Baia d’Abra [A] Madeira (P) -> Isla de la Graciosa [A] Kanaren (E) Start: 03.11. 10:00 Ende: 05.11 10:00 Wind: NW – NE 10 – 28 kn Distanz: 269,6 sm Gesamtdistanz: 987,9 sm
Der erste Tag:
In der Nacht hören wir die ersten Fallwinde. Ein gutes Zeichen, der Wind hat begonnen, auf Nord zu drehen und zuzunehmen. Nach der Vorhersage soll unser Überfahrtswetter moderat beginnen, aber im Laufe des ersten Tages von Nordwest auf Nordost drehen und dann kontinuierlich bis zu den Kanaren zunehmen. 15 bis 20 Knoten aus Nordost sollen es bis zum Freitag werden. Das würde passen, denn später steigert sich das Ganze noch für wenigstens 3 bis 4 weitere Tage auf bis zu 28 Knoten. Die Kanarendüse springt dann an und die hat’s teilweise in sich. Und weil wir darauf gar nicht so scharf sind, wollen wir diesmal lieber mit dem ersten Wind aus Nordwest los. Wenn man darauf aus ist zu segeln, ist der Mittwoch schon der ideale Tag. Am Dienstag, als die Masse der Wartenden aufgebrochen ist, war noch Flaute. Doch der Wind ist ja immer nur die eine Seite der Medaille, die Wellen sind die andere. Aber auch die sollen ebenfalls noch moderat so zwischen 1,5 und 2,5 m liegen und langsam zunehmend mehr aus Nord kommen. Alter großer Schwell ist wohl nicht in Sicht. Mit diesen guten Aussichten drehen wir uns noch einmal um, und lassen die Fallböen Fallböen sein.
Zum Frühstück gibt es nur einen Kaffee und jede Menge Arbeit. Die letzten Tage haben wir noch nichts für die Überfahrt vorbereitet, nun müssen wir erst einmal aus unserem Lotterleben vor Anker wieder in ein Segelleben wechseln. Immerhin liegen wir ja schon wieder eine Woche vor Anker, da schleift sich viel Segelleben ab und Ankerleben ein.
Seit es November ist, gehen wir morgens noch etwas lieber eine Runde schwimmen als noch im Oktober. Früher haben wir um diese Zeit immer die PINCOYA aus dem Wasser geholt, nun springen wir, ohne uns vorher groß abzukühlen, einfach mit einem Köpper ins 24° warme Wasser. Und das ist in dem Bewusstsein, dass wir schon November haben, eben noch etwas schöner als »nur« im Oktober. Aber auch hier merkt man, dass es Winter wird, gestern haben wir tatsächlich ein Sweatshirt rausgeholt. Also schnell ab nach Süden, denn sonst müssen wir vielleicht sogar noch eine lange Jeans rauskramen.
Um 10:00 geht es vollkommen unspektakulär los, aber schon 30 Minuten später sehen wir unsere ersten Wale in unserem Seglerleben. Einen Pilotwal können wir absolut sicher identifizieren, denn der springt nur etwa 100 m neben uns aus dem Wasser.
Etwas weiter entfernt sehen wir dann auch einen Pottwal, allerdings ist der so weit entfernt, dass wir erst nur eine riesige Fontäne sehen und nur im Fernglas etwas von seinem Kopf und der Fluke erkennen können. Kurz darauf sehen wir ihn aber noch einmal richtig aus dem Wasser springen.
Danach suchen wir wie gebannt immer wieder das Wasser ab, aber nur noch einige Delphine springen um uns herum, aber ein Wal lässt sich nicht mehr blicken.
Mit dem Nordwest gehen wir langsam im Westen der Ilhas Desertas nach Süden. Die Desertas sehen so unnahbar aus, dass es kaum verwundert, dass diese Inseln nie ernsthaft besiedelt wurden. Heute sind sie Naturschutzgebiet und es wird sehr darauf geachtet, dass alles so erhalten bleibt, wie es schon immer war und insbesondere keine neuen Pflanzen- oder Tierarten eingeschleppt werden. Da auf der Hauptinsel eine endemische Tarantel wohnt, die fast so groß sein soll wie eine Vogelspinne, ist die Capitana gar nicht so schrecklich unglücklich darüber, dass wir die Tarantel nun einfach links liegen lassen.
