Isla La Graciosa, Kanaren -> Porto Santo, Madeira


Als wir uns am Sonntag in der Bucht vor dem Playa Francesa umsehen, müssen wir schmunzeln. Was für ein Gegensatz zu Rubicon im Süden von Lanzarote! Um uns herum liegen 10 alte Schrabbelschiffe, alle sehr betagt, aber ganz offensichtlich hochseeerfahren. Ein echtes Rentnertreffer der Cruising-Boote.

„Das Rentnertreffen der Cruiser!“

„Das Rentnertreffen der Cruiser!“

Von unter 30 bis Mitte 40 Fuß ist alles dabei. Auch eine alte Lagoon und ein Katamaranveteran der ersten Stunde. Nur zwei fallen als Milleniums mit ihrem Geburtstag etwas aus dem Rahmen, alle anderen tragen stolz die 19 vor ihrem Geburtsjahr her. Drei Briten und drei Franzosen, ein Ire, ein Niederländer, ein Pole, ein Amerikaner und wir als Deutsche. Vollkommen aus dem Rahmen fällt nur ein nagelneuer 54er Privelege Catamaran, der wohl deutlich mehr gekostet hat als alle anderen hier zusammen 😂.

„Der Playa Francesa der Isla La Graciosa“

„Der Playa Francesa der Isla La Graciosa“

Als ob dem deutschen Eigner dies nun unangenehm ist, rattert auch schon bald seine Ankerkette. Seinen Platz nimmt sich dann abends ein Schwede mit einem klitzekleinen, uralten Boot, wahrscheinlich einer Neptun 27 aus den 70ern. Das Rentnertreffen ist perfekt 👨‍🦯.


Die Bucht des Playa Francesa ist wie immer ein Traum. Das türkise Wasser ist so klar, dass man in acht Metern Tiefe die Wellenmuster im Sand sehen kann. Es hat 21°, das brüllt förmlich nach einem Schwimmerchen. Mittags kommen wie immer die Ausflugskatamare, aber schon um 15:00 brechen sie nach der Badepause für ihre Gäste auch schon wieder auf.

„Noch ein kleiner Landausflug“

„Noch ein kleiner Landausflug“

„Diese Strandburg haben wir nur »besetzt«, aber nicht gebaut 😂“

„Diese Strandburg haben wir nur »besetzt«, aber nicht gebaut 😂“

„Im Hintergrund Lanzarote“

„Im Hintergrund Lanzarote“

„Ein klarer Fall von Dinghy-Drift-Party zum Wochenende.“

„Ein klarer Fall von Dinghy-Drift-Party zum Wochenende.“

Vor uns liegen die bunten Vulkankegel der Isla La Graciosa und hinter uns ragt die schroffe Steilküste Lanzarotes empor, um nach Süden langsam in die sanften Täler und runden Vulkankegel überzugehen, die der Vulkanismus und die Lavaströme dort hinterlassen haben. Alles ist in einem melierten Rotbraun gehalten, das manchmal von curry-gelben oder weinroten Bereichen unterbrochen wird. Ein so schwarzes Schwarzschwarz, wie es der Lavastrom auf La Palma hatte, sucht man hier vergebens. Nach Süden lässt der Dunst die Farben und Konturen verblassen, bis ganz hinten die Vulkanlandschaft schemenhaft verschwindet und mit dem Horizont verschmilzt.

„Die Steilküste im Norden von Lanzarote.“

„Die Steilküste im Norden von Lanzarote.“

Als letztes Highlight des Tages lässt die untergehende Sonne kurz noch einmal das Farbenspiel aufleuchten, bevor es Nacht wird und der Vollmond üppig und pausbäckig über der Steilküste aufgeht.

„Es ist voll Mond 🌝 “

„Es ist voll Mond 🌝 “

Den Vollmond haben wir uns für unsere Überfahrt gewünscht. Kaum etwas ist schöner und auch entspannender, als wenn man nachts auf See von einem Vollmond begleitet wird. Doch wir sind alles andere als sicher, ob unsere Überfahrt nach Madeira in den nächsten Tagen klappt. Die Windrichtung ist nicht gerade ideal, auch wenn der Rest eigentlich gar nicht so schlecht aussieht.


