Wenn man von La Palma nicht nach El Hierro, auf die Kap Verden oder gar in die Karibik möchte, braucht man ein recht östlich liegendes Azorenhoch oder ein Tief, das mit seinen Ausläufern weit nach Süden ausholt. Und weil weit nach Süden ausholende Tiefs zu dieser Jahreszeit immer noch irgendwie im Trend liegen, bekommen wir auch so eins. Dabei haben Tiefs im Gegensatz zu Hochs ja durchaus den Nachteil, dass sie mit ihren Fronten immer auch ziemlich durchwachsenes Wetter mitbringen und auch einen Windsprung machen, den man unter Umständen gar nicht so gut gebrauchen kann.
Doch wenn man sich die Entfernungen auf der Seekarte ansieht, ist es schon verlockend, von La Palma nach Madeira aufzubrechen. Denn von Tazacorte nach Madeira ist es gerade mal genauso so weit wie nach Lanzarote. Und von Lanzarote hätte man dann noch einmal dieselbe Strecke bis nach Madeira. Warum sollte man also erst nach Lanzarote fahren, wenn man auch mit derselben Strecke Madeira direkt erreichen kann? Obwohl wir ja wissen, dass unsere Theorien manchmal – sagen wir mal – doch nicht so genau zu dem passen, was wir dann schlussendlich bekommen, und uns in Tazacorte auch überzeugend versichert wird, das es überhaupt kein Problem ist, direkt nach Madeira zu fahren, und man das auch schon x-mal gemacht hat, haben wir dazu doch eine unserer eigenen Theorien parat. Ohne Frage gibt es Wettersituationen, mit denen man das machen kann. Auch unter Segeln. Auf diese Situationen kann man warten, sofern man mag. Und wenn man nicht warten mag, dann motort man eben rüber und auch mal gegenan.
Wir mögen aber segeln und allzu lange warten mögen wir eben auch nicht. Deswegen favorisiert unsere Theorie als Ausgangspunkt für die Fahrt nach Madeira tatsächlich doch Lanzarote. Das hat im Wesentlichen zwei Gründe. Wenn ein Tief mit seinen Ausläufern auf La Palma vorbeikommt, dann bekommt man zwar ziemlich sicher auch einen Südwest, aber eben mit den Fronten auch ein eher ungemütliches Wetterchen. Außerdem ziehen Tiefs meist recht schnell durch, wodurch aus dem günstigen Südwest oder West schnell irgendetwas Nördliches wird. Und ein Nord ist für eine Überfahrt von La Palma nach Madeira nicht die optimalste Windrichtung. Ein östliches Azorenhoch ist da wesentlich konstanter und bleibt für einige Tage, wenn nicht sogar Wochen, einfach mal dort liegen, wo es sich gerade breit gemacht hat. Außerdem hat es keine Fronten und das Wetter ist netter. Und die größte Chance, den Nordost eines solchen Hochs zu erwischen und eben auch den besten Windwinkel, hat man eben auf Lanzarote. Deswegen favorisieren wir Lanzarote und betrachten unsere Fahrt von La Palma nach Lanzarote eher als Holeschlag, um dann endlich mal eine dieser gemütlichen und unglaublich romantischen Überfahrten zu ergattern, die wir eigentlich schon letztes Jahr haben wollten und nun auch mit dem Schlag von La Palma nach Teneriffa wieder nicht bekommen.
Tazacorte (La Palma) -> Bahia Antequera [A] (Teneriffa) Start: 7:45 (25.04.) Ende: 5:00 (26.04) Wind: SW – NW 10 – 35 kn Distanz: 122,7 sm Gesamtdistanz: 615,0 sm
In der Nacht zum Montag kommt die Warmfront, hinter der dann auch der Südwest einsetzt. Und wie es sich für eine ordentliche Warmfront gehört, bringt sie zur Begrüßung auch gleich etwas Regen mit. Nach unserer Theorie müssen wir zum Sonnenaufgang starten, aber da regnet es nun leider gerade. Und so bleibt auch diese Theorie von uns schon wieder nur eine Theorie 🙄, diesmal aber, weil wir nicht nass werden wollen 😬, obwohl es eigentlich so kommt, wie es theoretisch ja kommen sollte. Da es das anrückende Tief aber eilig hat, zieht der erste Regen ziemlich schnell durch. Als aus dem Schüttregen ein Nieselregen wird, beschließen wir zu starten. Kurz vor acht geht es los. Natürlich möchte unsere dicke Erna beim Ablegen wieder einmal nicht dorthin fahren, wo wir hinfahren möchten, deswegen bleibt auch unser geplantes Hafenmanöver grau und theoretisch. Doch nachdem unser Diesel einige ebenso graue Qualmwolken in die Boxengasse geblasen und unser frisch gereinigter Propeller das Hafenwasser ordentlich durchgequirlt hat, machen wir es eben so, wie sie es will und nicht wie es sich der Schiffsjunge in den Kopf gesetzt hat. Es hat wahrscheinlich einen historischen Kern, warum Schiffe … – aber nein, 🤭, dieser Blog muss gender-neutral bleiben.
