Ein etwas schlechtes Gewissen haben wir ja schon gegenüber Póvoa de Varzim. Immerhin hat die PINCOYA hier nun vier Monate gelegen und auch wir waren tatsächlich sechs Wochen vor Ort, wenn man alles zusammenzählt. Aber nicht ein einziges Mal haben wir wirklich etwas Stadt-Sightseeing gemacht. Auch unsere geplanten Ausflüge nach Braga und Porto sind ausgefallen, doch dafür kennen wir nun alle Baumärkte der näheren Umgebung und inzwischen natürlich auch jeden größeren Supermarkt. Vielleicht ist dies der Tribut für größere Pläne?!?
Doch nun geht es wieder los. – Und ehrlich gesagt, es muss auch losgehen! Im Norden ist es kalt geworden, das Wetter ist seit Wochen schlichtweg grausig. Ab und an drängelt sich zwar mal ein Sonnentag dazwischen, aber die restlichen Tage haben ihren Auftrag verstanden und füllen brav die Talsperren im Hinterland mit ergiebigstem Regen. Die Wetterscheide zur Besserung liegt deutlich südlich von uns und jedes nordatlantische Tief streichelt mit seinen kalten und regennassen Ausläufern auch gerne mal den Norden Portugals. Doch ganz abgesehen davon haben wir auch nur noch zwei Monate, um in unsere Startposition für das Crossing zu kommen. Und allein dafür warten auf uns auch schon mal rund 1.000 Seemeilen. Die Zeit drängelt, wir müssen weiter.
Es ist kalt, als wir noch in der Morgendämmerung beginnen, die Langzeitvertäuung der PINCOYA wieder aufzudröseln. Gestern Abend haben wir noch einen Eimer Sand vom Strand geholt. Der neuste Hit zur Orca-Abwehr soll Sandstreuen sein. Wenn sie angreifen, dann soll man wie bei Glatteis einige Schippen Sand in sein Kielwasser streuen. Das soll sie irritieren, vielleicht mögen sie auch keinen Sand, aber es wird von Erfolgen berichtet. Immerhin ist das eine preiswerte und sehr umweltfreundliche Methode. Wir hoffen allerdings, dass wir den Sand dann ungenutzt vor Porto Santo über Bord streuen können.
Die Wetterfenster, die uns wenigstens halbwegs nach Süden kommen lassen, sind klein. Zwischen den durchziehenden Tiefausläufern gibt es nur manchmal eine kleine nördliche Brise, die dann auch einen ausgeprägten Tagesgang hat, der jede Nachtfahrt zu einer reinen Motorfahrt macht. Das ist nicht nur nervig, sondern vor der portugiesischen Küste auch hinreichend blöd, denn nachts sieht man die schlecht betonnten Lobster-Pots gar nicht mehr. Deswegen wollen wir in Tagesetappen bis Lissabon, um dann möglichst in einer Rutsche nach Porto Santo zu fahren. So hoffen wir dem großen Orca-Spielpark, der sich von Sesimbra über Sines bis zur Algarve erstreckt, etwas aus dem Weg zu gehen.
Gleich in der Ausfahrt von Póvoa de Varzim schnappt uns der alte Schwell der letzten Starkwindtage. Gestern Mittag hatte der Wind schon auf Nord gedreht und einige der Wartenden sind dann auch sofort aufgebrochen. Gemütlich kann das nicht gewesen sein, denn die Wellen nehmen selbst für uns am nächsten Tag nur langsam ab. Der Tagesgang und das schwächliche Hoch kämpfen um die Vorherrschaft und drehen den Wind von Ost über Süd auf Nordwest. Die Windstärken reichen von »kaum« über »nichts« bis zu »etwas«. So müssen wir die meiste Zeit motoren und am Ende des Tages haben wir genauso viele Motorstunden zusammen, wie auf unserer gesamten Azorenrunde von Mitte Mai bis Anfang Juli. So schnell kann das gehen, aber unser Motor dankt es uns, denn endlich wird er mal wieder richtig freigefahren.