Schnell sind wir nicht, mit dem Nordwest von nur 6 bis 10 Knoten, machen wie aber immerhin rund 3,5 bis 4,5 Knoten Fahrt. Mit uns sind noch 4 weitere Yachten in Richtung Kanaren aufgebrochen. Wie es aussieht, haben wir alle dasselbe Ziel Lanzarote. Die beiden, die von Funchal aus gestartet sind, sehen wir nur auf Marinetraffic. Die aus Quinta do Lorde und Porto Santo überholen uns langsam. Beide sind für den wenigen Wind verdächtig schnell und fahren verdächtig konstant 6,5 Knoten.
Südlich der Desertas holt uns langsam das Wolkenband von Nordost ein und der Wind beginnt zu drehen. In der Drehung schwächelt er etwas, was bei den Wellen nicht wirklich schön ist. Doch mit dem Regen kommt dann auch der stärkere Nordost und der bleibt auch, als der Regen geht. Mit 12 bis 16 Knoten Wind geht es in die erste Nacht. Unsere Mitstreiter können wir bald nur noch auf AIS sehen. Aber nun werden auch wir schneller.
Die erste Nacht:
Astrid schläft gerade, da brist es innerhalb von einer Minute von 15 auf 25 Knoten auf. Es ist stockfinster, wir haben Neumond und die dünne Sichel wird erst in Stunden kurz vor der Dämmerung über den Horizont kommen. Die Sterne verstecken sich hinter den Wolken. Man kann beim besten Willen nicht sehen, was da auf einen zukommt. Schon lange sind wir nicht mehr durch so eine grottenfinstere Nacht gefahren.
Ich ruf zu Astrid herunter, dass wir Einreffen müssen, aber sie ist schon auf dem Weg. Wenn man aus der Koje geschaukelt wird, weiß man, dass es nun etwas zu tun gibt. Erst rollen wir die Genua weg, die ohnehin nur noch im 2ten Reff steht, und dann die Starkwindfock aus. Dafür haben wir alles schon vorbereitet, die Backstagen sind schon hinten. Dann kommt noch schnell das 2te Reff ins Groß. Das erste Reff ist immer noch zu viel, es haut uns immer wieder richtig auf die Seite und beim Aufstehen hilft es eben, wenn man nicht zu viel Segel im Groß hat. Das alles geht schnell, denn wir haben uns im Zuge des Umbaus auf das Kutterrigg echt ein tolles Reffsystem gebastelt. Nach noch nicht einmal 5 Minuten sind wir schon wieder mit bis zu 7 Knoten auf Kurs und auch zwischendurch waren wir nicht viel langsamer. Zum Reffen gehen wir nur etwas an den Wind, fahren normal weiter, machen das Groß ganz auf und drehen das Reff rein und fertig. Auf AIS sehen wir einen unser Mitstreiter, wie er kämpft. Er geht in den Wind und wir holen auf. So richtig rund scheint es bei ihm nicht zu laufen, er braucht 30 Minuten bis er wieder auf Kurs ist.
Als zweites gehören die fest angeschlagenen Bullenstander zu unserem Sorglospaket. Die sind bei uns auf Steuerbord und Backbord mit eigenen Fallenstoppern immer fest angeschlagen. Denn selbst bei 15 bis 20 Knoten Halbwind kracht das Groß in seine Schot, wenn eine der großen Wellen versucht, die PINCOYA aus dem Gleichgewicht zu bringen. Also egal wie, klack Bullenstander fest, und Ruhe.
Auch als es nach einer Stunde wieder auf unter 20 Knoten abnimmt, bleiben wir bei unserer kleinen Beseglung. Das ist so eine gute Nachtbesegelung. Dadurch sind wir zwar mit durchschnittlichen 5 Knoten langsamer als unser Mitstreiter, aber so reicht uns das und wir sind so auch gut gerüstet für weitere Windspäßchen.
