Vor Anker in der Bahia Antequera auf Teneriffa
Nachdem wir etwas ausgeschlafen haben, sehen wir uns erst einmal um, wo wir nun gelandet sind. Die Bucht ist hübsch. Zwei noch offensichtlich genutzte Häuser stehen am Hang und etwas nördlich von dem Strand stehen einige Ruinen am Ufer, die augenscheinlich langsam verfallen und versanden. Sonst rundherum nur Natur pur. Es gibt eine kleine Mole, man ist schon fast versucht, Hafen zu sagen, aber das wäre dann wohl doch etwas übertrieben. Die Berge um die Bucht herum sind schroff. Nichts deutet auf irgendwelche Wanderwege oder gar Schotterpisten als Zuwege hin. Ein einziger Weg führt von dem Anleger zu den Häusern. Handy-Empfang gibt es nicht. Ab und zu flackert mal ein Signal auf, aber das taugt nicht für irgendetwas.
Als es hell ist, sehen wir, dass wir gestern Nacht doch sehr vorsichtig waren. Gegen Mittag verlegen wir uns tiefer in die Bucht hinein, bleiben aber auf gut 7 m bei Niedrigwasser, um noch genügend Pufferwirkung durch die Kette zu haben. Obwohl die letzte Nacht ja kurz war, haben es sich einige Fallböen nicht nehmen lassen, an uns herumzuzerren, doch zum Tagesanbruch ist ihnen die Lust daran vergangen. Die nächsten Tage soll es hart aus Nordosten blasen, mal sehen, wie das dann so wird. Wir hoffen, dass wir hier geschützt genug liegen.
Die Bucht ist herrlich einsam, das gefällt uns auf Anhieb. Der Segeltag hierher war hart und so sortieren wir uns erst einmal etwas. Eine SMS kriegen wir dann wider Erwarten doch noch durch und melden uns erst einmal bei den Kids für eine unbestimmte Zeit ins einsame Funkloch ab. An den Wochenenden soll hier die Hölle los sein, aber zurzeit sehen wir keine einzige Menschenseele weit und breit. Weder an Land, noch zur See. Es herrscht Einsamkeit pur. Nur einige Frachter liegen hinter der nächsten Huk im Süden bei Santa Cruz auf Reede. Wir genießen unsere Auszeit, das war auch mal wieder bitter nötig nach all den Marinazeiten und den vielen Menschen.
Die Wind- und Strömungsverhältnisse in der Bucht sind »unerwartet«. Es strömt leicht im Uhrzeigersinn durch die Bucht und der Wind kommt immer irgendwie aus West bis Südwest. Er kommt also aus den Bergen und damit fast entgegengesetzt zur vorherrschenden Nordostwindlage. Vor der Bucht sehen wir die weißen Windwellen des Nordost und am Ende der Huk lassen es die beiden Windrichtungen und Strömungen ordentlich kabbeln. Das ist schon irgendwie merkwürdig, erwartet hätten wir etwas anderes.
Am späteren Nachmittag setzen die Fallböen wieder ein. Alles in allem bleibt es aber relativ ruhig, besonders wenn wir an die noch folgenden Nächte denken. Abends kommt noch ein Deutscher in die Bucht, er hat seine Überfahrt nach Madeira auf halber Strecke abgebrochen, weil der Wind auf Nord drehte, er aber noch 140 sm vor sich hatte.
Ganz ohne Wettervorhersage ist es etwas schwierig, unseren nächsten Schlag zu planen. Gerne würden wir in einem Rutsch in den Süden von Lanzarote gehen, aber wie es aussieht, kommt in den nächsten Tagen genau von dort der Wind. Die Spanier senden zwar fleißig Wetterinfos über Funk, doch die sind immer nur für die nächsten 12 Stunden. Wie sollen wir da wissen, ob es sich lohnt, zu warten oder eben nicht. Außerdem will Astrid mal mit ihren Eltern telefonieren, so brauchen wir also Handy-Empfang.
