St. Helier (Jersey, Channel Islands) -> Roscoff (F) Distanz: 103,0 sm Gesamtdistanz: 920,9 sm
Zum einen drängelt uns die Zeit und zum anderen nervt das Wetter. Schaut man in die Vorhersagen, gibt es kaum mal einen Wind, der uns der Bretagne einfach näher bringen könnte oder uns gar um’s Eck schiebt. Immer nur West und Südwest, gespickt mit dicken Sturmtiefs, die uns zwingen, ein geschütztes Eckchen zu finden.
So haben wir von Jersey aus nur ein Ziel, »rüber nach Frankreich« und so weit wie möglich westlich einschlagen. Dafür bleiben uns aber nur noch der Mittwoch und der Donnerstag. Donnerstagabend müssen wir dann ein sturmsicheres Plätzchen erreicht haben. Das Problem dabei ist allerdings, dass es hier für uns eigentlich nur Saint Quay-Portrieux und Roscoff als tidenunabhängige Sturmversteck gibt. Die Tidenunabhängigkeit ist für uns in diesem Fall schon ein Muss, denn wir müssen das ablaufende Wasser maximal nutzen, um nach Westen voranzukommen. Und wenn es dann abgelaufen ist und der hübsche Weststrom ein Ende hat, dann ist eben Niedrigwasser und genau dann hilft uns kein Hafen mehr, den man nur bei Hochwasser anlaufen kann. Es gibt zwar auch noch Ankerbuchten, die passen würden, die betrachten wir aber zunächst einmal nur als Nothaltebuchten, wenn keiner der beiden Häfen hinhaut. Immerhin plant der Wind ja wieder, mit 35 kn zu blasen, und er hat auch diesmal wieder Böen in Sturmstärke dabei. Seit Alderney wissen wir, wie sich das anfühlt und es soll ab der Nacht zum Freitag wieder genauso losgehen, wenn nicht noch etwas dicker kommen.
Also starten wir auf Jersey mit der Parole “go west!”. Ab ca. 9:30 können wir über das Sill des Hafens ausfahren, aber ein zu früher Aufbruch nützt uns wenig, denn während das Wasser noch kräftig aufläuft, setzt auch der Strom im Süden von Jersey noch kräftig nach Osten. Und ein nach Osten setzender Strom unterstützt nicht gerade unser Motto “go west”. Deswegen planen wir 12:00 und üben uns in Geduld und Gelassenheit. Aber das mit der Geduld und Gelassenheit ist so eine Sache, speziell wenn ein vollgepackter Plan wartet, der zudem etwas Glück in seiner Verwirklichung braucht und eher wenig Luft für Unwägbarkeiten enthält.
Unser erster Plan war mit dem Westwind nach St. Cast zu gehen. Aber zwischen Jersey und St. Cast liegen die »Les Minquiers«, eine noch zu Jersey gehörende Ansammlung von Untiefen, Steinen und Felsen, von denen zu Hochwasserzeiten zwar wenig zu sehen ist, dessen Reste aber unter Wasser noch eine Menge Ärger machen können. Um uns diesen Ärger zu ersparen, müssen wir dort auf jeden Fall im Westen herum. Und genau an dieser Stelle kam dann Saint Quay-Portrieux ins Spiel. Wenn es uns gelingt, trotz des Westwinds und mit der Stromunterstützung einigermaßen elegant im Westen um die »Les Minquiers« herumzukommen, dann könnten wir auch versuchen, das weiter westlich gelegene Saint Quay-Portrieux anzulaufen. Schließlich ist es ja ein Westwind und kein Südwestwind und sicher ist auch der Strom freundlich genug, um uns mitzunehmen. Aber zunächst ist eben Geduld gefragt, zu früh loszufahren hilft nicht.
Unsere Geduld hält dann noch bis 10:00 ? und als der Engländer, der die Nacht längsseits bei uns lag, seinerseits ein frei werdendes Plätzchen am Steg erspäht und losmacht, brechen auch wir auf. In dem allgemeinen Gewühle zwischen den 2er und 3er Päckchen ist das nicht ganz einfach, gelingt aber am Ende ganz elegant.
Der Gästehafen von St. Helier liegt geschützt und als wir unsere Nase in den Vorhafen stecken, weht dort schon ein ordentliches Lüftchen und draußen sehen wir einige Segler auf der Backe liegen. Also binden wir ein erstes Reff ins Groß und auch die Genua darf nicht ganz raus. Wie erwartet, setzt der Strom noch kräftig nach Osten, aber mit dem kräftigen West können wir die Höhe gut halten und kommen nach Süden voran. Also Autopilot an und Windsteuerung rein. Und siehe da, nach einiger Zeit wird unser Kurs immer südwestlicher, obwohl der Wind sich nicht ändert. Die »Les Minquiers« kriegen wir trotzdem nicht ganz und müssen noch einen kleinen Holeschlag einbinden. Danach fahren wir den maximal möglichen Westkurs weiter und Astrid schaut in den Revierführer. Etwas nördlich von Saint Quay-Portrieux liegt genau voraus die Ankerbucht Anse de Brehec.
