Aus allen Ecken schallt es – »Und nun?«.
Ja… und nun haben wir fast unseren letzten Arbeitstag. Gestern haben wir aber noch einmal das Homeoffice verlassen, um unsere Büroarbeitsplätze abzuräumen. Das Virus hat die Homeoffice-Tür ja weit aufgestoßen und etwas geschafft, was kein Betriebsrat in all den Jahren auch nur annähernd sich getraut hatte zu träumen. Homeoffice ist erlaubt und “oben” wundert man sich, dass es funktioniert.
Ja… und nun haben wir uns zwei neue Rosenscheren gekauft, weil wir keine Ahnung haben, wie lange uns das Virus noch Zuhause festhalten wird, nachdem unser letzter Arbeitstag Geschichte ist. Leider ist unser Garten aber für einen echten Dauereinsatz der neuen Scheren echt zu klein, denn gegen das Frustschnippeln zweier Zuhause festgenagelter Langfahrtsegler kann kein Strauch und keine Rose schnell genug nachwachsen.
Ja… und nun hat Gott sei Dank die niedersächsische Regierung ein Einsehen gehabt und den Baumärkten erlaubt, wieder zu öffnen. Baumärkte zu schließen ist für die Deutschen ja fast genauso schlimm wie ein Tempolimit auf den Autobahnen. Das geht gar nicht! Nach »Freie Fahrt für freie Bürger« ist es eigentlich an der Zeit, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten und Baumärkte als »systemrelevant« einzustufen! Also sind auch wir hin, denn irgendwann sind auch wirklich die letzten Vorräte in einem deutschen Hobby-Keller wegrenoviert. Da braucht es Nachschub! In den normalen Baumarktteil dürfen wir einzeln und separiert durch eine personengebundene Einkaufswagenpflicht. Bei dem Security-Mann vor dem Eingang mit der Vereinzelungsschleuse tun Astrid und ich immer so, als ob wir uns gar nicht kennen. Ich plausche mit der Dame hinter mir und beobachte im Augenwinkel, wie Astrid reinkommt. Das geht in der Regel auch problemlos. Auf die Frage des bodygebuildeten Security-Mannes, ob wir, also ich und die Dame hinter mir, zusammengehören, sage ich dann: “Nö, eben erst auf dem Parkplatz getroffen!” Wenn das schief geht, ist der Vordermann einer solchen Plauschrunde immer im Vorteil und kommt rein. Der zweite wird immer aufgehalten. Man muss eben nur etwas Beobachtungsgabe haben und schon klappt es auch in Corona-Zeiten.
Ja… und nun der Baumarktteil für den echten Baubedarf. Nicht diesen Kinderkram aus der ersten Baumarktabteilung, sondern der für echten Beton, echte Steine, Gehwegplatten, Kantsteine, Holzzäune, Balken, Mörtel, Spachtel aller Sorten, Rigips-Platten und 1001 weitere Dinge, die das Herz eines jeden deutschen Feierabendbauherrn höher schlagen und die Augen glänzen lassen. Wie zu Weihnachten mit Mutti unterm Baume. In diesen Dingen schlummern grenzenlose Möglichkeiten, dem Lockdown ein Schnippchen zu schlagen, um endlich mal all das zu machen, was schon längst mal hätte gemacht werden müssen. Wir steuern routiniert und vollkommen unabhängig auf die Zufahrt dieses Drive-In-Paradises zu. Doch der Zwillingsbruder des tätowierten Security-Mannes stoppt unsere vollkommen beiläufige Anfahrt auf das Rolltor abrupt. Hier kommt man nur mit Auto rein. Drive-In heißt eben Drive-in und nicht Schieb-rin. Wir zeigen synchron auf unsere Schwerlastschiebkarren und erkennen in diesem Moment sofort, dass unsere Tarnung, als unabhängige Kunden Einlass zu ergattern, zu bröckeln beginnt. Mist! Jetzt nicht noch einen Fehler machen! Aber vor der Drive-In-Arena sind wir schon einen Schritt weiter, denn hier geht’s nur ohne Schiebekarre rein, dafür aber mit Auto. Auch der Opi mit seinem Fahrrad, der nur eben mal nen Sack Zement braucht, um auf seiner Hütte in der Kolonie »Grüne Wonne« mal eben nen Pfosten für’n Maschendrahtzaun neu zu setzen, muss seinen Astra holen. Nix zu Fuß, nix mit Einkaufswagen, nur echtes Auto ist erlaubt. Ohne Auto kein Zugang, und da ist es auch egal, ob in der Karre ne ganze Fußballmannschaft sitzt, um mit anzupacken oder nur die Capitana.
