Seit der Rohrverstopfung hängen wir täglich am Telefon und versuchen, die notwendigen Folgetätigkeiten irgendwie zu organisieren und vor allem auch Termine dafür zu ergattern. Das alles ist nicht eben einfach, denn man hat ja nicht nur auf uns und unseren Sch… gewartet. Und wenn man eigentlich etwas ganz anderes vor hat, dann ist es nicht immer ganz einfach, dafür immer und immer wieder die notwendige Geduld hervorzukramen. Zudem sind die Abläufe zwischen der Versicherung und den Firmen auch recht gut »verzahnt«. Das ist sicher auch gut so, aber ein so bewährter Prozess ist unter diesen Umständen nicht gerade Balsam für unsere Nerven, besonders wenn einem die Zeit immer schneller wegrennt. Und obwohl sich alle wirklich freundlich bemühen, zerrinnt uns ein Tag nach dem anderen rückstandslos zwischen den Fingern.
Doch dann … ja dort … ein Licht am Ende des Abwasserrohrs!
So kristallisiert sich ganz langsam eine Art Mini-Projektplan heraus. Dieser Plan glänzt zwar nicht mit einem rekordverdächtigen EEP, earliest end of project, hat dafür aber ein wunderhübsches DED, a defined end of disaster! Das ist nicht nur der Oberhammer, das ist schon irgendwie mehr! Und dieser große Tag liegt sogar noch im August und wenn der September gerade das erst Mal das Licht dieser Welt erblickt, könnten wir auch schon auf der A2 in Richtung Südwesten unterwegs sein. Was sind schon zwei Wochen Verspätung? Die verfliegen mit jedem Autobahnkilometer und sind ab Paris sicher schon nicht mehr zu spüren.
So zumindest der Plan. Doch wir haben ja auch gelernt, dass Pläne eben nur Pläne sind, und so beäugen wir unseren Plan mit kritischem Argwohn und zugegeben auch mit einigen kleinen Gedanken an neue Hürden, die dann doch wieder ganz unvermittelt aus dem Gebüsch springen könnten. Inzwischen können auch wir solchen Argwohn nicht mehr ganz unterdrücken, auch wenn es manchmal so scheint, dass wir das Positive-Thinking mit Löffeln gefressen haben.
Einen Tag vor dem großen Ereignis versammeln wir alles, was mit soll, in unserem Wohnzimmer. Uns ist angesichts dieses Bergs nicht ganz klar, was uns da nun wieder geritten hat, aber in jedem Ding schlummert tatsächlich eine nachvollziehbare Notwendigkeit. Und wenn wir diesen Winter tatsächlich rüber wollen, ist dies eben die letzte Gelegenheit, noch einmal Notwendiges mitzunehmen.
Ohne Frage sind wir eh schon gut ausgerüstet, aber der Wassermacher und die Solarzellen bescheren uns nun tatsächlich noch mal eine echte Unabhängigkeit. Eine Unabhängigkeit, die zudem ganz entscheidend auf erneuerbare Energien setzt. Es gibt ja kaum etwas, das besser zum Segeln passt. Und diese Unabhängigkeit wird uns zukünftig hoffentlich auch viel Geld sparen, denn viele Marinaaufenthalte können wir so locker vermeiden. Oder wir können auch nur auf einen Stromanschluss verzichten, der in den USA nicht selten schon mal soviel kostet, wie in Europa der Marinaaufenthalt selbst.
Während die Trockner und Gebläse im Keller brummen, stopfen wir einen Karton nach dem anderen in Henriette. Die Rücksitzlehnen haben wir ausgebaut, so ist noch etwas mehr Platz. Und am Ende passt es. Rechts und links können morgen noch ein paar Stullen dazwischen gestopft werden, aber dann war’s das auch mit dem üppigen Stauraum in unserem Mini.
Die erste Etappe bis Tours
Vollgetankt lächeln wir den deutschen Spritpreisen ein munteres Farewell entgegen. Hier passt unser Timing schon mal hervorragend. In Belgien wartet auf uns ein E10-Preis von 1,63, in Frankreich sind es sogar nur 1,54 und Spanien toppt das Ganze mit 1,52. Auf den deutschen Autobahnen ist nichts von den extremen Spritkosten zu spüren. Die tonnenschweren Protzbrocken werden wie eh und je über die Autobahnen getrieben. Der deutsche Michel lässt sich sein liebstes Kind schon gerne etwas kosten und bei diesem Punkt muss sich die Integrationsbeauftragte auch überhaupt keine Sorgen machen. Hier scheint die Integration ein echter Selbstläufer zu sein.
