint auch bestrebt zu sein, dem Wind gänzlich den Garaus zu machen.
So kommen wir zwar anfangs noch munter voran, aber der Wind schwächelt zusehends. Loviisa wäre ein Hafen, in dem wir mal wieder Wasser nehmen könnten. Seit einer Woche sind wir nun schon ohne Hafen unterwegs. Die Stromversorgung ist kein Problem, da sind wir autark, denn es hat ordentlich geweht und zudem mussten wir ja auch fast die ganze Strecke durch Russland motoren. Aber unser Wasservorrat geht langsam zur Neige. So peilen wir Loviisa an, aber es sieht schon bald nicht mehr danach aus, dass wir die gut 55 Seemeilen bis Loviisa schaffen. Wie schön wäre mal wieder ein Versorgungshafen mit allen Facilities gewesen.
15 Seemeilen vor Loviisa beginnt es zu schütten und auch der Wind haucht seine letzte Energie aus. Und es schüttet nicht nur einfach so, es schüttet richtig und über uns ergießen sich wahre sintflutartige Wassermassen. Angesichts der herannahenden Front, haben wir natürlich schon unser Rainimi aufgebaut, so geht es bei der Fahrerei eigentlich ganz gut, aber irgendwann müssen wir ja auch anlegen. Nun ja, wir hatten uns ja einen Hafen mit Dusche gewünscht. Das kommt davon.
Es schüttet und schüttet und schüttet. Unglaublich! Als wir auf Höhe von Svartholm sind, beschließen wir, einfach dort festzumachen. Hier soll es zwar keine Duschen geben, aber Wasser. Das würde ja auch reichen. Ausreichend geduscht werden wir ohnehin beim Anlegen, denn erst am Morgen hört es auf zu regnen.
Es ist heute wieder ordentlich spät geworden. Unmerklich haben unsere Tage begonnen, sich zu verschieben. Vielleicht müssen wir doch aufpassen, dass wir nicht irgendwann mal aus Versehen von einem Tag überholt werden oder uns durch unsere Trödelei einfach mal ein Tag abhanden kommt. Es ist so schön lange hell und ich fürchte nun langsam, dass wir tatsächlich Kandidaten sind, denen das passieren kann.
in Svartholm
60° 22′ 47,1″ N, 26° 18′ 7,5″ E
Dienstag 03.07.
Leider gibt es am Steg in Svartholm nur Wasser von oben und kein Wasser in Schläuchen, obwohl das Hafenhandbuch das behauptet. Ärgerlich, so langsam sitzen wir auf dem Trockenen. Die Tankanzeige hat gestern schon ihren Ruhepunkt hinter dem roten Bereich erreicht. Viel kann da nicht mehr drin sein.
Nachdem der Regen aufgehört hat, sehen wir uns aber doch erst noch Svartholm an. Die Verteidigungsgeschichte der Burg Svartholm ist nicht wirklich ruhmreich verlaufen und erinnert schon etwas an den Berliner Flughafen. Die Russen konnten seinerzeit die Burg ohne nennenswerten Widerstand einnehmen, weil leider nur 3 der Kanonen durch die Schießscharten passten. Vielleicht sollte man mal etwas Ahnenforschung betreiben, ob es da nicht doch eine Abstammungslinie zu dem ein oder anderen Architekten oder Bauingenieur gibt, der heute dem Berliner Flughafen sein Spezialwissen zukommen lässt.
Svartholm -> Suninsalmi Start: 14:00 Ende: 17:45 Wind: ~S 9 – 3 kn Distanz: 17,4 sm Gesamtdistanz: 1828,9 sm
Von Svartholm aus gehen wir wieder auf Kurs Helsinki. Astrid hat mit der Marina Kabböle nun tatsächlich einen Hafen ausgemacht, der ganz sicher Wasser am Steg hat und der auch nur 10 sm entfernt ist. Also tuckern wir nach Kabböle, das liegt eh auf dem Weg und passt so ganz gut.
