Die Nacht von Samstag auf Sonntag:
Schon seit 20:00 bläst es durchgehend mit gut 25 Knoten. In einer gemeinsamen »Stegaktion« binden wir unsere Schiffe fester, richten sie am Steg noch einmal neu aus, bringen weitere Leinen aus und hängen alles an Fendern raus, was sich auf den Schiffen so findet. Ein holländisches Pärchen, ein Einhandschwede, ein französisches Pärchen und wir. Der Aluschifffranzose, der in Luv von uns an demselben Fingersteg liegt, ist nicht zu sehen. Er hat offensichtlich schon bei Böen mit 30 Knoten keine Idee mehr, was man machen könnte oder einfach nur Angst. Nur einer seiner Fender sitzt halbwegs richtig, die anderen hängen irgendwo herum und der Rumpf reibt sich genüßlich am Fingersteg. Ich klopfe und winke, er ist unten, er sieht mich, aber er kommt nicht raus. Also klettere ich auf sein Schiff, suche mir eine Leine und bringe sie mit Astrid zusammen nach Luv aus, um dort noch etwas mehr Festmacherei zu haben. So etwas mögen andere Eigner, wenn sie in Lee liegen! ?
Bis kurz vor 24:00 sitzen wir dann als »Steg-Crew« auf der 47er des französischen Pärchen zusammen. André hatte vor einer Woche schon einmal Pech und hat dabei einen Finger verloren. Die spanische Rescue wollte ihn mit Motorproblemen abschleppen, hat aber schon angezogen, als er die Trosse noch gar nicht ganz fest hatte. Das hat ihn einen Finger gekostet und einige Knochen in seiner Hand gebrochen. Er und seine Frau können uns nur sagen, wo wir weitere Leinen finden, aber selbst nicht viel machen. Da ist nun Nachbarschaftshilfe gefragt.
Kaum sind wir wieder auf der PINCOYA, beginnt es richtig zu blasen. Erst einige 45er Böen, dann durchgehend um die 45 Knoten, die immer wieder mit 55er Böen garniert werden. Die Regenschauer werden waagerecht durch den Hafen gepeitscht. 55 Knoten im Hafen, was ist hier los?
Für Gijón waren 32 Knoten vorausgesagt, mit Böen von knapp 40. Und nun dies! An den Windfinder-Messstellen entlang der Küste werden inzwischen Böen von 88 Knoten gemessen und die Wellen haben nicht die ohnehin schon beeindruckenden 6 bis 7 m , sondern 9,5 m. Es ist unser vierter echter Orkan, einen hatten wir in Schweden und zwei in Heiligenhafen. Aber egal, wie viele es sind, und auch wenn wir heute nicht mehr die Angst haben, die uns unser erster Orkan in Schweden gemacht hat, es ist und bleibt beängstigend. Auch im Hafen.
Durch Zufall haben wir der PINCOYA noch den besten Platz verpasst. Als wir umlegen mussten, sind wir auf die hintere Seite des Pontons, weiter innen und auf die östliche Seite eines Fingers gegangen. Die drei anderen liegen auf der gegenüberliegenden, vorderen Seite des Pontons. Dort steht der Wind nun aus backbord 60° auf ihren Bügen, denn alle liegen mit dem Heck zum Ponton. Zudem wird der Restschwell aus der Biskaya von dem Wind einfach direkt in die Hafeneinfahrt umgelenkt. Die Wellen brechen sich vor unserem Ponton!!! Die andere Seite und das Lee des Fingerauslegers sind unser großes Glück.
Oft haben wir ja schon gedacht, dass wir mit unserem »fast manischen« Festmacher-Ensemble etwas überkandidelt sind. Aber nun ist unsere Backskiste bis auf die beiden letzten 30m Schwimmleinen leer!
Wir binden die 47er des französischen Pärchens noch mit zwei unserer 22er Leinen fest. Die 47er hat nur Mini-Klampen. Spielzeug für so ein Schiff, und in der Nacht soll auch noch die zweite Heckklampe wegbrechen. Die vorderen und die steuerbordseitige sind schon bei der Aktion mit der Rescue weggebrochen. Wie kann man allen Ernstes solch einen Kinderkram an ein so großes Schiff bauen. Auf den kleinen Klampen ist ohnehin kaum Platz. Nachdem wir schon eine der Bugleinen auf die Winsch umgelenkt haben, legen Astrid und ich die 6te Bugleine einfach um den Mastfuß.
Der Wind ist mörderisch und drückt die Schiffe in den Böen und zusammen mit den Wellen mit ihrem Sülbords (!!!) immer wieder fast unter die Fingerausleger der Schwimmstege. So etwas haben wir auch noch nicht gesehen. Die Fender sind machtlos. Wir versuchen, sie irgendwie in Position zu halten und zu schieben, wenn wieder so ein richtiger Drücker kommt. In den Böen herrscht ein ohrenbetäubender Lärm. Das sind Situationen, in denen man seine Frau auch ruhig schon mal anschreien darf ?. In den Wellen rucken die Schiffe wie wild hin und her. Man muss höllisch aufpassen, um seine Finger nicht im falschen Moment an der falschen Stelle zu haben. Es ist unglaublich! Wie kommen hier solche Wellen in den Hafen? Das ist einfach nur irre. Der Hafen liegt in Lee, ganz Gijón ist nur nach Osten offen und der Sturm kommt aus Westen! Trotzdem schaffen es die Wellen mit mehr als einen Meter um alle Molen des Yachthafens herum und brechen sich vor den Schiffen.
