Nun liegen wir schon 5 Tage vor Praia da Vitória vor Anker und waren erst gestern das erste Mal an Land. Es ist schön, die Seele baumeln zu lassen und einfach auf der PINCOYA zu leben. Vor Praia da Vitória kann man wirklich entspannt ankern. Wie lange hatten wir das schon nicht mehr? Und seitdem der Schwell nicht mehr aus Nordosten einläuft, liegen wir auch absolut ruhig. Die Tage verfliegen. Gerade erst haben wir wieder etwas erstaunt festgestellt, dass es schon wieder 19:00 ist und wir gar nicht so recht wissen, wo der Tag geblieben ist.
Gut, zwischenzeitlich haben wir auch mit fünf Blogs aufgeholt und Astrid hat ein 30-Minuten-Video der letzten Überfahrt fertiggestellt. Und an dem Video von Santa Maria ist sie auch schon wieder voll dran. Das ist viel Arbeit, macht aber auch richtig viel Spaß und ist eine tolle Erinnerung für uns und für andere bestimmt auch schön anzusehen.
Doch wir merken auch etwas anderes. Anders als in einem normalen Urlaub oder wenn man nur eine begrenzte Zeit unterwegs ist, sind wir in einem Dauererlebnis. Und das übersättigt, zumal wir eh nicht die Organisationsreisenden sind. Alle Highlights sind einfach zu viel. Und mal ganz abgesehen davon, ein Highlight bleibt ja auch nur dann ein Highlight, wenn es irgendwie »high« aus all den anderen Dingen herausragt. So genießen wir gerade das Dasein im Hiersein und sind froh, hier zu sein und wollen gar nicht da sein. Wem das zu hoch ist, der sollte einfach mal nach »Hier« und »Da« googeln, denn Krümel und Lulatsch aus der Sesamstraße haben das schon vor vielen Jahren ziemlich gut erklärt 😂.
Doch Praia da Vitória macht es uns auch einfach. Hier gibt es beruhigend wenige Highlights und es ist es einfach schön, da zu sein 🤔.
Aber … nun ja …
Luft 16°, Wasser 17°, Regenschauer und ein allgegenwärtiges Grau-in-Grau. Von den flachen Bergen ist nichts zu sehen, ihre Gipfel liegen in den Wolken, sofern man bei den Hügeln überhaupt von Gipfeln sprechen darf. Auch wenn es phasenweise mal ganz nett ist, das Azorenwetter nervt schon gewaltig. Und wenn man dann noch von der Hitzewelle auf dem Festland liest, wirft man unwillkürlich einen Blick aufs Überfahrtswetter.
Es ist ja nicht so, dass es auf den Azoren nicht doch ab und zu mal so etwas wie Sommerwetter gibt. Das passiert in Hamburg ja auch schon mal. Doch im Normalfall erleben wir hier doch eher ein Ostsee-Aprilwetter mit Temperaturen aus Mai und Juni. Insgesamt ist das schon sehr enttäuschend. Wahrscheinlich hätten wir uns wieder einmal besser informieren sollen und sind wieder einfach zu blauäugig hierher gefahren. Die teils überschwänglichen Berichte von anderen Seglern können wir bisher leider nicht wirklich nachvollziehen. Oder wir haben schon wieder so ein Jahr erwischt, dass es seit 20 Jahren nicht mehr gegeben hat. Wie oft haben wir diesen Satz schon gehört? Vielleicht liegt es wirklich an uns und allen anderen ist nur der Rat zu geben, bloß nicht dorthin zu fahren, wo wir sind.
Inzwischen begrüßen wir auch schon die kleinsten Sonnenabschnitte überschwänglich. Alles bleibt stehen und liegen und wir setzen uns sofort in die Sonne oder machen einen kleinen Spontanspaziergang. Gestern ist es uns sogar gelungen, eine Ladung Wäsche zu trocknen. Ein Thema, dass wir wirklich seit Jahren nicht mehr hatten. Teilweise konnten wir die Wäsche ja gar nicht so schnell aufhängen, wie sie trocken war. Doch diese Ausnahmen taugen kaum, um eine ganze Saison zu verklären. Und was heißt hier trocken? Alles in der PINCOYA ist klamm und feucht und wir kriegen die Nässe einfach nicht mehr raus. Gestern haben wir entdeckt, das die Ledergürtel beginnen zu schimmeln. Wir haben gar keine Chance, alle Ecken, Nischen, Fächer, Schränke, Schapps und Bodenbretter immer so zu belüften, dass es dort nicht potentiell gammelt. Dort ist es ja auch nicht leer und aufgeräumt, sondern alles ist vollgestopft. Wohin dann mit den ganzen Sachen?
Auch wenn wir nun schreiben, dass wir vor Praia da Vitória maximal komfortabel vor Anker liegen, ist das »Maximale« an diesem Ankerkomfort ja bezogen auf die Azoren zu sehen. Ein Vergleich mit den Rias, der Algarve, El Rompido oder Punta Umbria ist vollkommen unzulässig. Das ist auf den Azoren genauso wie auf Madeira oder auf den Kanaren. Wobei man auf den Kanaren stattdessen ja noch die besten Marinas dieser drei Archipelagos findet. Auf Madeira und auch den Azoren lassen auch die doch sehr zu wünschen übrig. Auch all das war uns in diesem Ausmaß nicht klar. Sicherlich werden wir alle drei Archipelagos noch einmal besuchen, dann aber nur noch punktuell und in dem Wissen, dass alle drei fast ausschließliche Marina-Segelreviere sind, in denen es nur wenige Ankerspots gibt, die zudem zu 100% von der Gunst des Wetters und der Wellen abhängen.
Auf diesem Hintergrund schauen wir inzwischen tatsächlich nicht mehr nur mit einem Auge auf das Überfahrtswetter und es ist wirklich nicht ganz ausgeschlossen, dass wir die nächste Möglichkeit einfach beim Schopfe greifen. Und ganz ehrlich, die Rias locken schon ziemlich. Wie entspannt war dort das Seglerleben.
Die Entscheidung nehmen uns dann aber schlechte Nachrichten von Zuhause ab. Plötzlich dreht es sich nur noch um die Frage, ob wir direkt von den Azoren fliegen sollten und wo wir dann hier einen Platz für die PINCOYA bekommen oder ob wir mit einem passenden Wetterfenster ad hoc zum Festland rübergehen. Wenn die PINCOYA jetzt auf den Azoren bleibt, dann ist es unwahrscheinlich, dass wir hier dieses Jahr noch irgendwie wegkommen. Und wenn wir dieses Jahr nicht mehr zurückkommen, dann werden wir das wohl auch erst in einem Jahr wieder angehen können. Also müsste sie hier raus. Aber wo und wieviel Zeit kostet das? Doch auf der anderen Seite öffnet sich tatsächlich gerade ein gutes Wetterfenster ab dem 23.06. Also beschließen wir, dieses Wetterfenster für die Überfahrt zu nutzen. So liegt nun die längste Überfahrt, die wir bisher überhaupt hatten, vor uns.
Am Mittwoch kaufen wir noch schnell etwas ein und kochen 6 Mahlzeiten vor. Eine ist noch im Eisfach von der Überfahrt nach Porto Santo, so haben wir 7 warme Mahlzeiten, das sollte reichen. Dann wird alles »wetter- und wellenfest« verstaut, denn richtig gemütlich wird es in den ersten Tagen ganz bestimmt nicht werden.
Die Spannung bzw. die Anspannung steigt.
Praia de Vitória, Terceira, Azoren
38° 43′ 44,7″ N, 027° 03′ 18,9″ W