Und tatsächlich stehen auf den Stegen von Kabböle Versorgungssäulen, an denen unten ein Wasserhahn herausguckt. Gewonnen! Wir legen an und ich drehe gleich mal an dem nächstliegenden Hahn, um das fröhliche Nass zu begrüßen. Aber … nichts! Noch nicht einmal ein einziges trauriges Tröpfchen verläßt den Hahn. Nun gut, es kann ja schon mal an der ganz außenliegenden Säule passieren, dass der Wasserdruck nicht mehr ganz so hoch ist. Also drehe ich mich Wasserhahn für Wasserhahn in Richtung Landanschluss vor, kann aber keinem der Hähne auch nur das kleinste Tröpfchen entlocken. Von Land aus führt aber ein dickes Wasserrohr direkt auf den Schwimmsteg. Wie geht das? Ah, na klar, Haupthahn! Den abzustellen ist schon ungewöhnlich, aber man weiß ja nie, zu welchen uns unbekannten Gepflogenheiten es im Ausland so kommen kann. Auf der Suche nach dem Haupthahn finde ich das Ende des wirklich potenten Wasserrohrs unter dem Steg lustlos im Hafenwasser hängend. Das erklärt schlagartig den äußert geringen Wasserdruck an den Versorgungssäulen am Steg. Mist!
Also weiter, wieder 7 Seemeilen. Das nächste Wassersymbol lauert im Hafenhandbuch in Suninsalmi. Und Suninsalmi ist ein Volltreffer. Nur die äußerste Versorgungssäule ist bisher den Anlegekünsten eines Sportschiffers zum Opfer gefallen, ansonsten gibt es Wasser, Strom, Klos mit Spülung, Duschen und (!) eine Waschmaschine und einen Trockner. Hammer! Das ist unser Hafen! Und sogar die Kabelfähre vor dem Hafen hatte schon ganz freundlich gewartet, bis Astrid durchgefahren war. Ein größeres Zusammentreffen freudiger Umstände kann es nicht geben und das auch alles nur für 13 €! Der Oberhammer!
in Suninsalmi
60° 14′ 44,3″ N, 25° 53′ 54,3″ E
Mittwoch 04.07.
Suninsalmi -> nördlich Norrkullalandet (A) Start: 12:15 Ende: 17:30 Wind: SSW 9 – 4 kn Distanz: 22,6 sm Gesamtdistanz: 1851,5 sm
Morgens trocknet unsere Wäsche in der windstillen Sonne. Also nicht die Sachen, die durch den sintflutartigen Regen nass geworden sind, sondern eben eine Ladung waschechter Waschmaschinenwäsche. Vor lauter Suninsalmi-Begeisterung hatte Astrid gestern Abend nochmal schnell eine Waschmaschine angeworfen. Um 23:00… Endzeit 0:50! – Wir müssen wohl wirklich etwas auf unseren Tagesablauf achten, sonst kommt der am Ende wirklich noch ganz durcheinander. – Seit unserem letzten Waschtag in Savonlinna hat sich schon wieder einiges angesammelt. Und morgen kommt Ina zu uns an Bord, da wollen wir in frischen Sachen auch gut riechen ? und nicht den Elchen zu viel Konkurrenz machen ?.
Es sind noch rund 40 Seemeilen bis Helsinki. Einen Teil machen wir heute und ein kleiner Rest bleibt für morgen, dann passt das. In der Sonne auf dem Vorschiff planen wir die heutige Etappe. Nachher soll der Wind aus Südwest bis Südsüdwest kommen. Etwas mehr Süd wäre gut für die letzten Seemeilen bis Helsinki.
Die Innenfahrwasser nach Helsinki sind fantastisch, hier kann man sich wirklich vertrödeln. Vielleicht ist das ja auch auf dem Weg nach Turku so. Und wenn dann noch das Wetter mitspielt, dann hat Ina als Segelneuling wirklich das große Los für ihren ersten Segelschnupperurlaub gezogen.
Allerdings sitzt Ina leider schon heute etwas außerplanmäßig in Helsinki und wartet auf uns. Ihr eigentlicher Urlaubsstart in Tallinn ist etwas in die Hose gegangen, weil ihr Flieger nicht mehr fliegen konnte. Man hatte noch am Boden gemerkt, dass irgendetwas faul war und wollte den Flieger neu booten. In der Luft wäre ein Reboot sicher auch irgendwie nicht so gut gekommen. Also auf dem Rollfeld frisch ans Werk, frei nach dem Motto, »reboot tut gut« und dann wird es auch schon wieder fliegen. Wahrscheinlich hat so ein Flieger auch auch nur ein Windows-System. Aber das Fliegerchen wollte nicht mehr booten und so hatte nicht nur der Pilot Feierabend, sondern auch die Passagiere keinen Flieger mehr nach Tallinn. Deswegen ist Tallinn ausgefallen und Helsinki war gleich an der Reihe.
