Als wir in der Bucht vor Sagres aufwachen, sind wir für dieses Jahr angekommen. Gute 20 Seemeilen weiter im Osten liegt schon Portimāo, wo wir ja unseren Winterliegeplatz haben. Aber das Beste an diesem Morgen ist, dass wir nun tatsächlich noch volle 5 Wochen haben, bis wir für drei Monate auf unseren Winterplatz gehen. So bleibt uns noch viel Zeit zum Segeln und Ankern und einfach mal Urlaub an der Algarve machen. Weite Strecken sind das hier alles nicht, wir werden sicherlich auch nicht nur einmal hin- und wieder zurückfahren. Selbst bis zur portugiesisch-spanischen Grenze, dem Rio Guadiana, sind es auch nur noch 75 Seemeilen. Und zwischen dem »Hier« und dem »Dort« liegt eben nicht nur ein tolles Segelrevier mit vielen hübschen Ankermöglichkeiten, hier ist es im Spätherbst und Winter eben auch noch so warm, dass einem norddeutschen Seglerseelchen vor Entzücken gleich ganz anders wird. Was war das im letzten Jahr für ein November in Gijón und wie viel Sommer liegt nun hier noch vor uns?
Also blinzeln wir nur einmal kurz in die morgendliche Bucht vor Sagres und drehen uns einfach noch einmal um, um dieses schöne Gefühl noch etwas einziehen zu lassen. Das gelingt uns dann allerdings doch nicht so richtig, denn die Sonne blinzelt zu verlockend bis in unsere Koje und wir sind zugegeben auch etwas neugierig auf die Algarve.
Während unser Gutenmorgenkaffee noch in der Espressokanne blubbert, sehen wir, dass wir in der letzten Nacht doch etwas mehr Schwein gehabt haben als der Franzose, der gerade am Eingang der Bucht von einem Fischer aus seinen Netzen befreit wird. Ok, wir hatten in der Tat auch kein gutes Gefühl, als wir uns so dicht an der Küste in diese Bucht geschlichen haben, aber wir hatten Glück. Gute Seemannschaft ist ja, wenn man alles richtig macht, aber wir hatten in der letzten Nacht keine Idee, wie hier gute Seemannschaft erfolgsbringend anzuwenden wäre. Zwar haben wir mit unserem Strahler versucht alles abzuleuchten und auch einige Bojen gefunden, aber am Ende hat uns wohl nur eine große Portion Glück vor den Netzen bewahrt. Es ist sicher nicht die allerbeste Idee, hier in der Nacht einen Ankerplatz anzulaufen, aber im Winterhalbjahr ist es eben auch schon so früh dunkel und wird auch erst wieder so spät hell, dass einem kaum etwas anderes übrig bleibt, als es dann doch ab und zu zu tun.
Nach dem Frühstück klaren erst einmal alles wieder auf. Zwei Tage Rauschefahrt hinterlassen schon ein ziemliches Chaos, zudem, wenn das Wetter nicht gerade für Aufräumaktionen taugt. Und leider müssen wir dann auch erst noch den Ankerschalter vorn reparieren, denn gestern Nacht ging es nur noch runter, aber nicht mehr hoch.
Wir brauchen etwas, um den Fehler zu finden, und verbreiten deswegen sogleich ein neues, nahezu perfektes Chaos unter Deck, denn die defekte Stelle des Kabels hält sich gut versteckt. Am Ende finden wir eine unscheinbare Schadstelle in der Isolierung des Kabels im Ankerkasten gleich vor der Durchführung unter Deck. Das aber erst, nachdem wir unter Deck auch fast das ganze Kabel freigelegt haben, um den Fehler zu finden. An der klitzekleinen Schadstelle muss über Jahre Seewasser eingedrungen sein, so dass die Kupferadern mit der Zeit einfach weggerottet sind. Provisorisch ist das schnell repariert, aber praktisch müssen wir im Frühjahr ein neues Kabel einziehen.
Da wir in der Bucht vor Sagres bei dem noch anhaltenden Nordwind ziemlich gut und ruhig liegen, machen wir das Dinghy klar. Im Hellen wirkt die Bucht viel größer, als sie uns letzte Nacht erschien. Bei Licht betrachtet hätten wir viel weiter vor den Strand gehen können. Aber eben nur bei Licht betrachtet, in der Nacht sah das alles ganz anders aus. Genau im Norden der Bucht liegt ein vielleicht 500 oder 600 m breiter Sandstrand, der Praia da Mareta, ansonsten säumen Steilküsten die Flanken der Bucht. Auf der westlichen Steilküste steht das Fortaleza de Sagres, die Burg von Sagres, mit dem Leuchtturm, dessen rotes Licht uns in der letzten Nacht unser Ziel markiert hat. Oberhalb des Strandes sind mehrere kleinere Appartementanlagen zu sehen und der Strand scheint fest in deutscher Hand zu sein. Um uns nicht zu outen, ziehen wir unser Dinghy schweigend hinter die Hochwassergrenze. Die Bucht von Sagres scheint wohl auf einer der ersten Seiten eines deutschen Reisekatalogs zu stehen. Das letzte Mal hatten wir in den Rias einen echten Urlaubsbadebetrieb um uns herum. Dort waren es allerdings ausnahmslos Spanier, die dort Urlaub machten. Nun scheinen wir tatsächlich in den südlichen Urlaubsgebieten angekommen zu sein, das war bisher noch ganz anders.
