Kaum steht die PINCOYA hoch und trocken, beginnen wir damit, den Belag abzukratzen. Grundsätzlich sieht das Unterwasserschiff gut aus, es ist nur dieser schleimig schmierige Belag darauf. Seepocken sind gar keine zu finden, die waren wohl tatsächlich nur auf der Schraube, aber denen haben wir ja schon bei unserem Tauchgang den Garaus gemacht. Die Muscheln oberhalb des Ruders lassen sich auch recht einfach entfernen, laden aber nach Intervention der Capitana nicht im Kochtopf.
Leider soll der Hochdruckreiniger defekt sein, aber dann wird doch ein betagtes Exemplar herangefahren. Es scheppert, kracht, pfeift und jault herzerbärmlich, aber der Druck ist ok. Da die Werftmannschaft noch anderes zu tun hat und der Hochdruckreiniger nach kurzer Zeit ungenutzt bei uns herumsteht, schnappe ich mir das Teil und beseitige schnell mal den Belag. Keiner sagt etwas, unbemerkt bleibt meine Eigeninitiative aber nicht. Aber wenn der Belag in der Mittagssonne erst einmal richtig durchgetrocknet ist, dann wird es schwierig, den richtig wieder abzubekommen. Es fehlen noch gut 2 m vom Rumpf, da gibt der scheppernde Hochdruckreiniger seinen Geist auf und lässt sich auch mit nichts mehr dazu bewegen, weiter zu machen.
Hm, das wird bestimmt für etwas Diskussionsbedarf sorgen, wenn ein Eigner, ohne zu fragen, den Hochdruckreiniger der Werft nutzt und er danach nicht mehr geht. Am frühen Nachmittag kommt dann ein Mitarbeit und ich beichte von mein Missgeschick. Aber er bedeutet mir, dass das alles kein Problem ist und das alte Teil immer mal wieder solche Macken hat. Der Hochdruckreiniger steht auf einem Rollwagen mit all seinen Kabeln und Schläuchen inmitten einer großen Pfütze. Er schaltet ihn an, aber nichts. Ja, ja, hatte ich auch schon versucht, das Ding will aber eben nicht mehr. Dann schnappt er sich in der Pfütze stehend den Drehstromstecker, klopft die Kupplung auf den Griff des Wagens, dreht daran herum, wackelt an den Kabeln und der Hochdruckreiniger brummt einmal kurz wieder los. “Always the same!” Er verdreht die Augen… Schütteln, Klopfen, Drehen und dann … Ich trete unmerklich aus der Pfütze heraus, trockener Boden unter meinen Füßen ist mir jetzt plötzlich doch lieber, als in der Pfütze zusammen mit dem Drehstromkabel zu stehen. Der Stecker und die Kupplung der Verlängerung brauchen noch einige dieser Spezialbehandlungen, aber dann läufts. Der Werftmitarbeiter lächelt siegessicher und reinigt den Rest des Unterwasserschiffes.
Viel Zeit gönnen wir uns nicht, denn wir wollen noch heute Portugal verlassen. Wir wissen nicht, wer die deutschen Quarantäne-Regeln abfasst, aber das Fach Logik sollte er oder sie lieber nicht unterrichten. Um allen Diskussionen aus dem Weg zu gehen, werden wir in jedem Fall die 14 Tage Quarantäne einhalten, und deswegen wollen wir auch so schnell wie möglich Portugal als Quarantäne-Ursache verlassen. Sobald wir in Spanien sind, ist ja alles gut, denn es gibt aus deutscher Sicht ja nur noch Portugal und Great Britain als Risikovirusvariantengebiete. Dass die anderen europäischen Staaten das nicht so sehen, erleichtert uns unsere Heimreise.
So ackern wir echt, ohne nach links oder rechts zu sehen, und da wir ja mit Henry zurückfahren, misten wir auch gleich noch mal einiges aus, denn inzwischen hat sich doch recht deutlich gezeigt, was wir brauchen und auch nutzen und was nur spazieren gefahren wird.
