Portimão [A] -> Porto Santo anchorage [A] Start: 5:30 16.09. Ende: 14:10 19.09 Wind: NW-N-NE 12 – 27 kn Distanz: 472,5 sm Gesamtdistanz: 617,4 sm
Nun liegt unser bislang längster Segelschlag tatsächlich vor uns. Von Portimão bis nach Porto Santo sind es rund 470 Seemeilen. Es wäre gelogen, wenn wir behaupten würden, dass wir nicht doch etwas nervös sind. Gut vorbereitet sind wir in jedem Fall, aber es ist eben Atlantik und kein Küsten- oder Ostseesegeln. Doch trotz aller Anspannung freuen wir uns, denn es ist Zeit, unserem Traum einen größeren Rahmen zu geben.
Und das Wetter scheint nun auch dazu zu passen. Denn ab Donnerstag soll sich das Azoren-Hoch tatsächlich wieder durchsetzen und sich wohl auch an seinem angestammten Platz wieder breit machen. Dieser Umstand ist für uns nicht ganz unwichtig, denn so gibt es den Nordwind, den wir brauchen, nicht nur für ein paar Tage, sondern in allen Vorhersagen erst einmal »open end«.
Bis Donnerstag heißt es nun abwarten, Wetter checken und noch einmal einkaufen. Da wir eigentlich fertig sind, könnte es auch losgehen. Doch etwas Geduld zu haben und zu warten, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist, bringt uns am Ende Sicherheit und auch viele Annehmlichkeiten. Auf das richtige Wetterfenster warten zu können, ist der große Vorteil der unabhängigen Fahrtensegelei.
Für die großen Transatlantikregatten wird der Startzeitpunkt Monate vorher für einen bestimmten Tag im November oder Dezember festgelegt und ab dann läuft der Countdown, vollkommen egal, wie sich das Wetter dann zu diesem Tag und an den folgenden Tagen gestaltet. Für uns ist das eine Abhängigkeit, die wir gar nicht eingehen möchten.
Diesen Blog werden wir wie ein Tagebuch führen. Gern hätten wir jeden Tag ein paar Zeilen via Satellit geblockt, aber dazu reicht unsere technische Ausrüstung noch nicht aus. So sind wir schon angekommen, wenn dieser Blog online geht. Und wie es war, könnt ihr nun lesen.
p.s. als alles fertig geschrieben ist:
Der Blog ist zugegeben etwas lang geworden, aber das liegt vielleicht auch an den langen Nächten, in denen einem so viel so wunderbar durch den Kopf gehen kann 😇.
Tag 0, Mittwoch 15.09.2021
Der Mittwoch beginnt mit der guten Nachricht, dass sich an unserem Überfahrtswetter nichts geändert hat. Im Gegenteil, alles wirkt noch etwas »stabiler«. Ob das allerdings nur gefühlt so ist oder der Wahrheit entspricht, ist schwer zu sagen. In jedem Fall haben wir ein gutes Gefühl und beschließen, am Donnerstag um 5:00 zu starten. Damit läuft nun tatsächlich unser Countdown und alles wird startfertig gemacht.
Noch einmal laufen wir zum Lidl und kaufen etwas Obst, Käse und Brot ein. Aber leider ist das Wasser aus. Dort wo sonst 15 Europaletten mit Wasser stehen, herrscht gähnende Leere. Damit haben wir nicht gerecht, gerne hätten wir noch einige Wasserflaschen als Extra zum Trinken mitgenommen.
Bei der Werft fragen wir, ob wir noch einmal die Duschen auf dem Werftgelände nutzen dürfen. Wir dürfen. So duschen wir noch einmal lang und ausgiebig. Es ist schon toll, wenn man nicht auf seinen Wasserverbrauch achten muss. Ein echter Luxus!
Da die letzten Tage trüb, nebelig und manchmal sogar regnerisch waren, steht es um unseren Energiehaushalt nicht wirklich gut. Außerdem haben wir auch noch viel an den Notebooks gearbeitet, was den Verbrauch auch noch einmal in die Höhe treibt. So werfen wir am Nachmittag den Generator an, denn volle Batterien zum Start eines 4 – 5 Tage Trips machen auch ein gutes Gefühl.
Normalerweise reichen unsere Solarzellen dicke hin, aber manchmal reicht es eben doch nicht. Da gibt einem der Generator schon ein ordentliches Stück Freiheit. Nun brauchen wir eigentlich nur noch einen Wassermacher, um wirklich autark zu sein.