Etwas Planung
Es ist wirklich schwierig, ein wenigstens halbwegs passendes Wetterfenster zu finden, um unseren ersten Schlag in Richtung der Azoren anzugehen. Wir wollen die Azoren in zwei Etappen erreichen. Die erste bis Porto Santo und mit der zweiten dann nach Santa Maria, der südlichsten Azoreninsel. Eigentlich wollten wir ja schon Anfang Mai rüber, aber es hat dann doch etwas gedauert, um von La Palma wieder bis zur Isla La Graciosa zurückzukommen. Und nun bräuchten wir eigentlich für zwei bis drei Tage einen hübschen Nordost, aber zurzeit mischt sich leider etwas zu viel West unter den Nord. Und da Porto Santo nordwestlich von Lanzarote liegt, ist das nicht die optimalste Windrichtung, um dorthin zu kommen.

Und obwohl wir ja nun eigentlich unendlich viel Zeit haben, nagt doch schon wieder ein Zeitplan an uns herum. Das scheint wohl ein doch eher unvermeidliches Schicksal zu sein, egal wo man ist und was man tut. Mitte August wollen wir ja ab Lissabon für einige Wochen auf Heimaturlaub nach Hause fliegen. So bleiben uns schon jetzt für die Azoren nur noch 3 Monate und das inklusive An- und Abreise, wobei wir aktuell noch nicht einmal wissen, wann es überhaupt losgehen könnte.

Dennoch wollen wir nicht auf Gedeih und Verderb rüberknüppeln. Einige nutzen die Schwachwindphasen, um einfach gegenan zu motoren. Wir sind aber aufgebrochen, um unsere Ziel unter Segeln zu erreichen, und dieser Idee wollen wir eigentlich auch treu bleiben. Deswegen warten wir. Wir warten aber auch, weil wir wissen, in welche Richtung der Strom zwischen Madeira und den Kanaren setzt. Ein Aufkreuzen gegen den Strom können wir schlicht vergessen. Trotz der nun anfallenden Extrakosten nutzen wir das Vodafone-Roaming, um Wetter abzurufen. Ohne aktuelle Wettervorhersagen geht so eine Planung gar nicht. Und da langes Warten am Ende immer in einen Kompromiss mündet, beschließen wir, am Dienstag früh aufzubrechen. Mit etwas Glück soll aus dem Nord am zweiten Tag ein Nordost werden. Dann können wir uns hart am Wind bis Porto Santo durchschlagen. Das Wetterfenster ist klein und in ihm baumeln so einige Wünsche, aber es ist das einzige, das sich kurz öffnet und vielleicht auch Wünsche erfüllt.


Isla La Graciosa, Kanaren -> Porto Santo, Madeira Distanz: 305,1 sm Gesamtdistanz: 1169,7 sm

„von der Isla La Graciosa -> nach Porto Santo (die lila Nadeln sind die Tage bzw. jeweils 24h)“

„von der Isla La Graciosa -> nach Porto Santo (die lila Nadeln sind die Tage bzw. jeweils 24h)“

Tag 1
Der Wecker hat keine Chance, wir sind vor ihm wach. Die letzten beiden größeren Überfahrten waren ja recht heftig und auch die Nachtfahrt von La Palma nach Teneriffa war schon eine besondere Nummer. Wahrscheinlich sind wir deswegen doch etwas angespannt. So richtig ruhig und gemütlich war es bisher noch nie, diesmal sollen die Bedingungen aber moderat sein. Aber selbst wenn es moderat ist, die Windrichtung ist nicht gerade optimal und der Gegenstrom, der uns erwartet, wird es uns nicht einfach machen.

„Der Morgen, es geht los.“

„Der Morgen, es geht los.“

Gestern Abend haben wir noch alles vorbereitet, nun wir müssen nur noch unseren Gutenmorgenkaffee schlürfen, Tee kochen und den Anker aufholen. Frühstück gibt’s dann draußen. Viel Wind soll ja nicht sein, da wird diesmal das Müsli auch in der Schüssel bleiben 😋. Zudem wird die Überfahrt dauern und da müssen wir nicht auch noch Zeit mit einem Frühstück vor Anker vertrödeln.

„Anker auf und zack!“

„Anker auf und zack!“


„Ein letzter Blick auf den Montaña Amarilla“

„Ein letzter Blick auf den Montaña Amarilla“

Südlich der Isla La Graciosa gehen wir hart an den Wind. Und »hart am Wind« wird bis zur letzten Seemeile auch das Motto dieser Überfahrt bleiben. Porto Santo können wir natürlich nicht anhalten, aber unser Kurs ist auch nicht furchtbar schlecht. Wir schaffen so um die 310°, was uns direkt nach Neufundland führen würde, aber da wollen wir ja dieses Jahr noch gar nicht hin und außerdem würden auf diesem Weg noch ganz andere Unwägbarkeiten auf uns warten.

