Tag 1:
Nach fast genau einem Monat in Póvoa de Varzim, es fehlen tatsächlich nur 12 Stunden, geht es wieder zurück. Nicht lange, eigentlich nur für einige Aufräumarbeiten nach dem Wasserschaden zuhause, für einige Vorbereitungen für unsere lange Abwesenheit und für ein letztes »Tschüss« bei der Familie. Und natürlich muss auch Henriette wieder zurück, denn wenn es nun wirklich mal nach Plan läuft, werden wir frühestens 26 oder 27 wieder einmal vor der portugiesischen Küste segeln. Deswegen misten wir die PINCOYA auch etwas aus. Alles, was wir nicht auf der anderen Seite des Atlantiks brauchen, muss von Bord.
Die Sache ist schon spannend, denn nun stehen wir wohl wirklich vor einem recht großen Schritt. Doch die Vorzeichen könnten besser sein, nicht nur bei der weltpolitischen Lage.
Um 5:00 klingelt unser Wecker und um kurz nach 6:00 geht’s los. Eigentlich wollen wir die spanische Rumpelautobahn von Burgos nach Vigo vermeiden, aber das gelingt uns nicht so richtig. Unser Navi im Handy ist eigenwillig. Wenn man sich eine alternative Route aussucht, ihn aber noch einmal schließt, macht er hinterher so weiter, wie ihm das gefällt. So bleibt es bei der Rumpelstrecke. Henriette möge uns verzeihen, eigentlich wollten wir ihr das ersparen. Auch mit der portugiesischen Maut verdaddeln wir uns am frühen Morgen. Ein Kaffee nach dem Aufstehen ist vielleicht doch zu wenig. Irgendwie kommt kein Ticket aus dem Automaten und wir denken, dass wir das schon später irgendwie erklären können. Aber die per Knopfdruck gerufene Dame an der nächsten Station ist eine echte Maut-Domina. Es helfen keine Erklärungen, kein Bitten und kein Flehen und wir kennen auch das Codewort nicht, um Gnade zu erfahren. So bezahlen wir am Ende für ein winziges Stückchen Autobahn satte 31 €. 😤
Mit Portugal verlassen wir auch die Berge. Kaum etwas zieht sich unspektakulärer dahin, als die Autobahnen auf der spanischen Hochebene.
Erst im Baskenland, wo die Kantabrischen Berge und die westlichen Pyrenäen sich treffen, wird es wieder bergig. Ein Tunnel reiht sich an den nächsten und auf der Nordseite der Berge herrscht plötzlich ein ganz anderes Wetter. Es ist wolkig und teilweise sogar regnerisch. Nur einmal haben wir bisher in Spanien getankt und so zittern wir uns über die Grenze nach Frankreich. In Frankreich ist zurzeit der Sprit mit Abstand am billigsten.
Da wir nach München wollen, biegen wir bei Bordeaux rechts ab. Über Clermont-Ferrand und Lyon soll es dann über die Schweiz und am Genfer See entlang in Richtung Süddeutschland gehen. Quer durch Frankreich gibt es zwar auch eine Autobahn, aber diese Strecke ist viel nerviger als der Weg über Paris.
Wie immer beginnen wir so gegen 17:00 mit der Suche nach einer Unterkunft. Erhofft hatten wir uns als Zwischenstopp Clermont-Ferrand, aber so einfach wollen sich die Kilometer auf dieser Strecke auch nicht fressen lassen. Und noch etwas kommt hinzu. Auf der Strecke von Bordeaux nach Paris findet man jede Menge Hotels und Motels, in denen man für den kleinen Euro mal für eine Nacht absteigen kann. Nicht aber so an der A89. Hotels sind Mangelware und erst recht welche, die einen nur für einen kleinen Zwischenstopp über Nacht nehmen. So buchen wir unsere erste Übernachtung in Sadroc in einem kleinen Hotel mit Restaurant. Irgendwie ist dieses Hotel dann aber doch ein echter Treffer, obwohl wir eigentlich noch 100 km mehr schaffen wollten. Das Hotel und das Restaurant werden von einem ganz jungen Pärchen gemanagt. Sie ist in der Küche und er macht den Hotel-Rezeptionisten und den Kellner gleichzeitig. Alles ist mit viel Liebe und offensichtlich in Eigenarbeit entstanden. Genau wissen wir das natürlich nicht, aber die beiden haben das alte Hotel und Restaurant wohl übernommen und bauen sich nun hier ihren Traum auf. Und der Traum liegt im Nichts, ist aber dennoch ganz gut besucht. Zu drei Hotelgästen kommen noch vier Restaurantbesucher, was die beiden ganz schön auf Trapp hält.
