Und nun? Was tun?
Seit gut einer Woche beobachten wir das Wetter, denn es zeichnet sich in der Tat eine Westwindlage ab. Für zwei oder drei Tage ist dann Schluss mit dem ewigen Nord und die große Frage ist, wieviel Süd sich noch unter den West mischt. Auch wenn kein echtes Tief mit seinen Ausläufern über Madeira herfällt, dennoch sind natürlich die nordatlantischen Tiefs nicht ganz unschuldig an dieser Situation. Sie drängeln nämlich unser hübsches Hoch bzw. die Hochdruckbrücke, die Madeira normalerweise immer mit einem Wind versorgt, der ein »Nord« in seinem Namen trägt, so weit in den Süden, dass wir tatsächlich an den Nordrand und damit in eine Westströmung kommen. Die entscheidende Frage hierbei ist, wie weit sich das Hoch nach Süden und vor allem nach Osten drängeln lässt. Je mehr wir nämlich an seine Nordwestseite kommen, desto mehr Süd steckt dann auch im West.
Und aus dem Umstand, dass sich das Hoch eben nach Süden verdrückt, ergibt sich auch die zweite traurige Nachricht. Auf unserem möglichen Fluchtweg nach Süden zu den Kanaren wird es schon bald keinen richtigen Wind mehr zum Abhauen geben. Der Schwachwindbereich des Hochs zieht langsam von Nord nach Süd über uns herüber und Madeira kommt eben dann in den nördlichen Teil des Hochs bzw. an den südlichen Rand der Tiefs, die uns diesen ganzen Mist überhaupt erst einbrocken. Und genau dort weht es auf der Nordhalbkugel eben immer irgendwie aus West.
Also fragen wir uns; abhauen oder nicht? Und wenn wir abhauen, stellt sich auch gleich die Frage »Wann denn?« Denn etwas Wind hätten wir auf unserem Fluchtweg nach Süden schon ganz gerne. Aber den gibt es eben nur früher und später eher gar nicht mehr. Was wiederum bedeutet, dass wir spätestens am Dienstag aufbrechen müssten, um überhaupt noch segelnd das Weite zu suchen. Mit diesem frühen Aufbruch kommen wir aber den ganzen ARC-Teilnehmern zu sehr ins Gehege, was wir eigentlich vermeiden wollten, denn die machen gerade die Kanaren total dicht. Erst am Sonntag den 07.11. wird die erste ARC gestartet und 14 Tage später dann die zweite. Unser Plan war eigentlich, nach dem Start der ersten rüber zu den Kanaren zu gehen, denn dann versammelt sich schon die zweite in Richtung Las Palmas und gerade im Osten der Kanaren wird es wieder etwas ruhiger. Eigentlich ein guter Plan, der aber eben mit diesem dicken »Aber« belastet ist.
Und dann bekommen wir am Montag ja auch noch die Verlängerung des Mietwagens für den Dienstag. Schwierig, schwierig! Doch am Montag sieht es dann auch danach aus, dass sich doch wenig Süd in den West mischt. Die Capitana und der Schiffsjunge diskutieren. Alle verfügbaren Wettermodelle werden hochgeworfen und landen auf dem Cockpitboden wie die Knochen einer tollwütigen Katze bei einer Familienaufstellung einer zugekifften Wahrsagerin. Das Knochenmikado der Wettermodelle ist eindeutig, wir bleiben. Und da es weiterhin aus West pusten soll, beschließen wir in den Osten der Insel zu gehen, um dort auf Abdeckung zu hoffen. Die Wellen sollen ja schließlich auch weiterhin aus Nordwesten einlaufen und nie wirklich auf West drehen. So sollten wir im Osten gut klarkommen. Entweder vor Machico, vor Caniçal oder wieder in der Baia d’Abra.
Calheta -> Baia d’Abra [A] Start: 11:00 Ende: 18:15 Wind: N 3 – 4 … 12 – 15 kn Distanz: 34,4 sm Gesamtdistanz: 718,3 sm
Als wir am Mittwoch dann aufbrechen, ist Flaute. Aber das hat auch sein Gutes, denn es ist ungewohnt ruhig in der Marina. Kaum etwas schwappt hin und her. Die Boxengassen sind eng, aber mit ein paar Leinentricks kommen wir auch ohne Bugstrahlruder gut raus.