„Nun ist Schluss mit den Kanaren, die Gastlandflagge hat es auch etwas zerlegt.“

„Nun ist Schluss mit den Kanaren, die Gastlandflagge hat es auch etwas zerlegt.“

Doch in dem Wetterfensterchen, das wir nun nutzen, hängt ja der güldene Hoffnungsschimmer auf einen Winddreher. So machen wir uns um die fehlenden 20 bis 25° erst einmal keine großen Gedanken. Etwas ärgerlich ist nur der Kanarenstrom, der etwas gegen unseren Kurs hat und penetrant nervt. Er nimmt uns nicht nur rund einen Knoten Fahrt, sondern drückt unseren Kurs noch zusätzlich nach Westen. So kämpfen wir den ganzen Tag um jeden Meter Höhe. Der Autopilot steuert ständig einen Kurs von 39° am Wind, was nicht gerade ein komfortabler Blauwasserkurs ist.

„Kurs halten ist Pflicht, die Capitana geht hart ran!“

„Kurs halten ist Pflicht, die Capitana geht hart ran!“

Abends brist es etwas auf. Die 5 kn Fahrt nehmen wir gerne, aber leider stimmt die Richtung nun noch weniger als vorher. Wir können teilweise nur noch knapp 300° halten. Zudem passen die Wellen nicht mehr zu dem Wind. Das Wellenbild ist chaotisch, alle Wellen laufen irgendwie kopflos hin und her. Die Wellen des Tiefausläufers, der nördlich durchgezogen ist, mischen den normalen Atlantikschwell und die Windwellen ordentlich auf. Es herrscht ein ziemliches Durcheinander, was unsere Fahrt am Wind nicht gerade komfortabler macht.
So klammern wir uns an die Hoffnung, dass dieses Chaos vorübergehend ist und es tatsächlich zu dem Winddreher kommt. Wenn der ausbleibt, wird es eine hässlich zähe Sache, Madeira zu erreichen. In dem Fall werden wir wohl auch eher Calheta im Südwesten von Madeira anlaufen, denn Porto Santo ist dann gar nicht mehr drin.


Viel ist nicht los, und um ehrlich zu sein, eigentlich ist gar nichts los. Wir scheinen die einzigen zu sein, die sich dieses Wetterfenster ausgesucht haben. Im Herbst war hier der Teufel los, allerdings nur in der Gegenrichtung. Die Nordrichtung ist wohl generell etwas unüblicher. Nur ein Frachter kreuzt unseren Weg. Seit wir ihn auf AIS ausgemacht haben, befinden wir uns auf einem perfekten Kollisionskurs. So etwas passiert immer wieder, obwohl man ja eigentlich meinen sollte, dass der Atlantik groß genug ist, damit zwei Schiffe nicht notwendigerweise ineinander fahren. Fünf Seemeilen vor unserem ungleichen Treffen wird uns das zu blöd. Wir rufen den Frachter an und nach dem dritten Anruf meldet er sich auch. Etwas träge sagt er uns, dass er nach Backbord ändert und zusieht, uns »safe zu keepen«. Das ist ja auch schon mal was, hätte er seinen Kurs einfach minimal angepasst, als wir mit unserem AIS-Signal auf seiner Karte auftauchten, hätten wir nie ein Problem bekommen. So muss er nun ganz ordentlich Ruder legen. Manchmal haben wir das Gefühl, dass einige dieses Spielchen extra machen, allerdings sind die allermeisten wirklich sehr zuvorkommend und rücksichtsvoll, solange es sich nicht um Fähren handelt.

„Der erste Abend“

„Der erste Abend“

Nachdem wir die Genua etwas eingerollt haben, reffen wir in der Nacht auch das Groß ein. 15 kn hart am Wind lassen uns ungemütlich auf der Backe liegen. Das Reff gestaltet unsere Fahrt nun zwar etwas aufrechter, aber von gemütlich sind wir doch noch ziemlich weit entfernt. Und unser geplanter Schlafrhythmus klappt in der ersten Nacht nur leidlich. Doch das kennen wir schon, wir müssen uns erst noch etwas einschwingen.