Um 16:00 sind wir fertig. Selbst die Wegepunkte sind eingegeben und die Grab Bag ist gepackt. Das ist schon fast vorbildlich. Bei Kaffee und Kuchen überlegen wir, ob wir etwas vergessen haben, aber uns fällt nichts mehr ein. Es kann losgehen.
Tag 1, Donnerstag 16.09.2021
Um 4:15 klingelt unser Wecker und kurz nach 5:00 rasselt die Ankerkette. Wir sind im Plan, nur der Wind leider nicht. In der Abdeckung der Iberischen Halbinsel südlich von Lagos hat sich ein großer Flautenbereich breit gemacht. Aber egal, nun disponieren wir auch nicht mehr um, uns ist es wichtiger, im Hellen die Hauptschifffahrtsroute südlich von Sagres zu queren. Da geht der gesamte Schiffsverkehr aus dem Mittelmeer, also auch der aus Fernost und dem Suez-Kanal durch, der nach Nordeuropa will. Und das eben hin, wie auch zurück. Allein das Verkehrstrennungsgebiet hat 5 Fahrbahnen und ist etwas mehr als 20 Seemeilen breit, also gut 35 km. Wenn wir da durch sind, wird es mit dem Schiffsverkehr ruhiger und wir müssen »nur noch« geradeaus fahren. Mit dem angekündigten Nordwest bis Nordost sollte das eine echte Downhill-Etappe werden.
Aber natürlich erwischt uns erst einmal die Flaute wie vorhergesagt. Dreimal versuchen wir doch zu segeln, obwohl es eigentlich nicht wirklich aussichtsreich ist. Einmal klappt es sogar für 30 Minuten, aber dann können wir auch mit größter Geduld nichts mehr aus den 4 bis 5 Knoten Wind machen. Zudem haben wir gut einen Knoten Strom gegenan. Damit haben wir nicht gerechnet, aber wenn die Gezeiten um die Welt eilen, muss es eben irgendwo auch strömen. Anders geht das ja nicht.
Um 11:15, wir sind gerade ungefähr ein Drittel im Schifffahrtsweg, nimmt der Wind leicht auf 8 Knoten zu und dreht auf WNW. Nun können wir endlich vernünftig segeln und es geht mit rund 5 Knoten gut voran. Das Wasser ist richtig blau und die Sonne scheint von einem wolkenlosen Himmel. Einige Delphine begleiten uns immer mal wieder. Es ist Zeit zum Durchatmen. Rund herum sind nun nur noch einige Frachter zu sehen. 360° Wasser, das Land hat sich hinter dem Horizont versteckt. Und wir sind mittendrin. Mitten im Zentrum unserer eigenen Wasserwelt, die wir nun für wenigstens 4 Tage so haben werden.
Nachdem wir den Schifffahrtsweg gequert haben, nimmt der Wind langsam zu.
Die 15 Knoten Wind bringen uns sehr gut voran, allerdings läuft nun von NW noch ein alter Schwell mit einer mittleren Wellenhöhe von 2,5 bis 3,0 ein. Das macht die ganze Sache etwas ungemütlich. Der Wind aus 120° hält die PINCOYA nicht in Schräglage, wenn diese großen Wellen unter uns durchlaufen, dann rollen wir immer wieder unangenehm von der einen auf die andere Seite.
Die Windwelle legt sich über die alte See und macht die ganze Sache noch etwas chaotischer. Immer wieder treffen uns Wellensets die locker 4 m haben. Gefühlt ist man geneigt, von höheren Wellen zu schreiben, denn wenn man aus unserem Cockpit den Wellenkamm weit über unseren Schlauchboot sieht, dann denkt man unwillkürlich: “Boah, ganz schön hoch!” Oft haben wir Glück und die PINCOYA hebt sich im scheinbar letzten Moment, aber nicht immer. Wenn die Wellen ungünstig übereinander laufen und sich gegenseitig voran schubsen, dann trifft uns auch schon mal einer dieser Berge und drückt uns heftig aus dem Ruder. Doch unser Autopilot meistert all diese Situationen absolut perfekt und bringt uns sofort wieder zurück auf Kurs. Es kommen nur einige Spritzer ins Cockpit, ansonsten bleiben wir trocken, obwohl es manchmal doch recht bedrohlich wirkt. Aber … es ist ja noch Tag!
Die erste Nacht
Mit etwas gemischten Gefühlen beobachten wir unsere Windanzeige. Der Wind nimmt beständig zu und erreicht immer mal wieder bis zu 26 Knoten. Im Mittel hat die Nacht dann etwas über 20 Knoten.