Am nächsten Morgen lernen wir auch sie kennen, nun müssen die Hotelzimmer wieder für die neuen Gäste gemacht werden. Da die beiden recht jung sind, sprechen sie für Franzosen ein sehr gutes Englisch. Wir unterhalten uns noch etwas und man spürt, dass sie hier im Nichts mit viel Engagement an ihrem Traum arbeiten.
Tag 2:
Etwas ungeplant beschert uns unser Navi noch eine kleine Extrarunde durch die »Gemeinde«. Wie langweilig muss ein Autofahrerleben früher ohne Navi gewesen sein! Da ist man einfach mit dem ADAC-Atlas auf den Knien stumpf zur nächsten Autobahnauffahrt gefahren und ab ging die Post.
Heute wählt man »schnellste Route« und schon steckt man mitten im französischen Nichts, muss auf einspurigen Straßen zurücksetzen, damit der Milchlaster durchfahren kann, und wird von wildfremden Damen an einer Kreuzung, die eher einer Hofausfahrt ähnelt, mit einem fröhlichen »Bonjour« begrüßt und bekommt nach einem kurzen Blick auf das Nummernschild auch noch gleich ein »Bon voyage!« und »Bonne journée!« mit auf den Weg. Es ist hübsch im Arrondissement Sadroc. Der Morgennebel hängt noch etwas in den Tälern ab. Es ist kühl, aber man riecht förmlich die Mittagswärme, die sich schon für ihren Auftritt bereit macht. Es ist vielleicht nicht die schnellste Route, wäre aber sicher einer der schnellsten Wege, um zu entschleunigen. Wir könnten eigentlich noch etwas bleiben, doch da sind ja noch andere Pläne.
Wie allerdings unser Navi mit seiner Einstellung »schnellste Strecke« auf die Idee kommt, uns über die kleinsten Straßen zu führen, bleibt sein Geheimnis. Aber zugegeben, ein hübsches Geheimnis, wenn man es nicht allzu eilig hat. Und gerade haben wir es noch nicht allzu eilig, denn wir wissen ja auch noch nicht, was uns in der Schweiz erwartet.
Als wir dann doch wieder auf der A89 sind, kündigt sich schon das nächste Abenteuer an. Der französische Tankrabatt hat nämlich die unangenehme Eigenschaft, nur in der Nähe von großen Städten und am liebsten an Supermarkttankstellen seine ganze Kraft zu entfalten. Da wir aber gerade ziemlich tief im Nichts stecken, ist es mit dem Tankrabatt eben auch nicht allzu weit her. So nehmen wir eine Abkürzung in Richtung Clermont-Ferrand, denn bei Volvic gibt es einen E.Leclerc und dort gibt es nicht nur stilles Wasser, sondern auch preiswertestes E10. Henriette freut sich schon, aber diese Abkürzung lässt das Nervenkostüm der Capitana zu einem hauchdünnen Nichts verblassen, denn die 9 bis 12%igen Steigungen lassen den Verbrauch von Henriette in schwindelerregende Höhen schnellen, auch wenn das nächste Gefälle meist nicht weit ist. Mit dem letzten Tropfen des kostbaren E10s rollen wir dann an dem riesigen Betriebsgelände von Volvic entlang und das letzte Gefälle schiebt uns auf die rettende Tankstelle.
Dann der Anruf aus München. Das Oktoberfest hat München zu einem echten Hotspot gemacht und dieser Hotspot scheint wirklich hot zu sein. Bei einer Inzidenz von fast 900 hat es nun auch unsere Verwandtschaft erwischt. Das Familientreffen muss ausfallen und so planen wir wieder einmal um. Wir werden uns irgendwo vor München ein Hotel suchen und einen respektvollen Abstand zu allem Oktoberfestgeschehen halten. Ein kleines Corona-Intermezzo können wir uns bei unserem Zeitplan beim besten Willen nicht mehr leisten.
