BHV Neuer Hafen -> Norderney Start: 11:45 Ende: 23:45 Wind: S-SE u.a. 6 – 12 kn Distanz: 63,4 sm Gesamtdistanz: 69,0 sm
Am Sonntag früh küsst uns die Muse der Muße nicht wirklich. Schon gestern hat sich etwas Anspannung breit gemacht und heute gesellt sich auch noch etwas Nervosität dazu. Eigentlich könnte es jetzt gleich losgehen, aber die Tide zwingt uns zu Geduld. Einer Geduld, die wir genau jetzt nicht im Überfluss haben. Erst um 13:25 ist Hochwasser und wir brauchen das ablaufende Wasser, um aus der Wesermündung zu kommen.
Die letzten Sachen sind schnell erledigt. Wir verduschen die letzten Duschmarken, bezahlen die letzte Stromrechnung und checken aus. Acht Monate Bremerhaven sind zu Ende. »im-jaich« ist wirklich ein außergewöhnlich guter Hafen mit einer außergewöhnlich netten und umsichtigen Mannschaft. Wir haben uns hier schon fast wie Zuhause gefühlt, und wenn es uns wieder in den Norden führt, dann werden wir ganz bestimmt »im-jaich« noch einmal festmachen. Aber so gut es uns auch »im-jaich« gefallen hat, so sehr wissen wir nach unserer Zeit in Bremerhaven auch, dass die Ostsee für Sportbootfahrer ein echtes Glücksrevier ist. Vor jedem Ostseehafen liegen wenigstens ein Dutzend Ziele, die in einem gemütlichen Tagestörn und vor allem tidenunabhängig erreicht werden können. Das ist in Bremerhaven ganz anders und das ist für einen verwöhnten Ostseesegler schon etwas gewöhnungsbedürftig. Entweder fährt man von hier in die Weser rein oder nach Helgoland. Oder man fährt ankern, was aber über Nacht auf der Nordsee und in diesem Tidenrevier auch nicht ganz ohne ist. Cool ist es hier sicher auch, wenn man trocken fallen kann, aber welcher normale Segler kann das schon? Und es ist eben Nordsee und das ist besonders im Frühjahr und im Herbst schon mal eine ein ganz andere Nummer.
Da wir nicht trocken fallen können, bleiben uns als Etappenziel in Richtung Westen nur Norderney oder Borkum. Und schon Norderney ist mit seinen gut 65 Seemeilen ein Ziel, dass man in einem Tidenzyklus nur knapp und nur mit einer ordentlichen Portion glücklicher Umstände erreichen kann. Eine Tagesfahrt im Hellen funktioniert sowieso nur im Sommer, wenn die Tage lang genug sind. Und dann braucht man dazu noch ein Morgenhochwasser in Bremerhaven und wenigsten 3 bis 4 Beaufort aus S bis NE oder so ähnlich. Eine schwierige Kombination und das Einzige, was wir heute davon haben, ist der Sommer mit seinen langen Tagen. Die Tide ist definitiv gegen uns, denn Hochwasser ist erst um 13:25 und der Wind nörgelt irgendwie lustlos umlaufend aus vorwiegend südlichen Richtungen vor sich hin und ist nichts, was uns voranbringt.
So rechnen wir immer wieder herum, aber die Wahrscheinlichkeit, Norderney im Hellen zu erreichen, bleibt so gering wie bei allen anderen vorherigen Berechnungen auch. Das Segeln hier erfordert Kompromisse und unser Aufbruchssonntag ist so ein Kompromiss. Auf ein Morgenhochwasser wollen wir nicht warten, der Wind ist zwar nicht unser bester Freund, aber auch nicht gegen uns, doch der Sommer zeigt sich von seiner freundlichsten Seite, das ist ja auch schon mal was, also los.
Unser angespanntes Warten wird durch ein andauerndes »Huhu-huuuhu-huhuhu« unterbrochen. Die Stimme kommt mir bekannt vor und tatsächlich stehen Carmen und Marcus auf der Kaje. Was für eine Überraschung, dabei haben wir uns erst am Mittwoch in der Firma verabschiedet. Die beiden waren in Bremen und haben morgens schon eine konspirative Nachfrage-SMS mit der Frage geschickt, ob wir schon in See gestochen sind. Da haben wir natürlich keinen Verdacht geschöpft und nun stehen sie vor uns, um uns zu verabschieden. Das passt gerade noch so, wie die Faust auf’s Auge. Die Zeit verfliegt und dann ist es soweit, um auszuschleusen. So werden wir noch aus der Schleuse verabschiedet und dann beginnt tatsächlich unser Törn 2019.
Der Wind ist mickerig und knickerig. Wir versuchen die Tide zu pushen, wie der Engländer so sagt. Also vor Hochwasser und eben noch bei auflaufendem Wasser rauszugehen, um den Tidenzyklus »künstlich« zu verlängern, um dann an der günstigsten Stelle den maximalen Tidenstrom mitzunehmen. Dieser Plan ist gut, aber der Wind spielt nur mäßig mit. Schön wäre ein ordentlicher, vielleicht halbstarker Wind gewesen, der einen auch gegen das noch auflaufende Wasser vorankommen läßt. Wir versuchen es mit Segeln, müssen aber einsehen, dass uns das nicht wirklich hilft.
