Nach drei ruhigen Tagen beginnt in der Nacht zum Mittwoch der vorhergesagte Starkwind. Erst langsam, aber in der zweiten Nachthälfte kommen dann auch schon wieder diese Fallböen hinzu. Der Grundwind ist zwar noch eher moderat, die Einschläge der Fallböen treffen uns aber schon jetzt ziemlich brutal. Auch die liegen zunächst erst einmal nur bei knapp über 20 Knoten, doch sie treffen uns aus dem Nichts und zudem aus höchst unterschiedlichen Richtungen. Der Wechsel zwischen einem »normalen 💨« und einem scheppernd einschlagenden Wumms ist schon krass. Und nach so einem Einschlag werden wir meist auch noch herumgeschleudert, denn nur selten kommt der Einschlag »nur« von vorn. Mal sehen, wie das wird, wenn der Grundwind wie angekündigt noch zunimmt.
Für zwei bis drei Tage soll das so gehen. Bisher hält sich der einlaufende Schwell noch sehr in Grenzen, aber wir liegen auch ziemlich ideal. Nachdem viele Segler aus Porto Santo aufgebrochen sind und noch gestern nicht wenige vom Anchorage in den Hafenbereich gewechselt haben, haben wir uns weit innen direkt vor den Strand und etwa 150 m vor die Mole gelegt. Die Wassertiefe ist dort für Starkwind zwar nicht so ideal, wir haben bei Niedrigwasser nur noch etwa 3,5 m unter dem Kiel, aber wir liegen sehr ruhig und geschützt, solange es bei den nördlichen Richtungen bleibt. Unseren Anker haben wir 110 m vor der Mole gesetzt und dann 40 m Kette gesteckt. Schon wenige hundert Meter weiter draußen sehen wir, wie andere Ankerkollegen doch wesentlich unruhiger liegen, schaukeln und schwojen.
40m Kette müssten für den angekündigten Wind und die damit einhergehenden Fallböen eigentlich reichen. Im Hafen wäre das gar nicht möglich, dort ist es für solche Kettenlängen einfach zu eng. Gerade jetzt im Herbst, wo doch sehr viele Segler hier auf Durchreise sind. Allein deswegen fühlen wir uns vor dem Hafen schon wesentlich sicherer als drinnen. Mal ganz abgesehen von den Ankerkünsten der anderen Segler.
Der Mittwoch vergeht damit, dass sich der Grundwind langsam immer weiter steigert, bis er die vorhergesagten 22 Knoten erreicht. Und so steigern sich auch die Fallböen auf mehr als 30 Knoten. Nun sind ja auch 30 Knoten Wind nicht zu viel zum Ankern, wenn die 30 Knoten mal schön geordnet aus einer halbwegs definierten Richtung kommen. Doch die Fallwinde halten sich leider an keine Ordnung. Im günstigsten Fall triff uns eine solche Bö direkt von vorn, dann nickt die PINCOYA etwas, lässt die Bö mit ihrem Getöse durchziehen und gut. Doch meist trifft uns eine solche Bö irgendwie von der Seite und im schlechtesten Fall eben halbwind. Dann nimmt unsere dicke Erna Fahrt auf, schleudert herum und kracht regelrecht in die Ankerkette. Und das mit einem solchen Schwung, dass unsere 40 m Kette tatsächlich ab und zu steif kommen, was dann einen ordentlichen Ruck gibt.
Auch auf Marinetraffic kann man sehen, dass wir vor Anker bis zu einem Knoten Fahrt machen. Das sieht dann immer nach Aufbruch aus, ist aber nur unser Schleuderkurs vor Anker.
Da wir es ja gern etwas »kräftiger« haben, ist auch unsere Ankerkralle mit zwei 20er Festmacherleinen und einer »echten Kralle« etwas stärker dimensioniert. Das zusammen mit der 10er Kette und dem 25 kg Vulcan-Anker macht ein gutes Gefühl. Auch am Donnerstagmorgen liegen wir noch exakt auf derselben Position. Und das nach einer weiteren sehr sehr böigen Nacht, in der uns so manches Krachen und Scheppern doch immer mal wieder aufgeweckt hat. Die Fallböen sind wirklich brutal, das drückt die ganze Sache schon ganz richtig aus.
