Von Guernsey nach Jersey


Unsere Planung hat aktuell keine große Haltbarkeit. Kaum habe ich in dem Guernsey – Blog¹ geschrieben, dass aus unserem Sightseeing nun wieder einmal ein »Irgendwie-weiterkommen« geworden ist, ist am nächsten Morgen auch schon wieder alles anders. Es scheint schwierig zu sein, die Entwicklung der Tiefs, die noch weit draußen auf dem Atlantik sind, richtig vorherzusagen. Besonders wenn sie gerade erst in der Entstehung sind. So sind wir noch gestern davon ausgegangen, dass wir uns für das Wochenende ein sicheres Plätzchen suchen müssen und nun kommt das dicke Ding doch schon am Donnerstag / Freitag hier vorbei.

Also streichen wir Sark und Jersey mit ihren Ankerbuchten im Nordosten und beschließen direkt von Guernsey nach St. Helier auf Jersey zu gehen. Von dort aus haben wir dann am Mittwoch eine bessere Ausgangsposition die französische Küste möglichst weit westlich zu erreichen.

In jedem Fall wollen wir schon wieder an der französischen Küste sein, wenn uns das Tief erreicht, denn so langsam müssen wir uns in eine gute Position bringen, um dann irgendwann die bretonische Halbinsel zu runden. Doch wenn man den Voraussagen glaubt, wird das in der nächsten Zeit wohl nicht wirklich einfach werden. Ein gemütliches »Rundungswetter« ist nicht in Sicht. Also müssen wir uns, so gut es geht, anpirschen, um dann im richtigen Moment die Gunst der Stunde zu nutzen. Schließlich wollen wir ja auch segeln und nicht einfach nur stumpf gegenan motoren.


Guernsey -> Jersey Start: 13:00 Ende: 20:45 Wind: W 15 -> SW 10-5 kn Distanz: 31,5 sm Gesamtdistanz: 817,9 sm

 

„von Guernsey -> nach Jersey“

„von Guernsey -> nach Jersey“

Um möglichst viel von dem »guten Strom« in Richtung Jersey mitzunehmen, verlassen wir die Beaucette Marina kurz vor knapp. D.h. um 13:00, denn bis 13:30 können wir rausfahren, bis dahin steht für uns noch genug Wasser in der Einfahrt. So langsam haben wir uns an die Gezeitenrechnung gewöhnt und immer öfter gelingt es uns auch, eine gute Kombination aus Wind, Gezeiten und der Möglichkeit, in einen Hafen einzufahren oder ihn zu verlassen, hinzubekommen. Aber keine Frage, es bleibt schwierig und ist bei weitem nicht so entspannt wie auf der Ostsee. Doch es macht auch Spaß, besonders dann, wenn der Strom dem Wendewinkel auf die Sprünge hilft oder man über Grund Geschwindigkeiten erreicht, die man allein mit dem Wind nie hinbekommen hätte.

 

„Ausfahrt + der Brehon-Tower zwischen Guernsey und Herm.“

„Ausfahrt + der Brehon-Tower zwischen Guernsey und Herm.“

Zwischen Guernsey und Herm läuft der Strom allerdings noch gegenan, aber dafür meint es hier der Wind noch gut mit uns. Knapp und knirschig können wir gegen den Strom segeln und uns durch das Fahrwasser vor St. Peter Port fädeln. Erst als es etwas mehr nach Südost geht, der Strom schwächer wird, um dann auch bald zu kentern, hat der Wind keine Lust mehr. Doch das ist nun gar nicht mehr so schlimm, denn der Strom hält uns in Fahrt.

 

„Zwischen Herm und Guernsey, unten St. Peter Port.“

„Zwischen Herm und Guernsey, unten St. Peter Port.“

Richtige berauschende Höchstgeschwindigkeiten springen dabei für uns nicht heraus, aber es läuft, und das ist die Hauptsache. Fast auf der ganzen Strecke begleitet uns ein erstaunlich hoher Schwell. Diese Reste aus dem Atlantik sind nicht ungemütlich. Es geht sanft hoch und wieder runter. Bei dem schwachen Wind hat man manchmal das Gefühl, dass man zusammen mit der PINCOYA wie beim Schaukeln Schwung holen muss, damit es wieder hoch geht. Das ist natürlich Blödsinn, denn der Schwell läuft von schräg achtern ein und einfach unter uns durch. Trotzdem spielt einem das Gefühl immer wieder diesen Streich.

 

„Entspannt nach Jersey.“

„Entspannt nach Jersey.“

Vor Jersey wird es dann zäh. Der Wind will gar nicht mehr und weil wir nicht motoren wollen, treiben wir mehr in Richtung St. Helier, als aktiv zu segeln. Nun ja, sputen müssen wir uns eh nicht, denn für die Hafenöffnung in St. Helier sind wir immer noch zu früh. Vor dem Gästehafen von St. Helier sind Wartestege und als wir um 19:30 um die Ecke der inneren Mole biegen, trauen wir unseren Augen nicht. An den Wartestegen liegen schon etwa 50 Boote in fünf großen 8er Päckchen und vor und hinter diesem unglaublichen Päckchenhaufen liegen noch einige richtig große Motorschoben und einige kleine Segelboote, bei denen man sich fragt, ob die wirklich so geeignet sind, um die Kanalinseln zu bereisen.
Die Ampel zeigt trippelrot und auf der Anzeige steht 0,0 m. Nachdem wir unschlüssig etwas herumgedümpelt sind, machen wir als 9te längsseits eines blue-Ensign Engländer fest. Der ist Jersey-Profi, erklärt uns das Prozedere und versichert uns, dass alle Schiffe hier draußen auch irgendwie im inneren Hafen untergebracht werden. Und wir erfahren gleich, wo es das beste Fish&Chips in Town gibt ?.

