Porto Santo, Madeira -> Santa Maria, Azoren


Porto Santo, Madeira -> Santa Maria, Azoren Start: 22.05. 8:30 Ende: 26.05. 5:10 Distanz: 500,2 sm Gesamtdistanz: 1.669,9 sm

Tag 1

Ich erinnere mich noch gut an eine Diskussion mit Segelfreunden darüber, ob es nicht im Süden doch einfach zu heiß ist. Wir alle waren bisher nur im Norden gesegelt und hatten keine Ahnung. »Süden« war für uns gleichbedeutend mit »viel Sonne« und »heiß«. Seit 2019 suchen wir nun schon dieses T-Shirt-Segelwetter, doch nun sitzen wir auf unserem Schlag von Madeira zu den Azoren schon wieder in voller Nordsee-Segelmontur im Cockpit. Es ist kalt und der Wind macht es klapperkalt, während die Sonne sich wieder einmal nicht blicken lässt, um die Gänsehaut zu glätten und die Knochen zu wärmen. Unser Badeentchen an der Steuersäule zeigt gerade mal 17° Grad, während der südliche Himmel sich in ein umlaufendes Graugrau hüllt, das eine bemerkenswerte Homogenität ausstrahlt. Schöner kann der erste Segeltag in einer blutjungen Segelsaison auf der Ostsee auch nicht sein. Ganz ohne Frage hatten wir »im Süden« auch schon den ein oder anderen Segeltag in T-Shirt und kurzer Hose. Doch so unglaublich es klingt, das waren Ausnahmen. Auf dem Wasser und vor allem im Wind ist von all der hübschen, südlichen Wärme nur selten etwas zu spüren. In den Überfahrtsnächten sind wir heilfroh, einen Decksalon zu haben, in dem wir uns verkriechen können.

„Segeln im Süden! 🤭“

„Segeln im Süden! 🤭“

An Land und vor Anker ist es dagegen tatsächlich oft warm und nett. Sonst wären die Kanaren und Madeira wohl auch kaum ein Urlaubsziel für Sommerurlauber. Auf dem Wasser fühlt man von dieser Wärme allerdings nur etwas, wenn sich die Sonne mal wolkenlos blicken lässt. Echtes T-Shirt-Segelwetter ist selten und wenn, dann kurz. Sweatshirt und lange Jeans sind tagsüber der Standard und eine Nachtfahrt ohne die warm wattierten Snowboard-Hosen und der vollen Segelmontur oben mit Fleece und Sweatshirt geht gar nicht. Hätte uns das jemand vorher erzählt, hätten wir ihn ohne jedes Zögern für bekloppt erklärt.

Erstaunlich oft segeln wir unter einer geschlossenen Wolkendecke. Auch das hatten wir uns irgendwie ganz anders vorgestellt. Die Gefahr, unter Segeln einen Sonnenbrand zu bekommen, ist nicht so hoch wie sich einen Gefrierbrand einzuhandeln 😳! Inzwischen machen wir auch nicht mehr den Fehler, mit Bimini zu segeln. Den Blödsinn haben wir nur einmal gemacht und es bitter bereut, auch noch die Sonnen auszusperren, in der man sich tagsüber wieder etwas aufwärmen kann. Wahrscheinlich müssen wir wirklich über die Kap Verden in Richtung Karibik segeln, um dem Gerücht der »Barfussroute« auf die Schliche zu kommen. Doch all das hat ja auch sein Gutes, denn unser Plan, an der Ostküste bis Neufundland hochzusegeln, steht ja noch. Da ist es sicher gar nicht schlecht, wenn wir uns nicht zu sehr an die Wärme gewöhnen.


„Los geht's. Die lila Nadeln markieren die Tage.“

„Los geht's. Die lila Nadeln markieren die Tage.“

Morgens brechen insgesamt vier Segler in Richtung der Azoren auf. Es beruhigt ja doch schon etwas, wenn auch andere der Meinung sind, dass es sich um ein passendes Wetterfenster handelt. Hinter der westlichen Ecke von Porto Santo kommt Fahrt in die Schiffe. Ein Franzose mit einer alten Super Marabu zieht gnadenlos davon. Unsere dicke Erna ist etwas schneller als die deutsche Sancara, eine 12 m Alu Reinke. Etwas hintendran folgt Momo, ein Schwede, der über AIS verrät, dass sein Schiff 10 x 3 m hat.