Bis Paris kommen wir zwar gut durch, aber diese Strecke ist dennoch der nervigere Teil. Wie immer verlassen wir das Schlachtfeld der deutschen Autobahnen auf dem kürzesten Weg. Mit den Geschwindigkeitsbegrenzungen in Belgien und Frankreich springt unsere Durchschnittsgeschwindigkeit schnell über 100 km/h. Belgien und auch Frankreich haben ihre Autobahnen mit Blitzern gepflastert. Unsere Warn-App piept in einem fort. Irgendwann haben das auch die größten Heißdüsen gemerkt und es geht für alle entspannt voran. Wieder verblüfft uns die erstaunliche Möglichkeit, dass auch große schwarze SUVs nur 120 km/h fahren können. Faszinierend! Unsere Verkehrsminister der letzten Jahre sollten mal mit dem Auto einen gemeinsamen Ausflug nach Paris machen. Auf der Fahrt gibt es Dinge zu lernen, die man bis dato in Deutschland für unmöglich hält.
Den Start an der ersten französischen Mautstation versemmeln wir kläglich. Erst sind die Arme irgendwie doch zu kurz, um an den Automaten zu kommen, und als die Schranke sich endlich öffnet, jault Henriettes Motor etwas hysterisch auf, aber es fährt nicht. Wenn der erste Gang drin gewesen wäre, hätte das geholfen. Zehn Dinge auf einmal sind auch einfach zu viel. Eine möglichst freie und auch noch richtige Mautspur auswählen, rückwärtige Überholer fest im Auge behalten, während man sich selbst unbemerkt in die Pole-Position vorschiebt, Fenster runter, Karte wiederfinden, weil sie vom Bein gerutscht ist, dabei nicht die Betonpoller rammen und die Frau mit einem gelassenen: »Geht schon!” beruhigen, dann so vor dem Automaten zum Stehen kommen, dass der Arm auch reicht, die Karte beim Bezahlprozess nicht verlieren und im richtigen Moment beschleunigen, ohne wichtige Sekunden zu verschenken, während die Schranke sich noch öffnet. Wir versagen vollkommen und werden gnadenlos nach hinten durchgereicht. Kaum ein Gefühl ist schmerzhafter, als nach einer Mautstelle nochmals die LKW und Gespanne zu überholen, die man schon vor einer halben Stunde hinter sich gelassen hatte. An den nächsten drei Mautstellen zahlen wir nicht nur die Maut, sondern wiederum auch einiges an Lehrgeld. An der vierten ruft die Capitana: »Was ist denn das da für ein Depp vor uns, Gott, geht das noch langsamer?« Diesmal versuche ich die ApplePay-Variante, beim Klo auf der Raststätte hat das schon mal funktioniert, aber hier kostet es uns wertvolle Sekunden. Hinter uns hupt es nicht, ich bin für die Nachsicht der Franzosen dankbar. Wir bekommen aber auch nur die geteilte Aufmerksamkeit, denn auf der Nebenspur muss ein Holländer drei Franzosen zum Zurücksetzen bewegen 😳, denn er hat siegessicher die Transponderspur genommen 🙄. Auch so kann man sich nach hinten katapultieren, nur gut, dass der Holländer heute ohne Caravan reist.
Bei Paris sagt uns der Navi, dass wichtige Abschnitte der östlichen Umgehung gesperrt sind. Also geht’s im Westen rum. Schön, das ist auch mal etwas Neues, denn den Osten von Paris kennen wir ja schon. Da der östliche Ring die eigentliche Hauptroute in den Süden ist, finden sich auf der Westroute eher wenige Schilder mit Städtenamen, die auch ein norddeutsches Seelchen im Süden von Paris verortet. Und an den entscheidenden Stellen reiht sich leider ein Tunnel an den nächsten, was den GPS-Empfang für den Navi auch nicht verbessert. Und genau solch eine Gelegenheit nutzen wir gleich zweimal, um einmal falsch abzubiegen und danach gleich zielsicher falsch weiter geradeaus zu fahren. So sehen wir diesmal die hübschen Hausboote auf der Seine, die sich fernab der Autobahn so malerisch ins Stadtbild von Paris einfügen. Kurz keimt die Idee auf, noch einen Abstecher zum nahegelegenen Eiffelturm zu machen. Aber im Pariser Feierabendverkehr brauchen wir keine zusätzlichen Abenteuer. Es dauert etwas, bis wir wieder auf einer Straße sind, die auch den Namen Schnellstraße verdient, aber nun wissen wir auch, wo Versailles liegt.
Das alles frisst Zeit und kurz vor Orleans beschließen wir, dass uns Tours für heute ausreicht. Schnell buchen wir ein kleines Hotel im Süden von Tours. Dort ist der Tank von Henriette auch wieder einmal leer, aber der Supermarkt hat nicht nur einen günstigen Rosé und etwas zum Abendbrot, sondern auch E10 für verträumte 1,54 €.