Schnell los, aber nicht so schnell…
Ursprünglich hatten wir gedacht, dass wir noch eine Nacht auf der PINCOYA schlafen und dann am Freitag fahren. Und so hatten wir auch Henry für die portugiesische Maut registriert. Da wir keine Idee haben, wie wir diese Registrierung einen Tag nach vorn ziehen, müssen wir nun die Mautstrecken in Portugal meiden und über die Landstraße nach Spanien fahren. Wenn man gut 2.800 km vor sich hat, wirkt das gleich zu Beginn nicht gerade motivierend. Nur quälend langsam kommen wir voran. Es geht über die Dörfer in Richtung Faro und dann nach Ayamonte. Alles bekannte Orte, nur eben von »offshore«.
Insgesamt sind wir etwas später dran, als erhofft. Natürlich hat wieder einmal alles länger gedauert. Doch im Gegenzug hinterlassen wir die PINCOYA gut vorbereitet, für alles, was im Herbst so kommt. Vor allem für das Auffrischen des Unterwasseranstrichs. Doch ab der spanischen Grenze sind wir wegen der Zeitumstellung schwupps noch eine Stunde später dran. Wir wollen es in jedem Fall bis hinter Sevilla schaffen. Das macht zwar kilometermäßig nicht viel aus, aber ab Sevilla geht es in Richtung Norden und es ist für die Psyche einfach viel hübscher, wenn man wenigstens schon mal ein kleines Stückchen in die richtige Richtung gefahren ist.
Wenn man die Strecke von fast 2.800 Kilometern in drei gleichgroße Stücke teilt, dann geht’s ja, aber unser erstes Stück am Donnerstag ist deutlich kürzer. Es ist fast schon 23:00 als wir nach 300 Kilometern in unserem ersten Hotel angekommen. Es ist stockfinster, das Hotel liegt zwar recht dicht an der Autobahn, aber mitten im Nichts. Gebucht haben wir, nachdem wir die portugiesisch-spanische Grenze hinter uns hatten. Seit Covid schwingt ja doch immer wieder dieses »unsichere Grenzübergangsgefühl« mit, was wir in Europa schon gar nicht mehr kannten. Aber es ist absolut nichts, keiner interessiert sich auch nur im Mindesten für den Grenzverkehr. Wo wir in El Garrobo nördlich von Sevilla ankommen, sehen wir nicht. Nicht nur draußen ist es stockdunkel, auch in dem Hotel ist fast alles dunkel und nur an der Bar ist noch etwas Licht. Das Gebäude ist groß, und es scheint ein alter, klassischer spanischer Bau mit einem Innenhof zu sein. Unser ¡Hola!-Rufen lockt den Barkeeper hervor.
¿Eres Martin?
¡Si!
Er nimmt unsere Ausweise, kopiert sie, gibt uns die Schlüssel und deutet über den Innenhof auf die andere Seite. “¡Escaleras y a la derecha!”
Wir gehen los, es ist stockfinster. Den Lichtschalter im Flur finden wir nur mit der iPhone-Taschenlampe. Die Flure sind lang, ganzen hinten finden wir unser Zimmer mit der Nummer 109. Alles in allem irgendwie merkwürdig, aber wir haben ein Bett, das Zimmer ist ok, das Bad auch, alles kein Luxus, aber wir wollen ja auch nur noch schnell einschlafen.
In der Nacht schafft es die Klimaanlage, das Zimmer von 30 auf 26° herunterzukühlen. Mal sehen, ob wir ein Frühstück bekommen können. Oder wenigstens einen Kaffee. Aber erst einmal öffnen wir die Rollläden und werfen einen Blick nach draußen. Eine recht sonnenverbrannte Landschaft dehnt sich hinter unserem Hotel und verliert sich leicht hügelig zum Horizont. Vorn eine uralte Stierkampfarena, die seit zig Jahren schon keine Stiere, Toreros und Zuschauer mehr gesehen hat. Rechts eine große Toreinfahrt. Auch die anderen Zimmer haben einen Balkon, der eher eine kleine Terrasse ist. Ohne viel zu ändern, könnte man hier draußen einen Western drehen. Nur diese über die Prärie wehenden Büsche fehlen.