Der Südwest soll uns zunächst die gut 20 sm in den Norden von La Palma bringen. Dabei darf er schon mal etwas drehen, bevor aus ihm dann gegen 12:00 ein schöner Nordwest wird. Laut Vorhersage soll der so bis zum nächsten Morgen durchhalten, bevor er dann zu einem echten Nord wird. So wenigstens die Theorie! Ich schreib das mal so ausführlich, erstens weil es am Ende tatsächlich so klappt 😊 und wir uns für unser Timing auf die Schultern klopfen können 💪, aber auch, weil es genau das Problem umreißt, wenn man mit einem Tief von La Palma nach Madeira segeln möchte. Dann hat man nämlich zuerst Flaute und bekommt danach einen Südwest, der viel zu schnell zu einem Nord wird, um in einem Rutsch nach Madeira zu segeln.
Für uns passt es aber perfekt, obwohl wir nicht gerade ein Wohlfühlwetter dazu bekommen. Den Ablegeregen können wir ja noch weitgehend vermeiden, aber das ist ja bei weitem nicht alles, was das Tief für uns so dabei hat. Auf den ersten Seemeilen ist der Wind noch etwas unentschlossen, aber vor der westlichen Steilküste La Palmas wird aus ihm schnell ein kräftiger SW. Mit dem Decksalon und der hohen Sprayhood ist Regen für uns eigentlich kein echtes Problem, doch wenn er direkt von achtern kommt, dann trieft und tropft es auch auf der PINCOYA im ganzen Cockpit. Immer wieder ziehen dicke Regenschwaden heran und wir verrammeln uns im Decksalon. Schön ist das nicht, auch wenn es für uns so noch viel angenehmer ist als auf einem Kellerschiff. Wir sind uns am Ende nicht ganz sicher, was uns von Tazacorte aus mehr in den Norden von La Palma treibt. Der Wind oder der Regen.
Als wir vor der westlichsten Ecke von La Palma auf einen Nordkurs gehen können, um dann Stück für Stück noch weiter auf einen Nordostkurs abzufallen, beginnt auch der Wind zu drehen und zuzulegen. Aus dem Südwest wird eher ein West. Zusätzlich scheint uns nun der Kapeffekt vor sich herzutreiben. Immer wieder ziehen Regenschleier über die wild zerklüftete Küste. Das ganze Szenario erinnert schon sehr an Norwegen, nur die Temperaturen, Kakteen und vor allem die Bananenplantagen passen da nicht ganz ins Bild. Die Nordküste von La Palma sieht selbst unter diesen Regenschleiern toll aus, wie toll muss sie erst sein, wenn hier mal ein echtes Kanarenwetter vorbeischaut. Wobei sich natürlich die Frage stellt, was eigentlich ein typisches Kanarenwetter so ist. Inzwischen haben wir da einen Verdacht, der sich nicht ganz mit den Bilder Broschüren der Reiseveranstalter deckt.
Die Nordküste wirkt irgendwie »naturbelassener«. Vom Südwesten der Insel bis weiter nördlich von Tazacorte ist fast jeder Küstenquadratmeter mit ausufernden Bananenplantagen bedeckt. Mit ihren riesigen, grau-beigen Gewächshausnetzen verschandeln sie wirklich das gesamte Küstenbild der Insel. Der Vulcano hat ja nicht wenige davon platt gemacht. Das ist schlimm für die Menschen, aber für die Landschaft war das sicher kein großer Verlust. Die wenigen Freiluftplantagen fallen dagegen gar nicht auf und man muss zweimal hingucken, bis man sie zwischen den kastenartigen Gewächshausnetzen überhaupt ausmacht. Hier im Norden gibt es immer weniger Plantagen. Man hat sogar das Gefühl, dass der Norden kaum besiedelt ist. Nur hier und da sind kleine Ansammlungen von Häusern auszumachen. Es muss toll sein, dort etwas herumzulaufen. Wie schon für La Gomera nehmen wir uns auch für La Palma vor, im kommenden Winter hier mehr Zeit zu verbringen und vor allem mal mit einem Mietwagen herumzufahren.