Kurz hinter Porto machen wir unser erstes Wasser. Das klappt zunächst auch alles sehr gut und das Wasser schmeckt auch prima, aber den Zulauf müssen wir noch einmal optimieren. Wahrscheinlich haben wir es uns zu bequem gemacht, indem wir einfach den Zulauf der Deckwaschpumpe angezapft haben. Der geht noch über einen Filter der deutlich über der Wasserlinie liegt. Dadurch bekommt der Wassermacher nicht genug Input, das werden wir gleich mal vor Aveiro ändern müssen. Aber … alles andere funktioniert perfekt! Und morgen gibt es gleich mal einen ersten Kaffee mit selbst produzierten Wasser.
Ziemlich entspannt geht es weiter und am Ende können wir sogar noch einige Meilen segeln.
Pünktlich zum Sonnenuntergang laufen wir in Aveiro ein. Und da es hier nahezu dämmerungslos dunkel wird, fällt unser Anker schon im Dunkeln vor São Jacinto. Mal sehen, wo wir morgen aufwachen…
Kleiner Zeitsprung
Zwei Tage später verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. John aus Cascais ist der erste, der uns anmailt, weil er weiß, dass wir genau hier auf dem Weg sind. Die Orcas haben eine zweite Yacht vor Viana do Castello versenkt. Viana liegt gerade mal 20 sm nördlich von Póvoa. Als wir auf Höhe von Porto waren, haben wir ein Mayday verfolgt. Wir konnten nur die Coast Guard hören, daraus aber entnehmen, dass die Notsituation nördlich von uns liegt und wir zu weit südlich sind, um Hilfe zu leisten.
Details sind noch nicht bekannt, aber die französische Yacht wurde so stark beschädigt, dass sie gesunken ist. Die vier Segler wurden von einer anderen Yacht abgeborgen und sind in Sicherheit.
Das ist nun schon das zweite Mayday wegen Orca-Attacken, dass wir live mitverfolgen. Das erste war das allererste Orca-Mayday und spielte sich vor dem Ria Vigo ab. Wir waren vor zwei Jahren nur 5 sm entfernt vor Anker.
Das alles macht kein gutes Gefühl, etwas mulmig denken wir an unsere nächsten Etappen.
Windstill vor Anker
Vor Sāo Jacinto ist es unglaublich ruhig. Kein Schaukeln, kein Rucken und kein Klatschen der Wellen am Heck. Nach Póvoa de Varzim ist das so auffällig, dass wir ungläubig lauschen. Ab und an brummt die kleine Fähre vorbei oder einer der Angler saust noch schnell zur Einfahrt, um sich sein Mittagessen zu sichern. In der Kaserne ist fast gar nichts los, nur manchmal hört man kurz Flugzeugmotoren.
Die Sonne scheint und es ist windstill. Sie braucht allerdings etwas, um die 6° vom Morgen auf Touren zu bringen. Aber ihre Strahlen wärmen schon und so sitzen wir mit unserem zweiten Morgenkaffee mit dem selbst produzierten Wasser im Cockpit. Es ist herrlich, endlich mal wieder vor Anker zu liegen und natürlich schmeckt unser Kaffee nun viel, viel besser als jeder andere Kaffee vorher 😂.
Dann machen wir uns daran, den Zulauf für den Wassermacher zu verlegen. Das Provisorium war ja eh nicht besonders gut gelungen, weil der Schiffsjungen doch irgendwie falsch herum gedacht hatte und plötzlich war dann der Hebel des Seeventils doch auf der Rückseite 🙈.
Es ist ein elendes Gewürge, den Abzweig direkt an das Seeventil der Klospülung zu bekommen. Es hatte schon seinen Grund, warum wir es uns einfach gemacht haben 🥺. Doch dann sitzt endlich alles und ist auch dicht. Über die Druckwasserpumpe entlüften wir die Membran. So weit so gut. Doch danach tut sich im Zulauf nichts, die Luft will ums Verrecken nicht raus und ganz augenscheinlich wird auch durch die Förderpumpe gar kein Seewasser angesaugt. Am Seeventil kann es nicht liegen, denn das Klo spült ganz normal und auch die Deckwaschpumpe haut einen ordentlichen Strahl raus. Hmmm …
RTFM! Also lesen wir noch einmal das f… Manual. Und da fällt dem Schiffsjungen das erste Mal diese kleine blau gepunktete Linie auf und die Capitana sagt: “Ja, das soll wohl die Wasserlinie sein!” Natürlich war diese Linie auch schon vorher da, aber sie hat es irgendwie geschafft, sich aus unserer Wahrnehmung auszublenden. Und leider befinden sich in dieser Zeichnung der Grobfilter und auch die Förderpumpe deutlich unterhalb der blauen Punkte. Beim Sams waren ja blaue Punkte Wünschpunkte und ich wünsche mir nun nichts sehnlicher, als dass das alles nicht wahr ist, was sich gerade in meinem Bastlerhirn zusammenbraut.