Eigentlich wollten wir die Schweiz wegen der Maut und der Benzinpreise irgendwie vermeiden. Aber in der Richtung, in der wir unterwegs sind, gibt es keine wirklich gute Alternative zu den Autobahnen der Eidgenossen. Vor der Schweiz tanken wir noch einmal. An der Tankstelle wähnen wir uns schon in der Schweiz, kein einziges französisches Kennzeichen ist dort zu sehen. Die Schweizer leisten sich ja bei allem gerne mal etwas höhere Preise, doch bei den Spritpreisen liegen sie wohl europaweit unangefochten in Führung.
Von der letzten französischen Tankstelle geht es zur ersten schweizer Tankstelle. Wir brauchen ja nun noch eine Vignette. Der Weg führt uns dank unseres Navis wieder einmal etwas ungeplant über einen alten Schmugglerpfad, der Frankreich klammheimlich mit der Schweiz verbindet. Und ganz unversehens wandeln wir plötzlich auf den Pfaden einer kleinen und fast unbekannten Geschichte aus den frühen Jahren der Schweiz. Auf diesem Pfad, damals war er noch nicht asphaltiert, wurde seinerzeit Wilhelm Tell ins Exil geschmuggelt, nachdem er eine Affäre mit der Tochter des Kantonkönigs Ricola III. angefangen hatte. Die Grenze ist aber dennoch eindeutig zu erkennen, denn auf der einen Seite stehen einige kantige, schweizer Longhornbullen, die die eleganten, französischen Kuhdamen auf der anderen Seite der Grenze lüsternd anglotzen.
Die Vignette ergattern wir ohne ein Wort English, Deutsch oder sonst einem Dialekt. Nur mit etwas Zeichensprache und den magischen zwei Worten »Otto ruhte« können wir der jungen Tankstellendame, ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Es ist schön, wenn man sich versteht. Sie zückt einen Stapel grottenhäßlicher »lila« Vignetten, und sagt etwas, das mehr nach einer ganz ganz zartweichen Vinaigrette klingt, als nach knallharten 40 Franken Mautgebühr. Ich zögere etwas. Dieses Lila ist so dermaßen unästhetisch und in Kombination mit Henriettes feuerrotem Lack wird das sicher für Augenkrämpfe sorgen. Aber wie sollen wir die Schweiz ohne Vignette meistern. Nein! Ich lächele zurück und murmele: »Wie nett, Susette, perfett komplett!« Wir verstehen uns, sie lächelt wieder und ich halte mein Handy über den eidgenössischen Kartenleser. Ich verstehe nicht ganz, warum Menschen in einem viersprachigen Land nur französisch sprechen und man auch mit Englisch nicht wirklich landen kann. Aber vielleicht ist dies ja das eigentliche eidgenössische Geheimnis, welches seit Jahrhunderten die Neutralität sichert.
Etwas widerwillig kleben wir die furchterregend lila leuchtende Vignette an Henriettes Windschutzscheibe. Astrid fragt mich: “Was war das?” Wir beide haben das Gefühl, dass sich Henriette eben etwas geschüttelt hat. Liebevoll streicheln wir ihr Lenkrad und versprechen ihr, dass es auch wirklich nur für heute ist.
Kurz nachdem wir auf der ersten schweizer Autobahn sind, stellen wir den Blitzerwarner ab. Man versteht sein eigenes Wort nicht mehr, es bimmelt ohne Pause. Kein Wunder, dass es die Schweizer mit ihren schweren SUVs in den Nachbarländern gerne mal richtig krachen lassen. Die Kantonspolizei zuhause scheint es wirklich ernst zu meinen. Und ein Blick auf den schweizer Bußgeldkatalog zeigt, das hohe Strafen wohl doch einen gewissen Einfluß auf das Fahrverhalten haben.
