Nun liegen fast 2.000 Gezeitenseemeilen in der Nordsee, dem Ärmelkanal, dem Atlantik und in der Biskaya hinter uns. Alles an diesem Segeljahr war neu für uns und wir wussten im Frühjahr nur, dass wir es machen wollen, wir wußten aber nicht, wie es wird und wie wir es hinkriegen. Und obwohl wir schon mal zwei oder drei kleine Gezeitenerfahrungen auf der Nordsee und in der irischen See gesammelt hatten, war uns sehr bewusst, dass wir blutige Anfänger sind und nicht mehr. Die früheren Törns waren »Erfahrungen«, die uns eine Idee davon gegeben haben, was es heißt, in Gezeitengewässern unterwegs zu sein. Diese Erfahrungen haben uns aber noch lange nicht zu erfahrenen Gezeitenseglern gemacht.
Und obwohl man immer wieder zu hören bekommt, wie einfach das alles ist, hatten wir einen ordentlichen Respekt vor dem, was vor uns lag. Im Nachhinein müssen wir sagen, dass es auch allen Grund gibt, sich Gedanken zu machen und es gut ist, eine Portion Respekt dabei zu haben. Aber wir müssen auch sagen, dass speziell die Segelreviere im Ärmelkanal, am Atlantik und in der Biskaya keine mystischen Seegebiete sind, die man nur den vermeintlich echten Profis überlassen sollte. Dafür sind sie einfach viel zu schön und viel zu spannend, und mit etwas Umsicht sind sie in der Tat auch »fast« normal zu besegeln. Und wenn man sich Seemeile für Seemeile in die Abhängigkeiten von Strömung, Hoch- und Niedrigwasser hineingefuchst hat, dann verlieren auch Häfen, die nur kurz zu Hochwasser angelaufen werden können, ihre Schrecken. Doch für den reinen Transit gibt es dort auch ausreichend viele tidenunabhängige Häfen. Allerdings trifft man dort auch die meisten Seglerexemplare mit der größten selbsterklärten Gezeitenerfahrung. Doch richtig schön wird’s erst abseits von diesen Häfen und an den zahlreichen Ankerplätzen, die es tatsächlich auch gibt, die man sich aber genau nach den vorherrschenden Wind- und Wellensituationen aussuchen muss. Nicht immer geht alles einfach so, aber oft geht es an einer anderen Stelle gleich »um die Ecke« dann eben doch.
Das alles soll nur sagen, dass es in der Tat ein anspruchsvolles Segelrevier ist, aber es keinen Grund gibt, dieses auszulassen. Es ist ein Segelrevier, in dem man ein paar Parameter mehr berücksichtigen muss als auf der Ostsee, aber genau das beginnt nach kurzer Zeit auch Spaß zu machen, und darauf freuen wir uns nun auch schon wieder, wenn wir an unser nächstes Segeljahr denken. Besonders hübsch und treffend fanden wir den Satz im Reeds, der sich darauf bezieht, ein passendes Änkerplätzchen zu finden: “At low water you can see the danger!” Da ist was dran, gerade wenn zur Springzeit viele Meter Wasser in wenigen Stunden abhanden kommen, um kurz darauf wieder vorbeizuschauen.
Allerdings hat es uns das Wetter dieses Jahr nicht immer allzu kuschelig gemacht. Während in Deutschland der Hitzesommer tobte, durften wir in der Bretagne doch eher schottische Wetterverhältnisse genießen. Und genau das hat unsere eher nördlich ambitionierten Törnflausen auch zunächst einmal gründlich gefriergetrocknet. So werden wir auch nächstes Jahr unsere Suche nach dem Sommer fortsetzen und weiter gen Süden fahren. Die Tatsache, dass wir Anfang Juni mit der festen Erwartung von Sonne und Wärme gen Süden aufgebrochen sind, aber das Wetter oftmals sehr durchwachsen war, hat uns schon gefrustet. Das hatten wir uns definitiv ganz anders vorgestellt, zumal unser Jahrhundertsommer 2018 in Skandinavien durchweg 10 Grad wärmer war als unser südlicher Sommer dieses Jahr. Natürlich war es nicht immer durchwachsen und kühl, das sieht man ja auch auf unseren Photos, aber die Ausbeute an schönen Tagen war doch enttäuschend gering.
In diese durchwachsene Serie passten sich dann auch der Oktober und der November gleich nahtlos mit ein. Es ist ja nicht wirklich ungewöhnlich, dass man mal für einige Tage eingeweht wird, aber damit, dass es uns gleich für 3 Wochen in Gijón festnagelt, haben wir wirklich nicht gerechnet. Doch in der Biskaya hält einen eben nicht nur ein ungünstiger Wind auf, sondern auch ungünstige Wellen. So mussten wir tatsächlich unseren Törn 2019 in Gijón beenden und unser schon reserviertes Winterlager in Sada / A Curuña wieder absagen. Dass es manchmal wirklich nicht weitergehen kann, war auch so eine neue Erfahrung, die wir erst einmal sammeln mussten. Aktuell hat sich die Wetterlage in der südlichen Biskaya wieder beruhigt und nichts steht einem friedlichen Weiterkommen mehr im Weg. Aber Anfang November haben sich dort die Sturmtiefs die Klinke in die Hand gegeben und da ging eben für uns nichts mehr. Wir hatten also einfach Pech, ein Pech, das man in diesem Revier auch mit einkalkulieren muss, es ist aber kein Pech, das generell ein Segeln in der Biskaya im Spätherbst unmöglich macht.
So bleiben uns von unserem Segeljahr 2019 vier Dinge in Erinnerung:
– Es wird erstens im Süden nicht immer wärmer, auch wenn man es sich noch so sehr wünscht.
– Zweitens hat das Gezeitensegeln nicht nur seine Schrecken verloren, sondern unser Segeln auch wirklich erweitert und bereichert.
– Drittens braucht man manchmal mehr Zeit und Geduld, als man eigentlich gerade so hat.
– Und viertens sind die Bretagne und auch die Biskaya zwei Segelreviere, die man sich nicht entgehen lassen sollte und die einfach viel zu schade dafür sind, auf einem Transit links (oder auch rechts) liegen gelassen zu werden.
Und dies ist unsere Statistik:
– Start am 01.06.2019 in Bremerhaven -> Ende am 30.11.2019 in Gijón, Spanien
– 5 bereiste Länder: Niederlande, Belgien, Frankreich, Channel Islands (Alderney, Guernsey, Jersey) und Spanien
– insgesamt 1.932,5 Seemeilen
davon 1.363,7 Segelmeilen und 568,8 Motormeilen
das macht ein Segel- / Motorverhältnis von 70,6 % zu 29,4 %
– 182 Reisetage und davon 66 Fahrtage
99 Hafentage und 17 Ankertage (vor Ort geblieben)
46 Ankernächte und 3 Fahrtnächte
6 Schleusungen (IJsselmeer rein und raus, Deauville und La Roche Bernard)
76 Blogs mit 961 Collagen ?
10.947 Photos
davon sind 3923 Panoramaphotos für 128 Panoramen
von denen wir 98 schon veröffentlicht haben
Gijón
43° 32′ 34,1″ N, 005° 40′ 07,1″ W