„Unser Start ist grau in grau.“

„Unser Start ist grau in grau.“

Der Wind ist schwierig und schwankt in Stärke und Richtung erheblich. Zwischen 7 und 18 kn ist alles drin, wobei es meist so um die 10 bis 13 kn weht. Immer wieder gibt es Dreher um bis zu 40°, die unvorhersehbar entweder mit einer Stärke- oder Schwächephase des Windes einhergehen. Wir versuchen, einen Mittelweg zu finden, der passt aber meist nicht mehr für die Extreme. In der Nacht werden die Wellen ruppig und etwas chaotisch und schubsen die PINCOYA hässlich hin und her. Wenn man sitzt und sich irgendwie verkeilt hat, ist das ok, aber das Holen einer Tasse Tee wird jedesmal zu einem zirkusreifen Eiertanz.

„Porto Santo von Westen und ganz ohne Sonne.“

„Porto Santo von Westen und ganz ohne Sonne.“

„Madeira geht....“

„Madeira geht….“

Die kleine Momo lässt es brennen. Anders kann man es wirklich nicht sagen. Auch wir lassen es auf laufen, aber der Schwede bleibt dran. Die Sancara verschwindet schon abends aus unserem AIS, aber mit Momo liefern wir uns ein flottes Rennen. Als es in der Nacht auffrischt und nach der üblichen Zeit des Aufwallens das Abflauen ausbleibt, reffen wir ein. Der Wind kommt nun zwar mit rund 70° etwas raumer rein, aber es ist schon etwas unheimlich, mit mehr als 7 Knoten durch eine mondlose Nacht zu hämmern. Zeitgleich scheint auch Momo einzureffen, unser Abstand von rund 6 Meilen vergrößert sich nur in homöopathischen Dosen.

„Die Capitana filmt, es wird ein Überfahrtsvideo geben!“

„Die Capitana filmt, es wird ein Überfahrtsvideo geben!“

„Dann doch etwas Sonne zum Wärmen.“

„Dann doch etwas Sonne zum Wärmen.“

Stunde um Stunde donnern wir einem wahrscheinlich noch recht guten ETMAL entgegen, und das, obwohl die ersten Stunden ja doch eher schwach waren. Das Vorkochen einer warmen Mahlzeit ist ein Segen, denn sonst wäre unsere Küche heute wegen erwiesener Ruppigkeit sicher kalt geblieben. Aber so gibt es abends für jeden eine große Portion heißes Chilli con Carne. Das tut gut, denn es ist kalt und in der Nacht wird es nicht wärmer werden. Unser Schlafrhythmus von drei Stunden gelingt inzwischen richtig gut. So langsam schwingen wir uns ein. Die nur kurze Pause in Porto Santo hat uns nicht wieder aus dieser Routine fallen lassen.

„Die erste Nacht kommt.“

„Die erste Nacht kommt.“

Die erste Nacht verdrückt sich dann eher klammheimlich und der Sonnenaufgang findet verschämt im Verborgenen, hinter einer geschlossenen Wolkendecke statt. Zu den 15° gesellt sich ein leichter Regen. Wir fühlen uns irgendwie heimisch. Nun fehlt nur noch Lyngby Radio mit einem Pan Pan der Navigational Warnings, denn ein echter Schwede ist uns ja ohnehin schon auf den Fersen. Da passt alles zusammen.

„Morgen? Kann das ein Morgen sein???“

„Morgen? Kann das ein Morgen sein???“

Um 8:30 loggen wir unser erstes Etmal mit 129 Seemeilen. So liegen nun nur noch 369 sm bis Santa Maria vor uns.


Tag 2

„Ungemütlich und kalt!“

„Ungemütlich und kalt!“

Es dauert etwas, bis die Sonne sich zwischen den Wolken mal herauswagt. Das ist am Ende ja auch verständlich, uns wäre so ein Scheißwetter auch peinlich. Die schwarze Regenwand zieht knapp hinter uns durch.