Es weht moderat aus Nord, doch im Süden von Madeira sind wir so nun in den Abdeckung. Also suchen wir unser Glück etwas weiter draußen, aber auch dort finden wir es nicht. Doch dann!?! Die Capitana hat’s gespürt und schnuppert in nordöstlicher Richtung frischen Wind. Ah, jetzt, ja! Wir segeln! Doch gleich schon wieder nicht mehr. Dieses Rumgeeier ist nichts für den Schiffsjungen. So etwas schlägt ihm auf’s Gemüt. Die Capitana ist da leidensfähiger. Getrieben von ihrem Optimismus holt sie zwei Snickers. Wenn’s mal länger dauert, ist die Devise. Schwierig schwierig, aber da ist wohl wirklich nichts zu machen. Oder? Kräuselt sich dahinten nicht doch etwas?
Als wird hinter Funchal beim Cabo Garajau nach Nordosten um die Ecke biegen, sehen wir weiter draußen weiße Schaumkrönchen. Ein gutes Zeichen, doch wir sind weiter in der Abdeckung, und die grummeligen Rauchwolken über dem Kopf des Schiffsjungen steigen weiterhin senkrecht in den Himmel. Kein Lüftchen regt sich, nur der Unmut des Schiffsjungen.
Doch dann, ja plötzlich von jetzt auf gleich packen uns fünfzehn satte Knoten Wind aus Nord. Ausgeruht, zupackend und dynamisch. So wird das was! Zack Segel raus, die Richtung ist zwar panne, aber wir kreuzen auf und kommen dicht an Machico und Caniçal vorbei. Dicht genug, um unsere Idee zu verwerfen, dort zu ankern. War ja auch nur so ein Gedanke. Also doch wieder ab in die Baia d’Abra. Die beiden Ankerspots von Machico und Caniçal sehen wirklich nicht sehr einladend aus. Zwei Tage später wissen wir dann auch, dass wir mit unserer Einschätzung goldrichtig lagen.
Um 18:15 fällt unser Anker wieder in der Baia d’Abra. Nur zwei weitere Ankerlieger sind dort. Wir liegen gut und diesmal etwas mehr westlich und etwas näher am Felsen. Nun kann der West kommen, das sollte hier wirklich kein Problem werden.
Im Tal der Nonnen haben wir gestern noch Maronen gesammelt. Der Boden unter den Maronenbäumen war übersäht mit den Hälften der piksigen Schalen und dazwischen lagen die braun glänzenden Maronen. Wie frisch mit einer guten Möbelpolitur aufpoliert, glänzte ihre etwas gemaserte Schale satt und braun in der Sonne. Da haben wir uns die Taschen vollgestopft, ohne recht zu wissen, wie wir sie zubereiten. Auf dem Weihnachtsmarkt haben wir ja schon mal welche gegessen und uns daran die Finger verbrannt. Aber selbst gemacht noch nie.
Aber die Sache ist ganz einfach, auch wenn unser einer Topf wohl doch etwas darunter gelitten hat. Astrid röstet sie, wahrend ich… ja was nun? Besser Weiß- oder Rotwein? Bei Fisch weiß man es ja, aber bei Maronen? Also mache ich die Augen zu, um nicht zu mogeln und lasse meine Hände mit Sching-Schang-Schong entscheiden. Natürlich muss ich zwischendurch doch immer mal gucken, denn ich als Schiedsrichter muss ja schließlich entscheiden, ob der Brunnen vom Papier abgedeckt wird oder die Schere sich am Stein schleift. Manchmal endet es ja auch unentschieden und dann muss ja auch einer mitzählen. Bei 2:1 ist Schluss. Am Ende gewinnt der Weißwein, denn wenn Rechts gewinnt, dann gewinnt rot und bei Links ist es eben weiß. Ist ja am Ende doch recht einfach, muss aber vorher festgelegt gelegt werden, sonst gibt es immer wieder Diskussionen.
Die Maronen sind köstlich und der Weißwein ist genau das Richtige! Schade, dass wir nicht noch mehr gesammelt haben.