Und auf den letzten 130 Seemeilen hat sich die Landschaft tatsächlich auch verändert. War es bis Lissabon meist noch ziemlich grün, ist es hier nun eher kahl, schroff und sonnengegerbt. Mal sehen, ob sich unser erster Eindruck auch nach Osten hin bestätigt, oder ob das hier nur daran liegt, dass Sagres auf dem äußersten, südwestlichen Zipfel der Iberischen Halbinsel liegt, an dem es ja auch immer mal wieder ordentlich stürmen kann. Vielleicht hat der Wind ja auch nur alles Grün weggeblasen. Einige neu angepflanzte Bäumchen machen einen eher traurigen und vom Wind recht zerzausten Eindruck.
Das Fortaleza de Sagres nimmt die vollständige westliche Landzunge an unserer Ankerbucht ein. Mauern gab es wohl auch damals schon nur zur Landseite hin, denn die Klippen der Steilküste stellen von ganz allein schon die besten Burgmauen dar, die man sich nur wünschen kann. So war die Burg von Sagres eher eine riesige Naturfestung, an deren Steilküste man nur alle 100 m eine Geschützstellung einrichten musste.
Und direkt an der Ticketkasse dann diese Überraschung. “Hi, what are YOU (!) doing here?” Und vor uns steht das amerikanische Pärchen, mit dem wir vor 5 Wochen noch ganz im Norden von Portugal in Viana do Castelo zusammen in der Schienenseilbahn hoch zur Kathedrale gefahren sind. Sie sind seit Monaten auf dem Landweg durch Portugal unterwegs und wir auf dem Seeweg an Portugals Küste entlang. Es gibt schon merkwürdige Zufälle. Teils gemeinsam, teils allein schlendern wir über das riesige Festungsgelände.
Schon seit Jahrtausenden nagt das Meer an diesem Burgfelsen herum, und es gibt wohl sehr widerstandsfähige und weniger widerstandsfähige Gesteinsschichten in dem Burgfelsen. So hat sich das Meer Stück für Stück ins Innere des Burgfelsens vorgearbeitet. Es ist schon erstaunlich, noch 100m entfernt von der Kliffkante die Brandung direkt unter sich aus einem Loch zu hören. Sehen können wir nichts. Dort unten ist alles stockfinster, aber man hört die Wellen, das Rauschen und ihr Klatschen an den Felsen. Und ab und zu kommt auch ein kühler Sprühnebel nach oben.
Alles in allem sind diese Anlagen erfreulich »frei zugänglich«. Nur an nicht offensichtlich gefährlichen Stellen, stehen einige Absperrungen und Schilder. Ansonsten setzt man in Portugal wie auch in Spanien wohl eher auf Eigenverantwortung und belässt es eben oft auch einfach bei dem Hinweis, dass man an einer Steilküste auch herunterfallen kann.
Sagres [A] -> Alvor [A] -> hinter die Ilha da Culatra [A] bei Faro Distanz: 78,6 sm Gesamtdistanz: 979,3 sm
Der kommende Wetterumschwung, der uns von Lissabon in zwei Etappen hierher herunter getrieben hat, sitzt uns immer noch im Nacken, auch wenn das Wetter zurzeit noch traumhaft ist. Er lässt sich zwar etwas mehr Zeit, aber daran, dass er kommt, besteht kein Zweifel mehr.
Es ist Samstag und ab Montagnachmittag soll es auffrischen, um uns dann am Dienstag einen ausgewachsen Sturm zu bescheren. Dann müssen wir uns irgendwo versteckt haben, wobei wir schon lieber vor Anker liegen würden. So platt vor der Küste, wie wir jetzt liegen, geht das natürlich überhaupt nicht, denn mit dem Südsturm sollen dann auch Wellen mit 3,5 bis 4 m von Süden einlaufen. Die Lagune von Alvor können wir höchstens als Zwischenstopp im Eingangsbereich nehmen, denn es ist Springzeit und da bleibt uns zu Niedrigwasser nicht mehr genug Wasser unter dem Kiel. In Alvor ist es fast durchgängig nur 1 – 2 m tief und wenn ein Springniedrigwasser dann nur noch wenige 10 Zentimeter mehr zurücklässt, ist uns die Nummer einfach zu heikel.