„Verspäteter Sonnenaufgang am zweiten Tag.“

„Verspäteter Sonnenaufgang am zweiten Tag.“

Wir bekommen nur wenig ab, die beiden hinter uns erwischt es richtig. Nach einer kleinen Schwächephase wird der Wind etwas gleichmäßiger und pendelt sich bei 13 kn ein. Der Windwinkel bleibt jedoch bei etwa 60° und unsere Theorie, dass man 3/4 seiner Gesamtsegelmeilen deutlich unter 90° zum Wind zurücklegt, findet schon wieder reichlich Nahrung. Nicht nur einmal haben wir in den letzten Monaten an unseren Fehler gedacht, auf einen Katamaran wechseln zu wollen. Das hätte unserer Segelquote nicht gut getan, dafür hätten wir aber für viel Freude an den Tankstellen der Marinas gesorgt.

„Ein Opfer der Nacht.“

„Ein Opfer der Nacht.“


Mittags prustet es neben uns. Dieses Jahr haben wir erst wenige Delphine gesehen und nun sind es gleich 50 oder sogar noch mehr. Es ist wieder die kleine Sorte. In einem unglaublichen Tempo sausen sie Haken schlagend für eine halbe Stunde um uns herum.

„Delphine begleiten uns.“

„Delphine begleiten uns.“

Immer neue kommen heran und die, die keine Lust mehr auf dieses ungleiche Rennen in den Wellen haben, verschwinden nach Backbord. Ganz offensichtlich spielen sie aber nicht nur, sondern jagen auch. Wir scheinen auf dieser Jagd nur eine willkommene Abwechslung zu sein. Dann geht es weiter.

„Wenn sie jagen, kommen sie nur ganz kurz zum Luftholen an die Wasseroberfläche.“

„Wenn sie jagen, kommen sie nur ganz kurz zum Luftholen an die Wasseroberfläche.“

Über dem Wasser und den Delphinen sausen auch wieder Gelbschnabelsturmtaucher dahin und schnappen sich ihre Beute aus dem Schwarm der kleinen Fischchen oder Kalamare, die die Delphine aufgescheucht haben. Delphine und Gelbschnabelsturmtaucher sind ein perfektes Team zu Wasser und in der Luft. Das Tempo und die Wendigkeit beider sind atemberaubend. Es ist wirklich schwer, wenigstens einige Photos hinzubekommen. Filmen ist da schon erfolgversprechender und da kann man hinterher auch die »Nur-Wasser-Sequenzen« einfach rausschneiden. Beim Photographieren bleibt einem nur das Glück oder eine tolle Aufnahme vom Wasser.

„Es ist schwierig, ein Photo hinzubekommen, aber machmal hat man auch Glück.“

„Es ist schwierig, ein Photo hinzubekommen, aber machmal hat man auch Glück.“

Die PINCOYA rennt. Lange liegen wir konstant über 6 Knoten mit einem Hang zur 7. Am frühen Nachmittag drehen wir die Genua etwas ein, der Wind kommt nun wieder etwas vorlicher rein und wir liegen für unseren Geschmack zu sehr auf der Backe. Momo kennt da offensichtlich keine Gnade und lässt es laufen. Er bleibt uns nicht nur auf den Fersen, sondern holt sogar etwas auf. Wir sind gespannt, was für ein Schiff Momo ist. Segeln tut’s auf jeden Fall wie die wilde Hilde und der Schwede kennt da wohl auch kein Pardon.