Doch schön ist diese Nacht nicht, auch wenn sie nicht so schrecklich ist wie unsere erste Nacht auf der Überfahrt von Portimão nach Porto Santo. Mit dem Schlafen tun wir uns schon wieder schwer. So bleibt unser toller Wachrhythmus auch wieder einmal nur Theorie. Wir schlafen abwechselnd auf Bedarf und als ich merke, dass ich auf meiner Wache auch immer wieder wegnicke, kommt die Eieruhr zum Einsatz. Die Sache mit der Eieruhr ist wirklich witzig, denn ich stelle sie zunächst mal auf 6 Minuten. Bei 5 Knoten sind 6 Minuten eine halbe Seemeile und einen Rundblick alle 900 m finden ich eigentlich schon etwas übereifrig. Aber … man kann ja nie wissen, also »piep« und Eieruhr an. Das erst Mal gucke ich nach 4 Minuten auf die Eieruhr, ob ich sie vielleicht doch nicht eingeschaltet habe, aber sie hat noch 2 Minuten. Erstaunlich, wie falsch man in einer so finsteren Nacht die Zeit einschätzen kann. Die letzten zwei Minuten dauern ewig. Mindestens so lange wie die 4 vorher. Dann das erlösende Piep-piep-piep und der Rundblick. Wie erwartet ist es immer noch dunkel und außer dieser Dunkelheit sind nur noch der Wind und die Wellen da draußen. Also wieder ein 6-Minuten-Piep. Diesmal halte ich durch! Jawoll! Obwohl ich ernsthaft mit mir kämpfen muss, nicht doch noch einmal nachzuschauen. Der Kopf spielt einem Streiche, wenn man ständig durchgeschaukelt wird, es um einen herum nur so rauscht und braust, die PINCOYA immer wieder in die Wellen kracht und sich hart auf die Seite legt, man absolut nichts sieht und in seiner kleinen Welt allein im Cockpit sitzt. Doch selbst die 6-Minuten-Pieps bringen schon mehr Ruhe in unsere Wachen. Wir merken, dass wir die Zeit bisher vollkommen falsch einschätzt haben. Nach unzähligen Sechser-Pieps gehen wir auf einen 10-Minuten Takt, und so bringt die Eieruhr tatsächlich etwas Ruhe in unsere noch nicht vorhandene Routine.
Eine 13 Stunde lange, stockschwarze Nacht geht einem irgendwann echt auf die Nerven. Es will ums Verrecken einfach nicht mehr hell werden und die Zeiger der Uhr scheinen lethargisch auf den nächsten Sonnenaufgang zuzuschleichen. Das machen sie extra, um einen noch mehr zu nerven. Spätestens nach dem siebten Hingucken ist man sich da ganz sicher. Wenn man wenigstens einen Sternenhimmel über sich hätte, das entschädigt für so vieles und ist so unendlich, dass man sich überhaupt nicht sattsehen kann. Doch in dieser Nacht gucken immer nur mal einige wenige Sterne durch die Wolken und das machen sie so schüchtern, dass das auch kein wahrer Trost ist.
Aber wir fahren inzwischen in einem Naturwunder. Um uns herum erstrahlt in unseren Bugwellen das tollste Meeresleuchten. Erst haben wir es gar nicht bemerkt, aber dann waren die Schaumkronen der Wellen für eine stockfinstere Nacht einfach zu weiß und zu leuchtend. Wir fahren in einem Sternenhimmel, um uns herum schäumt die Milchstraße und es glitzern in ihr die hellen Planeten. Wenn man es nicht mit eigenen Augen gesehen hat, kann man es nicht glauben. Das Meeresleuchten, dass wir bisher kannten, war gleichmäßig hell. In dieser Nacht funkelt es um uns herum und lässt uns immer wieder alles andere vergessen.
Der zweite Tag:
Unser erstes ETMAL stecken wir um 10:00 mit 124,8 sm. Nach dem schwachen Start hätten wir das niemals gedacht. Nach Sonnenaufgang haben wir etwas ausgerefft und es rauschen lassen. Die Genua im zweiten Reff und das Groß im ersten. Der Wind liegt nun konstant irgendwie zwischen 15 und 20 Knoten und es läuft. Ab und zu guckt nun auch mal die Sonne durch, wir genießen ihre warmen Strahlen im Cockpit.
Doch in unserer Steuerung knackt es wieder. Schon gestern war es nicht zu überhören und in der Nacht ist es schlimmer geworden. Als wir beide im Cockpit sitzen und Astrid fragt, ob das Knacken zu einem Problem werden könnte, gehe ich im Kopf noch mal alles durch. Wenn man die ganze Technik selbst eingebaut hat, dann kennt man jedes Detail und braucht keine Zeichnung. Bisher habe ich alles gecheckt, was zu checken war. Selbst im Motorraum die Steuersäule, den Quadranten und die Schubstange. Dasselbe am Ruderquadranten. Doch es gibt noch eine verborgene Stelle, an die ich wirklich noch nicht gedacht habe und die auch wirklich vollkommen unzugänglich ist. Schlimmer ist nur noch unsere Heizung, die noch darunter liegt.