Gut, die Pärchenhürde ist schon mal genommen, also Einkaufskarren weg und ab ins Auto.
Es staut sich vor der Einfahrt, aber das tut es auch vor dem anderen Baumarkteingang, dem mit den bloßen Einkaufswagen. Hier herrscht Kunden-Separierung XXL. So macht man es richtig, so würde man es sicher auch gerne bei Aldi und Rewe machen, aber die Türen und Gänge sind einfach zu klein und zu schmal. Wenigstens können wir sitzen und Musik hören, so ist der Stau halb so wild. Dann dürfen wir rein. Gleich hinter dem Rolltor ein Stau wie zum Sommerferienbeginn auf der A7. So weit das Auge reicht nur Autos. Rechts und links Regale voller …. ja wie soll man es sagen? … in jedem dieser Baubedarfsartikel schlummern unendliche Möglichkeiten der kühnsten Selbstverwirklichung. Und es geht kaum einen Zentimeter weiter. D.h. man starrt auf all diese Regale, checkt noch einmal, was eigentlich auf der Einkaufsliste steht und schon driftet des Bauherrn phantasievolle Vorstellungskraft zusammen mit den hier schier unbegrenzten Möglichkeiten in Bereiche ab, die zuvor kaum ein Sterblicher je gesehen hat. Vorschläge sprudeln zum Beifahrersitz hinüber, ja, das Fahren in einer Baumarkt-Drive-In-Arena ist Männersache, es gibt eben noch ganz wenige und noch wirklich sichere Regeln in dieser unseren heilen Welt. Wie durch Watte dringen Einwände vom Beifahrersitz herüber, die aber schon im Ansatz noch nicht einmal die Chance haben, irgendetwas Kognitives auf dem Fahrersitz zu erreichen.
Derweil ist es wie zu den Sommerferien, Samstag 13:30 vorm Elbtunnel auf der A7. Nix geht mehr, nur das gelbe ADAC-Motorrad mit dem Stauberater fehlt. Stockend ruckt es vorwärts. Drei Wagen hinter uns verliert eine Dame die Nerven. Der Typ vor uns kann schon nach links einschlagen. Wir müssen in den… äh ja, von hier aus dritten Gang links. Zu den Waschbetonplatten. 50×50 um genau zu sein. Nummer zwei vor uns lässt die Handbremse knacken, steigt aus und beginnt, die Plane seines ohnehin viel zu großen Anhängers aufzuknüpfen. Das kann nichts Gutes bedeuten. Die Dame, deren Nerven irgendwie abhanden gekommen sind, marschiert mit hochroten Kopf aus Gang eins kommend den Stau nach Gang drei und vier ab. Zwei ist eh aussichtslos. Zurück geht auch nichts mehr, gefangen, der Wahnsinn drängt nach und jeden Menge Nachschub wartet noch vor dem Rolltor. Der Baumarkttyp mit dem Gabelstapler kommt auch nicht durch, man sieht ihm an, dass er nicht übel Lust hätte, sich seinen Weg selbst freizuräumen und den hässlichen Hyundai der nervenlosen Dame ins Hochregallager B17C zu stellen. Dort ist neben einer Palette Putzbeton noch was frei. Nichts geht mehr. Der Kerl vor uns hat in der anderen Baumarkabteilung, die mit den Einkaufwagen, schon einen Grill gekauft. Wir hätten 25 kg feinste Grillkohle, allerdings waren weder er noch wir vorher schon bei Rewe. Was eigentlich auch auf der Liste steht. So sind Männer eben, manchmal setzen sie falsche Prioritäten. Wie schön hätten wir jetzt hier im Außenteil des Drive-In-Paradieses grillen können, wenn uns dieses Männerding nicht magisch als allererstes in diese Baumarktfalle gelockt hätte. Der Typ mit dem Anhänger lädt ein Zaunelement nach dem anderen in seinen Anhänger. Als der