„Sundowner zur ersten Nacht.“

„Sundowner zur ersten Nacht.“

Wenn wir lange keine mehrtägigen Fahrten hatten, ist alles wieder neu und in den ersten Nächten sind wir angespannt, auch wenn die Bedingungen moderat sind. Es ist unheimlich, wenn man nichts sieht und einfach so durch die Dunkelheit fährt. Da hilft es auch wenig, sich zu sagen, dass man die wirklich gefährlichen Dinge auch tagsüber nicht sehen kann. Als gegen 23:00 dann endlich der Mond aufgeht, tut das gut. Er ist zwar schon etwas angeknabbert, aber sein Licht lässt die schwarzen Wellen silbrig schimmern. Was für ein Unterschied, nicht nur für den Kopf!

„Der Vollmond macht den Unterschied.“

„Der Vollmond macht den Unterschied.“

Kurz nach Mitternacht wird’s zäh. Wir reffen aus, aber von einer flotten Fahrt kann keine Rede mehr sein. Dennoch haben wir um 8:00 ein ETMAL von 113 sm zusammengefahren. Das ist nicht schlecht, aber es führt uns viel zu weit nach Westen, das ist schon etwas blöd.


Tag 2

„Der zweite Tag kommt.“

„Der zweite Tag kommt.“

Am frühen Vormittag dreht der Wind weiter auf Nordwest und dann sogar auf Westnordwest. Nun müssen wir langsam aufpassen, dass wir nicht Salvagem umfahren. Eigentlich sollte es ja einem Winddreher in die andere Richtung geben. Aber was soll’s, wenn der Wind schon nicht in die richtige Richtung drehen will, dann wenden wir halt einfach, um uns etwas von der Höhe zurückzuholen, die man uns nach und nach weggeknuspert hat. Das mit der Höhe klappt nach der Wende aber nur leidlich, der wahre Wind liegt zwar bei 10 Knoten, damit könnte es auf einer Kreuz sogar noch was werden, aber der Kanarenstrom quält unsere Geduld fortwährend. Es ist so eine Art »Mensch ärger dich nicht«-Spiel. Wenn’s gerade mal läuft und wir denken: »Ah, jetzt, ja!« dann wirft uns schon wieder eine Welle raus und wir müssen von vorn anfangen.

„Blauwassersegeln!!!“

„Blauwassersegeln!!!“

Im letzten Herbst haben wir in der anderen Richtung rekordverdächtige ETMALe erreicht, damit wird es diesmal ganz sicher nichts werden. Doch dann dreht der Wind von jetzt auf gleich zurück auf Nord. Da lassen wir uns natürlich nicht lange bitten und machen mit einer nächsten Wende einfach mal mit. Hoffentlich geht dieses Tänzchen nicht so weiter. Wir wollen nach Porto Santo und nicht mitten auf dem Atlantik mit dem Wind Tango tanzen.

Doch mal abgesehen von der Richtung, die nach zwei Wenden immer noch genauso schlecht ist wie vorher, seit dem späten Vormittag segeln wir auf einem Atlantik, den wir so noch nicht kennen. Neidisch und ehrlich gesagt auch etwas ungläubig haben wir immer wieder Berichte von Überfahrten gelesen, die so problemlos zu sein schienen wie ein Segelsonntag auf dem Steinhudermeer im Sommer. Und nun dies! Wir segeln zwar nur bedingt in die richtige Richtung, aber es ist ruhig. Die ruppigen Wellen der letzten Nacht haben sich verzogen.

Als ich am frühen Nachmittag von meinem zweiten Nachholschläfchen aufwache, lausche ich unwillkürlich auf die Geräusche um mich herum. Es plätschert sanft am Rumpf entlang, wir liegen nicht auf der Backe und der Bug unserer dicken Erna schlägt nicht auch nur in die kleinste Welle. Unwillkürlich drehe ich mich auf den Rücken, damit auch mein linkes Ohr das hören kann, was mein rechtes hört. Sozusagen Kontrolllauschen, aber es bleibt dabei, die dicke Erna plätschert sanft durch die Wellen. Von dem langgezogenen Atlantikschwell, der uns alle 15 Sekunden hochhebt und wieder sanft herunterlässt, ist gar nichts zu spüren. Was hat Astrid gemacht? In welche Richtung plätschern wir? Durch das Lüftungsgitter der Mittelkoje sehe ich ihre Beine. Astrid scheint entspannt zu lesen, alles sieht nach größter Normalität aus und nicht danach, dass sie irgendwie verzweifelt versucht, einen Kurs zu halten.