Es ist die rückwärtige Aufhängung des Hydraulikkolbens. So bleiben nach einer Tasse Kaffee und viel Nachdenken nur noch die Ruderlagerung selbst und eben diese Kolbenaufhängung als Ursache über. Der Test wäre, mal selbst zu steuern. Wie ungewöhnlich, das mache ich nur bei Hafenmanövern und da ist anderes wichtig und nicht ein Knacken. Außerdem fährt man bei Hafenmanövern sowieso zu lullig vor sich hin, da knackt eh nix.
Also steuert der Schiffsjunge nach seinem Morgenkaffee und nach so langer Zeit mal wieder selbst auf See. Wellen werden ausgesteuert, die PINCOYA schlingert hin und her, der Autopilot kann es wirklich besser, aber es knackt nichts mehr. Nach einigen weiteren ungewollten Kurven ist klar, die Ruderlagerung ist 1a und da knackt schon mal gar nichts. Nach einigem weiteren Nachdenken ist sich der Schiffsjunge absolut sicher, den Fehler gefunden zu haben. Der ist zwar noch nicht behoben, aber es ist so eindeutig, wie es nur eindeutig sein kann: die Aufhängung des Kolben ist es! Und selbst als er der Capitana seine ganze neue Theorie eröffnet, die ja schon lange gar keine Theorie mehr ist, sondern Gewissheit, fördert das bei ihm keine neuen Zweifel zu Tage. Also beschließen wir, gleich in Lanzarote dem Ganzen auf den Grund zu gehen, denn wie gesagt, die Ursache liegt wirklich richtig unzugänglich ganz tief unten.
Und da die Nacht bei uns nachwirkt, schlafen wir immer wieder im Wechsel, um uns wenigstens etwas zu erholen. Als Astrid sich gegen Mittag hinlegt und der Schiffsjunge mit einem Tee so im Cockpit sitzt, hat er das Gefühl, dass das Knacken schlimmer wird. Aber vielleicht ist es ja auch nur die Einbildung, bei diesem physischen und psychischen Stress traut man ja am Ende seinen eigenen Wahrnehmungen auch nicht mehr so richtig über den Weg. Aber der Zweifel ist gesät und beginnt zu nagen.
Also beginne ich zu räumen und zu suchen. Gucken kann man ja schließlich mal. Aus der hinteren Backskiste kommt fast alles auf den Cockpitboden, während die PINCOYA weiter durch die Wellen saust. Richtig etwas sehen kann ich nicht, aber ich komme mit zwei Fingern an eine der oberen Schrauben der Halterung und … die ist lose! Die Halterung hat 4 8ter Schrauben, auf denen selbstsichernde Muttern sitzen und die eine ist definitiv lose und wackelt im Takt des Knackens mit ihrem Kopf. Fast hätte ich gejubelt, aber Astrid schläft endlich mal richtig und da jubelt man mal nicht mal einfach los, weil man das findet, dessen man sich ganz sicher war.
Also krame ich auch noch den Werkzeugkoffer raus, was das Chaos im Cockpit perfekt macht. Während der Autopilot weiterhin steuert und die PINCOYA sich durch die Wellen schwingt, fummele ich einen Schraubenschlüssel und die Knarre auf die lose Schraube. Ohne ganz in die Backskiste zu klettern, komme ich nur kopfüber mit den Fingerspitzen ran. Jetzt einfach mal keinen Fehler machen und bitte etwas Glück von oben, auch wenn das ja eher Glaubenssache ist. Und kaum habe ich die eine Schraube festgeknallt, ist auch schon das Knacken weg. Treffer! Aber nicht zu früh freuen und noch etwas mehr kopfüber in die Backskiste. Im Normalfall würde ich bei solch einem Geschaukel in solch einer Position von sofort auf gleich kotzen, aber wir haben ja gerade den Ankerplatz in der Baia d’Abra bei Südschwell hinter uns, da kann mich selbst das hier nicht mehr erschüttern. Und es gelingt mir tatsächlich, auch noch die zweite obere Schraube wieder festzuziehen, und nun ist Ruhe. Das sollte bis Lanzarote halten und wenn nicht, dann machen wir es einfach noch mal.
Wie wunderbar kann es sein, wenn es nicht mehr klackt und knackt. Astrid merkt es sofort und wir beide sind wirklich richtig erleichtert. Denn das hat uns schon sehr auf der Seele gelegen.
So werden wir weiter durch den Tag 2 geschubst und geschaukelt. Der Wind und die Wellen nehmen kontinuierlich etwas zu. Ein neuer Rekord liegt in der Luft. Wir sind schnell, teilweise sehr schnell.