Abwechselnd schlafen wir vor bzw. nach. Und nachmittags wärmen wir unsere Knochen etwas auf Vorrat in der Sonne. Der Wind bleibt kalt, doch der Tag vergeht fast gemütlich im Rauschen der Wellen. Wir lesen, träumen, dösen, essen, schlafen und wärmen uns auf, um kurz darauf mit denselben wichtigen Dingen in einer neuen Reihenfolge von vorn zu beginnen. In den ruhigeren Phasen kann ich sogar etwas Blog schreiben. Auch wenn sich das nun einigermaßen entspannt anhört, es ist anstrengend, einen möglichst normalen Bordalltag zu leben. Wenn man ständig hin und her geschubst wird und sich immer wie ein Äffchen durch das Schiff hangeln muss, geht nichts einfach mal so. Und bei einem Kurs zwischen 50 und 65° am Wind muss man in den ruppigen Wellen auch gar nicht erst an eine entspannte Geradeausfahrt denken. Besonders wenn es auffrischt und die Wellen noch etwas mehr Spaß haben wollen, ist es besser, man bleibt einfach dort sitzen, wo man gerade ist. Aber wir werden insgesamt besser, etwas Routine keimt auf.

„Der Nachmittag läutet schon mal die Nacht ein.“

„Der Nachmittag läutet schon mal die Nacht ein.“

Zum späten Nachmittag taucht dann wieder so eine tiefschwarze Wolkenwand vor uns auf. Wir hatten gehofft, auf das Azorenhoch zuzufahren, aber nicht, uns von einer Wolkenwand in die nächste zu hangeln. Diese Wolkenwand scheint lückenlos zu sein, ein trockenes Durchkommen ist wohl kaum möglich. Sie sieht bedrohlich aus und wir hoffen, dass wir so glimpflich davonkommen, wie vor einigen Tagen kurz vor Porto Santo. Da es in Luv etwas grauer und nicht ganz so schwarz aussieht, luven wir etwas an.

„Kein trockener Durchgang.“

„Kein trockener Durchgang.“

Vielleicht hat das am Ende ja tatsächlich geholfen, wir bekommen nur eine kurze Dusche ab. Irgendwann am Nachmittag verschwindet dann auch Momo mitsamt ihrem AIS Signal im Regen schräg hinter uns. Zuletzt hatten wir mehr als 11 sm Abstand. Nun ist es auf der Seekarte um uns herum leer. Schade, irgendwie ist es doch hübsch, wenn man einen Mitstreiter hat.


Die Nacht kommt beruhigt und gleichmäßig daher. Teilweise reißt die Wolkendecke auf und wir segeln direkt unter der Milchstraße entlang. Solche Momente sind magisch. Sie relativieren Meinungen, drehen an Blickwinkeln herum und lassen andere zu. Doch es sind keine Nächte der Einsamkeit. Wir fühlen uns auf See nicht einsam, nur weil kein anderer um uns herum ist. In so einer Nussschale mutterseelenallein auf dem Atlantik zu segeln, ist ein erhabenes Gefühl, dass dafür sorgt, sich gerade nicht erhaben zu fühlen. Es ist ein großes Glück, aber auch ein Abenteuer, das so machen zu können. Und auch wenn langsam etwas mehr Überfahrtsroutine bei uns Einzug hält, etwas Besonderes wird es immer bleiben.

Das Funkgerät reißt mich aus meinen Gedanken. Unwillkürlich fühlt man sich ertappt, wenn draußen eigentlich nichts ist, aber trotzdem einer in der Funke quatscht. Also suche ich schnell noch mal die Seekarte nach irgendwelchen AIS-Signalen ab und glotze mir die Augen nach irgendwelchen Lichter in der Nacht aus dem Kopf. Aber nichts…

Erst 20 Minuten später sehe ich, wie ab und zu Positionslichter am Horizont auftauchen und immer wieder in den Wellen verschwinden. Dazu passen nun auch zwei neue AIS-Signale auf der Seekarte. Es ist schon witzig, da treffen sich drei Schiffe mitten auf dem Atlantik zwischen Madeira und den Azoren und zwei davon sind auf einem perfekten Kollisionskurs. Da sich der Schiffsjunge die Funkerei ersparen will, nehme ich die Genua weg. Das macht aus der Punktlandung einen CPA (closest point of approach) von rund 2 sm.

Um 3:55 ist dann Halbzeit. 249 sm liegen hinter uns und nur noch lächerliche 249 sm vor uns. Für ein 140er ETMAL am zweiten Tag liegen wir gut in der Zeit und so rauschen wir weiter im 15-Minutentakt der Eieruhr durch die Nacht.