Ich knie außen auf einem der großen Fingerstege, die auch am Kopf noch durch einen Poller gehalten werden. Stehen geht nicht. Immer wieder taucht der Fingersteg in den Wellen unter. Dann sitze ich mit dem Arsch im Wasser. Patschnass sind wir ohnehin, egal! Ein Hoch auf wasserdichte Stirnlampen. Was haben wir früher eigentlich ohne gemacht? Die ganze Sache ist nicht ganz ungefährlich.
Der Schwede erweist sich als echter Profi, er war schon einmal rund und ist seit Jahren unterwegs. Als er letztes Jahr zurück in Schweden war, hat er sein Schiff verkauft und wollte eigentlich aufhören. Aber er sagt, das geht nicht, und so hat er sich dieses Jahr ein neues Schiff gekauft ?. Und irgendwoher kennen wir uns, das war gleich klar, aber wir wissen noch nicht woher.
Stunde um Stunde wird es immer heftiger. Inzwischen ist es 3:00. In einer Sturmpause mit nur noch 35 Knoten, machen wir auf der PINCOYA Tee. Das französische Pärchen ist vollkommen von der Rolle. Marie kann nicht mehr auf ihrem Schiff bleiben. Angst, einfach nur noch Angst. Aber es ist auch wirklich heftig. Der Schock mit dem Finger sitzt den beiden noch in den Knochen. Das kann man sehen. Aber auf dem Steg gibt es keinen Schutz und es ist einfach zu gefährlich, dort zu stehen. Immer wieder versuchen die Böen, einen ins Wasser zu schubsen. Regenböen peitschen pausenlos durch den Hafen.
So hole ich unseren Leihwagen und fahre einfach bis ganz vorne auf die Mole, genau vor das Tor zu unserem Ponton. Dankbar setzen sich die Französin und die Holländerin in unseren Fiat 500. Später zwängt sich auch noch der lädierte Franzose hinzu. Ein Fiat 500 ist etwas klein für solch einen Andrang, aber es geht. Besser als nichts. Alle drei verbringen dort die Nacht. Der Motor läuft, die Heizung ist an. Nichts geht mehr. Wir restlichen Verbliebenen versuchen größere Schäden an den Schiffen zu verhindern. Das gelingt allerdings nicht immer. Besonders in den Schauerböen müssen wir machtlos zusehen. Bei über 50 Knoten Wind geht gar nichts mehr. Was dann nicht richtig fest und ausgerichtet ist, lässt sich nicht mehr ändern. Dann kann man nur noch zusätzliche Leinen ausbringen, aber absolut nichts mehr richten. Gegen 4:00 bricht die Heckleinen eines außen liegenden, eignerlosen Schiffes. Wenn noch ein Tampen bricht, schiebt uns der Stahlkahn ineinander. Wir liegen zu dem zwar an dritter Stellen, aber der Aluschifffranzose ist kein wirkliches Hindernis auf dem Weg zu uns. Also rauf und weitere Leinen gesucht. Ein Affentanz und nicht ganz ohne Risiko. Aber wollen wir zusehen, wie der sich in uns reinarbeitet? Gott sei Dank finde ich noch Leinen. Die Klampen auf den Schwimmstegen sind hervorragend, die halten alles! Die Tampen und die Klampen auf den Schiffen sind die Schwachstellen. Wenn die Wellen die Schiffe einrucken lassen, geht man unwillkürlich in Deckung. Erstaunlich was einige Festmacher so aushalten. Im hinteren Teil des Hafen schlagen inzwischen zwei Vorsegel. Im Tageslicht wehen dort nur noch einige Fetzen an den Vorstagen.
Gegen 4:30 ist das Gröbste durch und uns gelingt es, das Heck der 47er etwas von dem Ponton wegzuwinschen. Das war in den Hochzeiten des Sturms selbst mit der großen 54 Winsch nicht mehr möglich. Der Ponton hat am Heck der 47er seine Spuren hinterlassen. Das Schiff des Schweden und auch des Holländers sind ok. Keine Schäden. Die PINCOYA ist auch ok. Es ist auch keinem der Helfer etwas passiert. Wir alle hatten viel viel Glück. Das Aluschiff des Franzosen braucht nicht nur einen Eimer neuer Farbe. Andere Schiffe ohne Eigner an Bord hat es härter getroffen. Gegen 6:00 wird es zusehends ruhiger und wir legen uns erst einmal hin. Gegen 8:00 verlässt auch die Französin unsere Fiat-500-Flüchtlingsunterkunft und traut sich zurück aufs Schiff. Zwischenzeitlich war auch die Polizei auf der Mole, aber die sagen nichts zu unserem Auto. In so einer Nacht ist das schon ok. Außerdem sind wir in Spanien, in Deutschland hätte es erst einmal einen Strafzettel gegeben.
Morgens treffen sich dann 7 unausgeschlafene Gestalten auf dem Steg und auch der Aluschifffranzose traut sich wieder raus. Diese Nacht war schon so eine Nummer und es ist zudem kein wirkliches Ende abzusehen, denn die Pause am Sonntagmorgen ist nur eine Pause. Die ganze kommende Woche soll ein Sturmtief nach dem nächsten durchziehen. Hoffentlich halten sich die nächsten dann auch mal an die Vorhersagen.
Gijón
43° 32′ 43,9″ N, 005° 39′ 59,8″ W