Um den zu ergattern, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder man fährt mit dem Dinghy so weit aus der Bucht, bis ein sattes 4G wieder über einen herfällt oder man klettert auf einen der Berge und hofft, dort erhört zu werden. Unser deutscher Ankernachbar entscheidet sich für die Dinghy-Variante, wir für den Berg. Doch der Schein trügt, nicht das stille Knöspchen einer erwachenden Wanderleidenschaft zieht uns magisch in die Berge, es ist eher die Gelegenheit, die uns zu Wanderern macht. Denn die Gelegenheit scheint günstig zu sein, um eine kleine Sightseeing-Runde im Norden von Teneriffa mit der Suche nach dem Internet zu verbinden. Und immerhin wäre dies ja auch Astrids erster Landfall auf Teneriffa, denn im Süden hat ja nur der Schiffsjunge einmal kurz seinen Fuß auf einen der Geröllstrände vor Los Gigantes gesetzt.
Hinter der kleinen Mole können wir gut anlanden. Das Dinghy haben wir zusätzlich mit zwei Fendern ausgerüstet, denn insgesamt schwabbelt es schon ganz ordentlich in der Bucht. Aber der kleine Hafen ist ein Segen, am Strand wäre der Ausgang unseres Anlandungsversuchs wieder etwas ungewiss gewesen 🤭.
So wandern wir los. Zunächst geht es zu den beiden Häusern und dort geht überraschenderweise tatsächlich ein Weg weiter in die Berge. Das ist unser Weg, denn er führt nach oben und oben ist uns ein ungetrübter Handy-Empfang ganz sicher sicher. Serpentine für Serpentine marschieren wir den Errungenschaften des 21ten Jahrhunderts entgegen. Der Ausblick und die schroffen Berge sind phantastisch, hinter jeder Ecke tun sich neue Perspektiven auf und bald ist die Bucht schon nicht mehr zu sehen.
Und dann vibriert es in der Hosentasche, einige Chats verkünden freudig ihre Ankunft. Das kann nur 4G sein und tatsächlich finden wir an einer unscheinbaren Wegbiegung so eine Art »natürliches Internet-Café«. Ein bis zwei Strichlein 4G reichen, um uns kurz per Chat bei den Kids zu melden und auch um Wetter zu empfangen. Aber ein Anruf will einfach nicht gelingen.
Also geht’s weiter! Wir laufen noch eine ganze Weile den Weg entlang, immer tiefer in die Berge hinein. Denn am Morgen haben wir plötzlich zwei Pärchen am Strand gesehen und da wir kein Boot gehört haben, schließen wir nun messerscharf, dass die vier genau diesen Weg gekommen sein müssen. Also muss es vor uns irgendwo eine Straße und einen Ausflugsparkplatz geben, denn wie echte Wanderer sahen die vier nun auch wieder nicht aus. Sherlock Holmes hätte nicht besser kombinieren können, Miss Watson nickt! Doch wir laufen geradewegs ins Nichts von Teneriffas Norden. Später sehen wir in Google Earth, dass wir noch Tage hätten laufen können, ohne hinter dem Nichts auch nur irgendetwas zu finden. Und in dem Nichts gibt es eben auch keinen Handy-Empfang, sonst wäre das Nichts ja auch kein wirkliches Nichts. Da hatte unser »natürliches Internet-Café« schon den brüllendsten Empfang aller brüllendsten Empfangsmöglichkeiten. Also drehen wir um und laufen ohne Anruf wieder zurück. Aber wenigsten haben wir eine aktuelle Wettervorhersage, das ist ja auch schon mal etwas.
Wieder zurück sehen wir gerade noch, dass die vier Strandgäste wohl doch mit einem Boot, einem Wassertaxi, gekommen sein müssen. Liebevoll hat man zwar Schilder mit der Telefonnummer des Wassertaxis an den Strand und die Mole gestellt, aber so eine Telefonnummer hilft ja nur bedingt weiter, wenn man kein Netz hat. So beobachten wir nun, dass das Wassertaxi manchmal morgens Badegäste bringt, aber abends immer noch einmal eine Runde vor den Stränden dreht, um potentielle Fahrgäste einzusammeln. Denn tatsächlich sehen wir in den nächsten Tagen einige Wanderer in der Bucht, von denen wir nicht wissen, woher sie kommen, und vor allem auch nicht, wohin sie wieder verschwinden. Es gibt offensichtlich noch höhere Stufen der Wanderkunst als die, die wir bisher erreicht haben 🧐.
