Les Sables d’Olonne -> St. Martin auf der Île de Re -> La Rochelle Start: 8:00 Ende: 20:10 Wind: NW – W 18 (22) – 15 kn Welle: WNW 3,2 -> 2,2 m 15s Distanz: 37,9 sm Gesamtdistanz: 1.514,0 sm
Als wir gleich zum Sonnenaufgang aus Les Sables d’Olonne auslaufen, sagt Astrid plötzlich: “Oh!” und ich sag: “Wat?”. Auf mein “Hä?” zeigt Astrid auf die Ausfahrt. In diesem Moment steigt ein nächster Brecher an der westlichen Mole hoch, verharrt kurz etwa 4 m oberhalb der Mole, um dann in der Hafeneinfahrt abzuregnen. Wenn man gerade beim Auslaufen ist, dann kommen solche Bilder nicht ganz so gut, als wenn man zum Beispiel gerade auf der anderen Seite steht und auf spektakuläre Bilder wartet. Alles eine Sache des Standpunktes, aber wir warten gerade nicht auf spektakuläre Bilder, sondern wollen genau dorthin auslaufen, wo diese Wellen sich gerade erbrechen.
Für einen Moment gerät unser Ablauf etwas ins Stocken und wir beobachten gebannt die Außenmole. Schöne Scheiße! Gute 3,5 m Wellen haben sie aus Westsüdwest vorhergesagt und die Einfahrt nach Les Sables ist bei echten Wellen nicht unbedingt ein Quell der Freude, aber warum müssen die Wellen jetzt schon so gierig über die Mole gucken.
Egal, wir haben das Problem ja schon bei der Einfahrt gesehen. Da war allerdings Niedrigwasser, aber jetzt ist fast Hochwasser. Kein Wunder, dass die Burschen bei Hochwasser aggressiver rüber kommen als bei Niedrigwasser. Ist ja wie mit dem Blutdruck, wenn man zu niedrigen Blutdruck hat, ist man ja auch nicht richtig munter.
Wir sammeln uns und setzen das Groß im ersten Hafenbecken. Dann vertauschen wir die Rollen, ich gehe ans Ruder und Astrid nimmt die Kamera.
Sollten wir doch fluchtartig den Rückzug antreten müssen, bin ich am Ruder schon insgesamt etwas beherzter als Astrid, aber Bilder brauchen wir ja natürlich auch. Sieht ja auch toll aus, mal ganz abgesehen von dem Umstand, dass wir gerade auslaufen. Wie gesagt, es ist Hochwasser und hinter der grünen Mole ist nun auch für uns etwas Freiraum, bevor die rote Mole endet. Wenn es gar nicht geht, machen wir dort eine Schleuderkurve und verkriechen uns wieder im Hafen.
Hinter der roten Mole rumpelt es gehörig und wir geben Vollgas, als der Schwell merklich zunimmt. Nach der roten Mole läuft der Schwell ungehindert ein, nur über den westlichen Untiefen hat sich schon das Gröbste abgebrochen. Uiijuijuih, erstaunlich hoch, schießt uns gerade noch durch den Kopf, dann kommt auch schon so ein erstes dickes Ding und legt uns auf die Seite. Immer noch Vollgas. Die Abdeckung durch die Stadt nimmt uns den Wind. Wir brauchen mehr Druck im Segel. Autopilot rein, dann haben wir die Hände frei. Der macht sich mit der neuen Pumpe prima, da können wir uns drauf verlassen. Auch wenn’s eng ist. Die Genua muss raus, wir brauchen Stabilität. Immer wieder werden wir auf die Seite gelegt, aber die Burschen brechen nicht. Das wäre schon maximal blöde, aber sie benehmen sich ganz anständig. Genua voll, Groß voll, 120 Grad, wir merken, wie die Segel ziehen.