„Da kann sich die erfolgreiche Strategin auch mal beruhigt zurücklehnen.“

„Da kann sich die erfolgreiche Strategin auch mal beruhigt zurücklehnen.“

Etwas zögerlich stehe ich auf. Ich will den Gedanken nicht zerstören, dass wir so sanft auch noch in die richtige Richtung fahren. Als ich den Kopf aus der Mittelkoje stecke, ruft die Capitana: »Ich hab’s photographiert! Du glaubst es ja sonst eh nicht! Eben lag Porto Santo noch an, aber jetzt ist es nur etwas schlechter!«

„Endlich mal ruhiges Überfahrtswetter.“

„Endlich mal ruhiges Überfahrtswetter.“

Es ist unglaublich, der Wind hat noch einmal um rund 30° auf NE gedreht. Unser Kurs schwankt nicht mehr um die 310°, sondern liegt nun bei 335° mit einer hübschen, östlichen Tendenz. Und es ist beschaulich wie beim Kaffeesegeln auf der Ostsee an einem frühlingshaften Sonntagnachmittag. Keine Wellen bremsen die dicke Erna, nur der Schwell hebt und senkt uns. Wir sind nicht schnell, aus den 8 Knoten wahren Wind holen wir aber immer noch 4,5 Knoten Fahrt bei 39° am scheinbaren Wind heraus. So läufts, nicht schnell, aber gemütlich und zudem fast in die richtige Richtung. Was haben wir für ein Glück! Da kann es auch mal länger dauern. Das der Atlantik so nett sein kann, hätten wir wirklich nicht für möglich gehalten. Bisher haben wir immer nur Haue bekommen und nun so etwas!

„Die zweite Nacht kommt. Links Westen, rechts Osten.“

„Die zweite Nacht kommt. Links Westen, rechts Osten.“


Die Nacht bringt den letzten Schwung der erhofften Drehung. Der Wind kommt recht konstant mit 7 bis 9 Knoten aus Nordost und manchmal hat er sogar einen Hang in Richtung Ostnordost. Mit uns segelt ein Franzose. Wir haben ihn zum ersten Mal vor Morro Jable getroffen und dann immer wieder auf unserem Weg bis zur Isla La Graciosa gesehen. Er muss irgendwann nach uns aufgebrochen sein. Am Mittag haben wir ihn auf AIS entdeckt, er kam sehr schnell auf, nun fährt er seit mehr als 12 Stunden in einem Abstand von etwa 3 Meilen exakt auf dem Kurs und mit der Geschwindigkeit, die auch wir haben.

„Mondaufgang mit dem Positionslicht des Franzosen.“

„Mondaufgang mit dem Positionslicht des Franzosen.“

Die Nacht geht routiniert vorüber. Unsere Schlafphasen können wir beide auch wirklich mit Schlaf füllen. Derjenige, der Wache hat, lebt im 15 Minuten Rhythmus der Eieruhr. Wir sind beide nicht in der Lage, nachts auch nur annähernd ein richtiges Zeitintervall zwischen Lesen und Dösen und einem Rundblick mit Check von Kurs, Karte und eventuell neu hinzukommenden AIS-Signalen hinzubekommen. Die Nachtwache im Rhythmus der Eieruhr ist ein Segen und bringt eine wunderbare Entspannung in die Nachtwachen, ohne dass man das Gefühl haben muss, nicht gründlich genug Wache gegangen zu sein. Alle 15 Minuten bimmelt es und wir starten die Eieruhr gleich wieder neu. Danach gibt es den Rundblick und den Check der Navigationsanzeigen. Der Check der Navigationsanzeigen geht schnell, aber um nachts im Atlantikschwell auch nur irgendetwas zu erkennen, muss man schon eine gewisse Zeit in die Nacht glotzen, um überhaupt ein Licht dort zu sehen, wo sonst nur dunkle Wellen schwappen.