Im Innenhof sitzt ein Spanier und erklärt uns, dass es erst ab 9:00 Frühstück gibt. Es ist kurz nach 8:00, unser Weg heute ist noch echt lang, also beschließen wir, ohne Kaffee und Frühstück aufzubrechen.
Als wir mit unseren Sachen zurück in den Innenhof kommen, ist auch eine junge Frau da. Ohne Kaffee will man uns nicht gehen lassen. Also setzen wir uns in den Innenhof und schauen uns erst einmal in Ruhe an, wo wir hier gelandet sind. Es muss früher eine echt prächtige, hochherrschaftliche Hazienda gewesen sein, zu der wohl auch nicht nur die kleine Stierkampfarena gehörte, sondern wohl auch riesige Ländereien. Ein richtig großer Gutshof des spanischen Landadels muss es gewesen sein. Man kann noch erahnen, wie früher alles gewesen ist. Gutshaus, Brunnen, Mägde und Knechte, die Tränken und Unterstände für die Pferde und Arbeitstiere. Und alles ist mit unglaublich viel Liebe zum Detail hergerichtet, arrangiert und gepflegt. Alte Geräte, Werkzeuge und Schöpfeimerketten für den Brunnen sind heute Dekoration. Vorn ein Restaurant und eine Bar, hinten, wohl im ehemaligen Herrenhaus, die Zimmer für die Gäste.
Wir sitzen im Innenhof etwas länger bei unserem Gutenmorgenkaffee und lassen alles auf uns wirken. Schade, dass wir zurück müssen, aber wir müssen weiter. Heute wollen wir noch bis hinter Bordeaux kommen, das sind mehr als 1.200 Kilometer. Das wird dauern…
Auch wenn das Fahren in Spanien angenehm ist, die unendliche Fahrerei ist ätzend. Da spielt es schon fast keine Rolle mehr, dass wir über Mittag bis zu 35° haben, wobei Henrys Klimaanlage leider nicht mehr kühlt. Erst als wir langsam in den bergigen Norden von Kastilien und León kommen, sehen wir die ersten Wolken, wie sie im Norden über den Bergen abhängen. Das spanische Baskenland ist sozusagen die Wetterscheide, die Temperatur fällt nach den ersten Autobahntunneln fast schlagartig auf 23° und erholt sich bis Bordeaux auch kaum wieder.
Auch die spanische-französische Grenze ist absolut kein Problem, niemand interessiert sich für uns, nur scheint man in Frankreich, wie auch schon in Spanien, gerade systematische Drogenkontrollen durchzuführen. Schwerstbewaffnete Polizei-Einheiten kontrollieren verdächtige Fahrzeuge und LKWs, und ganze Hundestaffeln schnüffeln sich durch unzählige Kofferräume und über ebenso viele Ladeflächen.
Ziemlich geschafft erreichen wir unsere nächste Herberge in Mirambeau. Ein echter Glückstreffer und wieder eine echte Entschädigung für diese elende Fahrerei.
Es ist ein kleines, original südfranzösisches Stadthaus mit zwei Etagen. Unsere Herbergseltern, eine Norwegerin von den Lofoten und ein Franzose aus Paris, haben das B&B vor einem Jahr mitten im Lockdown eröffnet. Vor zwei Jahren sind sie aus Paris nach Mirambeau gezogen, haben das Haus gekauft und damit begonnen, es zu renovieren und ihre Idee zu verwirklichen. Nun hat es drei wirklich schmucke und richtig kuschelige Gästezimmer, jeweils mit eigenem Bad, und wirklich viel viel Charme. Wir werden um 21:30 richtig herzlich empfangen, die beiden sprechen auch prima English, so ist die Kommunikation kein Problem. Es ist sozusagen Liebe auf den ersten Blick, so schön und nett haben wir lange nicht übernachtet.