Stück für Stück reffen wir ein. Im Wechsel Genua und Groß, dann kommt die Starkwindfock, die bald auch ihr erstes Reff bekommt. Eigentlich ist der Wind nicht so stark, dass wir derart reffen müssen, aber es ist Nacht und in der Nacht lassen wir es gerne etwas ruhiger angehen. Doch da sind auch die Wellen und die machen es uns inzwischen richtig ungemütlich. Am Ende enden wir mit dem Groß im 2ten Reff und ganz ohne Vorsegel. Nur mit Groß ist das eine recht stabile Sache, doch nicht selten fahren wir trotzdem noch über 7 Knoten. Unter 6 kommen wir gar nicht.
Die Wellen sind schlimm und es wäre gelogen, wenn wir nicht zugeben, dass wir doch das ein oder andere Mal etwas Angst bekommen. Der Mond beleuchtet zwar die Szenerie recht großzügig, aber es ist trotzdem dunkel und das, was wir sehen und hören, lässt uns nicht entspannt im Cockpit sitzen.
Der Capitana geht es nicht gut, doch es kommt nicht zu Äußersten. Der Schiffsjunge hält sich wacker, ist aber auch sehr vorsichtig mit dem Essen und Trinken. An Schlaf ist überhaupt nicht zu denken. Wir werden unglaublich hin und her geworfen. Mehrmals bricht eine der großen Wellen scheinbar aus dem Nichts in uns hinein. Man sieht sie nicht, obwohl ja der Halbmond alles sehr schön beleuchtet.
Erst kommt dieses Rauschen, dann der Einschlag. Das Cockpit bleibt weitgehend trocken. Es ist wirklich gut geschützt. Dreimal kracht es richtig und einmal werden wir komplett auf die Seite gelegt, rutschen quer die Welle herunter, die sich Gott sein Dank nicht vollständig bricht, sondern wohl nur etwas von ihrer Krone ins Cockpit spuckt. Das sind lange Sekunden, sehr lange! Mir fallen die Sitze im Cockpit entgegen, Astrid klammert sich drinnen fest. Warten… aber unser dicke Erna macht auch das mit Bravour und kommt wieder hoch. Es war natürlich kein Touchdown, aber so etwas hatten wir noch nicht. Und so langsam wächst unser Vertrauen, unsere PINCOYA schlägt sich besser als gedacht. Vollkommen gutmütig nimmt sie alle Schläge hin und wir fühlen uns sicher. Allerdings muss für dieses Gefühl immer noch der Kopf mit ran, das Gefühl kommt noch nicht von ganz allein auf die Idee, uns dieses Gefühl zu geben.
Dennoch sind die Wellen brutal, der Wind geht eigentlich noch, aber die Kombination ist schlimm und die Nacht will kein Ende nehmen. Astrid versucht sich einzukriegen und ihre Seekrankheit etwas in den Griff zu bekommen. Sie tut, was geht, und ist immer da, wenn eine zweite Hand oder ein zweites Urteil gebraucht wird. Aber ich mache die Nacht mehr oder weniger durch, wenn man mal von einigen wenigen 10-Min-Schläfchen absieht.
Die Welt weiß ja seit Boris Herrmann, wie fatal selbst kleine 10-Minuten-Schläfchen enden können. Als ich aufschrecke, sehe ich Rot-Weiß vor uns. Mist, AIS sagt 4 sm, ein Frachter. Danach bin ich wieder hellwach und zwar für den Rest der Nacht.
Tag 2, Freitag 17.09.2021
Gott sei Dank wird es wieder hell. Nach Sonnenaufgang nimmt der Wind ganz langsam etwas ab. 18 Knoten reichen aber immer noch, um weiterhin flott voranzukommen. Das beste ist aber, dass sich auch der hohe, alte Schwell so langsam verzieht. Ruhig wird es dadurch immer noch nicht, aber ruhiger.
Um 5:30 loggen wir unser erstes Etmal. Ein Etmal sind die in 24h zurückgelegten Seemeilen. Wir haben satte 135 Seemeilen geschafft und das trotz der Anfangsflaute und unseren erfolglosen Segelversuchen. Daraus ergibt sich immerhin ein Schnitt von 5,6 Knoten. Natürlich kann unsere dicke Erna schneller, aber ein Schnitt von 5,6 Knoten über 24 h Stunden kann sich echt sehen lassen. Gerade bei all dem Übergewicht, das wir unserer alten Dame in den Bauch gestopft haben.