Der nächste Tag und dann auch noch mehr …
Die letzten Tage in Calheta waren vollgestopft. Zudem hatten wir den Mietwagen noch einen Tag länger und eine solche Gelegenheit will man ja auch nicht einfach so verpuffen lassen. Es ist wie mit dem Rest eines leckeren Essens. Obwohl man schon satt ist, stopft man es trotzdem noch rein und hinterher drückt der Bauch. Seit unserer Anreise nach Calheta haben wir nichts mehr gebloggt. Als der Blog der Anreise dann fertig war, wollten wir ja auch erst einmal etwas von Calhetas Umgebung sehen, das tolle Wetter genießen und nichts tun, weil bis Freitag ja eben auch noch so viel Zeit war und nichts anstand. Dann kamen die fünf Ausflüge mit dem Kleinen über die Insel und der wilde Entschluss, dass wir gleich, wenn wir wieder in der Baia d’Abra vor Anker liegen, mit den Photos beginnen, um dann mit den Blogs auch endlich aufzuholen.
Ein guter Plan, nur funktioniert der gerade überhaupt nicht 🧐. Der Schiffsjunge erwischt sich immer wieder dabei, wie er geschickt eine Ausrede nach der anderen findet. Es ist ja auch viel zu tun. Mal hier was und mal da was und schwups ist der Tag auch schon wieder um. Und dann kochen wir und mit vollem Bauch wird der Schiffsjunge eh immer gleich müde. Die Lust, nun noch mit den Photos zu beginnen, sinkt schlagartig unter den Nullpunkt, doch der Entschluss, gleich morgen anzufangen, bringt Erleichterung.
Ist ja auch irgendwie wurscht, denn vor Mittwoch werden wir die Baia d’Abra eh nicht verlassen. Das sind immerhin noch satte fünf Tage und da sollten dann ja auch wohl alle anderen, so furchtbar wichtigen Dinge mal erledigt worden sein. Es ist also mehr als absehbar, dass der Sichtung der Photos absolut nichts mehr im Wege steht. Mit diesem Gedanken macht sich sofort das gute Gefühl breit, mal richtig etwas geschafft zu haben. Außerdem habe ich mir ja auch schon zu all dem Erlebten einige Notizen gemacht und sogar schon den ein oder anderen Blog fertig geschrieben. Nur noch etwas Korrekturlesen ist vielleicht noch notwendig, aber das treibt den Fertigstellungsgrad ja ohnehin nur noch über 100%. Nur zu den Photos hat es eben noch nicht gereicht. Bei Licht betrachtet ist es also gar nicht so schlimm und das wiederum erleichtert auch, ja ermahnt einen förmlich dazu, mal endlich eine Pause einzulegen. Bereitwillig fügt sich der Schiffsjunge seinem Schicksal, denn manchmal hat das Schicksal ja auch wirklich recht, dass muss der Schiffsjunge einsehen. Also mal Pause!
In einer dieser Pausen beobachte ich wieder einmal die Ankermanöver der Ankommenden und Aufbrechenden. Wir haben ja schon öfter etwas zu diesem magischen Ankermagnetismus geschrieben. Nun kommt ein ziemlich neuer Outremer 51. Den gibt’s ja schon für 750 T€ in der Basisversion, da sollten dann eigentlich noch einige Euros für etwas Segel-KnowHow übrig sein. Aber manchmal sind die Leute doch einfach zu knauserig.
Die Baia d’Abra ist ja nicht eben klein. Das letzte Mal haben wir hier mit 17 Schiffen gelegen und alle hatten ausreichend Platz. Und das bei den wilden Fallwinden, die die Ankernden immer wieder ziemlich weit hin und her geschleudert haben. Gerade wenn alle Ankernden 40 bis 50 m Kette draußen haben, braucht jeder etwas mehr Platz für sich. Der Bereich der Baia d’Abra, den man gut und vollkommen problemlos beankern kann, misst etwa 500 m im Durchmesser, wobei viele an den Seiten auch weiter raus gehen. Man sollte meinen, dass dies reicht, wenn nur zwei Schiffe in der Bucht liegen. So schnüffelt sich der Outremer auf seiner Ankerplatzsuche wie ein Trüffelschwein durch die Bucht. Kurz flammt Hoffnung auf, aber dann kommt er zurück. Wie gesagt, es liegen genau zwei Schiffe in der Bucht, alles andere ist frei. Und ich traue meinen Augen nicht, als das Wunderkind des professionellen Ankermanövers exakt 30 m neben uns und unserer Ankerboje, – wir liegen nämlich gerade gut sichtbar direkt neben unserer Boje -, seinen Anker fallen lässt. Auf meine Frage, ob er nicht vielleicht doch 100 m weiter rüber gehen könnte, immerhin gähnen dort noch etwa 300 m vollkommen leere Ankerbucht gelangweilt vor sich hin, wird er pampig 😠 und lässt noch etwas mehr Kette raus 😳, um von uns weiter weg zu kommen 🙄. Coole Sache, der hat’s richtig verstanden!