Zu etwas anderem als Ausruhen kommen wir nicht so richtig. Immer wieder nicken wir einfach so weg. Das Geschaukel tut sein Bestes dafür. Ich versuche etwas zu bloggen, aber das auch nur halbherzig. Im Hellen durch die Wellen zu jagen, ist ja eine tolle Sache, aber vor uns liegt noch eine weitere Nacht. Auch wenn es jetzt schon danach aussieht, dass wir sehr früh am Freitag ankommen werden. Die Nacht müssen wir noch machen.
Die zweite Nacht:
Der ganze zweite Tag war ja schon heftig, doch die zweite Nacht kann das noch toppen. Das ist wirklich nicht der Segelspaß, denn wir uns mal von großen Segelschlägen erhofft haben. Vielleicht hatten wir ja bisher auch nur etwas Pech, vielleicht auch deswegen, weil wir eben immer auch gucken, wann man segeln kann und sicher nicht motoren muss. Vielleicht fehlt uns aber auch einfach noch die richtige Einschätzung, was 15 bis 20 Konten Wind aus der Vorhersage für einen Kurs von 70 bis 80° am Wind auf dem Atlantik bedeuten. So wie wir ja auch gelernt haben, dass es kaum einen fürchterlicheren Kurs gibt, wenn hohe achterliche Wellen zusammen mit einem achterlichen Wind einen zum Spielball der Elemente machen. Von wegen »geile Backstagbriese aus 120«! Das kann echt böse und mit vielen blauen Flecken und einem sehr flauen Gefühl im Magen enden.
Nun ja, vielleicht geht es ja auch anders, aber bisher durften wir bei dem »anders« leider noch nicht mitmachen. So sausen wir mit Volldampf in unsere zweite Nacht. 18 bis 20 Knoten waren vorhergesagt. Die bekommen wir zunächst auch, aber schon kurz nach Sonnenuntergang sehen wir immer wieder die 25 kn. Wir fahren mit dem zweiten Reff im Groß und der Starkwindfock voll. Das ist nicht viel Segelfläche. Aber da sind ja auch noch die Wellen. Für die sind 2 bis 2,5 m im Mittel vorhergesagt, aber wenn die sich mal stapeln, dann kommen da Berge angerollt, die man gar nicht sehen möchte. Wenn’s normal geradeaus geht, liegen wir immer zwischen 6 und 7 Knoten Fahrt. Schon seitdem wir um 10:00 unser erstes ETMAL mit 124,8 sm gesteckt haben, sind wir auf einem neuen Rekordkurs. Unsere dicke Erna rennt und rennt und rennt. Und wenn es dann downhill an einem Wellenberg geht, sehen wir auch schon mal die 9 auf der Logge. Seitdem wir das Klacken am Autopiloten beseitigen konnten und nun erst einmal wieder alles »ausreichend« repariert ist, haben wir immer ein Grinsen im Gesicht, wenn der Autopilot auch die größten Wellen so wunderbar aussteuert. So wie wir das niemals selbst hinbekommen würden. Und das Stunde für Stunde, Tag für Tag und Nacht für Nacht. Großartig!!! Nun läuft alles, wir haben ein wirklich gutes und sicheres Gefühl, auch wenn uns dieses »Racen« mental und körperlich echt fordert und auch stresst.
Immer wieder muss ich an Boris Herrmann, Pip Hare und die anderen Strategen des Vendée Globe denken. Ich glaube, man bekommt nur dann überhaupt eine klitzekleine Ahnung von dem, was die körperlich und mental leisten, wenn man selbst mal durch solche Nächte gehämmert ist, in denen man nur Haue bekommt. Und wir versuchen schon immer, den ruhigeren Kurs zu finden und die müssen sich immer den furchtbareren Kurs suchen, um eben schneller als die anderen zu sein. Dort, wo wir einreffen, gehen sie an die Grenze und darüber hinaus. Für uns wäre das nichts, uns reicht der einfachere Kurs schon vollkommen aus.
Kaum hat sich Astrid hingelegt, bin ich es nun schon wieder, der sie rufen muss. Alle komplexeren Manöver machen wir zusammen. So haben wir das gemeinsam beschlossen und das gilt auch ohne Wenn und Aber. Zum einen haben wir dann vier Hände, was beim Einreffen ja auch ganz hilfreich ist. Zum anderen gucken aber auch 4 Augen auf das ganze Manöver, denn Fehler werden gleich bestraft und jeder von uns denkt ab und zu eben doch mal nicht an alles und da ist es gut, wenn noch ein Zweiter mitdenkt. Es ist ein Segen, dass wir uns alle Reffleinen ins Cockpit gelegt haben. Wir sind eingespielt und wie immer geht es schnell und präzise. Dann fahren wir mit dem dritten Reff (!) im Groß und der vollen Starkwindfock weiter in die Nacht. Wir sind immer noch ziemlich schnell und ein Rekord-ETMAL liegt in der Luft, aber mit dieser Beseglung rauschen wir auch problemlos durch die Schauerböen, die immer mal wieder für 20 bis 30 Minuten mit bis zu 28 kn an uns herumzerren.