„Unter solch einem Sternenhimmel fährt man dahin...“

„Unter solch einem Sternenhimmel fährt man dahin…“

Danach ist es wieder gut, und man kann weiter lesen, dösen, in den sagenhaften Sternenhimmel gucken oder einfach seinen Gedanken nachhängen. Anfangs haben wir es ohne Eieruhr probiert, dann springen wir aber mit einem schlechten Navigationsgewissen fast im Minutentakt auf. Und dann hatten wir einen 10 Minuten Rhythmus und haben versucht daran zu denken, die Eieruhr nach dem Rundblick neu zu starten. Das hat aber nur ab und zu geklappt und zwischendurch haben wir immer wieder nachgesehen, ob wir die Eieruhr nun neu gestartet haben oder nicht. Mit den 15 Minuten ist es nun perfekt. Bimmelt sie, schalten wir sie aus und sofort wieder ein, dann checken wir alles und warten auf das nächste Bimmeln.

„Der dritte Tag kommt...“

„Der dritte Tag kommt…“

Der zweite Seetag geht trotz des anfänglichen Eierns und der langsamen Fahrt doch noch mit einem ETMAL von 110 sm zu Ende.


Tag 3

Der Nordost bleibt uns erhalten, er wird allerdings schwächer und stellt unsere Geduld auf eine Zerreißprobe. Über den Garmin rufen wir eine punktuelle Wettervorhersage ab. D.h., wir geben eine Koordinate an und bekommen eine SMS mit einer 3-Tage-Vorhersage für genau diesen Punkt. Sie bestätigt unsere Annahme, dass wir den Nordost nur noch heute haben und es dann zurück auf Nord, wenn nicht sogar Nordwest dreht.

„In Cirren ist gut irren 😳“

„In Cirren ist gut irren 😳“

Als wir die direkte Kurslinie von La Graciosa nach Porto Santo fast erreicht haben, widerstehen wir der Versuchung, Porto Santo direkt anzuhalten. Eigentlich könnten wir etwas abfallen, aber wegen der eher nördlichen Aussichten verkneifen wir uns die Kurskorrektur. Wenn es so kommt wie angekündigt, können wir etwas Höhe immer gut gebrauchen. Außerdem wollen wir angesichts des wenigen Windes und seiner Richtung nicht die Nerven verlieren und einfach den Rest motoren. Das wäre zwar kurz vor dem Ziel – Na ja. Was heißt hier kurz? Es sind immer noch rund 70 sm. – problemlos möglich, aber warum sollten wir das hier tun? Irgendwo weiter draußen könnten wir das auch nicht machen, weil wir gar nicht genug Diesel an Bord haben. So lassen wir es nun auch sein, denn schließlich haben wir ja ein Segelschiff und sind schlussendlich ja auch zum Segeln und nicht zum Motorbootfahren aufgebrochen. Zudem würde es sich auch irgendwie falsch anfühlen, wenn wir nun motoren, denn wie lange haben wir uns schon eine ruhige Überfahrt gewünscht und stattdessen immer nur Hackekacke bekommen. So darf es nun auch mal länger dauern. Immerhin fahren wir ja noch rund 2 Knoten und stehen nicht hilflos in einer spiegelglatten See herum.

„Wenn's mal länger dauert!“

„Wenn's mal länger dauert!“

Eine Geduldsprobe ist es aber trotzdem! Immer wieder dreht der Wind, sofern man bei fünf Knoten überhaupt noch von Wind reden kann.

„Die Wolken links sehen nicht nach einem Ostwind aus, denn sie kommen von Westen.“

„Die Wolken links sehen nicht nach einem Ostwind aus, denn sie kommen von Westen.“

Statt einen Nordost bekommen wir dann einen Nordwest. Zweifel an dem vorhergesagten Nordost hatten wir eh schon, denn die Wolken sehen so gar nicht nach der Vorhersage aus. Mal sehen, ob wir mit dem, was wir nun bekommen, überhaupt noch einen sinnvollen Kurs hinbekommen. Wenn der Wind wenigstens in Stärke und Richtung etwas konstanter wäre, dann würde unsere dicke Erna auch freudiger in eine definierte Richtung fahren. Das wäre schon schön und was für ein Traum wäre es, wenn dann auch noch der Kurs zu dem Ziel passen würde?

„Oben die Ilhas Desertas, Madeira ist fast erreicht!“

„Oben die Ilhas Desertas, Madeira ist fast erreicht!“


Abends zieht am Horizont eine bitter schwarze Wolkenwand auf. Die sieht schon recht bedrohlich aus. Es ist zwar keine Böenwalze oder ein Gewitteramboss auszumachen, aber die schwarze Wand sieht nicht so aus, als ob mit ihr zu spaßen wäre.