Um 8:30 loggen wir für den zweiten Seetag 143 sm als ETMAL ein. Einfach war das nicht, dafür waren der Wind und die Wellen etwas zu unstet und haben uns zu zu vielen Segelmanövern gezwungen.

„Der rosige Morgen des dritten Tages.“

„Der rosige Morgen des dritten Tages.“


Tag 3

„Tag drei beginnt.“

„Tag drei beginnt.“

Der Morgen beginnt beginnt ruhig, aber es dauert nicht lange, bis es wieder ziemlich ruppig wird. Fiese Wellen werfen uns hin und her und der Wind frisch deutlich auf. Mit 18 Knoten true Wind will die PINCOYA dahinfliegen, kracht aber immer wieder brutal in die Wellen. Bis eben habe ich noch vorn geschlafen, nun lausche ich und bin etwas erschrocken, was die PINCOYA so alles aushalten muss. Wenn man im Cockpit sitzt, hört sich so ein Einschlag gar nicht so schlimm an, liegt man aber vorn, hat man das Gefühl, dass einige dieser Einschläge gleich durch die Bordwand kommen. Dabei – man merkt es zwar nicht gleich – , nähern wir uns wohl doch dem Azorenhoch. Der Luftdruck steigt beruhigend an und vor uns ist tatsächlich blauer Himmel zu sehen.

„Kurs Azorenhoch!!!“

„Kurs Azorenhoch!!!“

Etwas später dreht der Wind von jetzt auf gleich komplett auf Ost und beginnt zu schwächeln. Was eben noch für eine flotte Fahrt gesorgt hat, reicht nun auf dem raumen Kurs nur noch für ein bescheidenes Vorankommen. Doch es ist nur eine kurze Affäre, die der Wind da im Osten hat, und schon nach zwei Stunden kehrt er etwas reumütig in seine stabile Nordost-Beziehung zurück. Und das tut ihm offensichtlich auch ganz gut, denn kurz darauf lebt er wieder richtig auf. Gegen 14:00 reffen wir wieder einmal ein, denn plötzlich bläst es mit 18 bis 20 kn. Die PINCOYA rauscht mit mehr als 7 kn durch die steilen Windwellen. Wenn das so weitergeht, könnten wir es morgen noch im Hellen bis Santa Maria schaffen, aber mal sehen. Der Wind ist ja ein Luftikus.

Doch schon abends wird es wieder gemütlich. Der Wind pendelt sich bei 12 Knoten ein, die Wellen nehmen ab und auch der Winkel zu den Wellen wird angenehmer. So könnte es eigentlich die ganze Nacht bleiben, dann werden wir es morgen zwar nicht mehr im Hellen schaffen, aber wir hätten eine ruhige Nacht. Nun stellt sich nur noch die Frage, wer von uns mit der Wache um 20:00 beginnt. Und das ist ein klarer Fall für Sching Schang Schong, aber so klar scheint der Fall dann auch wieder nicht zu sein, denn nach sechs Versuchen steht es immer noch 0:0 😳! Was nun? Wir beschließen, die erste Wache gemeinsam zu machen und uns dann zusammen hinzulegen. Gestern sind die Frachter auch erst gegen 4:30 aufgetaucht, das sollte also kein Problem sein.

„Es geht in die dritte Nacht.“

„Es geht in die dritte Nacht.“


Am Ende machen wir das natürlich nicht so, denn um sieben fallen der Capitana die Augen zu und der Schiffsjunge übernimmt. Die Nacht beginnt ruhig und gleichmäßig, doch schon gegen 22:00 beginnen die Flautenlöcher. Der Wind schwankt immer wieder vollkommen unvermittelt zwischen 5 und 18 Knoten. Mal läufts und mal schlagen die Segel. Mal fahren wir bis zu 7,5 Knoten, mal treiben wir in den Wellen so dahin. Das ist schwierig und nervig, aber daran ändert sich leider bis zum Morgen auch nichts mehr.