Kurz nachdem wir zurück auf der PINCOYA sind, setzen die Fallwinde wieder ein. Diesmal sind sie schon am späten Nachmittag richtig heftig, ja man kann sogar brutal sagen. Einen kleinen Vorgeschmack haben wir davon ja schon in den ersten beiden Nächten bekommen.
Das war aber nur ein kleiner Abklatsch von dem, was nun in der dritten und besonders in der vierten Nacht auf uns wartet. Unser Windmesser im Masttop bekommt von den Fallböen nahe der Wasseroberfläche fast nichts mit. Im Maximum zeigt er mal gerade 20 kn an. Doch vor uns auf dem Wasser explodieren die Fallböen förmlich, reißen Gischt aus der Wasseroberfläche und hauen uns das dann alles regelrecht um die Ohren, um kurz darauf auf’s offene Meer davonzujagen. Normalerweise binden wir beim Ankern unsere Fender aus dem Ankerkasten einfach so an den Mast. Mit fast jeder Fallbö wehen die nun so weit aus, dass sie auf die Fenster des Decksalons schlagen. Steht man auf dem Bug, muss man aufpassen, das man nicht von so einem Drücker erwischt wird. Die dicken Burschen haben durchaus das Zeug, einen über Bord zu blasen. Nachdem es eine Cola-Dose aus der Halterung an der Steuersäule im hohen Bogen aus dem Cockpit ins Wasser geblasen hat und der Rest der lose herumliegenden Sachen sich Gott sein Dank nur auf dem Cockpit-Boden versammelt hat, verstauen wir alles aus dem Cockpit erst einmal sicher und binden auch die Sitzkissen fest. Ein Kissen wollte gleich der Cola-Dose hinterher fliegen, aber irgendwann hört der Spaß auch wirklich mal auf.
Immer wieder schleudert die PINCOYA wie wild hin und her. Wenn eine Bö unsere dicke Erna direkt von vorn trifft, dann geht das ja alles noch, aber wehe sie liegt gerade ungünstig und die Bö trifft sie von der Seite.
Etwas skeptisch beobachten wir unsere Ankerposition, doch der Anker hält. Er hat nur einmal etwas »gezappelt«, weil wir ihn ja in Erwartung eher nördlicher Winde andersherum eingefahren haben. Nun sitzt er aber, bei solchen Fallböen müssen wir den Anker auch nicht neu einfahren. Für die dritte Nacht stecken wir 45 m, das scheint bei 7 bis 9 m Tiefe ganz gut zu passen.
Die Nacht ist dann wirklich heftig, wir kriegen wenig Schlaf. Die Fallböen schlagen fast im Minutentakt ein. Die ganze Nacht geht das so, ohne eine nennenswerte Unterbrechung. Kurz bevor so ein Einschlag kommt, hört man die Bö kommen. Ein hohes, leicht sirrendes Sausen kündigt sie an, das mit dem Herannahen zu einem wütenden Brüllen wird. Dann kommt der Einschlag mit voller Wucht und eine Sekunde später reißt es die PINCOYA herum. Die beiden 18er Festmacher, die die Ankerkralle auf den Bugklampen halten, geben ein wimmerndes Quietschen und Knartschen von sich. Der Gesamtlärm ist erstaunlich und auch nach der x-ten Fallbö immer noch nicht gut zu ertragen. Ab und zu gucken wir draußen nach dem Rechten. Es ist stockfinster und die starken Fallböen überziehen die PINCOYA mit einem Spray einer salzigen Gischt. Wo sind wir hier nur hingeraten? Seit Madeira sind uns Fallböen ja vertraut, aber so etwas haben wir auch noch nicht erlebt.
Am nächsten Morgen haut der Deutsche ab. Er hat offensichtlich die Nase so sehr voll, dass es noch nicht einmal mehr zu einem Winken reicht. Wir überlegen, was wir machen. Sieht man mal von den Fallböen ab, liegen wir in der Bucht von Antequera eigentlich recht gut. Da es auch tagsüber recht kräftig und konstant aus den Bergen weht, schafft es der Schwell nur manchmal bis zu uns und lässt uns etwas rollen. Das ist aber eher selten und wir liegen gut ausgerichtet in dem Wind und der Strömung. Alles in allem also eine recht gute Ankersituation, nur wie gesagt, abgesehen von den wirklich brutalen Fallwinden.