Wenn man andere hört, dann hören sich solche Nächte immer wie tolle und vor allem problemlose Heldengeschichten an. Doch uns zermürbt so etwas. Im dritten Reff mit bis zu 8 Knoten durch die Wellen zu dreschen, ist anstrengend und spannt jede Faser in unseren Körpern. Nicht nur deswegen, weil die kleinste Bewegung immer ein ungewisses Ende hat. Egal was man macht, immer wird man in den unpassendsten Momenten hin und her geschubst, aus dem vermeintlichen Gleichgewicht gebracht und in irgendeine Ecke geworfen. Der Lärm, der Wind und besonders das Nichtssehen in der stockfinsteren Nacht machen zusätzlich Stress. Und weil das für uns beide so ist, machen wir unsere Schlafpausen nicht unten in der Mittelkoje, sondern oben im Salon. Dort kann man sich mit einigen Kissen hinter dem Tisch verkeilen und etwas Schlaf bekommen, während der andere versucht, wach zu bleiben und aufzupassen. Die Eieruhrtaktik der ersten Nacht hat sich bewährt und hat auch gleich zwei Vorteile zu Tage gefördert. Erstens hat es der Wachhabende ruhiger, wir sind auf 10 Minuten gegangen, was 10 Minuten Ruhe bedeutet. Und zweitens hat der Schlafende immer ein Feedback, dass der Wachhabende noch da ist. Alle 10 Minuten piept die Eieruhr und wird ausgestellt. Ja, man schmunzele nur, aber wir sind da schon etwas komisch und schon ziemlich – nun ja – eng zusammen.
Die erste Nacht wirkt aber nach, deswegen sind unsere Wechsel nun kürzer, sofern man überhaupt von geregelten Wachwechseln sprechen kann. Unter normalen Bedingungen bekommen wir den normalen 3-Stunden-Rhythmus ja ganz gut hin. Bei solchen Bedingungen machen wir alles auf Bedarf. Dann ist es gut, dass man sich so gut kennt und auch spürt was noch geht. Jeder macht das, was eben geht und der andere merkt es. Ein echter Vorteil, auch das haben wir schon ganz anders erlebt, als wir noch geskippert haben.
Die Nacht ist mondlos und schwarz. Ab und zu schauen die Sterne durch die Wolkenlücken, aber sie sind zu schwach und zwischen den Wolken zu wenige, um die ganze Sache irgendwie zu beleuchten. Es ist stockschwarz um uns herum. Ein zwiespältiges Gefühl der Ruhe schleicht sich ein. Auch wegen unserer dicken Erna. Sie nimmt alles unglaublich gelassen, selbst wenn wir eine Welle herunterrutschen oder sie mit dem Sülbord untertaucht. Sie bleibt ruhig auf Kurs, keine Hektik, richtet sich wieder auf, und geht weiter ihren Weg. Noch nie haben wir es geschafft, in den Wellen den Klodeckel zuzuklappen, in dieser Nacht schaffen wir es. Die Gedanken unserer ersten Überfahrt sind zu Gedanken geworden, weil sie gedacht wurden. Insofern ist das Neue einer ersten echten Überfahrt vielleicht dem Bekannten gewichen. Dennoch sind wir angestrengt und angespannt. Und als ich diesen Blog am Freitagnachmittag auf dem Ankerplatz vor der Isla de la Graciosa schreibe und weiterhin 25 Knoten Wind in der Takelage unserer dicken Erna jaulen, fühlen wir uns immer noch matschig und irgendwie kaputt. Vielleicht gibt es wirklich Menschen, die dies anders empfinden, aber so richtig glauben können wir das nicht.
Da stellt sich dann natürlich die Frage, warum wir das überhaupt machen. Ich denke, da gehen zwei Dinge Hand in Hand. Erstens gibt es nichts schöneres, als die Welt segelnd zu bereisen, und zweitens ist es schon ein richtig tolles Gefühl, ein Ziel aus eigener Kraft und auf sich allein gestellt in dem Wissen zu erreichen, dass man, egal was kommt, es eigenverantwortlich machen muss und trotz aller Widrigkeiten auch kann. Wie schon in dem Blog unserer Überfahrt nach Madeira geschrieben, Herausforderungen können auch locken, auch wenn es echte Herausforderungen sind.