Aber wir sind mit unserem Schicksal ja nicht allein. Etwa 10 Ankerlieger werden ähnlich und teilweise auch noch viel mehr bewegt. Wie gesagt, wir liegen sehr weit innen, was uns bis auf das wilde Schwojen eigentlich recht ruhig liegen lässt. Fast alle anderen liegen deutlich weiter draußen und dort kommt eben auch noch etwas mehr Schwell zum Schaukeln vorbei. Warum so viele Segler so weit draußen liegen, ist uns nicht ganz klar, zumal weiter innen, und auch um uns herum, noch genügend Platz wäre.
Da wir grundsätzlich gut liegen, ist Zeit für alles andere. So ist dieses Wetter z.B. auch ein phantastisches Wetter zum Rasieren und Haare schneiden, die abgeschnittenen Haare werden einfach so fortgeblasen und kommen wahrscheinlich erst auf Höhe Madeira wieder runter. Eine super Sache! Doch gerade, als wir baden gehen wollen, brist es noch weiter auf. Der Grundwind steigert sich deutlich, was den Fallböen auch ganz prima gefällt, so kann man nämlich noch etwas mehr Alarm machen.
Die PINCOYA wird wie wild hin und her geschleudert und die kräftigen Böen reißen den noch kleinen Windwellen schon direkt hinter der Mole ihre Schaumkrönchen vom Kopf. Hmm… da vertagen wir lieber mal unsere Badeaktion, wir sind ja doch eher Plantscher als echte Schwimmer.
Aber … es bleibt so windig und auch unser Wunsch nach einem Duschersatz bleibt. So bildet der Schiffsjunge die Vorhut und macht ein Testschwimmerchen, wohl wissend, das Gummiboot an einer langen Strippe ganz in seiner Nähe zu haben. Wenn die PINCOYA herumschleudert, ist es unmöglich, ihr hinterher zu schwimmen. Es ist auch ratsam, sich immer schön hinter ihrem Heck aufzuhalten, denn ein Entkommen ist ebenso unmöglich, wenn die nächste Fallbö sie erst einmal wieder in die andere Richtung schwingen lässt. Sicherheitshalber bringen wir noch einen Fender an einer unserer 25m Schwimmleinen aus. So haben wir zwei Rettungsanker, das Gummiboot und den Fender. Wenn man es etwas raus hat, dann ist das sogar ganz lustig. Ist die Fenderstrippe erst einmal auf Spannung, kurz bevor die PINCOYA herumschleudert, wird man prustend in einen Vollwaschgang hinterher gezogen. Und was sollen wir sagen, auch bei so viel Wind ist das Wasser türkis und hat 25°. Ein echtes Badeparadies. Mal sehen, ob wir ab dem Wochenende auf Madeira auch solch ein tolles Eckchen zum Schwimmen finden.
Mit dem Wind und der Sonne leben wir vor Porto Santo übrigens auch in einem Energie-Schlaraffenland. Unsere Batterien sind immer voll, egal wieviel wir auch über Nacht verbrauchen oder sonst so verbrauchen. So toasten wir uns morgens unseren Frühstückstoast elektrisch, kochen Teewasser elektrisch und staubsaugen die PINCOYA gründlich durch. Der Wandler schafft das alles prima und auch wenn wir mal für 15 Minuten 85 Amp zum Toasten oder Kochen verbrauchen oder eine halbe Stunde mit 50 Amp staubsaugen, schon mittags sind unsere Batterien wieder voll.
Seitdem wir wieder zurück auf der PINCOYA sind, leben wir vollkommen ohne Landstrom. Selbst auf der Werft brauchten wir keinen. Nur vor der Überfahrt nach Madeira haben wir unsere Batterien noch einmal mit dem Generator kurz voll gemacht, weil wir gerne mit vollen Batterien starten wollten. In Nachhinein wäre das bei dem Wind und der Sonne auf der Überfahrt auch nicht notwendig gewesen, aber volle Batterien machen zum Start einer solchen Überfahrt ja doch ein besseres Gefühl.
vor Porto Santo
33° 03′ 40,2″ N, 016° 19′ 05,6″ W