Während die Capitana im Ablaufschlauch des Waschbeckens unsere Wasserlinie erkennt und sie ihre ausladenden und horizontal dahingleitenden Handbewegungen mit den Worten: “Hier so etwa!” begleitet, versinkt der Schiffsjunge im Elend der Konsequenzen dieser Erkenntnis. In der Hoffnung auf ein kleines Wunder rufen wir in Hamburg bei AQUATEC an. Die blau gepunktete Linie ist in der Tat die Wasserlinie, was ehrlich gesagt ja auch dransteht, die Frage hätten wir uns sparen können, aber nun ja. Und die Lage des Grobfilters und der Förderpumpe unterhalb der blauen Punkte ist auch kein Flüchtigkeitsfehler 😬, sie ist durchaus ernst gemeint 😤! Das Pümpchen muss in der Tat unterhalb der Wasserlinie liegen, da sie nicht selbst ansaugt. Selbstansaugende Pumpen, die zudem dauerlaufgeeignet sind, gibt es wohl, aber nicht zu einem Preis, den wir zahlen möchten. Meine vorsichtige Frage, ob es vielleicht doch noch irgendeine wundersame Lösung für unser Problem gibt, wird verneint. Doch uns wird auch versichert, dass wir mit diesem Einbaufehler nicht allein sind. Sehr beruhigend ist das nicht, aber immerhin sind wir nicht die einzigen Deppen.
D.h. nun aber auch, unser preisverdächtiges und funktional überästhetisches Filter-und-Förderpumpen-Arrangement hat einen klitzekleinen Schönheitsfehler. Es kann so nicht funktionierten, solange es oberhalb der Wasserlinie wohnt. Und als Einheit ist für dieses Arrangement unterhalb der Wasserlinie einfach kein Platz. Es tut einem wirklich in der Seele weh, wenn ein so schönes und, das darf man an dieser Stelle ruhig noch einmal sagen, funktional nahezu unschlagbar perfektes Konstrukt, seine gesamte Funktionalität von einer Sekunde zur anderen vollkommen unvermittelt aushaucht, um danach nur noch nutzlos schön zu sein.
Lange Rede kurzer Sinn, es gibt nur einen Ort, an dem wir die Förderpumpe zusammen mit dem Grobfilter unterhalb der Wasserlinie unterbringen können. Grob peilen wir die Lage und überlegen, wie wir die Verschlauchung dazu hinbekommen könnten. Doch es bleibt dabei. Die Förderpumpe muss zu der Logge unter die Schubladen in der Bugkoje. Doch diesen Umbauspaß heben wir uns für den nächsten Tag auf, für heute reicht’s erst einmal.
Eigentlich wollten wir vor São Jacinto endlich mal etwas chillen und einfach nur so vor Anker liegen. Seit Wochen basteln wir wie die Blöden, doch vielleicht ist ein zu plötzliches Bastelende ja auch viel zu abrupt. Sicherlich ist es wie beim Sport, Leistungsphasen soll man ja auch langsam ausklingen lassen und hinterher noch einige Dehnübungen machen. So beginnen wird gleich am nächsten Morgen damit, unsere Motivation zu dehnen, alles wieder auseinanderzunehmen, neue Schlauchverbindungen zu verlegen, um danach alles wieder hübsch getrennt zusammenzuschrauben. Und gegen 15:00 fließt dann tatsächlich zum zweiten Mal selbstproduziertes Wasser in unseren Tank. Doch diesmal läuft es über eine Stunde, ohne irgendwelche Aussetzer.
Etwas skeptisch bleiben wir dennoch, bisher gab es noch immer einen Nachschlag.
Stationen:
01.11. Póvoa de Varzim -> Aveiro / São Jacinto Distanz: 47,2 sm Gesamtdistanz: 2.807,3 sm
02. -> 03.11 Aveiro / São Jacinto
40° 39′ 31,0″ N, 008° 43′ 51,9″ W