Es dauert noch etwas, bis wir höher ran können, um die Wellen besser zu nehmen. Unsere dicke Erna ist eine wahre Wucht, sie geht gelassen durch die Wellen, auch wenn uns so manch eine ungünstig erwischt und wir uns richtig festhalten müssen. Aber je weiter wir aus dem Einfahrtsbereich herauskommen, desto gleichmäßiger werden auch die Wellen. Die Grundwellen sind hoch und lang. Nicht so hoch wie auf unserem Ritt zur Île de Yeu, aber tatsächlich etwas länger. Unser Kurs führt uns etwa eine Seemeile vor der Küste entlang, das macht die Wellen ruppiger. Etwas chaotisch überlagern sie sich immer wieder. Astrid schließt sicherheitshalber unseren Niedergang, denn so manch ein Bursche schaut recht begierig zu uns herein. In der Vorhersage kamen die Wellen aus Südwest. In der Realität kommen sie nun aber ganz einträchtig mit dem Wind aus Nordwest. Und auch die Windvorhersage war etwas sparsam mit den Knoten, statt munteren 15 haben wir nun dauerhaft stramme 20. Aber sie kommen aus 120°, das ist nicht schlimm, wir lassen es laufen und rauschen durch die Wellen. Allerdings ist aus dem West inzwischen ein reiner Nordwest geworden. Das läßt die Genua zicken, immer wieder fällt sie ein. Ein ewiges Theater, besonders weil uns die Wellen auch immer wieder auf die Seite legen. Da steht eine Genua gar nicht. Gott sei Dank haben wir genügend Wind, um bei diesem Eierkurs auf die Genua verzichten zu können. Also rollen wir sie ein und fahren nur vor Groß. Unsere Lieblingsbesegelung bei achterlichem Wind. Mit Bullenstander eine wirklich »friedliche« Beseglung. Auch wenn uns die hohen Wellen ein ums andere mal richtig nicken lassen, so segeln wir ruhig und stabil. Kein Geschlacker und kein Geschlage. Seit unserem Estland-Törn 2016 haben wir beidseitig immer einen Bullenstander fest angeschlagen und jeder hat sogar einen eigenen Fallenstopper bekommen. Das hat sich schon in der Ostsee bewährt, aber hier in den Wellen ist ein Bullenstander einfach unerläßlich. Großsegel auf, Bullenstander fest und Ruhe ist. So schaukeln wir der Île de Re bewegt, aber ruhig entgegen.
Die von Nordwest einlaufenden Wellen und der Wind aus derselben Richtung machen uns etwas Sorgen wegen unseres Besuchswunschs von St. Martin auf der Île de Re. Dort können wir nur zu Hochwasser rein und der Hafen öffnet nur 3 Stunden vor und nach Hochwasser. Hochwasser ist aber heute erst wieder um 21:00 und der Hafenmeister macht um 19:00 Feierabend und somit ist das Tor schon wieder 2 Stunden vor Hochwasser dicht. Aber zu dieser Zeit steht für uns erst ganz knapp und knirschig genügend Wasser in der Einfahrt. Also wollen wir lieber bis zum nächsten Morgenhochwasser vor St. Martin ankern und warten, bis das Hochwasser und auch die Dienstzeiten des Hafenmeisters besser zu unserem Tiefgang passen. So unser Plan. Als wir kurz vor dem Nachmittagniedrigwasser dort ankommen, ist alles recht friedlich. Der Schwell hat zwischen dem Festland und der Île de Re deutlich abgenommen und auch der Wind zeigt sich friedlicher, kommt aber aus Nordwest immer noch genau entlang der Küste der Insel. Die Bedingungen sind nicht ideal, aber moderat, und sollten mit unserem dicken Anker eigentlich kein Problem sein.