„Das sieht feucht und ungemütlich aus, ...“

„Das sieht feucht und ungemütlich aus, …“

Schnell machen wir alles sturmklar und ziehen uns die richtigen Segelsachen an. Wenn diese rabenschwarze Wolkenwand wirklich ihren Spaß mit uns haben will, dann müssen wir draußen sein und können uns schlecht im Decksalon verkriechen. Da es im Osten etwas heller als im Westen aussieht, gehen wir maximal hoch an den Wind. Vor uns sehen wir den Regen prasseln, aber die Regenfahnen sehen nicht danach aus, als ob sie von einen starken Wind davon gerissen werden. Der Regen fällt erstaunlich senkrecht. Und wir kommen tatsächlich glimpflich davon. Der Wind bleibt so schwächlich, wie er schon den ganzen Tag war, und mit unserem Kurs vermeiden wir sogar die ganz große Dusche.

„... doch die Masse geht an uns vorbei.“

„… doch die Masse geht an uns vorbei.“

Doch unsere Hoffnung, Porto Santo wenigstens noch bis Mitternacht zu erreichen, müssen wir begraben. Der wenige Wind und der Strom bescheren uns eine dritte Nacht. Etwas unerwartet können wir am Ende aber noch so viel Höhe herausknautschen, dass wir direkt bis vor Porto Santo segeln können.

„Anfahrt auf Vila Baleira auf Porto Santo und auf den Anchorage.“

„Anfahrt auf Vila Baleira auf Porto Santo und auf den Anchorage.“

Um 7:00 und nach 305 Seemeilen fällt dann unser Anker genau auf derselben Stelle, wo er sich im letzten Jahr schon einmal in den Sand eingegraben hat.

„Endlich wieder hier...“

„Endlich wieder hier…“


Auf der Hinfahrt von Madeira nach Lanzarote im letzten Jahr haben wir knapp zwei Tage gebraucht, wobei wir fast 5 Stunden mit »angezogener Handbremse« gesegelt sind, weil wir nicht im Dunkeln die Isla La Graciosa erreichen wollten. Zurück haben wir nun einen ganzen Tag mehr gebraucht und waren 73 Stunden unterwegs. Das Wetter war absolut ok, auch wenn der Wind durchaus etwas stärker hätte sein können. Doch das eigentliche Problem waren die Windrichtung und der Strom gegenan. Nicht das wir nicht wussten, dass es kein raumer Kurs wird, doch wenn man 3 Tage um jeden noch so kleinen Meter Höhe kämpfen muss und rein gar nichts einfach mal so läuft, dann ist das anstrengend. Fast die gesamte Zeit stand die Windsteuerung auf 39°. Zwischendurch, wenn es wegen der Winddreher und der Wellen- und Stromkombination mal gar nicht lief, haben wir versucht, mit dem Autopiloten einen Kurs zu finden, mit dem wir uns noch irgendwie so durchmogeln konnten. Bis auf den einen kleinen Kreuzschlag hat der Wind mit seinen Drehern jede Kurve und jede Beule in unserer Kurslinie gefahren. Doch wenn man sich unsere Kurslinie so ansieht, dann sieht sie tatsächlich noch recht gradlinig aus. Aber die Länge unseres Tracks von 305 sm verdeckt diskret all die kleinen Kämpfe zwischen uns und den Winddrehern. Bei 2,5 bis 3,5 Knoten Fahrt wird nämlich aus so einem klitzekleinen Kreuzschlag von 13 sm ein Gezatter von 4 bis 5 Stunden.

„Vila Baleira in der Morgensonne“

„Vila Baleira in der Morgensonne“

Aber wir wollten ja mal eine ruhige Überfahrt und die haben wir bekommen. Nun müssen wir nur noch an dem Windwinkel arbeiten, denn »hart am Wind« fahrtensegelt es sich nicht wirklich entspannt. Doch viel Hoffnung haben wir nicht, dass sich daran grundsätzlich etwas ändert, denn bis jetzt lagen wohl 2/3 unserer Kurse immer deutlich unter 90° am Wind. Wenn wir das ändern wollen, müssten wir wohl anders unterwegs sein und uns auch andere Ziele und Routen aussuchen.

33° 03′ 38,4″ N, 016° 19′ 06,4″ W