Kinder, die im Vorschulalter das erste Mal mit einer Schnur und einem Bleistift einen Kreis malen, haben sich ja damit schon ganz unbewusst ungefähr 50% des benötigten Anker-KnowHows erarbeitet. Weitere 10% würde ich der Erkenntnis geben, dass man sich bei Wind mit seinem Schiff auf dem Kreisbogen bewegt und nicht im Zentrum verharrt. Obwohl also fast alles Wissen offen auf der Hand liegt, schafft es dieses Wissen nicht bis ins Hirn all dieser Profiankerer.
Aber gut, wir lassen ihn, denn es wird bei wenig Wind bleiben, denn wir liegen ja im Osten der Insel in der Abdeckung und Fallwinde gibt es hier nur bei nördlichen Windrichtungen.
Und wie, um unser Urteil nun noch bekräftigen zu wollen, zwängt sich daraufhin einer der Crew in einen Neo und setzt eine Taucherbrille auf. Und genau dies ist das zweite Anker-Mysterium, dass wir »seit Madeira« beobachten. Es scheint ein zwanghafter World-Sailing-Cruising-Herdentrieb zu sein, dessen Virus fast alle Fahrtensegler hier befallen hat. Inzwischen sind wir uns ganz sicher, dass die Verbreitung dieses Virus gleichermaßen mit der Wassertemperatur und dem Zugehörigkeitsgefühl zu der exklusiven Gemeinde der Blauwassersegler zu tun hat. Denn schließlich ist das Wasser hier blau und warm.
Nie haben wir in der Nord- oder Ostsee jemals irgendeinen gesehen, der seinen Anker abgetaucht hat. Geht nämlich auch gar nicht, ohne ganz runter zu gehen, denn dort ist das Wasser so trüb, dass man den Anker höchstens »abfühlen« könnte, aber bestimmt nicht von oben sehen kann, um dann den Daumen hochzurecken und ein internationales »Jau«, »Jupp«, »Jipp« oder »Yeah« zu brüllen. Außerdem ist das Wasser im Norden in der Regel auch so kalt, dass jeder normale Mensch nach einem Ankermanöver lieber einen heißen Tee mit Rum nimmt, als sich in die kalten Fluten zu stürzen. Das war auch noch in der Bretagne, den Rias von Galizien und an der Westküste Portugals so. Selbst an der Algarve haben wir nicht einen einzigen gesehen, der dieses Ich-bin-nun-ein-echter-Blauwassersegler-Verhalten an den Tag gelegt hat. Aber seit Madeira springen fast alle sofort ins Wasser, um zu ihrem Anker zu schwimmen, von oben zu gucken und den Daumen hochzurecken. Wir haben sogar einen deutschen Profi-Blauwasserer getroffen, der uns mit dem Brustton der Überzeugung erklärt hat, dass er das selbstverständlich jeden Tag macht, egal ob er vor Anker oder an einer Mooring liegt.
Erstaunlich! Und nun schwingt sich auch jemand von dem Outremer ins Wasser, krault in Richtung Anker und reckt keine 30 m neben uns seinen Daumen in die Höhe und brüllt »très bien«.