Die Nacht ist so wolkenverhangen und mondlos finster, dass uns der Horizont abhanden kommt. Das Schwarz des Atlantiks geht nahtlos in das Schwarz des Himmels über. Nur wenn mal die Positionslichter eines Frachters auftauchen, fahren diese gradlinig an dem Horizont entlang, der aufgehört hat, ein Horizont zu sein. Das anthrazitgraue Schwarz der Nacht ist unendlich und verschlingt jeden Blick, der versucht, etwas darin zu erkennen. Selbst das Meeresleuchten ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Nur noch ein kleines Glimmen schimmert in unseren Bugwellen und die wenigen Schaumkrönchen der Windwellen leuchten nur kurz und schwach auf, um das Schwarz der Nacht nicht zu sehr zu herauszufordern. Der Gegensatz zu den Vollmondnächten, die wir noch vor 10 Tagen vor der Isla La Graciosa hatten, kann wirklich nicht größer sein.

Am Ende des dritten Tages loggen wir immerhin noch ein ETMAL von 134 sm. Nach dem elenden Gezatter der Nacht hatten wir damit kaum noch gerechnet. Immer wieder brach der Wind vollkommen geschwächt in sich zusammen und die Segel schlugen so, dass man meinte, das ganze Rigg würde runterkommen. Wellen zusammen mit einem Wind, der kaum für 2 Knoten Fahrt sorgt, sind fürchterlich. Das zerrt wirklich an den Nerven. Doch am Ende sind wir unter Segeln geblieben, auch wenn uns wirklich nicht immer danach war.


Tag 4

„Das Azorenhoch hält sich bedeckt.“

„Das Azorenhoch hält sich bedeckt.“

Der vierte Tag empfängt uns mit einem farbenfrohen Graugrau, dass an einigen Stellen in ein munteres Graublau spielt. Wobei der Atlantik seinerseits ein etwas dunkleres Anthrazitgrau ins Spiel bringt, was zusammen mit dem Licht der Sonne, die wir hinter den Wolken vermuten, den Horizont wieder erscheinen lässt. Das wenig sommerliche Farbspiel passt zu den 16°C, die sich im Wind wie 10° anfühlen. Doch wir müssen tatsächlich dem Azorenhoch näher kommen, denn das Barometer zeigt azorenhoch-verdächtige 1029 hektorische Pascal. Der Schiffsjunge summt die Melodie von »Sum- Sum- Summertime« und die Capitana reibt sich im Takt dazu ihre klammkalten Hände. Aber um 9:00 liegen nur noch 91 sm vor uns, die werden wir mit diesem Wind locker in 30 Stunden abreißen.

Das Gezeter des unsteten Windes geht unverändert weiter. Aber wir sind nicht mehr allein. Die Sancara ist in der Nacht hinter uns wieder aufgetaucht und etwas südlich fährt nun Jumaco. Momo bleibt aber weiterhin verschwunden. Vielleicht ist Momo auch schon unentdeckt an uns vorbeigerauscht. Wir haben wohl tatsächlich etwas Pech mit dem Wind gehabt. Dennoch sind wir mit unseren ETMALen mehr als zufrieden, für unsere dicke Erna sind ETMALe um die 130 sm ein schöner Erfolg. Aber mit unserm kurzen Mast sind wir bei wenig Wind auch wirklich etwas im Nachteil, doch da »wenig Wind« eher selten ist, können wir damit gut leben.

Die Capitana ist dennoch etwas unzufrieden, weil der Wind nun immer raumer einfällt und es nicht mehr so schön steuert. Der Schiffsjunge ist da eher von der zufriedenen Sorte, das wäre ihm gar nicht aufgefallen. Doch die Capitana wäre nicht die Capitana, wenn ihr nicht irgendeine wichtige Korrektur einfallen würde, wenn etwas mit dem Wind, den Segeln oder der Steuerung nicht stimmt. Die Windsteuerung, erklärt sie dem erstaunten Schiffsjungen, steuert nämlich über 70° unbotmäßigerweise nach dem AWA, also dem apparent wind angle, und nicht, wie es eigentlich sein müsste, nach dem TWA, also dem true wind angle. Schnell ist das Manual des Autopiloten herausgekramt und schon ist dieser bisher unbemerkte, aber gravierende Fehler korrigiert. Und nun fährt’s vor dem Wind nach dem True-Wind-Angle und meine Capitana ist ab sofort mein True-Wind-Angel.