voll ist, holt er er siegessicher zwei Dachträgertraversen aus dem Kofferraum seines bekloppten SUVs und schraubt die auch noch auf’s Dach. Ist das Ben, der Cartwright Ben? Will er seine Ponderosa-Ranch umzäunen? Oder was hat der Kerl vor? Gott sei Dank steckt der Baumarkttyp mit den Gabelstapler hinter uns fest. Man muss auch mal Glück haben!!! Oben im Hochregal sind noch weitere Zaunelemente, aber dazu wird es vor uns nicht mehr kommen, Hä hä hä! Wie schön kann doch Schadenfreude im Angesicht von 50×50 Waschbetonplatten in Gang 4 sein. Überladen und kleinlaut zurrt der Zaunfetischist alles fest und biegt in Gang 2 ab. Fehler! Die Falle von Gang 2. Man muss schon etwas aufpassen und nicht nur Zaunelemente aufladen! Vor uns öffnet sich Gang 3 aber Gang 4 ist blockiert durch einen Minivan mit drei richtig kräftigen Pflasterlegern. Die jonglieren wahrscheinlich abends mit ihren Pflastersteinen noch, um nicht aus der Übung zu kommen. Jedes Wort des Zornes wäre hier unangebracht, die haben Oberarme wie ich Oberschenkel gerne mal gehabt hätte. Nun ja… als ich jung war, das ist zu verzeihen! Heute nicht mehr. Ich überlasse Astrid die Navigation durch die Drive-In-Arena. Die Pflasterer blockieren Gang 4, also müssen wir in Gang 3. Nun keine unnötigen Komplikationen mehr. In solchen Situationen muss man Fuchs sein. Gang 4 blockiert, Gang 3 machbar und zudem habe ich einen herrenlosen Schwerlasthandkarren im Augenwinkel ausgemacht. Lage um den Schwerlasthandkarren gecheckt, Astrid das Steuer übergeben, pfeifend und vollkommen unauffällig dem Schwerlasthandkarren genähert und im richtigen Moment zugegriffen. Ist ja eh verboten, mit solchen Dingern hier rumzufahren! Wer soll sich da beschweren, wenn ich mir den mal kurz nehme! Also flugs in Gang 4 und 6 50×50 Waschbetonplatten aufgeladen, während Astrid mit Henry in Gang 3 eine strategische Position einnimmt. Als ich den Schwerlasthandkarren ans Heck von Henry manövriere, meine ich ein »Och nö!« aus seinem Kofferraum zu hören. Waschbetonplatten sind echt schweineschwer, aber für die Reparatur unserer Terrasse auch die preiswerteste Alternative. Das Gewicht-Preis-Verhältnis von Waschbetonplatten ist wirklich beruhigend gut. Eine große Freude, wenn da nicht der Transport wäre.
Nachdem wir in der Nothaltebucht von Gang 3 alles eingeladen haben, reihen wir uns wieder ein. Es dauert nun nur noch 45 Minuten, bis wir raus sind, die Dame mit dem Nervenverlust ist verschwunden, vielleicht von einem Ersthelfer des Baumarkts schon abgeholt. Währenddessen stauen wir so vor uns hin, aber wir können dabei sitzen und Musik hören.
Ja … und nun? Wie’s weitergeht, wissen wir auch nicht. Aber in jedem Fall sind wir froh, hier in Deutschland abwarten zu können, bis sich alles wieder normalisiert hat. Die Baumärkte sind gut bestückt und es wird hier sicherlich nicht unser letzter Besuch gewesen sein. Auch wenn uns ab Ende der nächsten Woche die geregelte Arbeit nicht mehr hat, werden wir wohl noch für Wochen genügend ungeregelte Arbeit haben, so dass uns nicht langweilig wird. Und wenn es dann in unserem Garten nicht’s mehr zum Schnippeln für unsere neuen Rosenscheren gibt, dann werden wir, …. aber das verraten wir erst später.