Ja, es sind Franzosen! Eigentlich wollte ich es nicht schreiben, aber wir müssen inzwischen auch sagen, es gibt viele Franzosen, die es wirklich richtig gut können. Vielleicht liegt dieses Vorurteil ja auch daran, dass so viele Franzosen segelnd unterwegs sind. Dann gibt es neben den vielen Guten eben auch viele Deppen. Das ist sowieso inzwischen so eine Sache. Hier scheint es nur noch Franzosen und kaum noch andere Nationen zu geben. Manchmal haben wir uns schon gefragt, ob wir die falsche Gastlandflagge oben haben. Zuhause in Frankreich muss sich Macron wohl gerade wie »Kevin allein zuhaus« fühlen. Wenn die alle hier sind, muss Frankreich, aber ganz besonders die Bretagne, fast vollkommen entvölkert sein.
Aber das Abtauschen des Ankers, wobei man ja streng genommen gar nicht von Tauchen sprechen kann, wenn man nur mit einer Taucherbrille von oben guckt, wobei die Haare am Hinterkopf noch nicht einmal nass werden, scheint auch Vorteile zu haben! Es ersetzt nämlich ganz offensichtlich auch das Einfahren des Ankers!!! In kälteren und eben nicht ganz so blauen Gewässers versucht jeder seinen Anker einzufahren. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Aber sei’s drum, immerhin wird’s versucht. Aber, sobald die Wassertemperatur nach Abtauchen ist, wird der Anker einfach nur fallen gelassen. Meist von der Dame des Hauses nach einigen lautstarken Befehlen des männlichen Rudergängers von hinten. Wenn die fallende Kette dann erst einmal genügend Geräusche gemacht hat, kommt auch der Skipper nach vorn und guckt gemeinsam mit seinem Ankergesellen über den Bugkorb. Kurz darauf nimmt der Skipper dem Ankergesellen die Fernbedienung weg und die Kette rappelt erneut. Dann sieht man sich um, schaut nochmals über den Bugkorb, und beschließt, bestens zu liegen. Daraufhin macht sich einer von beiden klar zum Ankerabtauchen. Dabei kann man sich nun natürlich Zeit lassen, denn noch kann man ja von dem Anker gar nichts sehen, denn der Ankerkettenhaufen liegt ja noch darüber. Irgendwann haben aber der Wind oder die Strömung ihre Arbeit getan und den Anker von dem auf ihm lastenden Kettenhaufen mehr oder weniger befreit. Und nun passieren entweder oder immer genau zwei Dinge. Das ist ein Gesetz, so etwas wie das Naturgesetz des Ankers. Entweder der Skipper bemerkt, dass er ja mit seinem Schiff nun doch nicht dort liegen geblieben ist, wo er doch so schön mit seinem Ankergesellen den Anker abgelegt hat, und kommt selbst für seinen Geschmack nun den anderen zu nahe. Oder er hat aus lauter Dusel soweit entfernt von anderen geankert, das es nun immer noch irgendwie passt. Im ersten Fall geht das ganze Spiel wieder von vorn los, wobei er überhaupt keine Idee hat, wie das passieren konnte und was man nun anders machen könnte. Sicherlich hält der Anker nicht und ist gerutscht. Dies ist die einzig logische Erklärung. Im zweiten Fall wird abgetaucht, der Daumen in den Himmel gereckt und »Yeah« gebrüllt, wenn man nicht gerade Franzose ist, die den Erfolg mit »très bien« quittieren.
Ehrlich gesagt ist es ja auch blöde, seinen Anker einzufahren, wenn das Wasser klar und blau ist. Ist er erst einmal richtig eingefahren, hat er sich ja auch eingegraben und man kann ihn eh nicht mehr sehen. Wie blöd ist das denn?
Regelmäßiger Besuch …
Noch am Freitagmorgen ist es total ruhig, das Wasser ist so glatt und klar, dass man tatsächlich den Grund in 11 m Tiefe sehen kann. Viel Fischverkehr ist aber nicht, nur ab und zu kommen mal einige kleine vorbei, ansonsten passiert dort unten nicht viel.
