Nach dem Sturmschrecken lassen wir alles erst einmal sacken. Wir hatten Glück, anders kann man es nicht sagen.
Der deutsche Segler, den der Dreimaster mit seinem Heck erwischt hat, hatte auch großes Glück, aber nur dahingehend, dass ihm nichts Schlimmeres passiert ist, denn er wird auf seinem Schaden sitzen bleiben. Das Vorstag und die Rollreffanlage sind beschädigt und auch der Vorstagbeschlag am Bug ist ziemlich verbogen. Nur gut, dass nicht noch der ganze Mast runtergekommen ist. Der Eigner des Dreimasters liegt hier vor Culatra wohl schon länger, hat kein Geld und ist mit seinem Seelenverkäufer auch überhaupt nicht versichert. Wohl auch so eine gestrandete Existenz, von denen es hier einige gibt. Allerdings haben die anderen alle keine Dreimaster, sondern meist irgendwelche maroden Schoben, die gerade soeben noch schwimmen und froh über jede Stunde sind, die sie trocken fallen können. Die unweigerliche nächste Stufe markieren dann die verlassenen Wracks, von denen hier bestimmt 6 bis 7 irgendwo an den Ufern der Insel liegen.
Das Thema Versicherung hatten wir, bevor wir überhaupt in den Süden aufgebrochen sind, ganz anders eingeschätzt. Irgendwie waren wir mehr oder weniger selbstverständlich davon ausgegangen, das eigentlich jeder irgendwie versichert ist. Das ist allerdings überhaupt nicht so. Eine Kasko-Versicherung scheinen die wenigsten zu haben. Die meisten haben nur eine Haftpflichtversicherung, und das anscheinend auch nur deswegen, weil man in Spanien und auch Portugal in der Regel in jedem Hafen den Haftpflichtversicherungsschein vorlegen muss und ohne nicht im Hafen bleiben darf. Davon hatten wir in all unseren Segeljahren im Norden überhaupt nichts geahnt und auch unseren eigenen Versicherungsschein nur in der Annahme für den Fall der Fälle eines Versicherungsfalles mitgenommen. Die einzige Ausnahme war Russland, aber nun ja, für Russland mussten wir ja auch noch einige andere Dinge dabei haben, die wir sonst auch nicht so brauchten. Und viele sind eben gar nicht versichert, besonders die, die irgendwo übrig geblieben sind. Und davon gibt es eben immer mehr, je weiter man nach Süden kommt, und besonders dort, wo man geschützt ankern kann.
Allein deswegen und weil wir eben »nur« die PINCOYA haben, um uns unsere Träume zu erfüllen, und wir uns nicht einfach so ein neues Schiff kaufen können, wenn uns jemand die PINCOYA versenkt oder wir selbst einmal echt Pech haben, werden wir alles daransetzen, immer kasko-versichert zu sein. Wie ärgerlich wäre es, wenn irgendein nicht versicherter Dreimaster in einem Sturm die PINCOYA versenkt und wir damit vor dem Aus unserer Träume stehen. Auch mit diesen Überlegungen muss man als Fahrtensegler umgehen. Auf den Punkt gebracht heißt dies nämlich unter Umständen auch, dass man die Reviere, für die man sich eine Versicherung nicht mehr leisten kann oder möchte, eben auch nicht ansteuert. An dieser Stelle muss man in der Tat zwischen dem möglichen Risiko des gleichzeitigen Totalverlustes seines Schiffes und seines großen Traumes und einer durchaus möglichen Fortsetzung einer kleineren Version seines Traumes abwägen. Nicht einfach, aber nach einem solchen Ereignis lohnt es sich, mal darüber nachzudenken.
Bevor wir mit Fiona und Iain zu einem atlantikseitigen Strandspaziergang auf der Ilha da Culatra aufbrechen, »retten« wir uns noch schnell viele viele Liter »Duschwasser« aus unserem Gummiboot. Alles Wasser, das der Regen gestern in unserem Gummiboot zurückgelassen hat, können wir gar nicht wegduschen, aber doch einen Teil. Das hilft uns, Frischwasser zu sparen, und verlängert unsere unbeschwerte Zeit vor Anker.
Danach fahren wir frisch geduscht rüber zu den beiden und gemeinsam auf die Insel. Die Ilha da Culatra ist an einigen Stellen doch erstaunlich breit und so ist man vom Dorf Culatra aus noch eine ganze Weile auf dem Holzweg ?, bis man auf den fantastischen Strand und den Atlantik trifft. Die Insel ist flach, die höchsten Dünen haben noch nicht einmal 10 Meter und die meisten liegen so um die 5 Meter. Die Atlantikseite verläuft mehr oder weniger gradlinig von West nach Ost und manchmal auch umgekehrt ?. Die Seite zur Lagune ist allerdings stark von trocken fallenden Marschgebieten zergliedert. Es scheint fast so, als ob die Insel mit dem Niedrigwasser doppelt so groß wird wie bei Hochwasser. Bei Hochwasser ist die Ilha da Culatra eher ein schmales Hemd, wenn man mal von den wenigen dickeren Stellen absieht. Man muss sich gut überlegen, wann und wo man zu welchem Wasserstand mit seinem Gummiboot anlandet. Entweder ist das Gummiboot nach einigen Stunden dann weg oder man muss es mehrere hundert Meter über Sand und durch den Modder schleifen, sofern man nicht bis zum nächsten Hochwasser warten möchte.