Und siehe da, die können wir tatsächlich die ganze Zeit anhalten. Der Wind wird zwar etwas schwächer, sodass wir bald ausreffen, aber er bleibt uns erhalten. 47 Seemeilen sind nicht eben wenig und so zieht es sich.
Eine Stunde nach Niedrigwasser erreichen wir unsere Ankerbucht und lassen auf 5,5 m den Anker fallen. Da in den nächsten 5 Stunden noch gut 7 m Wasser wieder dazukommen, stecken wir 50 m Kette (nach unserer neuen Regel, 30 m auf dem Boden + 5 m Radius nach oben + 12,5 m Wassertiefe + 2 m Freibord). Alles gut, die Nacht kann kommen.
Die Bucht von Anse de Brehec ist eigentlich hübsch. Im Sommer muss es hier richtig toll sein! ? Aber zur Zeit ist Herbst. Grau, trüb und nasskalt. Vor uns liegen noch gut 55 Seemeilen bis Roscoff. Es wäre schon gut, wenn wir Roscoff erreichen könnten. Wenn das aber mit dem angekündigten Süd nicht hinhaut, wäre Anse de Brehec tatsächlich eine Nothaltebucht um sich zu verstecken. Der Schwell würde uns dort zwar ziemlich durchschaukeln, aber gegen alles Böse von Süd über West bis Nord ist die Bucht gut geschützt.
Für den Trip nach Roscoff müssen wir wieder mit dem Strom kalkulieren, der südliche Wind allein wird uns bis heute Abend nicht dorthin bringen. Gegen 14:00 müssen wir nordwestlich der Ile de Brehat den mitlaufenden Strom erwischen, sonst wird das nichts. Zäh bis ganz zäh quälen wir uns ab 10:00 nach Norden voran. Immer wieder werden wir geduscht. Es ist wirklich Herbstwetter. Östlich der Ile de Brehat geht dann gar nichts mehr. 1,5 Knoten Fahrt, Regen und ein lustloser Wind gegen einen immer noch kräftigen Strom. So fahren wir doch eine Stunde unter Motor, bis der Süd wieder etwas zunimmt und der Strom nicht mehr gegen uns ist.
Gefühlt kommen wir nur gähnend langsam voran, obwohl uns das GPS teilweise 6 bis 7 kn Fahrt über Grund bestätigt. Es dauert eben, um sich 55 Seemeilen zu ersegeln.
Aber zum Ende hin und Roscoff schon vor Augen, werden wir tatsächlich etwas ungeduldig und unruhig. Mit jeder Seemeile liegen uns die Untiefen von La Meloine immer mehr im Weg und der immer weiter südwestlich drehende Wind vereitelt erfolgreich jeden Versuch, uns doch irgendwie noch daran vorbei zu mogeln. Zudem grüßen von Westen schon die ersten dicken Wolkenberge des Sturmtiefs zu uns herüber, was uns auch nicht geduldiger macht. Doch wir haben ja schließlich ein Segelboot und auch etwas sportlicher Ehrgeiz ist noch über. Also kreuzen wir uns tapfer voran, bis direkt vor die Einfahrt nach Roscoff.
Wir sind nicht die einzigen, die jetzt noch ankommen, aber so ziemlich mit die letzten. Die Marina ist rappelvoll und es sieht nicht gerade danach aus, dass wir noch ein Plätzchen finden. Zudem jagt der Wind inzwischen mit 5er Böen quer durch den Hafen. Keine guten Voraussetzungen, um ohne Bugstrahlruder die Boxengassen nach eventuell freien Plätzen abzuklappern. Kurzentschlossen machen wir längsseits an einer 16 m Ketch fest, die an einem der Stegköpfe liegt. Bei diesem Wind ist es einfacher, zu Fuß auf die Suche nach einem Liegeplatz zu gehen. Das brauchen wir dann aber gar nicht mehr, denn der Hafenmeister schaut bei uns vorbei und entschuldigt sich tausendmal, dass absolut nichts mehr frei ist. So bleiben wir längsseits an der Ketch und machen alles sturmfest. Unser Plätzchen ist nicht optimal, aber hier ist es immer noch besser, als auflandig im 3er Päckchen neben der Tankstelle zu liegen.
Und wir haben Roscoff unter Segeln vor dem Sturm geschafft, das ist ja auch schon mal was.
Stationen:
07.08. St. Helier (Jersey, Channel Islands) -> Anse de Brehec (F) 47,2 sm: 48° 43′ 34,9″ N, 002° 54′ 18,3″ W
08.08. Anse de Brehec (F) (A) -> Roscoff 55,8 sm: 48° 42′ 58,9″ N, 003° 57′ 52,1″ W