Und das Ganze ist inklusive Frühstück. Am nächsten Morgen werden wir im Wohnzimmer empfangen und der Esstisch ist für zwei Person mit einem tollen Frühstück gedeckt. Croissant, Baguette, auf Wunsch Wurst, Käse oder Schinken, aber der Knaller sind 6 verschiedene, selbstgekochte Marmeladen. Wirklich phantastisch!.
Viel zu lange unterhalten wir uns noch, obwohl uns immer noch gut 1.200 Kilometer im Nacken sitzen. Die beiden erzählen, dass ihr B&B seit Anbeginn gut läuft, sie waren zunächst recht skeptisch wegen der Pandemie. Aber direkt durch Mirambeau führt auch der Jakobswegs und da der Herbergsvater seine Gäste abends auch gerne mal bekocht, und Wanderer immer hungrig sind, hat sich dieser Service wohl schnell rumgesprochen. Wenn die Hazienda in Spanien 4 Sterne verdient hat, dann bekommt La Mirambios in jedem Fall 5 blitzeblank geputzte Sterne.
Man muss nicht Jakobsweg-Wanderer sein, Bordeaux liegt auch nur wenige Kilometer im Süden, auch für ein Bordeaux-Sightseeing ist man hier gut aufgehoben.
Es regnet, als wir aufbrechen, und bis nach Hause bleibt es mit einer stetig steigenden Tendenz durchwachsen.
In Orleans kaufen wir ein, schließlich wollen wir während unserer Quarantäne nicht verhungern. Zuhause kaufen zwar auch unsere Kinder für uns ein, aber in Frankreich gibt es ja doch ein paar Dinge, auf die wir Zuhause nicht verzichten wollen, und schon gar nicht, wenn wir gerade mal hier sind. In und um Paris verlieren wir fast 1 1/2 Stunden, die Hoffnung, dass es am Samstag auf den Autobahnen um Paris herum etwas ruhiger zugeht, bestätigt sich leider nicht.
Der Rest ist business as usual. Frankreich ist fahrtechnisch noch echt entspannt, aber die Belgier drehen schon deutlich auf. Die fahren zwar nicht so bekloppt wie die Deutschen, aber sind schon deutlich unentspannter. Und auf den Autobahnen in Deutschland sucht eine erbsenhirnige Männlichkeit auf der linken Spur wieder mal nach einer Größe und Macht, die das Spatzenhirn wohl meint, bei 200 im Nieselregen finden zu können.
Nach insgesamt 2.797 Kilometer sind wir Zuhause. Glücklich, es geschafft zu haben und überglücklich, dass Henry mit seinen fast 300.000 Kilometern so tapfer durchgehalten hat. Während der unendlichen Kilometer hatten wir viel Zeit, um nachzudenken und Pläne zu schmieden. Und mal ganz ehrlich … nach einer Reise ist vor einer Reise. Die 8 Wochen werden verfliegen, denn es kribbelt schon wieder.
Und nun die irgendwie unvermeidliche Statistik:
– 5.703 Autobahnkilometern stehen 407,9 Seemeilen, also 755,4 km gegenüber
– Davon sind wir an 17 Segeltagen 338,2 sm gesegelt und nur 69,7 sm motort, was einen hübschen Segelschnitt von 82,9 % ergibt
– An insgesamt 37 Reisetagen (ohne die Tage vorher in Portimão) haben wir 29 mal vor Anker gelegen und waren 8 mal in einer Marina
– Geangelt haben wir 7 Makrelen, 2 Bonitos (eben unsere Thuns, auf die wir so stolz sind) und 1 Petermännchen 😳 (bei dem Petermännchen sind wir allerdings nur auf unser Glück stolz, dass es den Schiffsjungen nicht böse erwischt hat)
– Der Rest der Statistik, also Bilder, Videos, Panos, Blogs usw. ist wie immer zu viel, aber das wird sich wohl nie ändern
Stationen:
01.07. Oyo Hotel in El Garrobo nördlich von Sevilla, Spanien
02.07. La Mirambois in Mirambeau, Frankreich