Natürlich ist die Insel autofrei. Nur einige Hauptstraßen und einige Bereiche am Hafen sind mit Betonplatten befestigt, wobei »Hauptstraßen« die Sache nicht ganz trifft, es sind eher »Hauptwege«. Meist schlängeln sich nur Sandwege mit und ohne der Unterstützung von einigen Gehwegplatten zwischen den Häusern und Fischerbuden entlang. Kleine Transporte werden mit alten dreirädrigen Vespas erledigt, größere mit uralten Traktoren, die auf den ersten und auch zweiten Blick nicht mehr gerade einsatzbereit aussehen. Aber sie fahren und sind auch noch im täglichen Universaleinsatz für Transporte aller Art.
Der Ort Culatra ist so gewachsen, wie man wächst, wenn es keinen Plan gibt. Auf der Lagunenseite bildet natürlich der Hafen das Zentrum des Geschehens. Östlich liegen die Fischerbuden, westlich der Anleger für die Fähre und in der Mitte liegen die Stege für unzählige kleine Fischerboote. Der Rest drumherum ist gewachsen und wir verirren uns auf mehreren Spaziergängen immer wieder auf’s Neue zwischen den wild zusammengewürfelten Häusern. Aber Culatra ist ein liebliches Dorf mit viel viel Charme, diversen Restaurants und zwei kleinen Supermärkten. Im Hochsommer muss hier ordentlich etwas los sein, nun in der Nachsaison ist es eher beschaulich.
Der gut 6 Kilometer lange Sandstrand der Ilha da Culatra ist phänomenal und absolut einmalig! Geht man nur wenige 100 Meter von dem Holzweg und seiner Strandbar nach rechts oder links, ist man vollkommen allein und drückt wie Robinson Crusoe die ersten Fußstapfen in den weichen, weißen Sand. In der Hauptsaison muss man sicher etwas weiter gehen, aber der Strand ist lang, sehr lang. Die Einsamkeit liegt dann nur einige Schritte weiter entfernt.
Als wir den Strand erreichen, sind die Wellen nicht mehr so hoch wie gestern, aber es setzt eine kräftige Strömung entlang der Küste. Nachdem wir ein ganzes Stück nach Osten gelaufen sind, sind wir der Meinung, dass nun genau hier der richtige Platz für ein Schwimmerchen ?♀️ ?♂️ ist. Die Wellen lassen einem keine Chance, lange herumzuzetern. Das Wasser ist atlantikmäßig erfrischend ? und traut man sich auch nur bis zum Knie rein, hat einen auch schon die nächste Welle. Es ist toll, wieder mal in echten Wellen am Strand zu schwimmen und nicht immer nur vor Bord aus. Und das alles fast Anfang November. Unglaublich! In Deutschland laufen schon längst wieder die Heizungen und wir trocknen hier nach einem Atlantikschwimmerchen in der Sonne.
Bei dem Stichwort »November« huschen unsere Gedanken zurück. Wie oft haben wir die PINCOYA am ersten Novemberwochenende eingewintert und für ihren Winterschlaf liebevoll zugedeckt? Und wie klapperkalt war da immer der letzte Schlag rüber nach Fehmarn? Selbst im letzten Jahr in Gijón war die Saison im November schon ziemlich am Ende. Wie anders ist das hier? Wollen wir das überhaupt noch einmal anders haben? Die Zweifel wachsen.
So gehen die Tage dahin. Fiona und Iain ziehen weiter und wir bleiben erst einmal hier vor Culatra. Immer noch werden wir unruhig, wenn andere weiterziehen. Es ist für uns nun wirklich mal an der Zeit, etwas dazuzulernen. Der erste Blog von der Algarve heißt ja »Angekommen«. Dabei wollen wir es nun auch mal belassen. Nichts drängt uns zur Weiterfahrt, ganz im Gegenteil, immer noch warten hunderte von Bildern auf ihre Sichtung, Sortierung und Bearbeitung. Außerdem ist nun auch endlich mal Zeit, in Ruhe die ausstehenden Blogs noch fertig zu machen. Und das alles in einer traumhaften, sommerlichen Umgebung. Was wollen wir mehr? Ab und zu gehen wir schwimmen oder schlendern wieder einmal am Strand entlang. Zwischendrin machen wir die Photos und unsere Diashows, lesen und holen beim Bloggen auf.