Allerdings nimmt der Wind am späten Nachmittag entgegen der Vorhersage wieder kräftig zu. Obwohl er nun tatsächlich aus West kommt, dreht das auflaufende Wasser unser Heck um gut 45 Grad und läßt so den Bug der PINCOYA nach Nordwest schauen. Auch die Wellen sind wieder höher geworden und so gerät die Kocherei zum Abendbrot zu einem Eiertanz mit Jongliereinlage. Das bedeutet auch, dass es erst nach dem Essen etwas zu trinken gibt, denn beides können wir nicht gleichzeitig festhalten ?, essen geht sowieso nur mit Gabel ?, da fehlen dann irgendwie doch plötzlich ein bis zwei Hände ?. Ein Oktopus ? hätte da nicht solche Probleme ?. Nach dem Abendbrot, so gegen 17:45, haben wir die Nase voll. Es wird immer schlimmer und der Bug der PINCOYA stampft in den Wellen wie auf einer Kreuz. Ein kurzer Blick in die Karte lässt uns einen Ankerplatz am südlichen Ende der Île de Re, gleich hinter der Brücke, finden. Schnell sind wir uns einig, denn die 6 Seemeilen können wir morgen auch einfach noch mal kurz zurückfahren, um dann nach St. Martin reinzufahren.
Das Aufholen des Ankers ist eine feuchte Sache und muss schnell gehen. Wann hatten wir solch ein Affentheater schon einmal? Vor Anholt, ja genau! Auch zu lange gewartet und dann wunderbar auf Legerwall. Aber dann fällt Astrid schon ab, die Genua rauscht raus und wir sausen vor nun schon wieder 20 Knoten eilig in Richtung Brücke. Unter der Brücke nehmen wir im Fernglas unseren neuen Ankerplatz in Augenschein.
Bei ablandigen Wind bricht sich dort rauschend und grollend ein etwa 2m hoher Schwell, der auch mal Sets von 3 m enthält. Hä? Wie? Ein Traum mit Alb? Wie kann das sein? Wird reiben uns die Augen und gucken immer wieder durch die Ferngläser. Aber der Schwell und die brechenden Wellen bleiben. Ein Franzose nähert sich aus La Rochelle kommend dem Mooringfeld und macht tatsächlich an einer der Moorings fest. Im Fernglas beobachten wir seinen Eiertanz. Die Wellen sind so hoch, dass sie teilweise seinen ganzen Rumpf verschlucken, um ihn kurz darauf steil aufschaukelnd wieder zu zeigen.
Was ist das nur für ein Mist? Ich höre die Freundin des wackeren Franzosen, der sich eine lauschige Ankernacht mit Sternenfunkeln und seiner Liebsten ausgemalt hat sagen: “Nicht mit mir, bist du irre?” Und sie hat recht, was soll das für eine lauschige Nacht werden, wenn man non-stop Achterbahn fährt.
Aber was ist hier los? Eine Insel, an der ringsherum kein Ankern möglich ist, weil überall nur Wellenalarm herrscht.
Nachdem nun auch unser Plan B hinfällig ist, kommt unser Plan C zum Tragen. Wir lassen den St. Martinstag ausfallen und gehen direkt nach La Rochelle. Wieso die Wellen hier ein so blödes Spiel mit uns treiben, bleibt ein Geheimnis von Neptun. Logisch finden wir das jedenfalls nicht, wenn auf jeder Seite einer Insel munter ein hässlicher Schwell einläuft.
Und auch der Franzose bricht sein Schäferstündchen vor Anker ab, um sich nicht auch noch sein ganze Wochenende zu vermasseln.
Während wir La Rochelle ansteuern, sammelt sich im Westen eine tiefschwarze Wolkenwand. Viel Zeit bleibt uns nicht mehr, erstens geht die Sonne unter und in 30 Minuten wird es hier stockfinster sein und zweitens sieht die Wolkenwand in der Tat so aus, als ob es gar keine so schlechte Idee ist, alsbald einen sicheren Hafen anzusteuern.
Mit dem letzen Quäntchen Tageslicht machen wir dann im Yachthafen von La Rochelle fest und als wir gerade die zweite Spring belegt haben und alle Fender noch einmal hinzuppeln, bricht der Wolkenbruch über uns herein. Das war just in time, knapper ist kaum möglich.
erst vor St. Martin
46° 12′ 58,3″ N, 001° 22′ 18,5″ W
aber dann doch in La Rochelle
46° 12′ 58,3″ N, 001° 22′ 18,5″ W