Der erste Tag und besonders die erste Nacht haben uns ernüchtert. Die Nacht war echt etwas zum Abgewöhnen. Der Capitana geht es inzwischen besser. Sie hat sich in den Portionen, die möglich waren, wieder gesund geschlafen. Nun ja, wenigstens halbwegs gesund, soweit das überhaupt geht. Seekrankheit braucht etwas, um auf See wieder wegzugehen. An Land geht das im Handumdrehen, aber auf See gibt es ja keine Ruhe, die den Gleichgewichtssinn wieder etwas befrieden könnte. Ziemlich ungläubig horche ich selbst immer wieder in mich hinein, aber ich kann kein bisschen Seekrankheit in mir entdecken. Wieso es uns diesmal so herum trifft, ist ein Rätsel, bisher war immer ich der Empfindliche.
Stauend glotzen wir auf das Blau um uns herum. Das ist absolut faszinierend. Wenn man mit dem Graugrau der Ost- und Nordsee aufgewachsen ist, dann glaubt man unwillkürlich, dass das Meer eben diese Farbe hat. Hier leuchtet es aber in hellen Kristallfarben. Das war selbst an der Algarve noch nicht so und auf keinem Stückchen Meer, auf dem wir bisher in Richtung Süden unterwegs waren. Schlagartig wird einem klar, warum die Segler vom Blauwassersegeln sprechen. Das ist vielleicht für den ein oder anderen banal, aber um uns herum leuchtet ein Kristallblau und wir staunen wie die Kinder. Immer wieder gucken wir nach, ob es noch da ist. Das bleibt auch die nächsten Tage so. Faszinierend! Und in diesem Moment sind wir dankbar, mit diesem Kristallblau auf Augenhöhe zu sein. Wenn die Sonne durch die sich brechenden Schaumkronen strahlt, erstrahlt ein gläsernes Hellblau, dass vielleicht am ehesten mit dem Blau des Lapislazuli zu beschreiben ist. Der Stein des Himmels und des Wassers.
Wir reffen etwas aus und lassen es laufen. Nun sind wir das erste Mal wirklich »offshore« unterwegs. Der Unterschied zu all dem, was wir bisher gemacht haben, liegt weniger im Segeln als in dem Bewusstsein, wirklich »offshore zu segeln«. Und das ist in erster Linie eine Kopfsache. Die letzte Nacht war heftig und da überlegt man unwillkürlich, welche Alternativen man hat. Und dann macht eben die Tatsache, dass es keine gibt und nur man selbst da ist, um alles zu lösen, genau den Unterschied. Und dieses Bewusstwerden lässt ein »neues Gefühl« entstehen. Das Gefühl, eben »offshore« unterwegs zu sein. Oft hat man schon darüber nachgedacht und versucht, es sich vorzustellen. Und nun ist es da.
So wie wir bisher unterwegs waren, gab es immer irgendeine Möglichkeit umzukehren oder abzubiegen, um sich doch erst einmal irgendwo zu verkriechen. Diese Möglichkeit gibt es nun aber eben nicht mehr. Klar kann man seinen Kurs etwas anpassen, aber grundsätzlich gibt es nur ein Weiter. Und selbst als die Algarve noch keine 80 sm Achteraus liegt, gibt es rein segeltechnisch keine vernünftige Möglichkeit mehr, dahin zurückzukehren. Das hätte einen harten und unendlich langen Kreuzkurs gegenan bedeutet. Wir haben eben ein Wetterfenster ausgesucht, um in der anderen Richtung zu segeln. Also weiter. Und genau das ist der Unterschied, von dem wir zwar wussten, der es aber in der letzten Nacht ganz »vollständig« in unseren Kopf geschafft hat. Sicher wird der ein oder andere darüber lächeln, gerade auch viele Fahrtensegler, denn da will ja doch fast immer jeder taffer sein als der andere.
Und wenn wir auf diesem Hintergrund sagen, dass genau dieses Offshore-Feeling einer unserer Beweggründe ist, warum wir dieses Fahrtensegeln überhaupt machen, dann wirkt das sicher auf den ersten Blick etwas befremdlich. Doch es ist ein wunderbares Gefühl, etwas vollkommen unabhängig, auf sich allein gestellt und aus eigener Kraft zusammen mit der Natur zu schaffen. Niemand ist da, der irgendetwas für einen richtet, wenn man nicht mehr weiter weiß. Für alles, was zu tun und zu entscheiden ist, ist man allein verantwortlich und nichts kann man delegieren. Was für ein toller Umstand in einer Welt, in der das Delegieren, Nicht-zuständig-Sein und der Ruf nach einem Experten zum Standard geworden ist. Man ist einfach für all das selbst verantwortlich, was man macht und wie man entscheidet. In unserem Berufsleben wurde das Wort »Herausforderung« im Beratersprech ständig für den größten Scheiß vergewaltigt. Aber es gibt tatsächliche Herausforderungen, die einen im wahrsten Sinne herausfordern oder eben »fordern herauszukommen«.