Also motoren wir und erwischen dann tatsächlich zwischen der Mellum und der Tegeler Platte eine ablaufende Tide, die uns eine hübsche Fahrt von über 9 Knoten beschert. Auf den hohen Sänden liegen die Robben in der Sonne und um die anderen Flachs strömt und gurgelt es nur so. Wir müssen uns erst wieder an die Navigation gewöhnen und gucken beide immer zweimal hin. Eine elektronische Seekarte hält ja doch immer gerne mal einige Überraschungen für einen bereit, wenn man etwas mehr hereinzoomt.
Auf Höhe von Wangerooge können wir dann tatsächlich Segel setzen. Der Strom ist immer noch mit uns, aber hier wird es langsam auch ruhiger. Insgesamt wird es auf diesem Schlag bei ganzen 13 Segelseemeilen bleiben. Schade, das hatten wir uns anders gewünscht. Kurz vor Langeoog beginnt die Tide zu kentern, nun ist es definitiv aus mit Segeln, wenn wir nicht rückwärtsfahren wollen. Da wir aber das Motoren nicht wirklich lieben, reden wir uns entgegen des Reeds und unserer Seekarte den Yachthafen von Langeoog schön. Optimistische 1,8m Tiefe lassen sich errechnen, da das Niedrigwasser 0,3 m über dem MSNW (mittleren Springniedrigwasser) liegen soll. Immerhin sind wir dann aber doch noch so schlau, bei der Hefenmeisterin von Langeoog anzurufen und zu fragen, ob es für uns aktuell passen könnte. Die Antwort ist ernüchternd, der Hafen fällt inzwischen fast komplett trocken, aber an einer Stelle würde wohl noch etwas Wasser bleiben, der Schlick, in dem wir dann mit 1,60m Tiefgang stecken, wäre aber auch schön weich.
Ok, also doch Norderney und nun auch definitiv im Dunkeln. Ein Anruf beim Hafenmeister von Norderney verpasst dann allerdings unserer Stimmung einen herben Dämpfer. Alles voll, wir müssten uns irgendwo längsseits ankuscheln, wenn überhaupt noch Platz ist. Obwohl in meinem Ohr das liebevolle Wort eines unbekannten Dänen klingt: “Auch in dem kleinsten Hafen findet sich immer noch ein Plätzchen!”, hegen wir Zweifel. Vor uns baut sich eine Gewitterfront auf, von der der DWD zu wissen meint, dass die ganz sicher eher nördlich als östlich zieht. Wir sollten also gewitter-safe sein, wenn da nicht das Gefühl wäre, dass das schwarze Zeug doch irgendwie in unsere Richtung zieht. Gewitter voraus, Borkum noch mal 40 sm mehr, Norderney voll und ohnehin nur im Dunkeln zu erreichen. Unser Plan sah anders aus. Sicherheitshalber bereiten wir den Anker vor, bevor es richtig dunkel wird. Ein Ankern hinter Langeoog nördlich der Ruteplate an der Tonne LW2 verwerfen wir. Dort soll es gerade bei südlichen Winden ungemütlich sein. Also Norderney mit dem Doppelplan: erstens in Hafen gucken und zweitens als Notlösung an der D26a ankern. Die liegt weiter östlich in einem Priel, wobei diese Ecke vollkommen unbeleuchtet ist und wir dort auch erst nach Mitternacht sein werden. Auch blöd, aber eine Notlösung ist es in jedem Fall, auch wenn die Gewitterfront immer deutlicher zu uns herüberblinkert.
Die Ansteuerung vom Dovetief erreichen wir im letzten Büchsenlicht. Einige Tonnen können wir noch erahnen. Weiter innen ist jede dritte Rote beleuchtet, die beleuchtete Grüne schwimmt zwar noch da, hat es aber nicht mehr so sehr mit ihrer Beleuchtung. Seit Bremerhaven haben wir “Radar geübt”! Das zahlt sich nun schon mal aus. Wir sind keine Profis, aber wir können die Tonnen dort sehen, oder besser gesagt erahnen, wo sie sind. Das Gewitter grüßt bei der Einfahrt mit einer Böenwalze. Eigentlich ist das ja bei einem Gewitter nichts Ungewöhnliches, aber diese Böenwalze hat zwei Temperaturen, zuerst treffen uns klapperkalter 5 bis 6 Beaufort fast aus dem Nichts, um dann genauso überraschend auf Föntemperatur der Stufe 3++ zu wechseln. Es ist unglaublich, als ob man sich die Haare fönt. Astrid ertappe ich dabei, wie sie sich automatisch in den Haaren herum wuschelt, statt die Festmacher herauszufummeln. Nach 5 Minuten ist der Spuk vorbei und wir dürfen doch bei moderaten Bedingungen in den Hafen von Norderney einlaufen. Wie durch ein Wunder finden wir eine freie Box. Einsam und verträumt hat sie auf uns gewartet. Wir fahren zweimal langsam vorbei und suchen nach einem roten Zeichen, aber nichts, alles ist gut. Um 23:45 sind wir fest und Astrid kramt zwei Gläser und ein Fläschchen Weißwein heraus. Pünktlich um 0:00 stoßen wir auf unseren ersten Törntag und auf meinen Geburtstag an.
auf Norderney
53° 42′ 9,3″ N, 07° 9′ 53,7″ E