Aber dann sehen wir sie wieder! Als wir das erste Mal in der Baia d’Abra waren, haben wir sie auch schon immer mal wieder gesehen. Erst dachten wir, dass es eine dieser Mönchsrobben sei, die mal morgens nach dem Rechten sieht. Die Mönchsrobben sind ja sehr vom Aussterben bedroht und haben rund um die Ilhas Desertas ein neues und vor allem geschütztes Hause gefunden. Heute ist sie aber näher bei uns und die Sonne steht günstig. Und wir sehen ihren kleinen Kopf und den großen runden, gepanzerten Rücken. Es ist tatsächlich eine Wasserschildkröte. Der Panzer hat gut 30 cm und ihr Kopf guckt davor heraus wie eine vorwitzige Zucchini. Sie hat es nicht eilig, aber als ich mit der Kamera wieder rauskomme, ist sie gerade schon wieder abgetaucht. Mal sehen, ob wir sie die nächsten Tage doch noch mal zu einem Phototermin überreden können. Sie scheint sich aber etwas zu zieren, doch nun liegt die Kamera mit dem Tele bereit.
Aber … sie scheint wirklich die Öffentlichkeit zu scheuen. Jeden Tag sehen wir sie wenigstens einmal, doch immer, ja wirklich IMMER, ist sie schneller wieder weg als der Schiffsjunge mit der Kamera da. So bleibt sie nur in unserer Erinnerung und es gibt tatsächlich kein einziges Photo von ihr.
Rock ’n Roll
Noch vormittags beginnt dann doch einiger Schwell in die Baia d’Abra einzulaufen. Es ist nicht der eigentliche Atlantikschwell, der weiterhin gradlinig aus Nordwest bis West über den Atlantik rollt. Mit dem Fernglas können wir ihn ganz im Osten sehen. Das, was nun in die Baia d’Abra einläuft, sind auch kürzere und steilere Wellen. Die haben eher eine Ostseefrequenz und -höhe. Und mit diesen ersten einlaufenden Wellen beginnen unsere schrecklichsten Stunden in der Baia d’Abra. Gut 60 Stunden rollen und rocken wir hin und her, so wie wir noch nie (!) in unserem Leben hin und her gerollt und gerockt wurden. Alderney war ja schon schlimm, aber die Baia d’Abra toppt das locker! Zwei Nächte und drei Tage hangeln wir uns wie Äffchen durch die PINCOYA, nichts bleibt auch nur irgendwie dort, wo es bleiben soll, jeder Schritt endet mit einem ungewissen Finale und neuen blauen Flecken. Selbst die Notebooks mit ihren Gummifüßen bleiben nicht auf dem Salontisch und wir fixieren sie mit Gel-Pads. Es ist schlicht und ergreifend furchtbar und eine Flucht ist unmöglich, weil es gar keinen Fluchtpunkt gibt. Die Marina Quinta do Lorde würde vielleicht etwas mehr Schutz bieten, aber die Einfahrt liegt auch genau in Wellenrichtung und außerdem ist sie voll.
Also müssen wir aushalten. Mental ist das Geschaukel echt so eine Nummer. Zunächst erträgt man es ja mit einigem Gleichmut, doch nach 24h beginnen die Nerven blank zu liegen. Man ist irgendwie wund geschaukelt. Astrid erträgt es mit etwas mehr Fatalismus, aber wir beide merken, dass wir doch immer leichter reizbar werden. Es ist psychisch wie physisch schon eine echte Nummer, die man nicht so einfach wegsteckt. Um sich im Zaum zu halten, muss man sein Bewusstsein bemühen, um sich aktiv etwas Mäßigung und Stoizismus zu verordnen.
An die Sichtung der Photos ist gar nicht zu denken. Der 21-Zoller, den ich eigentlich für die Bildbearbeitung nutze, würde gleich im hohen Bogen durch den Salon fliegen. Außerdem ist einem irgendwie gar nicht nach irgendetwas, wenn man nur damit beschäftigt ist, den aktuellen Zustand zu ertragen. Selbst das Nachvorngehen ist ein Balanceakt, was beim Segeln noch bei 5 Windstärken nahezu freihändig gelingt, ist nun ein echter Eiertanz, bei dem man aufpassen muss, nicht im Wasser zu landen.
Bevor wir schwimmen gehen, setze ich mich ins Gummiboot. Dort hat man tatsächlich noch den ruhigsten Platz. Wenn man vom Gummiboot aus unsere dicke Erna auf ihrem Kugelbauch so rollen sieht, kann einem ganz schlecht werden 🤢. Ein UV-beständiges Antifouling wäre jetzt gut. Es fehlt nicht viel bis zum Kiel. Als ich so im Gummiboot sitze, kommt unsere Schildkröte vorbei und guckt lange herum. Das macht sie nur, weil ich gerade keine Kamera dabei habe.