Die zweite Nacht
Die zweite Nacht ist wesentlich ruhiger als die erste. Die Wellen sind kein Vergleich zu den Wellen der ersten Nacht. Sie passen nun sozusagen zu den Windverhältnissen.
Unser normaler Wachwechsel läuft. Ab 20:00 alle 3 Stunden in der Nacht und ab 8:00 alle 4 Stunden am Tag. Die unterschiedlichen Wechselstunden haben den Vorteil, dass die Nachtwachen immer im zeitlichen Wechsel stattfinden. In der Nacht halten wir die Wechsel ziemlich genau ein, aber am Tag schlafen wir auf Bedarf, es gibt noch einiges nachzuholen. Und …, das darf man auch ruhig mal so sagen, unsere Mittelkoje eignet sich phantastisch, um sich etwas von dem unglaublichen Geschaukel zu erholen. Dort gibt es quasi mal eine Auszeit.
Mit dem ersten Reff im Groß fahren wir in die Nacht. So machen wir bei 19 bis 23 kn Wind aus 120° gut 6 bis 7 kn Fahrt. Das reicht für eine Nachtfahrt absolut aus. Die Starkwindfock oder gar die Genua lassen wir mal komplett weg.
Astrid geht’s wieder gut, sie hat sehr gekämpft, ist aber auch etwas deprimiert, dass sie so geschwächelt hat, wie sie sagt. Aber gegen Seekrankheit kann man wenig machen. Doch das Schlafen hat ihr sehr gut getan. Und so schwingen wir uns langsam ein.
Die Backstag-Brise ist nicht optimal, denn auch die Wellen laufen aus 120° ein und lassen uns immer wieder ziemlich geigen. Wesentlich ruhiger wäre ein Halbwindkurs, doch wir wollen ja nicht nach New York, sondern nach Madeira. Wenn man immer wieder zwischen 30° zur einen und 15° zur anderen Seite schwingt, fühlt man sich wie eine Kugel im Flipperautomat. Zumal die Stöße unter Deck ja vollkommen unvorhersehbar kommen. In diesem Geschaukel entleert sich dann auch irgendwann unser Kühlschrank. Leider hält sein Schnappi diesem Geschaukel nicht Stand, da müssen wir noch mal einen Extrariegel anschrauben.
Mit der zunehmenden Nacht kommt der Wind dann langsam wieder etwas nördlicher rein. Dadurch liegen wir besser am Wind und ruhiger in den Wellen. Im Mittel haben die Wellen nun gut 2 m. So kann man sich mit langen Nachtfahrten anfreunden, denn auch die Wellenfrequenz ist größer geworden. In der ersten Nacht war das nicht so, das war wirklich schlimm.
Und noch eins; Stichwort Wärme. So langsam merkt man den Unterschied deutlich. Besonders beim Nachtsegeln. Das Wasser hat um die 24° und der Wind ist warm. Selbst an der Algarve waren die Nächte auf dem kalten Wasser wirklich kalt. Hier sind sie kühl und ab und zu ist der Wind dann wieder warm wie ein Fön. Tagsüber ist es wunderbar warm, echtes T-Shirt-Wetter, aber die Sonne scheint doch intensiver zu brennen als an der Algarve. Vielleicht liegt es aber auch an der Salzluft und dem Salz auf der Haut. Das Gesicht brennt richtig. Außerdem gibt es nichts mehr, was nicht vor Salz starrt. Insofern nähern wir uns wohl der Barfußroute, besonders das Nachtsegeln ist kein Vergleich zu den klapperkalten Sommersegelnächten im Norden, von denen wir schon so viele durchzittert haben.
Und auch hier. Wir würden niemals ein Schiff ohne echten Decksalon kaufen. Es ist einfach unglaublich komfortabel, mal aus dem Wind reinzugehen und drinnen zu sitzen, von dort auch alles sehen zu können und einfach durch die Nacht zu rauschen. Diesen Luxus würden wir auch für Geld und gute Worte niemals gegen ein Kellerschiff eintauschen, auch wenn es viel neuer und viel größer wäre.