„Zu kalt für draußen.“

„Zu kalt für draußen.“

Nach der Korrektur läuft es tatsächlich besser. Allerdings kommt der Wind nun wirklich recht achterlich rein, was leider auch bedeutet, dass die Kälte von draußen nun langsam auch zur Kälte von drinnen wird. Nach der letzten Nacht sind wir beide noch etwas durchgefroren, obwohl wir meist nur für den kurzen Rundblick den schützenden Decksalon verlassen haben. Als die Capitana sieht, dass der Finger des Schiffsjungen den Heizungsschalter drücken will, legt sie ihr Veto ein, denn schließlich sind wir ja im Süden. Ein schlagendes Argument, auch wenn es sich nicht physikalisch, sondern nur navigatorisch untermauern lässt. Der Schiffsrat einigt sich, dass ab jetzt die Türen und das Schiebeluk des Decksalons geschlossen bleiben. So zieht es wenigstens nicht mehr kalt rein und die wenige Wärme bleibt drinnen.
Uns ist es wirklich ein Rätsel, wieso es kaum Decksalon-Yachten gibt und die allermeisten Fahrtensegler beim Segeln auch sogar noch ihre Sprayhood herunterklappen. Wir sind wohl wirklich etwas zu verweichlicht, aber wenn wir so aus dem warmen Decksalon das trübe Einheitsgrau draußen betrachten, möchten wir um keinen Preis der Welt mit den harten Cockpit-Seglern tauschen.


Um 14:30 setzen wir den Parasailor. Wir haben lange überlegt, ob wir es bei dem Geschaukel machen sollen oder nicht. Inzwischen kommt der Wind aber direkt aus Ost und auf unserem Kurs nach Santa Maria laufen die Wellen fast genau von der Seite ein. Das Schlagen der Segel ist furchtbar. Jeder Schlag lässt die PINCOYA erzittern. Das kann auf Dauer auch nicht gut sein.
Es dauert etwas, bis wir all das ganze Gestrippe für den Parasailor ausgebracht haben. Um sicher zu gehen, dass wirklich jede Leine klar läuft, checken wir alles doppelt und dreifach. Zu leicht vertun wir uns immer wieder mit dem Drunter und Drüber der Strippen und heute ist kein guter Tag für einen Fehler. Dann nehmen wir die Genua und das Groß weg und fünf Minuten später steht der Parasailor wie eine Eins.

„Ruhe mit dem Parasailor“

„Ruhe mit dem Parasailor“

Wow! 😎 Was für eine Ruhe!!!! Wie wunderbar! Warum haben wir das nur nicht schon früher gemacht? Und sobald wir etwas Geschwindigkeit haben, geht es auch mit den Wellen besser. Der Parasailor schwingt zwar ordentlich hin und her, lässt sich aber nicht so leicht aus dem Tritt bringen, wie die Standardbeseglung. Erstaunlich!

„Baden ist so eine Sache, unzählige portugiesische Galeeren sind hier unterwegs.“

„Baden ist so eine Sache, unzählige portugiesische Galeeren sind hier unterwegs.“

Diese Gunst der Stunde nutzen wir und machen uns gleich mal eins der Chicken-Currys warm, die wir vorgekocht haben. Der Autopilot steuert, wir müssen uns um nichts kümmern und können in Ruhe essen. Nach einer kurzen nachmittäglichen Schwächephase, die selbst den Parasailor teilweise einfallen lässt, kommt gegen 18:00 der Wind mit 10 Knoten zurück. Nach einigem Hin und Her beschließen wir, den Parasailor auch in der Nacht stehen zu lassen. Solange es so gut läuft wie bisher, sollte das eigentlich auch kein Problem sein. Kurz vor 19:00, gerade als der Schiffsjunge seinen Schiffsrundgang macht, sehen wir, dass Santa Maria schon etwas über den Horizont guckt. Geschafft! Wir sind am Ziel, es fehlen nur noch lächerliche 50 sm und wenn es mit 4 Knoten so weitergeht, dann sind wir in 12 Stunden vor Vila do Porto! 🎉