Gegen Mittag kommt dann tatsächlich eine leichte Brise auf. Allerdings steckt doch eher ein lupenreiner Südwest in dieser Brise und unsere Hoffnungen auf »etwas mehr Süd« können wir begraben. Nur in den äußeren Bereichen können wir etwas segeln und vor Boviken kreuzen wir dann im wahrsten Sinne des Wortes unsere Route vom Hinweg. Vor fast 6 Wochen sind wir hier von Estland kommend in Finnland angekommen und dann nach Osten abgebogen. Nun sind wir in der anderen Richtung unterwegs und es geht weiter nach Westen. Die Segel nutzen uns dafür heute leider nicht viel, da der Wind viel spontaner wieder einschläft, als er am Vormittag aufzuwachen geruhte.
Nördlich von Norrkullalandet gehen wir zeitig vor Anker, um noch etwas aufzuklaren und einige kleine Reparaturen zu machen. Irgendwie ist ja immer was.
nördlich Norrkullalandet vor Anker
60° 14′ 49,0″ N, 25° 20′ 19,3″ E
Donnerstag 05.07.
Norrkullalandet (A) -> Helsinki Start: 10:50 Ende: 14:30 Wind: NW 5-7 kn Distanz: 18,9 sm Gesamtdistanz: 1870,4 sm
Seitdem wir wieder in Finnland sind, versuche ich bei unserer Bloggerei etwas aufzuholen. Damit sind wir inzwischen ganz schön ins Hintertreffen geraten. Die langen Etappen in diesen verzwackelten Fahrwassern und der Transit haben mir kaum Zeit gelassen, etwas zu schreiben oder gar die Bilder zu sortieren. Die Bloggerei braucht schon etwas Zeit und wenn zu viel passiert, kommt man einfach nicht hinterher. Eigentlich bräuchten wir mal 2 oder 3 Tage »Nichts«. Ein reines, wahrhaftiges und unverfälschtes »Nichts« ohne jedes Drumherum. Aber generell haben wir unseren Zeitplan für dieses Jahr auch definitiv zu eng gesteckt. Das haben wir schon gelernt und verstanden. Wenn man fast 6 Monate vor der Nase hat, dann denkt man unwillkürlich; „Wow, das ist ja unendlich!“ und packt eins nach dem anderen in diese Zeit. Und jetzt wissen wir, dass jedes Mehr zu dem, was wir aktuell machen, schon gar nicht mehr hätte funktionieren können. Vielleicht muss man das auch erst einmal so erfahren, um sich selbst in seiner Planung zurecht zu rucken. Da haben wir definitiv schonmal etwas, was wir im nächsten Jahr ganz anders angehen werden.
Von dem letzten Wegstückchen nach Helsinki behalten wir genau zwei Dinge im Kopf. Die traumhaften Innenfahrwasser werden von den ersten Industriehafenanlagen Helsinkis abgelöst und 5 sm vor Helsinki beginnt es derart zu schütten, dass wir die Navigationslichter anschalten müssen und denken: „Gut, dass wir schwimmen, so muss sich der arme Noah auf seiner Arche auch gefühlt haben!“
Aber wir haben Glück, ganz untypisch hört es zu unserem Anleger in der Katajanokka Marina in Helsinki auf zu regnen. In der Katajanokka Marina liegt man zentral mitten in Helsinki. Sightseeing-technisch ist das bestens, es hat aber auch seinen Preis. 55 € pro Nacht sind nicht eben wenig, wobei man dafür auch nicht gerade von üppigem Luxus erschlagen wird.
Eine Stunde später winkt Ina von der Pier zu uns herüber. Bis Turku werden wir nun zusammen fahren und die Schärenwelt unsicher machen. Aber bevor das losgeht, wollen wir erst nochmal Helsinki ansehen. Einen ersten kleinen Eindruck bekommen wir schon auf dem Weg zum Einkaufen und den Rest heben wir uns für morgen auf.
in Helsinki in der Katajanokka Marina
60° 10′ 10,6″ N, 24° 57′ 45,4″ E