Wir sind schnell, schon nach 3 Stunden haben wir das nördliche Kap von La Palma querab. Und dort beginnt nun der wilde Ritt nach Teneriffa. Pünktlich gegen Mittag dreht der Wind auf Nordwest, meint es aber wieder einmal etwas gut mit uns. Die ersten Seemeilen sind noch moderat, doch dann sehen wir, wie von achtern unaufhaltsam weiße Windwellen aufkommen. In der Vorhersagetheorie war alles grün und »grün« bedeutet eigentlich 15 bis 20 Knoten Wind. Das ist auf raumen Kursen kein Problem und fast sogar etwas schmusig! Darauf hatten wir uns gefreut, denn mit der Kaltfront geht auch der Regen durch und so dachten wir, dass wir mal ganz in Ruhe etwas in der Sonne dösen und nachbräunen könnten. Doch weit gefehlt, denn wir bekommen mehr. Ziemlich viel mehr! Für mehr als 6 Stunden treibt uns ein Nordwest mit um die 30 Knoten vor sich her. Mal mit etwas mehr, mal mit etwas weniger. Mal etwas nördlicher, mal etwas nordwestlicher. Als wir im Norden von La Palma den Wegpunkt für Teneriffa eingeben, sind es 95 Seemeilen. Da wir mit 5 Seemeilen pro Stunde kalkulieren, liegen damit 19 Stunden vor uns. Das würde insgesamt gut passen, denn so wären wir im Morgengrauen vor der Ankerbucht, die wir im Norden von Teneriffa anpeilen. Doch mit diesem Turbo haben wir schon gegen 3:00 in der Nacht den Faro de Anaga im Nordosten von Teneriffa quer ab.
Inzwischen sind wir zwar seefest geworden, aber wenn es so heftig bläst, ist es mit der Entspannung auch nicht wirklich weit her. Außerdem gelingt uns unser Schlafrhythmus am ersten Tag nie so richtig. Da brauchen wir schon einige Tage mehr, um uns einzuschwingen. So bleibt es bei einem Mittagsschlafversuch, den wir dann auch abbrechen, als es beginnt, beständig mit 30 Knoten zu blasen.
Von 12:00 bis etwa 18:00 kachelt es wie blöde. Für uns kommt der Wind in etwa aus 120°, das ist grundsätzlich problemlos. Ins Groß binden wir sicherheitshalber schon mal das zweite Reff. Das ist für einen Vorwindkurs unter 30 Knoten zwar doch schon recht wenig, doch als Ausgleich nehmen wir im Bedarfsfall noch etwas Starkwindfock dazu.
Ab dem nordöstlichen Kap von La Palma nehmen die Wellen deutlich zu. Wir sind bisher nur einmal mit unserer dicken Erna über 10 Knoten gefahren. Das war im Alderney Race, als uns der Gezeitenstrom zusätzlich mit mehr als 6 Knoten durch das Race geschubst hat. Hier sehen wir beim »Wellenreiten« nun mehrmals die 10 Knoten und einmal sogar die 11,5. Eingepickt verfolgen wir gespannt, wie der B&G-Autopilot seine Sache meistert. Ganz ohne ist das nicht. Mehrmals rollt eine Querwelle ziemlich blöd von der Seite in uns rein. Das gibt nicht zu knapp Schräglage, aber unsere dicke Erna lässt sich erstaunlich gutmütig wieder auf Kurs bringen. Wenn die Wellen kurz hinter unserem Heck brechen, hört sich das zwar gefährlich an, nimmt ihnen aber auch viel von ihrer Kraft. Wenn sie uns allerdings hochheben, kurz bevor sie brechen, dann geht die Post ab und wir halten den Atem an. Stunde um Stunde jagen wir so dahin und werden gründlich durchgeschaukelt. Diesmal verlieren wir aber keine Grapefruits, wie auf dem Schlag von La Gomera nach La Palma, da wir unser Früchte- und Gemüsenetz neu festgebunden haben. Zwischen La Gomera und La Palma haben sich damals drei Grapefruits und zwei Apfelsinen wie die Lemminge in den Atlantik gestürzt 😂.
Gegen 18:00 flaut es ab. Nur noch 15 bis 20 Knoten treiben uns nach vorn, aber der Wind hält sich an die Vorhersage und es bleibt bei einem Nordwest. Da wir nördlich von Teneriffa einen Kapeffekt erwarten, reffen wir das Groß nicht aus und versuchen stattdessen mit der Genua, für genügend Vortrieb zu sorgen. Normalerweise lassen wir die Genua auf Vorwindkursen ja immer ganz weg.