Am Nachmittag will ich mal etwas Blog schreiben und setze mich ins Cockpit in die Sonne. Mit der Spray, die die Fallböen ab und an mitbringen, ist das für das Notebook sicher nicht die allerbeste Idee, aber man kann sich ja auch nicht immer nur hinter dem Decksalon verstecken. Und wie um mir zu zeigen, dass das wirklich keine gute Idee ist, klappt mir eine Fallbö einfach so das Notebook zu 😳. Ich kriege gerade noch die Finger von der Tastatur 😂.
Danach sehen wir zu, dass wirklich alles richtig sturmfest ist. Das hört sich unter Umständen etwas blöd an, macht aber spätestens ab Mitternacht richtig Sinn. Selbst das Gummiboot binden wir “tiefer” an, so dass es besser in der Abdeckung des Decksalons hängt. Außerdem stecken wir noch einmal etwas mehr Kette, so dass wir nun vor fast 60 m liegen. Und das bringt tatsächlich erstaunlich viel, denn obwohl die Böen in dieser Nacht noch heftiger einschlagen, ruckt die PINCOYA nicht mehr ganz so heftig ein.
In dieser Nacht haben wir das Gefühl, an einer Hochgeschwindigkeitsgüterzugstrecke zu campen, auf der im Minutentakt kurze Güterzüge vorbeirasen. Stunde um Stunde geht es so. Auf ein hohes, anschwellendes Röhren, das schnell in ein wildes Fauchen übergeht, folgt unweigerlich der brüllende Einschlag. Das gesamte Szenario dieser Böen ist schwer zu beschreiben, so ein wütendes Brüllen des Windes haben wir selbst von den Stürmen, die wir bisher erlebt haben, nicht in Erinnerung. Obwohl wir gut liegen und nichts passieren kann, können wir nur wenig schlafen. Irgendwie ist man doch immer angespannt und lauscht auf den nächsten Einschlag.
Nun stellt sich natürlich jedem die Frage, warum wir unter solchen Bedingungen bleiben und nicht abhauen?
Nun – erst einmal liegen wir in der Bahia de Antequera nicht schlecht. Sieht man mal von den brutalen Fallwinden ab, ist es relativ ruhig. Beim Ankern ist nicht der Wind das Problem, wenigstens so lange nicht, wie es sich um »europäische Windstärken« handelt 🧐, sondern die Wellen. Und hässliche Wellen haben wir in der Bucht eben nicht.
Zweitens wären nur die Marinas bei Santa Cruz eine Alternative und die haben eben zwei Nachteile. Erstens kostet uns das Verholen nach Süden Höhe, eine Höhe, die wir aber für unseren nächsten Schlag ganz gut gebrauchen können, und zweitens sind es eben Marinas und wir sind in einsamen Buchten eben glücklicher als in nicht ganz so einsamen Marinas.
Ein gewisses Problem liegt in der Tatsache, dass wir keine Ahnung haben, wie das Wetter sich entwickeln wird. Das könnte für uns unter Umständen etwas blöd enden. Aber die Bucht ist weit offen und wir sehen zu, immer bereit zu sein, schnell abhauen zu können.
Aber auf der anderen Seite ist es auch gar nicht so schlecht, etwas neue Ankererfahrung unter neuen Bedingungen zu sammeln. Man kann es sich ja doch nicht immer so aussuchen und manchmal muss man als Fahrtensegler auch mit Situationen umgehen, die nicht zu den Wunschkonstellationen in einem Blauwasserseminar gehören. Da ist es ganz gut zu wissen, was mit dem Schiff geht und was für einen selbst eben noch geht. Nur so kann man ein Vertrauen in beides aufbauen. Und ganz ehrlich, noch vor drei Jahren wären solche Ankerbedingungen für uns der blanke Horror gewesen und wir hätten nach der ersten Nacht das Weite gesucht. Doch heute können wir vieles eben besser einschätzen und wissen, was geht und was wir lieben lassen sollten.
