… und sonst so?


Landläufig glaubt man ja, dass mit einem Rentner- oder Privatiersleben auch schier unendliche Freizeiten verbunden sind. Wir waren da absolut keine Ausnahme! – An der Ideenfront sprudelt es nur so und eine Unzahl von guten Vorsätzen wartet hyperaktiv auf den Startschuss. Was kann man nicht alles mal machen, wenn sich vor einem solch ein grenzenloses Zeitmeer auftut, in dem zudem weit und breit keine Arbeit mehr zu erkennen ist, die etwas von der kostbaren Zeit abhaben möchte. Endlich! Endlich kann man mal all das machen, was man bisher immer und immer wieder dem Zeitmangel opfern musste. Und nicht nur das! Im Angesicht dieses schier unendlichen Zeitmeeres, kann man sich noch viel viel mehr vornehmen. Es ist ja eben grenzenlos!

Und dann auch noch dies! Was für ein Zeitglück! Man wird zusätzlich noch downgelockt und sozial distanziert mit noch mehr Zeit überschüttet. Das alles wirkt wie ein Wunderdünger in der Ideen- und gute Vorsätze-Plantage. Alles sprießt und wächst munter vor sich hin und bildet fast täglich neue Ableger. Aber was soll’s, das Zeitmeer ist ja unendlich. Und während das Bastlerherz vor Zeitglück überläuft, verabschiedet sich die ToDo-Liste ohne viel Aufhebens aus der realen Welt. Eine Liste, die schon lange keinen Platz mehr auf einem normalen Notizzettel findet und deswegen schon seit Wochen tabellenkalkuliert immer neue Perfektionsstufen in ihrem digitalen Leben erreicht.

Ein tolles Gefühl und eine Grenzenlosigkeit, die man wohl das letzte Mal nach dem Abi gespürt hat. Alles ist möglich und die Frage “Geht das überhaupt?” stellt sich erst gar nicht.

Haus und Garten werden renoviert und endlich kann man auch mal an den Ecken beginnen, die man bisher immer links liegen lassen musste. Es macht ja auch viel Spaß, sich alles schön zu machen. Nie ausgepackte und schon dreimal mitgeschleppte Umzugskisten werden durchstöbert, weil die ja eh gerade im Weg stehen. Da findet sich so einiges. Einiges fürs soziale Kaufhaus, aber auch Unmengen von Bildern, die man schon immer digitalisieren wollte. Und ja! Genau! Spanisch lernen! Da finden sich auch die alten Bücher von dem ersten Versuch, der damals so kläglich scheitern musste. Selbstverständlich aus Zeitmangel! Aber jetzt! Zack online und schnell einen Kurs gebucht. Gleich jeden Morgen 2 Stunden. Vorsätze! Gute Vorsätze braucht es eben. Die Vokabeln und Verben wollen nur widerwillig im Kopf bleiben, aber es macht Spaß. Ah, jetzt, ja! Erste Einkaufslisten auf Spanisch entstehen, die Auswahl ist noch eingeschränkt ?, aber was soll’s, nur Regelmäßigkeit führt zum Ziel. Deswegen beginnen wir auch immer pünktlich um 9:00, die spanische Schulbank zu drücken.
Apropos Regelmäßigkeit, da war ja noch etwas, was regelmäßig immer zu kurz kam. Ach ja, der Sport! Keine Ausreden mehr. Wie schön wäre es, wenn ich die Zahl auf der Waage, die ich zwar eigentlich gerade gar nicht sehen möchte, auch sehen könnte, ohne mich so weit nach vorn beugen zu müssen. dass ich fast das Gleichgewicht verliere. Also bei Regen auf den Crosstrainer und wenn das Wetter halbwegs mitspielt auf’s Fahrrad. Alle zwei Tage 30 bis 40 km strampeln oder auf dem Crosstrainer zappeln, bis die Zunge droht, ins Räderwerk zu kommen. Und danach, ja, die Bilder unserer Touren aus 2018 und 2019 wollen noch in eine Diashow. Das sind ja jeweils auch bloß ca. 10.000, aber wir haben ja jetzt Zeit zum Aussuchen und Eindampfen. Ich Bilder, Astrid Videos. Schnitt und Vertonung. Ist ja schon toll, wenn man bewegte Bilder hat, aber doch irgendwie… recht zeitaufwendig. So ein Nachmittag, ach Quatsch, ne ganze Woche voller Nachmittage ist da schnell weg. Aber egal, da sind ja noch so viele. Und ja genau, endlich mal die Kindergeschichten fertig schreiben. Außerdem tummeln sich schon wieder so viele neue Szenen in meinem Kopf, die zu Geschichten werden möchten. Astrid beginnt, zu den Geschichten Bilder zu zeichnen. Hammer, wer hätte das gedacht, was ein arbeitsfreies Leben alles so möglich macht. Und wo wir gerade bei Büchern sind, seit Jahren schlummert schon die Idee in uns, mal den einen oder anderen Photoband zu erstellen. Die digitale Welt macht’s möglich, Print on demand. Also los! Parallel, kein Problem, gleich nach dem Sport oder vielleicht doch besser vor dem Spanisch, egal, geht schon.

Es ist einfach nur schön, sich mit den Dingen beschäftigen zu können, die man gerne macht oder die man schon immer mal gerne gemacht hätte. Nach einigen Wochen sind nun auch unsere frisch renovierten Bäder fertig. Außer den Rohren, Sanitärobjekten und Fliesen haben wir alles selbst gemacht. Auch das hat Spaß gemacht und da war die viele Zeit ein echtes Geschenk. Doch auch ein arbeitsfreier Tag hat nur 24 Stunden und all das, was mit unserem Arbeitsende so grenzenlos hervorgesprudelt ist, lässt es uns immer noch nicht langweilig werden. Keine einzige Minute. Und das wird wohl auch noch lange so bleiben. Wohl für Jahre! Denn alles geht immer irgendwie nur langsamer voran, als man es sich so vorgestellt hat.
Doch nun merken wir auch langsam, wie sehr uns das Reisen fehlt. Etwas neidisch gucken wir auf die Marinetraffic-Meldungen von Freunden auf der Ostsee. Die dürfen schon wieder. Uns fehlt was! Das Vorbereiten, das Losfahren, das Ankommen und das Dortsein, bevor es wieder losgeht. Und auch dieses Reisen soll für uns ja ab diesem Jahr grenzenlos sein. Ohne festen Endtermin, nicht in diesem Jahr und auch nicht in der Zukunft. Da hoffen wir sehr, dass sich zu unserer zeitlichen Grenzenlosigkeit auch bald wieder die echte Grenzenlosigkeit gesellt. Auch wenn vieles sicher ganz anders werden wird, als wir es uns bisher so ausgedacht haben. Doch trotz aller Veränderungen, wir werden reisen, keine Frage, und ganz viel Neues einsammeln, damit es uns auch in der nächsten reisefreien Zeit nicht zu langweilig wird.