Als mich Astrid zu meiner zweiten Schicht weckt, brist es gerade immer mehr auf. Die Windanzeige knabbert an den 7 Beaufort, also 28 Knoten. Das bleibt zwar eher die Ausnahme, aber die nächsten 3 Stunden haben wir ständig satte 6 Beaufort. Wir fliegen nur so durch die Wellen, die natürlich auch gleich wieder entsprechende Höhen erreichen. Ins Groß binden wir das zweite Reff, die Sturmfock bleibt eingerollt. Wir haben zwei Anzeigen von zwei unabhängigen GPS Systemen. Die eine gibt den SOG so ziemlich ungefiltert wieder, so wie er sich im Moment errechnet, die zweite puffert all das etwas und zeigt einen Mittelwert an. Auf der ersten haben wir bei Gleitfahrten auf den Wellen über 9 Knoten drauf, die zweite kommt nur manchmal über 7, doch nie unter 6 kn.
Um 5:30 sind unsere zweiten 24 Stunden um. Wir haben diesmal ein Etmal von 146,8 Seemeilen. Gestern waren es schon einmal 135 Seemeilen. Hammer! Das ist der absolute Oberhammer! Wir hätten nie gedacht, dass unsere dicke Erna solche Etmale so locker schafft. Aber… was heißt hier locker? So etwas geht nur mit viel Wind und der hat leider auch die blöde Eigenschaft, immer viel Welle zu machen. Die Wellen, die 6 Beaufort hier produzieren, reichen uns vollkommen. Mehr brauchen wir nicht und wir sind auch heilfroh, dass sich nicht wieder so ein alter und noch höherer Schwell darunter mogelt. Ein hübsches Etmal, eines von dem man gerne und stolz erzählt, hat also zwei Seiten. Von der einen Seite erzählt man gerne und die andere ist ziemlich ruppig und ungemütlich.
Tag 3, Samstag 18.09.2021
Das unmöglich Geglaubte scheint nun in greifbare Nähe zu kommen. Gegen 12:00 haben wir noch 140 Seemeilen bis Porto Santo. Wenn wir noch einmal so ein Etmal fahren, dann sind wir schon Sonntagmittag da. Der Gedanke scheint uns noch immer unglaublich, aber rechnerisch könnte es sein.
Der dritte Tag versöhnt uns mit dem Atlantik-Segeln. Gebe es nur solche Tage wie die ersten beiden, würde sich unsere Begeisterung sehr in Grenzen halten. Nach einem eher grauen Morgen erkämpft sich die Sonne einen strahlend blauen Himmel. Der Wind nimmt etwas ab und die Wellen entsprechen sehr schön dem tatsächlichen Wind. Und so läuft die PINCOYA einfach so vor sich hin. Abwechselnd schlafen wir. Nicht nur in der Nacht, sondern auch in den Vormittag hinein. Wir haben immer noch Nachholbedarf. Am Vormittag reffen wir aus und machen uns einen heißen Tee. Das erste Heiße seit unserer Abfahrt. Das ist grundsätzlich nicht schlimm, macht aber einen normalen Pfefferminztee zu einer Delikatesse!
Insgesamt bleibt der dritte Tag entspannt. Der Wind ist etwas launisch und dreht immer mal wieder um 30° hin und her und schwankt zwischen 14 und 28 Knoten. Ein Vorgeschmack auf die Nacht.
Nachmittags zeigen sich im Norden dicke Regenwolken, aber nur einmal fallen dann auch wirklich einige Tropfen. Der Tag bleibt auf wohltuende Art und Weise unaufgeregt und so langsam beginnt sich unser Bordleben einzupendeln. Dennoch bleibt die Küche kalt. Da wir absehen können, dass wir schon Sonntagmittag in Porto Santo ankommen werden, genügt uns der Gedanke an ein warmes und vor allem üppiges Ankommensessen. So bleibt es bei Brot und Käse. Die echte Bordroutine, die wir eigentlich für Langstrecken brauchen, haben wir allerdings noch nicht gefunden. Doch wir sind sehr froh und auch zufrieden mit uns, dass wir die anfänglich doch recht harten Bedingungen so gut gemeistert haben und wenigstens eine kleine Routine gefunden haben.
Die dritte Nacht
Mit dem Groß im ersten Reff und der vollen Genua geht es in die dritte Nacht. Wir sind schnell und wir fragen uns, ob wir vielleicht zu schnell sind.