Bahia Antequera, Teneriffa -> Las Palmas, Gran Canaria
Was tun? Aber nee, erst einmal nicht dies. Ein Hoch auf Predictwind! Da wir auf dem Anchorage tatsächlich ab und zu mal einen Strich 3G oder gar 4G sehen, was aber nie am Stück für den Empfang von irgendetwas taugt, werfen wir abends den Download in Predictwind an und lassen es mal machen. Die Handys versuchen ja ständig irgendwie ein Signal zu bekommen, was zwar ohne Ende Akku-Leistung kostet, aber ab und zu auch von Erfolg gekrönt ist. So schließen wir Notebook und Handy zusammen und das Notebook kommt an die Ladung. Und siehe da, am Morgen haben wir neues Wetter! Coole Sache, Predictwind bleibt beim Download echt prima am Ball, egal wie oft die Verbindung den Bach runter geht.
Doch das neue Wetter passt nicht wirklich zu unserem Plan, direkt nach Lanzarote zu segeln. Erstens passt der Wind schon mal gar nicht und zweitens können wir eine Kreuz gleich mal ganz vergessen, weil ja auch der Kanarenstrom nach Süden setzt und uns jeden Wendewinkel noch zusätzlich versaut. Also beschließen wir, in zwei Etappen via Las Palmas auf Gran Canaria nach Morro Jable im Süden von Fuerteventura zu segeln. D.h. es geht wieder unten herum zurück, auch wenn dann eine lange Kreuz im Osten von Fuerteventura vor uns liegt. Aber dort können wir die Etappen mit Stopps in Gran Tarajal und Puerto del Rosario klein und erträglich halten. Auf ein nächtliches Gewürge gegenan nach Lanzarote haben wir keine Lust, man muss ja nicht alles machen, was einen Segler härter macht.
Unsere fünfte Nacht in der Bahia Antequera ist ruhiger und verspricht damit vielleicht auch schon, dass unser Plan Samstag und Sonntag die beiden Etappen anzugehen, aufgeht. Irgendwann in der Nacht lässt draußen der starke Nordostwind nach. Und ab ungefähr 2:00 lassen auch die Fallböen in der Bucht nach. Bis 7:00 ist es regelrecht ruhig, so dass wir nun immer wieder verwundert aufwachen und uns fragen, warum es nicht mehr so scheppert.
Kurz nach Sonnenaufgang und nach unserem ersten Gutenmorgenkaffee bereiten wir alles vor. Prepare for the worst and hope for the best. Wir ziehen das volle Programm der Starkwindvorbereitung durch. Draußen sieht es zwar ruhiger aus, aber man weiß ja nie, was hinter dem Horizont so los ist. Gestern fuhr die Guardia Civil vor der Bucht gegenan und das sah wie in einem dieser Werbevideos der DGzRS aus. Wir fahren raus, wenn andere reinfahren. Wahrscheinlich hatten sie Azubis an Bord, die schon auf halber Strecke Wiedersehen mit ihrem Frühstück gefeiert haben, denn schon mitten vor der Bucht suchte sich der Capitán eine günstige Welle und drehte um.
Dann geht’s los. Einige der morgendlichen Fallböen treiben uns aus der Bucht, dann herrscht kurz das ganz große Durcheinander, bis der Nordost uns unter seine Fittiche nimmt. Die Wellen sind noch ansehnlich hoch, aber zunächst weht es noch mit bis zu 20 kn, was die Fahrt durch die hohen Wellen problemlos macht. Wir pendeln uns auf etwa 60° zum scheinbaren Wind ein, das passt mit den Wellen und auch für Gran Canaria recht gut. Man kann unseren Schlag jetzt nicht gerade als gemütlich bezeichnen, aber es geht. Bis Gran Canaria nimmt der Wind sogar etwas ab. Aber es ist leider kein Kurs und kein Segeln, die es zulassen, im Cockpit auch mal wirklich entspannt etwas zu schreiben oder zu lesen.