Doch nicht nur das, – wir waren in Lissabon ja auch noch einkaufen! Und nun ist es an der Zeit, unser Sportprogramm mal richtig aufleben zu lassen. Auf dem Vorschiff pumpt Astrid das SUP-Board auf und dann geht es los. An einer langen Leine hänge ich die Capitana auf dem SUP hinter die PINCOYA. Bis auf die kurzen Stillwasserzeiten strömt es hier immer etwas. Erst einmal sitzen und knien, dann hinstellen. Alles kein Problem. Astrid ist ein Naturtalent. Ich reiche ihr das Paddel, werfe sie los und sie paddelt los ?♀️.
Ein zwei kleine Wackler und schon ist die PINCOYA umrundet. Wie blöd ist das nun wieder? Wenn sie wenigstens einmal reingefallen wäre, dann hätte ich tolle Actionphotos und vor allem würde für mich nun die Messlatte nicht ganz so hoch liegen ?.
Dann ich. Solange man gar keine Fahrt hat, ist es schon etwas kippelig. Sobald es auch nur etwas voran geht, stabilisiert sich die ganze Geschichte enorm. Sander von der Satori hat einen Elektro-Kompressor, damit erreichen wir auch die 15 PSI spielend. Mit der Standard-Pumpe ist der Urlaub vorbei, bevor man überhaupt den empfohlenen Druck erreicht. Richtig aufgepumpt ist es noch etwas einfacher.
Meine Beine fühlen sich zunächst etwas verkrampft an, aber wenn der Kopf Entspannung verordnet, geht’s gleich besser. Es hilft auch, wenn man nicht so stocksteif wie eine Straßenlaterne auf dem Teil steht, sondern eher in einer leichten Köttel-in-der-Hose-Stellung. Sicher nicht die anmutigste und männlichste Haltung, aber wenn die Photos zu schlimm sind, kann ich sie ja heimlich löschen. Den Kormoran und die Möwen scheint es nicht zu stören, also steche ich munter in See, wobei das ja nun echt wörtlich gemeint ist.
Jeden Tag trauen wir uns etwas mehr. Man muss allerdings sagen, dass Wellen von hinten echt richtig blöd sind und schon etwas Wind und Strom einem den schönsten Kurs ganz wunderbar vermasseln können. Gegen den Wind zu fahren geht, aber wehe das Brett dreht zu weit zur Seite. Wieder in den Wind zu kommen, ist echt anstrengend und so eine Sache. Sieht man mal vom Strom ab, ist der Wind noch der größte Feind des SUPers, obwohl Querwellen auch immer zu einer Art Breakdance-Einlage führen.
Nach drei Tagen und einigen größeren Touren haben wir das Gefühl, dass unsere T-Shirts an den Schultern schon viel enger anliegen. Außerdem scheinen in den Schultern Muskeln am Werk gewesen zu sein, die lange auf der faulen Haut gelegen haben.
Und von hinten? Also der Knackpöti? Leider können wir den nicht mehr selbst in Augenschein nehmen, zu weh ? tut inzwischen die Drehung des Oberkörpers, um das Trainingsergebnis noch selbst genüsslich im Spiegel zu betrachten ?. So versichern wir uns gegenseitig ?, dass es noch nie so knackig war ? wie heute.
Es ist gut, dass der nächste Tag wieder ein Starkwindtag ist, an dem SUPen für uns noch nicht geht. Diese Pause nehmen wir dankbar an.
Bis einschließlich Montag bleiben wir vor Culatra liegen. In dieser Zeit erblicken immerhin 6 Blogs das Licht der Internetwelt, wir haben einen Sturm und einen Starkwindtag, machen hübsche Spaziergänge, SUPen bei Niedrigwasser zu den riesigen, trockenfallenden Sandbänken in der Lagune und frischen unsere Bräune auf, auf dass sie über Weihnachten nicht zu sehr verblassen möge.
Endlich ist auch mal genug Zeit und Muße, dass Astrid abends etwas Klavier spielen kann. Oft war zwischen Ankommen und Weiterfahren oder auch zwischen den Dingen, die wir sehen und besuchen wollten, nicht genug Ruhe, um abends noch das Klavier rauszuholen und zu spielen. So bekomme ich den ein oder anderen Abend ein kleines Klavierkonzert zum Sundowner. Gut, dass wir Astrids Klavier mitgenommen haben. Ankern, Klavierspielen und Sundowner passen schon gut zusammen und bilden fast eine magische Kombination. Astrid genießt das sehr und der Schiffsjunge beobachtet währenddessen als schweigender Horizontgucker mit einem Glas Rotwein, ob die Sonne auch ordnungsgemäß hinter dem Horizont verschwindet.
vor Culatra
37° 00′ 0,4″ N, 007° 50′ 32,7″ W