„Azoren, wir kommen! Drei Jahre hat diese Gastlandflagge nun warten müssen.“

„Azoren, wir kommen! Drei Jahre hat diese Gastlandflagge nun warten müssen.“

„Es ist Zeit, die Gastlandflagge der Azoren mal zu lüften.“

„Es ist Zeit, die Gastlandflagge der Azoren mal zu lüften.“

„Santa Maria voraus!!!“

„Santa Maria voraus!!!“

Und dann fahren wir tatsächlich das erste Mal mit dem Parasailor durch die Nacht. Die Bedingungen sind ideal. Zwischen 8 und 11 Knoten wahrer Wind kommen konstant aus Ost und wir können daraus noch gut 5 Knoten Fahrt machen. Es rauscht zwar nicht, doch es fährt so wunderbar ruhig, dass wir es kaum glauben können. Sancara und auch Momo, die nun auch wieder aufgetaucht ist, sind zwar etwas schneller, aber unsere dicke Erna braucht sich nicht zu verstecken. Das erste Mal kommt ein Fahrgefühl auf, von dem wir bisher nur in anderen Blogs gelesen haben. Vielleicht ist das ja mal ein Anfang, damit auch uns so etwas nun mal häufiger passiert.

„In die vierte Nacht geht's mit Parasailor.“

„In die vierte Nacht geht's mit Parasailor.“

Bis eine Seemeile vor Vila do Porto auf Santa Maria fahren wir so durch die Nacht.
Kurz vor 5:00 nehmen wir den Parasailor nach fast 15 Stunden wieder runter und werfen nach 499 Seemeilen den Motor wieder an. Die Hafeneinfahrt von Vila do Porto ist eng. Erst spät erkennen wir das Schlupfloch der Einfahrt. Mondlose Nächte scheinen im falschen Augenblick noch etwas dunkler zu sein als sonst. Um 5:10 machen wir in der Marina fest. Unsere Leinen nimmt Momo an und der Schwede entpuppt sich als eine Einhand-Schwedin auf einer kleinen, alten 10m Yacht. Respekt, Respekt, was für eine Leistung.


Es ist gut, wenn man sicher angekommen ist. So sehr wir unsere Zeiten auf See auch genießen, wir wissen, dass es auch anders laufen kann. Ein gesunder Respekt vor den Naturgewalten, die das Meer bewegen können, ist kein schlechter Ratgeber. Auf den letzten beiden Schlägen zu den Azoren haben wir viel Überfahrtsroutine gesammelt. Und die beiden Überfahrten waren auch mal keine Prüfung für Mensch und Material. Einzig die Schwachwindphasen haben etwas an den Nerven gezerrt.

Bevor wir in die Koje fallen, nehmen wir noch einen Absacker. Ganz langsam dämmert es und die Vögel beginnen zu zwitschern. Wir merken es nicht gleich, aber zwitschernde und singende Vögel in der Morgendämmerung hatten wir schon lange nicht mehr. Das fast unheimliche Gequatsche der Gelbschnabelsturmtaucher ist faszinierend witzig und das zänkische Geschrei der Möwen ist alles, aber ganz bestimmt nicht nett und melodisch. Und nun zwitschern uns Vogelstimmen in den Morgen. Außerdem riecht es moosig feucht. Und als die erste Dämmerung dann einen Blick auf die Hügel der Insel freigibt, sind wir platt. Es ist grün! Erst wenn es wieder grün um einen herum ist, merkt man, dass man das Grün doch schon vermisst hat. So schön die prächtigen Farben der Vulkanlandschaften der Kanaren auch sind, so ein Grün hat schon was.

„Angekommen und auf dem Weg zum Einchecken.“

„Angekommen und auf dem Weg zum Einchecken.“

Vila do Porto, Santa Maria, Azoren
36° 56′ 40,2″ N, 025° 08′ 51,8″ W



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