Wenn man so durch die Nacht drischt, ohne etwas zu sehen, dann beschleicht einen ja doch der Gedanke: “Was ist, wenn da jetzt doch irgendetwas im Weg ist?” Ja ja, jeder weiß, Wasser hat keine Balken hat, aber ganz so unwahrscheinlich ist die Sache mit einer Kollision dann ja auch nicht. Bei Kollisionen auf Offshore-Regatten schaffen es immer schlafende Wale als Vermutung in die Presse. Doch eine Kollision mit Containern oder anderen Dingen, die eines der unzähligen Handelsschiffe in einem Sturm verloren hat, erscheint uns da doch viel wahrscheinlicher. Die übrige Schifffahrt und speziell all die Fischer ohne AIS und mit einer »fragwürdigen Beleuchtung«, sind zwar durchaus auch problematisch, aber da hat man wenigstens noch eine Chance, mit der eigener Aufmerksamkeit etwas gegen zu tun.
Doch bei Treibgut ist man chancenlos! Entweder trifft es einen bzw. man trifft es oder eben nicht. Riesengroß ist die Gefahr nicht, aber wegreden kann man sie eben auch nicht. Und da geht es einem Fahrtensegler auf See ganz ähnlich wie jedem im normalen Leben. Solange man lebt, besteht auch immer die Möglichkeit, schwer zu erkranken und womöglich daran zu sterben. Das Risiko besteht und niemand weiß, ob es einen trifft oder nicht. So ist es auch mit einer Kollision, die Möglichkeit, ja die Gefahr besteht, und jeder Fahrtensegler weiß es. Die Frage ist nur, wie man mit dem einen oder anderen umgeht. Lähmt es einen und machen einen die Sorgen krank, oder lebt man mit seinem Unwissen und genießt sein Leben trotzdem. Ein Fahrtenseglerleben ohne das Risiko einer Kollision mit Treibgut gibt es nicht, die einzige Option, dem zu entgehen, wäre, die Fahrtensegelei ganz zu lassen. Aber will man das wirklich? Man will ja auch nicht das Leben sein lassen, nur weil die Möglichkeit besteht, sich eine schlimme Krankheit einzufangen.
Trotz allem und all dieser Gedanken, die einem besonders in einer mondlosen Nacht durch den Kopf gehen, in der man durch die Wellen pflügt, ist es zunächst mal ein beklemmendes Gefühl, ohne auch nur einem Meter weit sehen zu können, mit 7 Knoten durch eine stockfinstere Nacht zu dreschen.
Insgesamt hält uns die Nacht auf Trapp. Einreffen und dann wieder ausreffen, Winddreher ausgleichen und dann wieder zurück. Mal machen uns die Wellen den Kurs kaputt, mal geht es. Lange Weile kommt da jedenfalls nicht auf.
Tag 4, Sonntag 19.09.2021
Obwohl wir jede Gelegenheit genutzt haben, Schlaf nachzuholen, merken wir, wie kräftezehrend es ist, dauern durchgeschaukelt und hin und her geschubst zu werden, keinen ruhigen Punkt zu haben, selbst in der Koje hin und her zu rollen und immer wachsam zu sein. Auch wenn man selbst keine Wache hat, ist man doch immer dabei. Jede sich verändernde Schiffsbewegung und jedes sich ändernde Rauschen weckt einen auf. Und ab und zu muss man ja auch mal nach seinem Schatzi sehen, um wieder beruhigt einschlafen zu können. Da helfen auch die AIS-Sender in unseren Westen nicht, die Alarm schlagen, wenn einer von uns über Bord geht. So ist es eben, wenn man solche Sachen zu zweit macht, man hängt in allem doch sehr eng zusammen.
Um 5:30 fahren wir unser letztes Etmal dieses Trips mit wiederum sagenhafen 144 sm ein. Es ist unglaublich, wir werden die Strecke Portimão nach Porto Santo tatsächlich in 3 Tagen und einigen Stunden schaffen. Am Sonntag gegen Mittag werden wir ankommen und können es selbst kaum glauben, dass es so ist.
Und dann taucht die gezackte Silhouette von Porto Santo am Horizont auf.
Der Schiffsjunge ruft spontan: “Montevideo!” Nicht ganz unpassend, denn Montevideo soll ja auf das portugiesische “Monte vide eu” zurückgehen, was soviel heißt wie »Ich seh den Berg«. Und da wir nicht nur einen Berg sehen, summt die Capitana leise das alte Tacka-Tucka-Lied “Eine Insel mit zwei Bergen in dem tiefen weiten Meer…”.
Wir sind da, nicht ganz, aber fast.
Es ist trüb und grau, aber das macht in diesem Moment keinen Unterschied. 446 Seemeilen liegen hinter uns und nur noch etwa 25 vor uns. Wir setzen die Gastlandflagge von Madeira. Es ginge auch die portugiesische, aber zur Feier des Tages haben wir uns mal die von Madeira gegönnt. Es ist schon ein tolles Gefühl, den Weg hierher ganz aus eigener Kraft, und nur mit dem Wind geschafft zu haben.