Auf den Kanaren ist es viel einfacher, von Ost nach West zu kommen, auch wenn die Düsen einen beuteln, aber zurück ist es echt kniffelig, wenn man nicht auf einen dieser Wundertage warten möchte, die es ab und zu ja doch geben soll. Flautentage sind da häufiger, als Tage an denen es mal von West nach Ost weht. Derjenige, der segeln möchte, hat es da nicht leicht.
Bei Las Palmas können wir tatsächlich bis in die Hafeneinfahrt segeln. Den Anker werfen wir zwischen den beiden Marinas, obwohl dieser Bereich ja bis zum 15. September eigentlich nur für Tageslieger erlaubt ist. Aber nun … man munkelt, dass Transit-Ankerer toleriert werden. So fällt nach knapp 9 Stunden und 51 sm unser Anker fast genau an derselben Stelle, an der wir schon Anfang März für einige Tage gelegen haben.
Las Palmas, Gran Canaria -> Morro Jable, Fuerteventura
Der Anchorage zwischen den Marinas in Las Palmas ist wohl der ruhigste Ankerplatz, den man auf den Kanaren überhaupt finden kann. Er ist mitten im Industriehafen zwar auch einer der hässlichsten, aber was soll’s, den Marinas geht es ja nicht viel anders. Doch was ist das für ein Gegensatz zu den letzten fünf Nächten? Wir haben fast das Gefühl, an Land zu stehen, nur wenn ein Pilot mal vorbeifährt, schaukelt es etwas. Es tut gut, mal wieder ohne ständige Unterbrechungen einfach schlafen zu können.
Vor uns liegen wieder fast 60 sm und das Wetterfenster mit den moderaten Bedingungen soll sich schon am späten Nachmittag wieder schließen. So klingelt unser Wecker schon um 6:00. Seit zwei Tagen mault auch mein rechtes Knie wieder herum. Dadurch bin ich etwas behindert, denn beugen, drehen oder gar hinknien geht nicht mehr so richtig. Da wäre es schon gut, wenn wir den stärkeren Wind nicht mehr abbekommen.
Im Hafen körselt der Wind nur leicht und insgesamt sieht es wenigstens Richtung Süden ruhig aus. Frühstück gibt es draußen, erst einmal muss unsere dicke Erna laufen. Und das tut sie! Gleich ab der Hafenmole rennt und rennt und rennt sie. Der Wind kommt mit 15 kn beständig aus Nordnordost. Der Schwell ist zwar immer noch beträchtlich, aber bei 60° zum Wind haben wir auch wieder einen guten Winkel zu den Wellen. Glück gehabt, auch heute scheint unser Timing zu stimmen.
Doch auf dem Wasser ist es kalt. In Hannover sollen sie heute auch 17° bekommen. Die haben wir zwar schon am Morgen, aber in dem Wind fühlen sich unsere 17° eher wie 10° an. Unser Kurs ist da auch etwas unvorteilhaft. Da wir nach Osten segeln, versteckt sich die Sonne hinter den Segeln. Der Atlantik ist nordsee-grau, das passt zwar prima zu den Temperaturen und den ruppigen Wellen, aber weniger zu unserer Position, die ja doch etwas weiter südlich liegen soll. So würde es uns wenig verwundern, wenn irgendwann Helgoland und nicht Fuerteventura am Horizont auftaucht.
Erst gegen 13:00 kommt genügend Sonne ins Cockpit, dass wir wenigstens die Sweatshirts unter den Fleecejacken ausziehen können. Kurz schauen sogar einige Delphine vorbei. Es ist wieder die kleine Sorte, aber sie sind so schnell, dass der Schiffsjunge wieder einmal nur das graue Wasser photographiert.
Gegen 15:00 nimmt der Wind deutlich zu. Etwas früher als vorhergesagt, aber wir haben ja auch nur noch 15 sm bis Punta de Jandia, der südwestlichsten Ecke von Fuerteventura. So reffen wir noch etwas weiter ein. Der wahre Wind pendelt sich zwar bei knapp über 20 kn ein, aber bei 60° am Wind zerren dann doch einige Knötchen mehr an den Segeln. Und die dicke Erna rennt auch so noch mit 7 kn unserem Ziel entgegen. Vor Punta de Jandia verspringt die Tiefe recht schnell von über 1000 m auf rund 100 m, um dann noch einmal auf 40 m zu klettern. Diesmal merken wir deutlich, dass es flacher wird. Die Wellen steilen sich auf, werden höher und purzeln immer wieder chaotisch übereinander. Nicht nur einmal schaut eine der Wellen ins Cockpit oder spült über den Decksalon. Doch da müssen wir durch, es ist ja auch nicht mehr weit bis zum Kap und danach kommen wir auch schon bald in die Abdeckung von Fuerteventura.