Dann reicht es auch und wir fallen ins Bett. Vor uns liegen noch 1.344 km, leider haben wir heute nur 1.023 geschafft. Doch morgen wird es einfacher. Südlich von Paris läuft es immer viel besser als nördlich.
Die zweite Etappe und der Rest
Es hat schon etwas von Selbstkasteiung, nach einem durchgefahrenen Tag schon wieder um 6:45 zum Frühstücksbuffet zu schlurfen. Der Kaffee ist schwarz und die Croissants sind unschlagbar französisch. Das übrige Frühstück ist eher für nicht-französische Gäste gedacht und nicht gerade dazu angetan, eine Kulturrevolution bei den französischen Frühstücksgepflogenheiten auszulösen. Die Frozen-Joghurt-Maschine entdecken wir leider zu spät, die allerdings könnte es schaffen.
Bevor wir aufbrechen können, müssen wir erst einmal räumen. Gestern Abend haben wir, da es regnen sollte, die gesamte Dachlast auch noch in Henriette hineingestopft. Geregnet hat es dann auch, aber zum Ende unseres Frühstücks ist der Regen durch.
Die noch vor uns liegenden 1.344 km vergehen unspektakulär, ziehen sich aber ziemlich nervig dahin. Wir zählen nicht gerade zu den passioniertesten Autofahrern. Kurz vor der spanischen Grenze erwischt uns eine zweite Regenfront und die hat das Potential, auch ausgedehnte Waldbrände in Minuten zu löschen. Für 30 Minuten schwimmen wir mehr in Richtung Spanien, als dass wir fahren. Entweder schießen uns Sturzbäche auf der Fahrbahn entgegen oder wir werden auf der bergigen Strecke regelrecht hinuntergespült.
Zudem tut sich Henriette recht schwer, die Steigungen zu erklimmen. Ihre 79 brüllenden PS arbeiten sich tapfer an der Beladung ab, zwingen uns aber an den Steigungen nicht nur einmal auf die Kriechspur.
Erst die spanische Hochebene bringt da wieder etwas Entspannung. Auch ein norddeutsches Seelchen fühlt sich hier wieder richtig wohl, denn endlich kann man mal wieder den Horizont sehen. Stunde um Stunde brummen wir Portugal entgegen. Irgendwie scheint die Zeit hier langsamer zu vergehen. Nach gefühlten Ewigkeiten zeigt die Uhr im Auto gerade mal einige Minuten mehr an.
Um etwas portugiesische Maut zu sparen, bleiben wir solange auf der spanischen Seite, wie es geht. Doch auf der Rücktour werden wir wohl doch lieber in die portugiesische Maut investieren, denn streckenweise ist die spanische Autobahn in Richtung Vigo so schlecht, dass wird fürchten, dass uns Henriette am Ende noch auseinander fällt. Und erst da fällt uns auf, dass kaum ein Portugiese und auch kaum ein portugiesischer LKW auf dieser Strecke in Richtung Portugal unterwegs ist. Das kommt wohl nicht ganz von ungefähr.
Kurz vor der portugiesischen Grenze wird es dann wieder bergig und Henriette muss noch einmal kämpfen. In Spanien tanken wir noch einmal, denn in Portugal soll es erst in 14 Tagen einen Tankrabatt geben. An der Zapfsäule wird 1,77 angezeigt, das finden wir dann doch recht viel, aber an der Kasse gibt es einen »Sofortrabatt« von 25 ct pro Liter und so unterbietet Spanien mit 1,52 sogar noch Frankreich. Obwohl es in Portugal genauso bergig weitergeht, ist die Fahrerei entspannt. Bessere Autobahnen mit einer besseren Infrastruktur muss man erst einmal finden. Auf dem Rückweg werden wir ganz sicher etwas länger auf der portugiesischen Seite fahren, auch wenn das dann Maut kostet.
Um 21:30 portugiesischer Zeit haben wir es geschafft und stehen direkt vor dem Steg, an dem die PINCOYA liegt. 2.367 km sind geschafft. Der Fingerabdrucksensor funktioniert, da hatten wir extra noch mal nachgefragt. Schließlich haben wir ja bisher nur »virtuell« um 2 Monate verlängert und unsere erste Zeit hier in Póvoa de Varzim ist mit dem August ja schon abgelaufen.
Der PINCOYA geht es gut und wir entleeren vier randvolle Trockenbehälter. Auch der Schimmeltrick mit dem Essigwasser scheint gut funktioniert zu haben. Es riecht zwar etwas nach Essig, aber das ist schnell weggelüftet. Auf die PINCOYA schleppen wir nur das Notwendigste und das Paket vom Dachträger. Dann ist Schluss und nun liegt erst einmal viel Arbeit vor uns. Doch wir sind zurück und das ist das Wichtigste.
Póvoa de Varzim, Portugal
41° 22′ 33,6″ N, 008° 45′ 54,1″ W