Wie schon in der Nacht bleibt der Wind unglaublich launisch. Die Windrichtung dreht innerhalb von Minuten um bis zu 60° und auch die Windstärke hat alles zwischen 7 und 17 Knoten drauf. Ein schwieriges Segeln, aber was soll’s, wir haben Porto Santo in Sichtweite. Und wie immer sind die letzten Seemeilen die längsten. Wenn man sein Ziel sehen kann, dann scheint es überhaupt nicht näher kommen zu wollen. Zudem hat uns die Beständigkeit unserer Rauschefahrt verlassen. Und immer wieder ziehen dicke Regenwolken heran. Die lassen es zwar nicht regnen, bringen aber mal Wind und eben auch mal keinen.
Als wir wieder Netz haben, checken wir die Lage in Porto Santo. Inzwischen lassen ja doch so einige Fahrtensegler ihr AIS einfach durchlaufen. Wir scheinen nicht die einzigen zu sein, die Porto Santo als Ziel gewählt haben. Wo bei unserer Abfahrt nur wenige pinke Pünktchen auf Marinetraffic zu sehen waren, liegen sie nun dicht an dicht. Nicht nur im Hafen, sondern auch außerhalb im Ankerbereich.
Ganz langsam kommen wir näher und in der Abdeckung der südöstlichen Huk und der kleinen Ilheu De Cima mit dem Leuchtturm nehmen auch die Wellen ab. Einen Versuch, in dem Hafenbereich vor Anker oder an eine Mooring zu gehen, unternehmen wir erst gar nicht, denn schon auf dem Anchorage liegen etwa 40 Schiffe.
Ziemlich dicht unter Land ist noch alles frei. Warum ist uns nicht ganz klar, aber wenn man uns dieses Plätzchen frei gelassen hat, dann nehmen wir es gern. Um 14:15 ist unser Anker eingefahren, die ersten Fallböen bringen die Takelage der PINCOYA zum Zittern und wir sitzen überglücklich im Cockpit und trinken unser Ankommensbier vor Vier. Danach fallen wir in die Koje und erst abends gibt es ein besonders üppiges Festmahl mit einer Schinkensahnesoße, die definitiv mehr Sahne, Schmand und Frischkäse enthält als Schinken 😊 😋.
Und am Ende? Vielleicht ein kleines Résumé am Anfang…
All die letzten Jahre haben wir step for step unsere Idee vom Segeln in einem immer größer werdenden Rahmen gelebt. In unserer Geschwindigkeit und mit den Möglichkeiten, die eben da waren. Zurückblickend war wohl unserer Pfingsttörn 2014 nicht ganz unentscheidend bei der Beurteilung was geht und was nicht. Außerdem wollten wir damals mal Nachtsegeln üben und was liegt da näher, als nach Schweden zu fahren, um zu grillen? Drei Tage von Heiligenhafen nach Gislövsläge in Südschweden und zurück, um in Gislövsläge zu 5 Bratwürstchen auf den Grill zu legen und gleich wieder aufzubrechen, denn dienstagfrüh mussten wir ja schließlich wieder an unseren Schreibtischen sitzen.
Ab und zu werden wird gefragt, warum wir das machen und was wir suchen. Diese Frage können wir aber gar nicht so recht beantworten, denn wir suchen gar nichts und müssen uns auch nichts irgendwie selbst beweisen. Wir hatten nur das große Glück, uns zu treffen, um dann festzustellen, dass in uns dieselbe Sehnsucht schlummert. Klingt romantisch, ist es auch! 🙂 Und so suchen wir nichts, wir leben nur unser Leben, so wir wir es leben möchten. Nicht mehr und nicht weniger.
Und weil diese Etappe nach Madeira für uns ein viel größerer Schritt war, als all die kleinen Schritte bis in die Algarve zusammen, ist dieser Blog nun auch ein kleines »Résumé am Anfang«. Ein Résumé vor all den neuen Schritten, die nun noch folgen.
Rückblickend haben wir sehr lange ganz viel für kaum möglich gehalten. Doch es geht immer viel mehr, als man denkt, besonders, wenn man sich nicht beirren lässt.
Und das ist an diesem Punkt vielleicht auch die Message. Um uns herum liegen zu 80% alte und sehr gebrauchte Boote, auf denen Menschen unterwegs sind, die alle die individuellsten Lebenskonzepte haben und die meisten von denen leben eben nur ihre Idee vom Leben.
Porto Santo Anchorage
33° 03′ 38,4″ N, 016° 19′ 12,3″ W