Hinter Punta de Jandia und auf Höhe der ersten Berge mischen sich dann auch schon wieder die ersten Fallböen unter den normalen Wind. Das gleichmäßige Segeln ist vorbei, ein Dreher nach dem nächsten macht uns das Leben schwer. Da für die nächsten Tage stärkerer Wind vorhergesagt ist, wollen wir in jedem Fall vor Anker gehen. So ein Theater wie beim letzten Mal brauchen wir an den Schwimmstegen der Marina Morro Jable nicht noch einmal. Kurz vor Morro Jable liegt ein Sonntagsausflügler vor der Küste vor etwas, das wie Strand aussieht. Das Ankern an der Südküste Fuerteventuras ist ja durchaus etwas vertrackt, man muss ein Plätzchen erwischen, wo es wenigstens etwas Sand und nicht nur Geröll gibt. In der Abdeckung der Berge scheint es heute ruhig zu sein, es weht sogar leicht auflandig. Da ignorieren wir einfach mal, das der vermeintliche Strand nur wenige hundert Meter westlich des Punta del Viento liegt und versuchen unser Glück. Aber kaum ist der Anker unten, hören wir auch schon das Schaben der Kette auf den Steinen. Der Anker sitzt zwar gut, aber die Kette kratzt mit jeder Bewegung über die Steine. Und bevor wir den Gedanken, dass das für eine ruhige Nacht doch nicht ganz so optmimal ist, auch nur zu Ende gedacht haben, beginnt der Punta del Viento uns zu zeigen, warum er so heißt.
Plötzlich reißen fiese Fallböen an uns herum. Viel zu besprechen gibt es da nicht, ohne ein Wort sind wir uns sofort einig, dass wir lieber abhauen. Vor Morro Jable donnern zwar auch Fallböen von den Bergen herab und jagen über das Wasser, aber dort ist der Ankergrund sandig und damit herrscht Ruhe an der Kette.
Als wir Anker auf gehen, fliegt allerdings wieder die Sicherung raus, obwohl Astrid etwas Vorwärts zur Entlastung gibt. Vielleicht sollten wir mit den Wartungsintervallen der Ankerwinsch, die eigentlich alle 3 Monate empfohlen werden, nach sieben Jahren ohne jede Wartung doch mal beginnen. Alle 3 Monate ist natürlich Quatsch, denn wenn man die Empfehlungen zu allen Wartungsintervallen auf einem Schiff immer einhalten würde, dann käme man vor lauter Wartung überhaupt nicht mehr zum Segeln. Besonders extrem ist da Volvo Penta, die empfehlen, dass man alle 50 Motorstunden einen Ölwechsel machen soll. Das würde bedeuten, dass all die motorenden Segler schon auf halber Strecke zwischen Portugal und Madeira einen Ölwechsel machen müssten. Das sind echt richtig praxistaugliche Empfehlungen von den ganz großen Experten. Doch nun nehmen wir uns vor, gleich vor Morro Jable unsere Ankerwinde mal neu zu fetten und auch ihr Getriebeöl mal zu prüfen.
Nach rund 9 1/2 Stunden und 58 sm fällt unser Anker direkt vor dem Strand von Morro Jable ein zweites Mal an diesem Tag. Der Schnitt kann sich wirklich wieder sehen lassen, inkl. der Ankermanöver liegt er immer noch bei 6,1 kn.
Stationen:
30.04. Las Palmas [A], Gran Canaria
28° 07′ 52,6″ N, 015° 25′ 29,5″ W
01.05. Morro Jable [A], Fuerteventura
28° 02′ 47,9″ N, 014° 21′ 06,9″ W