Zurück in Vilagarcía wirft das Wochenende seine Schatten voraus. Direkt am Yachthafen steht nicht nur das Gebäude des Yachtclubs mit Restaurant und Hafenmeisterbüro, sondern auch ein Komplex mit Bars, Discos und einem Mc Donalds. Als wir ankamen, sah das alles noch ziemlich verwaist und corona-bedingt geschlossen aus. Am Freitagabend allerdings hat sich das Blatt wie von Zauberhand gewendet, vor jeder Bar stehen Stühle und Tische und über den Hafen schallen die ersten Soundchecks eines Livemusik-Events. Das regt wiederum die Stadtjugend auf Papis Motoryachten an, ein akustisches Gegenfeuer zu legen, um die betont gelangweilt guckenden jungen Damen der Szenerie zu beeindrucken.
Da wir keine echte Livekonzert-Maniacs sind und ja ehrlich gesagt auch noch keinen wirklichen Zugang zu den hipen Weisen der Rapper-Szene gefunden haben, flippt unsere Begeisterung auch nicht gleich vollkommen aus. Bis 3:00 hilft uns Ohropax, dieses Manko zu überwinden und als es ruhiger wird, drehen wir uns in der Gewissheit um, dass wir die Samstagnacht hier ganz bestimmt nicht mehr verbringen werden.
Ría de Arousa: Vilagarcía de Arousa -> vor Playa de La Secada der Isla de Arousa (A) Start: 8:55 Ende: 10:20 Wind: SE 5 kn Distanz: 6,0 sm Gesamtdistanz: 344,8 sm
Inzwischen ist die Gesamtwetterlage dabei, sich grundlegend zu ändern. Über dem Atlantik zieht ein ganzes System von garstigen Tiefdruckgebieten heran, die unserem hübschen Azorenhoch richtig zusetzen und es weit nach Süden abdrängen. Das heißt für uns, dass erst einmal Schluss ist mit dem netten Downhill-Wind aus Norden und dieser von einem Süd bis Südwest abgelöst wird. Wieviel wir hier in den Rías von den Sturmtiefs und deren anstehender Vereinigung abbekommen, ist zur Zeit noch nicht absehbar und hängt stark von deren tatsächlicher Zugrichtung ab. Aber in jedem Fall wird es wohl für wenigstens eine Woche aus Süd wehen und uns auch nicht zu knapp mit Regen überschütten.
Doch als wir am Samstagfrüh aus Vilagarcía aufbrechen, ist das Wetterglück mit uns. Der angekündigte Regen zieht nördlich durch und auch der Seenebel wabert fein säuberlich um uns herum. Obwohl Samstag ist und wir eigentlich damit gerechnet haben, dass sich vor dem Playa de La Secada im Nordwesten der Isla de Arousa die Ankerlieger nur so drängeln, liegt dort nur ein Franzose. Was für ein Glück, denn so bleibt viel Platz vor dem recht kleinen Strand von Små Sverige. Wie auch schon die Felseninsel Isla de Rúa inmitten des Ría de Arousa scheint auch die Bucht des Playa de La Secada einem schwedischen Fremdenverkehrsprospekt entsprungen zu sein. Und dort sitzen wir nun in einer Art Schönwetterloch, während der angekündigte Regen einen hübsch Bogen um uns herum macht.
Samstagnachmittag klettern wir dann über die Felsen und staunen nicht schlecht über die riesigen Brocken. Wir haben ja extra mal etwas gegoogelt und dort gelesen, dass die Eiszeiten hier definitiv nicht ihre Finger im Spiel hatten. Die Rías sollen ausschließlich durch das in die Flußmündungen eindringende Meer entstanden sein. Wenn man aber so über die Felsen klettert, auf denen die dicksten Brocken wie spielerisch verteilte Kieselsteine wirken, dann kann man sich die Entstehung kaum ohne die unermessliche Kraft eine Gletschers vorstellen. Wenn das alles hier wirklich nur durch flüssiges Wasser entstanden ist, dann muss es hier wirklich recht heftig zur Sache gegangen sein. Und dass dadurch dann solch riesige Brocken bewegt worden sein sollen und so nett aufgestapelt wurden, passt einfach nicht in das, was wir uns vorstellen können.
Doch egal, wie das alles hier entstanden ist, es ist einfach fantastisch. Wobei der Ausdruck »fantastisch« immer noch fast ein bisschen zu klein ist. Diese Bucht ist in jedem Fall ein absolutes Muss für alle, die es irgendwann einmal hierher verschlägt.
Etwas später klettern wir noch auf die Felsen der Landzunge oder besser gesagt Felszunge. Wenigstens wir können hier nichts bewegen…
So lassen wir die Sonne unverrichteter Dinge untergehen…
In der Nacht zum Samstag geht dann aber auch unser Wetterglück seinem angekündigten Ende entgegen. Es zieht sich Stück für Stück zu und beginnt zu stippern. Doch das sind erst die Vorboten, denn die großen Tiefdrucksysteme, die unserem Azorenhoch nun fast vollständig den Garaus gemacht haben, ziehen ihre regentrüben Schleppen wie ein patschnasses Handtuch von Südwesten her über Galizien. Auch eine schnelle Flucht nach Süden würde nichts bringen, denn Besserung ist wohl erst südlich von Lissabon zu erwarten. Das unerwartete Ableben unseres Azorenhochs bringt uns nun also genau die beiden Dinge, die wir überhaupt nicht haben wollen. Südwind und Regen.
