In Boulogne-sur-mer ist der enorme Tidenhub für uns ein echtes Highlight. Besonders, weil wir solche Gezeitenunterschiede nur theoretisch, aber gar nicht in natura kennen. Fasziniert genießen wir das enorme Auf und Ab und staunen immer wieder von Neuem, wie sich die Perspektive verändert. Für Insider hört sich das alles sicher albern an, aber wir Neulinge sind ein ums andere Mal fasziniert. Und wir genießen das Auf und Ab, anders kann man es nicht sagen.
Am Samstagmorgen schlafen wir erst einmal aus und vertrödeln noch etwas Zeit. Als wir dann einen Blick in den Hafen werfen, sind wir doch etwas überrascht. Sicher haben wir gehört, dass einige aufbrechen, aber dass wir nun fast die einzigen Zurückgebliebenen sind, wundert uns schon. Der Hafen von Boulogne-sur-mer ist sicher keine Schönheit und gewinnt auch nicht den Preis »Bester Urlaubshafen der westlichen Hemisphäre«, aber so schlimm ist es nun auch nicht, dass man nach nur einer Nacht sofort wieder abhauen muss.
Aber dieses »Schnell weiter« beobachten wir dann einige Tage später auch in Dieppe. Es scheint Holländerwanderung zu sein! So gegen Niedrigwasser läuft eine wahre Armada von Holländern ein, die dann gleich wieder mit dem ablaufenden Frühhochwasser verschwindet. Nur wenige sind in der umgekehrten Tidentaktung schon wieder auf dem Rückweg. In Dieppe trauen wir uns dann auch mal ein holländisches Pärchen zu fragen, ob gerade in den Niederlanden die Schulferien ausgebrochen sind. Nein nein, sagen sie, das geht den ganzen Sommer so, aber nur bis Cherbourg. Das kann man gut in 3 Wochen erreichen und dann geht’s wieder zurück. Nach Cherbourg trifft man dann auch fast nur noch Engländer und kaum Holländer, bis auch die weniger werden und fast nur noch Franzosen unterwegs sind.
Na da sind wir mal gespannt!
Alles um den Hafen herum wirkt etwas schrabbelig. Auch irritieren uns die Schilder auf den Pontons, vor den sanitären Anlagen und am und im Hafenmeisterbüro, dass man auf seine Sachen achten, auf keinen Fall Fahrräder unangeschlossen auf den Pontons stehen lassen soll und nachts in jedem Fall an Bord nehmen muss. Außerdem gibt es einen Notruffunkkanal und eine Handynummer, die man 7/24 anrufen kann, wenn das Hafenmeisterbüro nicht besetzt ist. Das weckt in uns jetzt nicht gerade ein Gefühl der Sicherheit, und vielleicht auch deswegen fallen uns bei unserem ersten Spaziergang durch die City recht viele zwielichtige Typen auf, die zugegeben irgendwie eher südfranzösisch aussehen und so gar keine Ähnlichkeit mit den Sch’tis haben. Aus Südfrankreich kenne ich das ja, aber dass das jetzt schon gleich hier so beginnt, finden wir blöd.
Obwohl es ziemlich warm ist, beschließen wir, in die Altstadt zu gehen. Und in der Altstadt finden wir dann in der Tat das Nordfrankreich, das wir hier oben im Norden Frankreichs eigentlich erwartet hatten und später auch in Dieppe wieder antreffen. Die alte Stadtmauer schließt die Altstadt vom übrigen Boulogne-sur-mer ab. Mal staut sich in den engen Gassen mit den alten Häusern rund um die Kathedrale die warme Hochsommerluft und mal sorgt ein kleines Lüftchen für etwas Erfrischung. Die Hitze, die in den letzten Tagen Deutschland heimgesucht hat, hat es nun auch bis hierher geschafft. Und es ist wirklich heiß, die Sonne brennt wie am Mittelmeer. Eigentlich bin ich ja eher unempfindlich, aber heute sucht selbst der Schiffsjunge den Schatten.
Da das kleine Wasserfläschchen, das wir uns mitgenommen haben, viel zu schnell leer ist, schnappen wir uns in einem Lokal spontan einen frei werdenden Schattenplatz. Der Platz ist absolut klasse, nicht nur, weil er uns zwei kühle Bier beschert, sondern auch die Antwort auf die Frage gibt, wie hier wohl Umzüge mit größeren Möbelstücken bewerkstelligt werden, wenn man durch die Haustür und das Treppenhaus nur eine Tüte Pommes bekommt. Die Lösung ist einfach und hat drei Eckpunkte. Erstens darf man nur Möbelstücke kaufen, deren größte Teile durch das Fenster passen, in dessen Raum sie auch stehen sollen. Zweitens braucht man ein paar starke Kerle mit viel Erfindungsreichtum und einigen langen Tampen. Und drittens braucht man einiges Glück, dass der Erfindungsreichtum auch von Erfolg gekrönt wird. Und schon ist der Umzug fast fertig.
Wir sitzen mit unserem Bier direkt neben dem Umzug, aber noch in ausreichend sicherer Entfernung. Eine wunderbar kurzweilige Erfrischung.
Zurück im Hafen verkriechen wir uns unter unserem Rainimi, was nun zum ersten Mal wirklich ein Bimini sein darf. Erst spät bereiten wir alles für unsere nächste Etappe vor, denn mir müssen ja früh raus.
in Boulogne-sur-mer (F)
50° 43′ 29,2,6″ N, 001° 35′ 56,9″ E