Und über den Ankerbereich in der Einfahrt von Portimāo braucht man bei den versprochenen 3,5 m Wellen auch nicht ersthaft nachzudenken, denn dort wird bei diesen Wellen schlicht die Hölle los sein. Also bleibt uns zum Ankern nur die Lagune von Faro, direkt hinter der Ilha da Culatra, oder wir müssen doch in eine der Marinas von Lagos, Portimāo, Albufeira oder Vilamoura gehen.
Am Samstag bläst allerdings noch kein Sausewind und wir müssen bis zum Mittag warten, bis wir den Eindruck haben, dass es vielleicht etwas unter Segeln werden könnte. Ganz langsam zuckeln wir aus der Bucht von Sagres, setzen den Parasailor und plätschern mit um die 3 Knoten in Richtung Alvor voran. Für die nur 19 Seemeilen benötigen wir fast 6 Stunden, aber es ist ein Segeltag, der nicht ruhiger und entspannter sein kann. Selbst die Delphine, die uns begleiten, schalten einen Gang herunter und plätschern zusammen mit uns im Trödelmodus dahin. Tage später treffen wir uns wieder mit Liset und Sander auf der Satori und Sander zeigt uns Bilder von uns unter Parasailor und mit einem Delphin direkt vor unserem Bug. Der Delphine sei Stunden vor uns her geschwommen und ihm hat unsere Schleichfahrt ganz offensichtlich gut gefallen.
Zum Sonnenuntergang kommen wir vor Alvor an. Der Eingangsbereich ist mit Ankerern belegt und weiter nach hinten können und wollen wir ja nicht rein. Noch ist kein Niedrigwasser und wir kalkulieren mal über den Daumen, was an den Stellen, an denen wir unsere Erkundungskringel drehen, zum Niedrigwasser wohl noch stehen bleibt. Summa summarum ist uns das aber alles zu wenig und so gehen wir wieder raus und lassen unseren Anker einfach etwas westlich der Einfahrt direkt vor dem Strand fallen. Das Wetter ist ruhig und es sieht so aus, dass nur etwas Schwell uns schaukeln lassen wird. So bleiben wir dort und haben tatsächlich eine recht ruhige Nacht.
Portimāo, Albufeira oder Vilamoura? Oder vielleicht doch hinter die Ilha da Culatra? In der Nacht hat ein leichter Nord eingesetzt. Den nehmen wir lieber, als den angekündigten Ost, also brechen wir noch mit unserem Morgenkaffe auf. Doch schon kurz darauf schläft der Nord ein und kommt als ebenso leichter Ost zurück. Nun kommt der Wind nun ziemlich genau daher, wo wir eigentlich hinwollen. Mal sehen, wir sind uns nicht ganz sicher, was wir machen sollen, da wir so das Nachmittagshochwasser zur Einfahrt in die Lagune von Faro in keinem Fall schaffen werden. Erst zum Niedrigwasser in der Nacht, so gegen 23:00, bietet sich wieder das nächste Stillwasser zur Einfahrt an. Das könnten wir realistisch auch schaffen. Alles andere zwischendrin verbietet sich schon allein wegen der Gezeitenströme, die schon zu Nippzeiten ganz ordentlich sein sollen. Allerdings preisen alle Revierführer immer nur die Hochwasserstillzeiten zur Einfahrt an. Auch das macht uns etwas unsicher und wir wissen nicht so genau, ob es schlau ist, dann zur Nacht und zu Niedrigwasser einzufahren. Auf der Karte sieht es in der Einfahrt zwar durchgehen tief genug aus, aber nun ja ?. Ein Niedrigwasser bei Tage wäre uns schon lieber, denn dann könnten wir unbeschwert mit dem guten Rat des Reeds einfahren »at low water you can see the danger«, aber in der Nacht ist es eben mit dem Sehen nicht so weit her.