Und dann ist da wieder dieses Meeresleuchten. Trotz aller Anspannung steht jeder von uns auf jedem seiner »10-Minuten-Rundblicke« mal rechts oder links im Cockpit und bestaunt dieses unbeschreibliche Schauspiel. Teilweise sieht es aus, als hätten wir Unterwasserscheinwerfer. Es leuchtet in unseren Bugwellen wie die Milchstraße am Himmel und hineingestreut blitzen einzelne Sterne mit ihrem hellen weißen Licht uns entgegen. So etwas haben wir noch nie gesehen und allein dafür möchten wir diese Nacht auch niemals missen. Und für einen Augenblick wird das Herz weit und alles andere drumherum ist wie ausgeschaltet.
Doch wir sind schnell und es zeichnet sich ab, dass wir zu schnell sind. Und als wir die ersten klaren Lichter von Lanzarote ausmachen können, also nicht nur einen Lichtschimmer über dem Horizont sehen, beschließen wir zu bremsen. Doch bremsen ist bei diesem Wind gar nicht so einfach. Die ganze Zeit sind wir mit rund 7 Knoten plus durch die Nacht und die Wellen gestochen und das, obwohl wir nur noch ein Nichts von Segel oben haben. Um 4:00 sind wir gut 30 sm vor Lanzarote, fahren schon wieder über 7 Knoten, es jaulen 25 Knoten durch das Rigg und die Schaumkronen der brechenden Wellen leuchten hell um uns herum. Einen Landfall in einer solch stockfinsteren Nacht und bei diesen Bedingungen trauen wir uns nicht zu. Zumal die Einfahrt zwischen Lanzarote und La Graciosa überhaupt nicht irgendwie beleuchtet ist. Und nun sehen wir immerhin schon einige Lichter von Lanzarote klar am Horizont. So richtig weit weg können wir nicht mehr sein. Trotz aller elektronischer Navigation macht so etwas unsicher. Wenn wir so weiterfahren, wären wir um 7:30 an unserem Wegepunkt direkt südlich der Isla de la Graciosa. Also safety first und Bremse rein. Wir nehmen die Starkwindfock weg, die können wir einfach einrollen. Zum Wegnehmen des Groß müsste ich nach vorn. Ohne Not wollen wir so etwas nicht machen, dazu ist die See inzwischen zu heftig. Immer wieder schluckt unser Sülbord Wasser, das gurgelnd durch die Lenzöffnungen zurück in den Atlantik fließt. Im besten Fall halten wir die dicke Erna auf unter 4 Knoten Fahrt, wenn aber wieder so eine Schauerbö zeigen möchte, was sie drauf hat, sind wir trotzdem gleich wieder bei 6 Knoten. Von etwa 4:00 bis 6:30 halten wir die PINCOYA an der kurzen Leine, dann beginnt es ganz zart zu dämmern. Bis dahin dösen und wachen wir im Zehnminutentakt. Das lässt Zeit, um zu rechnen. Wären wir ab 4:00 noch weitere 6 Stunden so durchgefahren, hätten wir ein ETML von über 160 sm geschafft. Das ist kaum zu fassen, wirft aber für jeden Segler ein kleines Schlaglicht auf diese Nacht und wie wir durch sie im Tiefflug unterwegs sind.
Mit der Dämmerung schält sich als erstes die Isla de Alegranza, die nördlichste Insel der Kanaren, aus dem Morgendunst. Vor uns liegen nun noch knapp 20 sm. Im Nachhinein erscheint unsere Vorsicht etwas zu viel gewesen zu sein. Wir hätten durchaus weiter ran gekonnt. Aber je näher wir rankommen, desto mehr merken wir, dass unsere große Vorsicht doch gar nicht so unklug gewesen ist, auch wenn wir das nicht bewusst einkalkuliert haben. Je näher wir nun Lanzarote und der Isla de la Garciosa kommen, desto höhere und steilere Wellen erwischen uns. Im Nachhinein ist das ja logisch und im Nachhinein auch eine echt schlaue Taktik, obwohl unsere Wartezeit weiter draußen ja auch nicht so richtig gemütlich war. Aber näher dran wäre sie durchaus noch ungemütlicher gewesen.