Auf welligen Vorwindkursen ist das Geschlacker und Geschlage fast grenzenlos nervig und wir haben das noch nie in den Griff bekommen. Vielleicht würde es ja gehen, wenn man die Genua ausbaumt, aber das Ausbringen des Spibaums bei solchen Wellen ist ja auch nicht gerade ein Quell der Sicherheit und der Freude. Schon gar nicht nachts, wenn es stockfinster ist. Wie soll so eine Genua auch nur annähernd vernünftig stehen, wenn der Masttop unablässig immer wieder um mehrere Meter hin und her schwingt?
Also reffen wir einige Seemeilen von dem nördlichen Kap von Teneriffa das Groß doch aus und drehen die Genua weg. Wie herrlich ist die Ruhe, wenn es mit dem gleichen Wind und den gleichen Wellen dann plötzlich ohne jeden Radau einfach so dahinfährt. Leider verhakt sich aber beim Ausreffen die Leine unseres Achterliekspanners am Lümmelbeschlag und wir bemerken es im Dunkeln nicht. So reißen wir die Leine aus ihrem Führungsbündchen am Vorliek. Kein schlimmer Schaden und auch einfach zu beheben, aber trotzdem richtig ärgerlich. Nun müssen wir beim nächsten Segelmacher einen Streifen Segeltuch bekommen, dann ist das mal ein echter erster Fall für die Sailrite.
Wie erwartet kommt der Kapeffekt tatsächlich im Norden von Teneriffa. Plötzlich dreht der Wind wieder auf und die Rauschefahrt beginnt von Neuem. Dafür können wir das nordöstliche Kap von Teneriffa aber ohne eine weitere Überraschung runden. Direkt vor dem Kap springt die Wassertiefe von über 1.500 m auf sage und schreibe nur 50 m. Auf den Seekarten sieht das schon beeindruckend aus, wenn sich die Tiefenlinien zu drängeln wie an der Eiger Nordwand. Und wir sind uns überhaupt nicht sicher, ob wir nicht lieber einen großen Bogen drumherum fahren sollten. Bei Tageslicht wäre uns wohler, aber bei Nacht und zudem mit einem Neumond, der noch gar nicht aufgegangen ist, haben wir Zweifel. Die hohen Wellen sorgen da auch noch zusätzlich für ein ungutes Gefühl. Dennoch beschließen wir »einfach mal so um die Ecke« zu fahren. Und hoffen, eventuell brechende Wellen früh genug ausmachen zu können, um noch rechtzeitig wieder abzufallen. Aber nichts passiert. Einige größere Burschen schubsen uns zwar hin und her, doch das hatten wir ja schon den ganzen Tag.
Schon nach weiteren 5 Seemeilen sind wir vor »unserer« Ankerbucht, der Bahia Antequera. In den Revierführern steht, dass dort absolut nichts sein soll. Noch nicht einmal Handy-Empfang soll es dort geben. Und so ist es auch! Dort, wo die Ankerbucht sein soll, sehen wir nichts, obwohl sie sich laut Seekarte und Radar vor uns auftut. Vorsichtig tasten wir uns rein. Ein komisches Gefühl, wenn man links und rechts Felsen erahnt, aber eigentlich nicht wirklich etwas sehen kann. Irgendwann hört es auf zu blasen und der Schwell wird kleiner. Wir müssen nun hinter der Huk sein. Vor uns ist alles schwarz, die Sterne geben zwar ihr Bestes, aber das reicht nicht, um irgendetwas in der Bucht zu erkennen. Und unser Scheinwerfer verhungert irgendwo auf halber Strecke zu den Felsen.
Auf der 10m-Linie lassen wir es gut sein. Laut Karte und Radar liegen wir mehr oder weniger mittig. Wenn wir ausgeschlafen haben und es hell ist, können wir immer noch weiter rein. So fällt unser Anker schon kurz vor 5:00 auf etwa 10 m. In 21 Stunden haben wir inkl. Ablegen und Ankermanöver 122,7 sm gemacht. Das kann sich für unsere dicke Erna sehen lassen. Der Ritt war wieder einmal nicht wirklich schmusig 🙄, aber das kann sich ja das nächste Mal schon ändern 😊. Bestimmt!!!
Bahia Antequera [A] (Teneriffa)
28° 31′ 56,8″ N, 016° 07′ 54,5″ W