Der westliche Teil der Schweiz ist eher platt. Entweder hat es hier noch nie richtige Berge gegeben oder die sind einfach durch den ganzen Tourismus vollkommen abgenutzt worden, als man sich die Schweiz als normaler Nicht-Oligarch noch leisten konnte.
Im Raum Zürich treffen wir auf den eidgenössischen Feierabendverkehr. Nichts geht mehr. Heute früh kam ja die Nachricht, dass unsere Unterkunft in München corona-bedingt ausfällt. Nun wissen wir, dass wir es ohnehin nicht geschafft hätten. Quälend langsam nähern wir uns der österreichischen Grenze. Es ist schon dunkel, als wir das Durcheinander erreichen. Die Schweizer kontrollieren die Gegenrichtung und insgesamt sieht es schon etwas nach einer Zeit vor Schengen aus. Wir werden in unserer Richtung nur eingehend gemustert, wohl aber für harmlos befunden. Merkwürdig …
Gott sei Dank haben die Österreicher ihre Autobahn in diesem Landeszipfel schon mal mautfrei gestellt, sonst hätten wir uns auch noch durch Bregenz quälen müssen. Insgesamt scheint die österreichische Teilstrecke zwischen der Schweiz und Deutschland aber aus einer Zeit zu stammen, in der so etwas wie Verkehrsplanung noch nicht erfunden worden war.
Ein Hotel finden wir in Mindelheim. Nach insgesamt 12 Stunden Autobahnabenteuer reicht es uns nun auch. Das Hotel ist prima, doch beim Feierabendbier sehe ich die Mail des Nikon-Shops aus München. Und die schlägt ein wie eine Bombe. Aus Versehen hat man am Freitag leider das Objektiv verkauft, das für unser Bundle gedacht war. Und es war das letzte. Bingo! Lieferzeit eines neuen Objektivs ungewiss! Ich bestelle noch ein Helles, auch wenn es in dem ersten Seidel noch nicht wirklich dunkel geworden ist.
Tag 3:
Zum Frühstück gibt es nicht nur das volle bayrische Brotzeitprogramm, sondern auch diverse Mails mit dem Nikon-Laden. Danach sieht alles schon wieder besser aus. Gemeinsam finden wir eine Lösung und am Ende können wir die Z5 mit dem gewünschten Objektiv doch so abholen wie ursprünglich besprochen. Uns fällt ein Stein vom Herzen, denn zum einen hatten wir uns nun doch schon darauf eingestellt, eine neue Kamera zu haben, und zum anderen wäre ein nutzloser Umweg von rund 800 km schon etwas ärgerlich gewesen.
München nehmen wir nach dem Berufsverkehr. Das geht auch erstaunlich unproblematisch und der Nikon-Laden ist schnell gefunden. München selbst ist für uns schon etwas gewöhnungsbedürftig. Seit 2018 cruisen ja doch durch eher ruhige, wenn nicht einsame Gegenden Europas, und auch sonst sind wir ja auch keine Großstadtmenschen. Diese kleine Stippvisite und das kurze Schnuppern reicht uns dann auch. Beim Nikon Service-Point in München läuft alles vollkommen problemlos. Wir übergeben unsere alte Hardware und zahlen den Rest für die neue Nikon Z5 mit dem 24 – 120 Z-Zoom. Eine ganze Zeit quatschen wir noch über dies und das und all die Pläne, die wir so haben. Es ist ein wirklich nettes und freundliches Finale unseres Rückreiseabenteuers. Doch ein ganzer Berg Autobahnkilometer liegt noch vor uns.
Und die liegen dann auch erst gegen 18:30 hinter uns. Das letzte Stückchen führt uns allerdings wieder über die schmalen Landstraßen Niedersachsens. Die A7 ist bei Hildesheim vollgesperrt. Als Alternative bekommen wir von unserem Navi eine Sightseeingtour über Salzgitter und Braunschweig präsentiert. Das ist dann wirklich etwas viel und wir wählen mal ganz eigenständig die »schnellste Route«.
Nach 2.915 km sind wir dann wieder zuhause. Und in genau 14 Tagen geht es schon wieder zurück und dann beginnt das, was nun wirklich endlich einmal beginnen muss.