Je näher wir den Inseln kommen, desto zickiger wird auch der Wind. Alles zwischen 12 und 28 Knoten ist drin und garniert wird das Ganze mit Schauerböen. Die Wellen schieben sich zu beachtlichen Bergen übereinander und nicht nur eine Welle verschwindet nun gurgelnd in den Abflüssen des Cockpits. Unter Deck sieht es inzwischen aus wie nach einem Bombenanschlag. Die erstaunlichsten Dinge, mit denen wir niemals gerechnet hätten, versammeln sich nun an der tiefsten Stelle in der PINCOYA.
In der Abdeckung der Isla de la Graciosa wird es schnell besser, obwohl der Wind nun wie blöde durch die Enge zwischen La Graciosa und Lanzarote pfeift. Wir gehen noch unter Segeln ein Stück weiter rein, um die Segel im ruhigeren Wasser zu bergen. Die Starkwindfock ist schon eingerollt, als Astrid den Motor starten will, um für das Groß in den Wind zu gehen. Aber nichts! Der Motor gibt keinen Mucks von sich. Scheiße! Bitte nicht auch das noch! Wir wollen doch nur einfach etwas Ruhe und mal schlafen.
Mit einem Schlag sind wir beide hellwach. Mit einem Blick um uns herum versichern wir uns, dass keine Gefahr besteht. Alles um uns herum ist großräumig genug, um auch unter Segeln einen Platz zu erreichen, an dem wir mit 80 m Ankerkette erst einmal vor Anker gehen können. Noch ein Versuch. Wieder nichts. Nur ein Klicken, sonst nichts. Auf dem Batteriemonitor wird die Motorbatterie nur noch mit »halb« angezeigt. Noch ein Versuch, weil wir es nicht glauben können. Mist Mist Mist!!! In letzter Zeit ist unser Motor immer nach einer halben Umdrehung angesprungen. Echt super, aber nun? Astrid versucht’s noch mal, und tatsächlich dreht sich der Motor genau diese halbe Umdrehung und läuft. Puh, Glück gehabt. Aber was war das?
Unser Anker fällt um genau 10:00 vor dem Playa Francesa im Süden der Isla de la Graciosa. Wir sind exakt 269,6 sm in exakt 48 Stunden gesegelt. Inklusive einem Anker-auf und einem Anker-ab-Manöver und knapp 2,5 Stunden segelnd mit angezogener Handbremse. Unser erstes ETMAL hatte 124,8 sm und unser zweites hat damit 144,8 sm. Fast ein neuer Rekord. Und nun wissen wir, was mit unserer dicken Erna alles so geht. Und was mit ihr so geht, hätten wir nie im Traum für möglich gehalten.
p.s. die Motorbatterie:
Und die Motorbatterie ist tatsächlich hin. Vetus Batterien haben eine Anzeige und die ist tatsächlich nicht mehr »grün«. Die Batterie ist nun aber auch schon 10 Jahre alt, was ziemlich gut für eine normale Blei-Säure-Batterie ist. Wir sind uns sicher, dass ihr diese wirklich extreme Schaukelei am Ende tatsächlich den Rest gegeben hat. Mit den Jahren bildet sich ein Modder am Boden einer jeden Flüssigkeitsbatterie und den hat’s nun wohl aufgeschuckelt, was die Zellen kurzgeschlossen hat. Aber auch das ist nur eine Theorie, doch nach 10 Jahren darf eine Batterie auch mal aufgeben.
Für uns ist das Ganze weniger schlimm, denn auf Lanzarote werden wir Ersatz bekommen und bis dahin starten wir halt fremd. Eine Fremdstartmöglichkeit über die Bordbatterien haben wir fest über einen Knochen eingebaut. Das haben wir gleich zu Beginn so angelegt, als wir die ganze Elektrik neu gemacht haben. Hintergrund dafür war eine Erfahrung mit der Mohrian, unserem ersten eigenen Schiff, als der Motor genau in dem Moment nicht anspringen wollte, als wir noch schnell vor einem Regattafeld durch wollten und der Startschuss ertönte. Aber den Motor der Mohrian konnte man noch ankurbeln, was damals auch gut geklappt hat, doch dieses Erlebnis hat uns dazu bewegt, eine fest installierte Fremdstartlösung einzubauen, denn Fremdstartkabel liegen grundsätzlich immer dort, wo man sie in solchen Momenten nicht findet.
Isla de la Graciosa [A], Kanaren (E)
29° 13′ 05,0″ N, 013° 31′ 48,1″ W