Diese Gedanken und ein andauerndes Überlegen: “Sollen wir oder sollen wir doch lieber nicht?” begleiten uns auf unserem gesamten Kreuzkurs. Und ehrlich gesagt denken wir vor Albufeira und dann auch vor Vilamoura nicht nur einmal ernsthaft darüber nach, abzubrechen und einfach in einen der Häfen zu gehen. Zudem frisch es zunehmend auf, was auch die Wellen deutlich höher werden lässt. Jeder Kreuzschlag raus unterscheidet sich zu dem vorhergehenden dadurch, dass der Wind noch etwas stärker, die Wellen noch etwas höher und die Strömung gegen uns noch etwas kräftiger geworden ist. In Summe ist das zwar alles nichts Schlimmes, aber unser Vorankommen wird dadurch eben auch nicht leichter. Am späteren Nachmittag reffen wir sogar etwas ein, aber der etwas stärkere Wind lässt uns auch nicht besser vorankommen. Besonders für die Schläge raus ist die Kombination aus Wind, Wellen und Strom maximal blöd. Wenn wir etwas abfallen, läuft es besser, aber gegen den Strom machen wir dann noch weniger Höhe gut. Die Schläge rein sind wesentlich besser, aber viel zu schnell sind wir dann auch schon wieder so dicht unter Land, dass wir wenden müssen.
Vor der Einfahrt haben wir Respekt. Die Einfahrt in die Lagune ist sozusagen Portugals südlichster Punkt. Entsprechend exponiert liegt sie auch heute in den aus Südost anlaufenden Wellen. Vor Vilamoura erwacht dann allerdings auch unser sportlicher Ehrgeiz. Rechnen wir unser Vorankommen von heute hoch, werden wir exakt zum Stillwasser um 23:00 vor der Einfahrt eintreffen. Unser letzter Schlag raus ist seglerisch ein einziges Desaster. Der Wind dreht zwar etwas auf Nord, was theoretisch günstig für uns ist, aber der Strom und die Wellen lassen uns kaum noch vorankommen. So brechen wir ab und gehen dorthin, wo wir eigentlich um keinen Preis hin wollten. Dicht unter Land, ungefähr auf der 10 m Linie pirschen wir uns voran. Die Fischzuchtgebiete wollten wir eigentlich zur Sicherheit außen nehmen, nun nehmen wir sie innen.
Und tatsächlich kommen wir genau zu Stillwasser vor der Einfahrt an. Die letzten vier Seemeilen zur Einfahrt können wir nicht mehr segeln und gehen unter Motor fast direkt gegenan. Es ist ein saublödes Gefühl, unter Motor so dicht direkt unter Land zu fahren. Hunderte von Netzen und Lobster-Pots scheinen nur darauf zu warten, sich um unsere Schraube zu wickeln. Die Wellen sind inzwischen auch hier recht hoch und machen uns auch etwas Sorge. Vor der Einfahrt liegt noch ein Flach, dass zu Niedrigwasser noch etwas ernster gemeint ist also sonst ohnehin schon. Das müssen wir ordentlich umfahren. Die Befeuerung ist allerdings ausgezeichnet, einige Ober- und Unterfeuer führen einen auch in der Nacht sicher rein. Und mit den Wellen passiert tatsächlich ein kleines Wunder. Etwa 300 m vor der Einfahrt hauen sie uns noch einige Male richtig auf die Seite und dann ist plötzlich Schluss. Das hatten wir uns ganz anders vorgestellt und uns schon breakdance-mäßig zwischen den Molen tanzen sehen. Aber es ist erstaunlich ruhig und wir fahren sicher ein. Verstehen tun wir das nicht, vielleicht wollte uns Neptun auch nur noch mal etwas Gutes tun, um uns für unseren sportlichen Ehrgeiz zu belohnen.
Für eine kurze Verwirrung sorgt dann nur noch ein Angler, der mit einer kräftigen roten Stirnlampe wohl versucht, seine Beute zu hypnotisieren. Dummerweise steht er aber auf der grünen Mole, so passt das rote Licht auf der rechten Seite nicht ganz zu dem Beleuchtungsarrangement aus den Seekarten. Erst als wir ihn dauerhaft mit unserem Scheinwerfer anleuchten und wahrscheinlich fast röntgen, um rauszubekommen, was da denn nun rot leuchtet, schaltet er genervt auf weiß und leuchtet sich selbst kurz an.
Der Rest geht einfacher als gedacht. Langsam aber problemlos kommen wir bis vor Culatra und lassen dort kurz vor Mitternacht den Anker fallen.
Wir haben es geschafft, hier sind wir safe und können den Sturm abwettern. Allerdings wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass dieser Sturm für uns noch ganz neue und bisher einzigartige Erfahrungen bereithält.
Stationen:
15. + 16.10. Sagres [A]
37° 00′ 07,6″ N, 008° 56′ 24,6″ W
17.10. Sagres [A] -> Alvor [A] (vor Einfahrt) 19,4 sm:
37° 07′ 03,6″ N, 008° 37′ 35,5″ W
18.10. Alvor [A] (vor Einfahrt) -> Culatra [A] 59,2 sm:
37° 00′ 0,4″ N, 007° 50′ 32,7″ W