Unsere tolle Theorie mit der Windabdeckung in der Baia d’Abra ist ja auch richtig und bestätigt sich. Nur haben wir echt nicht damit gerechnet, dass es der Schwell in Form von kürzeren Wellen ganz um die Insel herum, bis zu uns in die Baia d’Abra schafft. Wir erinnern uns nun auch wieder an die Île de Ré. Dort haben wir 2019 direkt vor Saint Martin de Ré geankert und sind dort abgehauen, weil uns der Schwell zu sehr auf die Nerven ging. Damals wollten wir einfach auf der Südostseite ankern und am nächsten Tag zur Schleusenöffnung zurückfahren. Aber … auf der Südostseite liefen die Wellen noch schlimmer ein, als vor Saint Martin de Ré. Es gab rund um die Insel nicht ein einziges ruhiges Plätzchen ohne Wellen. So sind wir dann nach La Rochelle reingegangen, ohne die Île de Ré überhaupt zu besuchen. Es ist schon erstaunlich, wie sich Wellen doch um ganze Insel herummogeln können und auf der vermeintlich ruhigen Seite dann doch Alarm machen. Das Ganze findet sicher eine Klärung in der Strömungslehre, doch eine natürliche Erklärung hilft nur begrenzt, wenn die Nerven ziemlich blank liegen.
Mit dem Handy messen wir, dass wir bis zu 25° zu jeder Seite rollen. Das sind 50° hin und zurück. Das alles ist nicht gefährlich oder beunruhigend, es ist nur saumäßig ungemütlich und hypernervig. Die Nächte schlafen wir quer, weil man anders überhaupt kein Auge zubekommt. Auch tagsüber sitzen wir meist quer in einer Sitzposition, in der man sich auch stabil verkeilen kann. Nur gut, dass wir inzwischen seefest sind und nicht auch noch mit einem flauen Magen kämpfen müssen.
Erst am Sonntagabend wird es langsam besser. Etwas Nordwind kommt auf, die Wellen werden flacher und unsere dicke Erna liegt nicht mehr nur quer zu den Wellen. Wir sind nun um eine Erfahrung reicher, auf die man auch gut verzichten kann. Aber am Ende war es vielleicht auch ein gutes Training für den Kopf und das Durchhalten.
Und mitten in dem Geschaukel wirft eine eMail der US-Botschaft unsere Pläne für 2022 über den Haufen. Eigentlich hatten wir ja für unser B2-Visum einen Interviewtermin Mitte April. Den hatten wir als Heimaturlaub auch schon eingeplant, aber nun ist der schon wieder hinfällig. Allerdings mit der freudigen Botschaft der Botschaft, dass man die Kapazitäten aufgestockt habe und wir nun bitte doch einen früheren Termin vereinbaren mögen. Also schaukeln wir uns durch die WebPages der amerikanischen Terminvereinbarung. So richtig einfach ist das ja auch alles nicht und das Geschaukel tut sein Übriges. Doch am Ende haben wir nun einen Termin in Berlin Anfang Januar und können neu planen.
Und das ist auch gut so, denn eigentlich wollten wir ja Ende März von Madeira aus fliegen. Da wir nun aber wissen, wie und wo man auf Madeira liegen kann, sind wir gar nicht so schrecklich böse, dass uns das nun erspart bleibt. Denn eigentlich kann man sein Schiff auf Madeira nur guten Gewissens unter dem Flughafen aus dem Wasser nehmen und allein lassen. Und das ist so nun eben nicht mehr nötig.
Das ruhige Ende
Den ruhigen Montag und Dienstag verdudeln wir dann einfach so, weil wir’s uns verdient haben!
Alles sieht danach aus, dass wir wie geplant am Mittwoch zu den Kanaren aufbrechen können. Später sollten wir aber auch nicht aufbrechen, denn von Nordosten soll es windig werden.
27.10. -> 02.11 Baia d’Abra
32° 44′ 40,1″ N, 016° 41′ 44,6″ W