 

„Die alle (!) wollen rein!“

„Die alle (!) wollen rein!“

Nachdem etwas Wasser über dem Sill steht, kommt der Hafenmeister raus. Er fährt seine neuen Gäste ab und erklärt uns, dass er und seine Kollegen versuchen werden »to clear all this here in a smooth and calm procedure«. Bei »all this here« macht er eine Kopfbewegung über den nervösen Haufen von Wartenden und fügt hinzu »however, we will try«. Die doch recht langen Päckchen schwanken etwas, denn nur der Erste ist am Steg ist fest. Aber der Wind ist »mit den Päckchen« und so geht das wenigsten heute für kurze Zeit.
Kaum steht auf der Anzeige 2,2 m werfen die Ersten los. Aber Vorfahrt haben die Auslaufenden und die Ampel für die Einfahrt zeigt weiterhin trippelrot. Eigentlich ist das so, wie bei der Bahn, erst aussteigen, dann einsteigen. Aber die nackte Angst regiert und der Hafenmeister hat alle Hände voll zu tun, um etwas »smoothness« und »calmness« in seinem Gästehaufen zu halten. Bei der Auslaufendenquote steht es am Ende 2 zu 50. Im Hafen ist es also nicht viel leerer geworden. Mit den Trippelgrün bricht sich dann aber in einigen Köpfen die nackte Angst um einen freien Liegenplatz brutal Bahn, obwohl der Hafenmeister immer wieder von Päckchen zu Päckchen fährt und erklärt, dass nur einer nach dem anderen einfahren kann und er schon ganz gerne die Reihenfolge etwas nach Länge und Tiefgang sortieren würde. Im Hafen warten zwei weitere Hafenmeisterkollegen, die dann die Einweisung vor Ort vornehmen.
Im zweiten Päckchen regiert die Panik und ein Belgier wirft an 4ter Position einfach los. Der Rest des außenliegenden Päckchen ist überrascht über die plötzliche Bewegung und in nullkommanichts löst sich auch der Rest des Päckchens auf und versucht gleichzeitig, durch die enge Hafeneinfahrt zu kommen. Von hinten drängelt ein Motorschoben im Ibiza-Format und treibt die aufgescheuchte Schar aus Päckchen 2 vor sich her. Gurgelnd verschwindet alles zwischen den Hafenmolen. Der Hafenmeister schaut machtlos zu und startet kopfschüttelnd einen neuen Versuch mit seiner »smooth and calm procedure«.

 

„Wir verlassen unser Wartepäckchen und dürfen auch rein.“

„Wir verlassen unser Wartepäckchen und dürfen auch rein.“

Einer nach dem anderen kommt nun dran und irgendwann auch wir. Wie die Lemminge laufen wir ein und ganz nach hinten zu den Gästestegen. Dort flitzen in der Tat zwei weitere Hafenmeister herum und sortieren die Ankommenden in die Boxengassen. Wir sollen mit 1,60 m Tiefgang ganz nach hinten in Gasse 1. Gott sei Dank hat unsere Dame heute ihren gutmütigen Tag. So drehen wir vor der Gasse auf engstem Raum und fahren dann rückwärts an zweite Position im vorletzten Päckchen. Alles sieht wie echtes Können aus und keiner ahnt, dass es nur purer Zufall ist. Gelassen geben wir unsere Leinen an einen Engländer, scherzen ein wenig und halten so unser Image vom ausgefuchsten Anlegekünstler aufrecht. Es ist echt eng und es wir noch enger. Nicht jedes Anlegemanöver gelingt und immer wieder müssen wir aufspringen, um größere Schäden an der PINCOYA zu vermeiden. Die Krönung ist dann ein Franzose mit einem Gott sein Dank recht kleinen Boot. Er spricht auch nicht nur das kleinste Wörtchen Englisch, was den Hafenmeistereinweiser zu wahren Kunststücken in der internationalen Zeichensprache veranlasst, um seine französischen Brocken zu verstärken. Der Franzose kommt aber leider mit seinem Boot überhaupt nicht klar, wie die beiden es bis bis Jersey geschafft haben, bleibt deren Geheimnis. Mehr oder weniger treibend wird er links und rechts nach hinten durchgereicht, während sein Vorschiffsmann mehrere eigentlich gut aufgeschossene Leinen in Windeseile in einen gordischen Knoten verwandelt, der seines Gleichen sucht.
Gegen 22:00 kehrt Ruhe im Hafen ein und die Nacht legt sich beruhigend über die Gemüter. Tatsächlich haben alle Schiffe vom Warteponton ein Plätzchen gefunden und es ist voll, aber mit etwas mehr von dieser »smooth and calm procedure« hätten die Hafenmeister sicher noch 20 weitere Schiffe unterbringen können. Unglaublich!

¹ (der Blog selbst kommt noch ?, wenn wir im Rückstand sind, was wir ja meistens der Fall ist, kommen immer erst die Blogs zu den Fahrtagen)

auf Jersey, St. Helier (Channel Islands, UK)
49° 10′ 56,6″ N, 002° 06′ 36,4″ W