Auf unserem allerersten gemeinsamen Törn in Schweden haben wir damals ein altes Seglerpärchen getroffen. Zusammen waren wir in Sandvik, im Norden von Öland zwei Tage eingeweht und haben dort wirklich ganz außerordentlich formvollendet einen auf die Mütze bekommen. Als der Sturm geradeso durch war, mussten wir aufgrund des Zeitdrucks unseres näher rückenden Urlaubsendes weiter. Die Bedingungen war zwar immer noch so, dass man sie nur mit diesem Wort mit »sch« bezeichnen konnte, aber in Karlskrona musste der nächste Crewwechsel stattfinden. Aber die beiden konnten bleiben und sagten uns, dass sie erst weiterfahren, wenn der Wind wieder aus der richtigen Richtung kommt.
Und wir mussten los und gegenan bolzen. Dieses Erlebnis ist nun schon 17 Jahre alt und seit 17 Jahren tragen wir den Wunsch, auch mal diese Freiheit zu haben, so entscheiden zu können, wie ein Schatzkästchen vor uns her. Und nun ist es soweit, wir beobachten auf AIS, wie viele der Schiffsnamen, die wir aus den bisherigen Ankerbuchten kennen, gegenan nach Süden weiterziehen und nun können wir einfach im Ría de Arousa bleiben.
Erst zum nächsten Wochenende besteht die Chance, dass es wieder down-hill nach Süden vorangehen kann. Und das bedeutet auch, dass Astrid wohl auch ganz bestimmt kein schönes Geburtstagswetter bekommen wird. Vielleicht müssen wir sogar noch einmal umlegen, denn so ganz einig sind sich die Wettervorhersagen noch nicht, wie doll das Starkwindfeld die Küste treffen soll und wie weit es dann in die Rías hereinreichen wird.
Mal sehen, aber wir werden sicher nicht unter Motor und im Dauerregen versuchen nach Süden voranzukommen, denn diese Freiheit nehmen wir uns dieses Mal.
p.s.
Die galizische Maskenvariante…
Montagabend …
Den ganzen Tag haben Schauerböen an uns herumgezerrt und der Regen prasselte so sehr auf’s Deck, dass man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen konnte. Und jetzt ist es still. Vollkommen unbemerkt hat es aufgehört. Erst ist es uns gar nicht aufgefallen, aber nun dröhnt die Stille schon fast in unseren Ohren. Ein wattebauschiges Nicht-Geräusch füllt den Raum. Mit der Stille kommt der Nebel und hüllt uns ein. Doch wahrscheinlich ist es umgekehrt. Der Nebel bringt die Stille und macht sie noch unendlicher, als sie ohnehin schon ist. Selbst die gelben Bojen des Schwimmerbereichs verschwinden langsam. Und auch unsere Ankernachbarn verschwinden. Es ist eine Szene ohne Geräusche, als ob man sich die Finger in die Ohren steckt und eine Lesebrille mit Milchglasscheiben trägt, mit der man ohnehin nicht in der Ferne sehen kann. Die Szenerie ist so faszinierend, dass ich mich ins Cockpit setze, um zu versuchen, das alles in Worte zu fassen. Wie gern würde ich mit Worten diese Bilder malen. Die wabernd durchziehenden Nebelfelder sind nicht mehr von den Felsen zu unterscheiden. Das weiche Graugrau wird nur von dem Licht des kleinen Leuchtturms ab und zu durchbrochen. Die Augen sind sich nicht mehr sicher, was sie sehen. Ist es ein weißer Nebelstrang oder reißt es wieder etwas auf und sind es doch schon wieder die Felsen? Surreal verschwinden die Gestelle der Muschelfarmen im Nebel und rufen unwillkürlich das Bild vom D-Day hervor, als hunderte von Kriegsschiffen im Morgendunst vor der Küste der Normandie auftauchten. Der Kopf spielt einem Streiche und das, was man sieht und hört, ist nicht das, was ist. Oder ist es umgekehrt, dass was ist, ist gar nicht das, was man sieht und hört?
Auch dies sind die herausragenden Momente unserer Reise, nicht nur die einmaligen Sundowner, die viel zu kitschig sind, um eigentlich wahr zu sein. Es sind auch die Momente, in denen man das Nichts und die Abgeschlossenheit der Stille mit Händen greifen kann. Das sind ergreifende Momente, die man nur unwillig wieder loslassen möchte. Vielleicht sind es sogar die Momente, die es ausmachen.
Und dann brummt ein Fischerboot durch den Nebel und wir hören den Fischer, wie er ganz für sich allein singt. Kurz darauf beginnt die PINCOYA, in den Bugwellen des Fischerbootes leicht zu schaukeln, bevor die Wellen gedämpft an den Strand plätschern.
In diesen Momenten kann man nur durchatmen, etwas inne halten und dankbar sein.
15. -> 17.08. Playa de La Secada der Isla de Arousa (A): 42° 34′ 11,1″ N, 008° 53′ 14,5″ W